Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.10.2024 – 8 ZB 24.1358
Titel:

Wasserrechtliche Genehmigung zur Errichtung einer baulichen Anlage im vorläufigen Überschwemmungsgebiet

Normenkette:
WHG § 78 Abs. 3, Abs. 6 (idF bis zum 4.1.2018)
Leitsatz:
Für einen Verstoß gegen das wasserrechliche Rücksichtnahmegebot ist ein qualifizierter Nachteil für den betroffenen Dritten erforderlich; es muss sich um einen spürbaren, nicht unerheblichen Nachteil handeln, der diesem nicht mehr zumutbar ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassungsantrag (erfolglos), wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung, Nachbarschutz, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot, Hochwasserschutz, Drittschutz
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.02.2024 – M 31 K 21.2499
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28760

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen im Juni 2017 erteilte wasserrechtliche (Ausnahme-)Genehmigung für die Errichtung einer Lagerhalle eines Sägewerks in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet.
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Der Kläger ist Eigentümer des ungefähr die Form eines „L“ aufweisenden, landwirtschaftlich genutzten Grundstücks FlNr. … Gemarkung W.. An dieses Grundstück grenzt auf der Nord- und Westseite das Vorhabengrundstück FlNr. …1 des Beigeladenen. Südlich an das Grundstück des Klägers grenzend verläuft die R.
3
Im Januar 2017 brannte das damals auf dem Grundstück des Beigeladenen gelegene und von diesem betriebene Sägewerk. Von dem Brandereignis nicht betroffen war ein als Lagerhalle genutztes Gebäude. Es wurde ebenso wie ein weiteres Nebengebäude nachfolgend abgebrochen.
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Im Mai 2017 genehmigte das Landratsamt M. … … die Wiedererrichtung des Sägewerks.
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Mit Bescheid vom 21. Juni 2017 genehmigte das Landratsamt die Errichtung der Lagerhalle sowohl bau- als auch wasserrechtlich. Die wasserrechtliche Genehmigung zur Errichtung der baulichen Anlage im vorläufigen Überschwemmungsgebiet wird im Bescheid als „wasserrechtliche Erlaubnis“ bezeichnet (Bescheid S. 1 und 2) und ist ausweislich der Begründung auf § 78 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 WHG in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids geltenden Fassung vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585) gestützt (Bescheid S. 5).
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Mit Urteilen vom 18. Juni 2021 (M 1 K 17.2513 und M 1 K 17.3452) wies das Verwaltungsgericht München die Klagen des Klägers gegen die Baugenehmigung für die Wiedererrichtung des Sägewerks und gegen diejenige für die Errichtung der neuen Lagerhalle ab. Diese Urteile sind rechtskräftig.
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Die Klage des Klägers gegen die wasserrechtliche Genehmigung vom 21. Juni 2017 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Februar 2024 abgewiesen.
8
Gegen das ihm am 8. Juli 2024 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. August 2024 beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Er hat den Antrag bereits in der Antragsschrift begründet.
II.
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1. Der zulässige, insbesondere fristgerecht gestellte (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) und begründete (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2024 hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens möglich erscheint (vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19; B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 8 f.). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2023 – 8 ZB 22.2586 – juris Rn. 18 m.w.N.). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente schlagen dann nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich offensichtlich aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 8 ZB 18.547 – juris Rn. 20). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert eine substantiierte Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 8 ZB 23.54 – KommJur 2023, 434 = juris Rn. 6).
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b) Hiervon ausgehend bestehen auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
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aa) Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Klage des Klägers allenfalls dann Erfolg hat, wenn die angegriffene (Ausnahme-)Genehmigung gegen das wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot verstößt (vgl. Urteil Rn. 16). Allerdings hätte das Verwaltungsgericht ausgehend von seiner – ebenfalls zutreffenden – Auffassung, maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausnahmegenehmigung sei die im Zeitpunkt ihres Erlasses geltende Sach- und Rechtslage, für die Frage des Drittschutzes auf § 78 Abs. 3, Abs. 6 WHG in der im Juni 2017 bis zum 4. Januar 2018 geltenden Fassung (vgl. Art. 1 Nr. 7, Art. 5 des Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes – Hochwasserschutzgesetz II – vom 30. Juni 2017, BGBl I S. 2193) abstellen müssen, auf den das Landratsamt die Genehmigung auch gestützt hat. An § 78 WHG in seiner seit dem 5. Januar 2018 – im Wesentlichen unverändert – geltenden Fassung, namentlich an der Regelung zum Nachbarschutz in § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG, ist die Ausnahmegenehmigung hingegen nicht zu messen.
