Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.10.2024 – 9 NE 24.936
Titel:

Veränderungssperre für einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan

Normenketten:
BauGB § 12 Abs. 3 S. 2, § 14 Abs. 1 S. 1, § 214 Abs. 4
VwGO § 47 Abs. 6
Leitsätze:
1. Eine Veränderungssperre kann nicht bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan beschlossen werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan, der mit einer Veränderungssperre gesichert werden soll, muss gegenüber dem Beschluss über die Veränderungssperre zeitlich vorangehend gefasst werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (erfolgreich), Veränderungssperre, vorhabenbezogener Bebauungsplan, neuer Aufstellungsbeschluss, Fehlerbehebung bezüglich Veränderungssperre., Aufstellungsbeschluss, ergänzendes Verfahren
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28764

Tenor

I. Die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans „Solarpark N. “ der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2024, bekannt gemacht am selben Tag, wird vorläufig außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin erlassene Veränderungssperre vom 6. Februar 2024 zum Bebauungsplan „Solarpark N. “ der Antragsgegnerin.
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Sie plant im Geltungsbereich der Veränderungssperre die Errichtung einer Freiflächenphotovoltaikanlage und hat hierzu einen entsprechenden Bauantrag gestellt. Einen Vertrag vom 9. Mai 2023 über die notwendigen Nutzungsrechte hat sie vorgelegt.
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Der Gemeinderat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 5. Februar 2024 unter Tagesordnungspunkt Nr. 8 die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans als Sondergebiet Photovoltaik „Solarpark N. “ für die Errichtung einer Photovoltaikanlage. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans (ca. 80 ha) soll eine Photovoltaikanlage mit 300.000 m² errichtet werden. Der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin wurde ermächtigt, einen entsprechenden Durchführungsvertrag zum Vorhaben- und Erschließungsplan mit dem Vorhabenträger abzuschließen.
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Gleichzeitig beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des Bebauungsplans. Aufstellungsbeschluss und Veränderungssperre wurden am 6. Februar 2024 bekannt gemacht.
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Am 5. Juni 2024 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans für das Sondergebiet Photovoltaik „Solarpark N. “ für die Errichtung einer Photovoltaikanlage. Gleichzeitig hob der Gemeinderat den Beschluss Nr. 8 aus der Sitzung vom 5. Februar 2024 auf.
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Am 10. Juni 2024 stellte die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Veränderungssperre. Sie beantragt,
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die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans „Solarpark N. “ der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2024 vorläufig außer Vollzug zu setzen.
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Der Normenkontrolleilantrag sei zulässig und begründet. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten. Für die Antragstellerin, die konkrete Nutzungsabsichten für das überplante Gebiet habe, sei nur durch die Außervollzugsetzung der Satzung gesichert, dass im bauaufsichtlichen Verfahren gestellte Anträge geprüft würden. Die Veränderungssperre sei unwirksam. Ein vorhabenbezogener Bebauungsplan könne nicht durch eine Veränderungssperre gesichert werden. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BauGB seien bei Vorhaben- und Erschließungsplänen die §§ 14 bis 18, 22 bis 28, 39 bis 79, 127 bis 135c BauGB nicht anzuwenden.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Bereits im Dezember 2023 habe der Gemeinderat der Antragsgegnerin einen Kriterienkatalog im Hinblick auf ein seit längerer Zeit verfolgtes städtebauliches Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB beschlossen. Anknüpfend hieran habe der Gemeinderat in seiner Sitzung am 5. Februar 2024 einen entsprechenden Aufstellungsbeschluss für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Solarpark N. “ beschlossen. Hierbei solle seitens des Gemeinderats für den gesamten Geltungsbereich von 80 ha eine natur- und landschaftsverträgliche Planung der Freiflächenphotovoltaikanlage erfolgen. Insbesondere solle auch sichergestellt werden, dass die Freiflächenphotovoltaikanlage eingezäunt und durch entsprechende Bepflanzung von heimischen Gehölzen in das Landschaftsbild eingepflegt werden könne. In der gleichen Sitzung habe der Gemeinderat die hier verfahrensgegenständliche Veränderungssperre zur Sicherung der vorgenannten Planung erlassen.
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In der Gemeinderatssitzung vom 5. Juni 2024 habe der Gemeinderat der Antragsgegnerin den Beschluss zur Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 1 BauGB mit demselben Geltungsbereich und denselben Zielen gefasst. Der Mindestinhalt der Planung sei nach dem städtebaulichen Kriterienkatalog hinreichend konkret.
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Auf Anfrage des Senats ließ die Antragsgegnerin vortragen, dass sich die am 6. Februar 2024 erlassene Veränderungssperre auch auf den Aufstellungsbeschluss vom 5. Juni 2024 beziehen könne. Die Antragstellerin trat dieser Rechtsauffassung entgegen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Danach kann einen Normenkontroll(eil) antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Das ist hier der Fall, da die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auf Grundstücken, bei denen die Antragstellerin ein vertragliches Nutzungsrecht hat – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Damit schränkt sie die aus diesem Recht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition der Antragstellerin.
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Die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt nicht voraus, dass das Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2020 – 1 NE 20.333 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 17.1.2014 – 2 B 1367/13 NE – BauR 2014, 1430). Die Antragstellerin kann den Antrag in der Hauptsache noch innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellen.
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2. Der Antrag ist begründet.
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Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. § 47 Abs. 6 VwGO stellt an die Aussetzung einer Norm erheblich strengere Anforderungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.1998 – 4 VR 2.98 – NVwZ 1998, 1065). Prüfungsmaßstab bei einem Bebauungsplan sind die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache. Erweist sich, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange der Antragstellerin, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für die Antragstellerin günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968).
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Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache hätte hier die erforderlichen Erfolgsaussichten. Die angegriffene Veränderungssperre ist unwirksam. Angesichts dessen sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung der Veränderungssperre.
21
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde, ist ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen. Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB gilt § 14 BauGB jedoch nicht bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Der Ausschluss dieses Plansicherungsinstruments hängt damit zusammen, dass § 12 BauGB davon ausgeht, dass der Vorhabenträger die Planung wegen seiner Verfügungsbefugnis über die Grundstücke selbst hinreichend sichern kann (vgl. Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 12 Rn. 24). Bei dem Beschluss des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 5. Februar 2024 handelt es sich – auch wenn den vorgelegten Akten ein Vorhaben- und Erschließungsplan nicht beigefügt ist (vgl. OVG NW, U.v. 19.9.2005 – 10 D 36/03.NE – juris) – um einen Aufstellungsbeschluss über einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Dies ergibt sich daraus, dass er im Beschluss als solcher bezeichnet wird, der Aufstellungsbeschluss auf einem Antrag des Vorhabenträgers beruht und der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin ermächtigt wird, einen entsprechenden Durchführungsvertrag zum Vorhaben- und Erschließungsplan mit dem Vorhabenträger abzuschließen. Eine Veränderungssperre, die für den Geltungsbereich eines beabsichtigten vorhabenbezogenen Bebauungsplans erlassen wird, hat daher keine gesetzliche Grundlage und ist unwirksam. Im Übrigen wurde der Aufstellungsbeschluss vom 5. Februar 2024 durch Beschluss des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 5. Juni 2024 ausdrücklich aufgehoben.
22
Die am 5. Februar 2024 beschlossene Veränderungssperre, die am 6. Februar 2024 mit ihrer Bekanntmachung in Kraft trat, ist nicht dadurch wirksam geworden, dass der Gemeinderat der Antragsgegnerin am 5. Juni 2024 die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB für denselben Geltungsbereich und mit denselben Planungszielen beschlossen hat (vgl. auch OVG NW, U.v. 19.9.2005 a.a.O.). Der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan, der mit einer Veränderungssperre gesichert werden soll, muss gegenüber dem Beschluss über die Veränderungssperre zeitlich vorangehend gefasst werden, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt (vgl. auch Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 14 Rn. 6).
23
Grundsätzlich wird eine Norm, die bei ihrem Erlass unwirksam ist, nicht dadurch wirksam, dass die Voraussetzungen für ihren Erlass nachträglich geschaffen werden. In solchen Fällen ist, liegen die Voraussetzungen für den Erlass der Norm nunmehr vor, ein Neuerlass der Norm, hier der Veränderungssperre, erforderlich.
24
Zwar kann die Gemeinde im Falle der Fehlerhaftigkeit eines Aufstellungsbeschlusses diesen gemäß § 214 Abs. 4 BauGB in einem ergänzenden Verfahren nochmals ordnungsgemäß fassen und veröffentlichen und die Veränderungssperre auch rückwirkend in Kraft setzen, ohne sie erneut beschließen zu müssen (BVerwG B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – juris Rn. 5). Auch sind Änderungen einzelner Planungsvorstellungen nach Erlass der Veränderungssperre für deren Rechtmäßigkeit ohne Bedeutung, solange die Planungskonzeption der Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre hinreichend konkretisiert und erkennbar ist, die darin zum Ausdruck kommende Grundkonzeption der Planung nicht aufgegeben worden ist und die mit der Veränderungssperre verfolgte Sicherungsfunktion fortbesteht (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2007 – 4 BN 36.07 – juris Rn. 3). Da hier jedoch die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans beschlossen wurde, für den die Möglichkeit der Sicherung durch Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB gesetzlich nicht gegeben ist (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB) und zudem der Aufstellungsbeschluss vom 5. Februar 2024 durch Beschluss vom 5. Juni 2024 ausdrücklich aufgehoben und ein neuer Aufstellungsbeschluss gefasst wurde, so dass wohl nicht von einem ergänzenden Verfahren i.S.v. § 214 Abs. 4 BauGB gesprochen werden kann, dürfte es hier nicht nur einer Neubekanntmachung der Veränderungssperre durch die Gemeindeverwaltung, sondern auch eines erneuten Satzungsbeschlusses des Gemeinderats bedürfen.
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Da die Veränderungssperre vom 6. Februar 2024 schon aus diesem Grund nichtig ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob die übrigen Einwände der Antragstellerin gegen den Erlass einer Veränderungssperre für einen Aufstellungsbeschluss mit dem geschilderten Inhalt durchgreifend sind oder nicht. Der Senat weist aber darauf hin, dass sich die Planungsabsicht nicht nur aus dem Aufstellungsbeschluss und dessen Begründung, sondern auch aus anderen Unterlagen ergeben kann (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 1 BV 10.1332 – juris Rn. 29 mit weiteren Nachweisen).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG. Sie orientiert sich an den Nrn. 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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In entsprechender Anwendung von § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Nummer I. der Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen wie die streitgegenständliche Satzung, soweit sie die Veränderungssperre nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren aufhebt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).