13
bb) Der Senat hat in seiner Rechtsprechung die Frage des sich aus § 78 Abs. 3 WHG a.F. ergebenden Drittschutzes bislang nicht abschließend entschieden. Seiner Auffassung nach ist aber jedenfalls ein qualifizierter Nachteil für den betroffenen Dritten erforderlich; es muss sich um einen spürbaren, nicht unerheblichen Nachteil handeln, der diesem nicht mehr zumutbar ist (s. insbesondere BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 8 CS 18.455 – NVwZ 2018, 1576 = juris Rn. 10; zur neuen Rechtslage vgl. auch BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 ZB 21.1330 – juris Rn. 10 sowie VGH BW, B.v. 10.8.2022 – 3 S 138/22 – VBlBW 2023, 210 = juris Rn. 40 f.). Von diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht ausdrücklich ausgegangen (Urteil Rn. 26).
14
In der Begründung des Zulassungsantrags wendet sich der Kläger (zu Recht) nicht gegen den rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts. Für einen Erfolg des Zulassungsantrags hätte er dann aber substantiiert darlegen müssen, weshalb entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ein solcher qualifizierter Nachteil anzunehmen ist. Dies geschieht nicht. Der Kläger verhält sich vielmehr im Wesentlichen dazu, weshalb seiner Auffassung nach die Voraussetzungen des § 78 Abs. 5 WHG (n.F.) nicht erfüllt sind und geht dabei insbesondere davon aus, dass bei Betrachtung der Hochwassersituation für sein Grundstück die zwischenzeitlich abgerissenen Gebäude außer Betracht bleiben müssen („das neue Bauvorhaben mit der Situation verglichen werden muss, dass an der betreffenden Stelle vorher keine Lagerhalle und keine Holzlagerung bestand“, Antragsschrift vom 5. August 2024 S. 2 unten; vgl. zu Fragen des Bestandsschutzes unter Geltung des § 78 WHG a.F. Hornfischer/Reith, VBlBW 2014, 401/410 ff.). Maßgeblich ist aber nicht, ob sich die Hochwassersituation durch das Vorhaben gegenüber der früheren Situation ohne Lagerhalle und Holzlagerung auf dem Grundstück der Beigeladenen verschlechtert hat, sondern allein, ob durch das Bauvorhaben eine mehr als unerhebliche, dem Kläger nicht mehr zumutbare Verschlechterung der Hochwassersituation eingetreten ist.
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Auch der Sache nach lässt sich der Antragsschrift vom 5. August 2024 nicht entnehmen, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts zu Lasten des Klägers „unzumutbare Auswirkungen im Hinblick auf den Hochwasserschutz“ zu erwarten sind. Insoweit braucht sich der Senat nicht abschließend festzulegen, ob – wofür Vieles spricht – jedenfalls bei Prüfung des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots bauliche Anlagen, die im Zusammenhang mit der Errichtung der genehmigten Anlage wegfallen, Bedeutung erlangen. Denn auch wenn die Frage zu verneinen wäre, begegnet das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis keinen Richtigkeitszweifeln. Die Behauptung des Klägers, eine offene Holzlagerhalle mit den Dimensionen 70 m mal 11 m, in der Holz gelagert werde, stelle ein erhebliches Abflusshindernis bei Hochwasser dar (Antragsschrift vom 5. August 2024 S. 3), hat er nicht näher begründet und insbesondere auch die konkreten Auswirkungen auf sein landwirtschaftlich genutztes Grundstück, das wegen seiner näheren Lage zur R. im Fall eines Hochwasserereignisses von diesem im Vergleich zum Vorhabengrundstück ohnehin stärker betroffen sein wird, nicht in den Blick genommen. Auf die behördliche und vom Verwaltungsgericht angeführte Angabe, der „große Rückstau in Form eines Sees“ erfahre „durch die streitgegenständliche Holzlagerung lediglich einen weiteren Aufstau im Millimeter-Bereich und das ohne Strömung“ (Urteil Rn. 20), geht er dementsprechend nicht ein.
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Nach Vorstehendem kann im Übrigen auch dahingestellt bleiben, ob bei der Genehmigung das in der baulichen Anlage zu lagernde Holz überhaupt zu berücksichtigen war bzw. ob es im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 und Abs. 6 WHG (a.F.) einer eigenen Zulassungsentscheidung bedurfte hätte (vgl. zu in einer offenen Garage abgestellten Fahrzeugen nach derzeit geltender Rechtslage VGH BW, B.v. 10.8.2022 – 3 S 138/22 – VBlBW 2023, 210 = juris Rn. 47).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
18
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt dem Ansatz des Verwaltungsgerichts, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
19
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
20
Der Beschluss ist unanfechtbar.