Titel:
Vorläufige Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 eines Gymnasiums
Normenketten:
BayEUG Art. 44 Abs. 3
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
Leitsatz:
Ein Anspruch auf vorläufige Aufnahme in die Wunschschule liegt nicht vor, wenn auch bei einer Verschiebung auf den korrekten Messpunkt nicht davon auszugehen ist, dass es aufgrund der dann ermittelten Entfernungen zu einer für den Antragsteller erheblichen Veränderung innerhalb der Reihenfolge der zu berücksichtigenden Bewerberinnen und Bewerber kommt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kein Anspruch auf Aufnahme in ein bestimmtes Gymnasium., Gymnasium, Aufnahme, Anspruch, Entfernung, Wohnort, Schule, fehlerhafte Messung, korrekter Messpunkt, luftlinie.org, Beschwerde
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 05.08.2024 – M 3 E 24.4521
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28757
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 des W.-H.-Gymnasiums in M. (im Folgenden: Schule) zum Schuljahr 2024/2025.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 5. August 2024 abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule an einem bestimmten Ort. Die ablehnende Entscheidung der Schule über den Aufnahmeantrag des Antragstellers sei nicht zu beanstanden. Da die Anzahl der Bewerber für die Schule die Zahl der nach der vorhandenen Kapazität ermittelten Plätze überstiegen habe, sei eine Auswahlentscheidung nötig gewesen. Die insoweit von der Schule gewählten Kriterien, nämlich die vorrangige Aufnahme von Geschwisterkindern sowie die Berücksichtigung der Entfernung zwischen Wohnort und Schule (Luftlinie) begegneten keinen Bedenken. Die Schule habe 186 freie Plätze für die Jahrgangsstufe 5 und davon 60 Plätze an Geschwisterkinder unabhängig von der Entfernung zur Schule vergeben. Die übrigen Plätze seien bis einschließlich Platz 186 (Entfernung 1,27 km) aufgrund der Entfernung vom Wohnort zur Schule vergeben worden. Der Antragsteller belege mit einer Entfernung von 2,05 km Platzziffer 222 und habe daher nicht berücksichtigt werden können. Es bestünden keine Hinweise auf ein fehlerhaft durchgeführtes Auswahlverfahren.
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter.
4
Der Antragsgegner, der im Beschwerdeverfahren aussagekräftige Unterlagen zur Auswahlentscheidung vorgelegt hat, widersetzt sich der Beschwerde.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Behördenakte Bezug genommen.
6
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf vorläufige Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 der Schule zum Schuljahr 2024/2025 glaubhaft gemacht hat. Unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), sowie der vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich dies aus Folgendem:
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Der Antragsteller rügt, das von der Schule zugrunde gelegte Auswahlverfahren sei hinsichtlich des Kriteriums „Entfernung vom Wohnort zur Schule“ (Luftlinie) rechtswidrig durchgeführt worden, da die von der Schule vorgenommenen Entfernungsberechnungen sämtlich fehlerhaft seien. Dies liege daran, dass die von der Schule hierzu genutzte Online-Anwendung „luftlinie.org“ bezüglich des Messpunkts der Schule nicht den tatsächlichen Standort der Schule zugrunde gelegt habe. Die Schule befinde sich zu dem von „luftlinie.org“ herangezogenen Bezugspunkt in deutlicher Entfernung westlich. Damit würden Bewerberinnen und Bewerber, die wie der Antragsteller westlich der Schule wohnten, benachteiligt, denn für diese sei eine längere als die zum tatsächlichen Standort der Schule bestehende Entfernung gemessen und berücksichtigt worden. Zudem sei davon auszugehen, dass auch im Hinblick auf Adressen von Bewerberinnen und Bewerbern, die „luftlinie.org“ nicht bekannt seien, ungenaue Koordinaten herangezogen worden seien. Mit diesem Vorbringen dringt der Antragsteller nicht durch.
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1. Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass der von der Online-Anwendung „luftlinie.org“ für den Standort der Schule zugrunde gelegte Messpunkt unzutreffend ist. „luftlinie.org“ setzt diesen Messpunkt nicht am tatsächlichen Standort der Schule (F.-straße …) an, sondern circa 90 m weiter östlich, nämlich noch jenseits der Zufahrt des Spiel- und Begegnungszentrums F.-park (F.-straße …) in etwa auf Höhe des Abzweigs eines die F.-straße in nordsüdlicher Richtung kreuzenden Fußgängerwegs. Der tatsächliche Standort der Schule mit der Adresse F.-straße … ist der Anwendung „luftlinie.org“ noch unbekannt.
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Eine Messung des Senats mit der Anwendung „luftlinie.org“ unter Berücksichtigung des (geschätzten) tatsächlichen Standorts der Schule ergibt eine Entfernung vom Wohnort des Antragstellers zum (geschätzten) Standort der Schule von ca. 2,0 km. Eine Messung mittels Google Maps, auf dessen Satellitenbild das Schulgebäude dargestellt ist, ergibt eine Entfernung von ca. 1,97 km (Entfernung Wohnort des Antragstellers bis zum südlichen Gebäuderand des östlich gelegenen Schulgebäudes). Auch eine Messung im Bayern Atlas ergibt eine Entfernung von ca. 1,97 km. Die tatsächliche Entfernung des Wohnorts des Antragstellers zur Schule stellt sich damit als etwas geringer dar als bislang angenommen. Die fehlerhafte Wahl des Messpunkts der Schule lag nach Aktenlage auch den Messungen bezüglich der Bewerberinnen oder Bewerber mit der Platzziffer 186 und 187 zu Grunde. Damit beruhte die von der Schule getroffene Auswahlentscheidung auf einer falschen Tatsachengrundlage und ist damit voraussichtlich ermessensfehlerhaft.
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2. Gleichwohl hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO), dass eine erneute Ermessensentscheidung der Schule zu seinen Gunsten ausfallen müsste und damit ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafürspricht, dass sein Anspruch in der Hauptsache begründet ist. Auch im Schriftsatz vom 1. Oktober 2024 wiederholt der Antragsteller lediglich seine Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit der von der Schule durchgeführten Messungen. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass er bei korrekter Messung tatsächlich einen Anspruch auf Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 der Schule hat, bringt der Antragsteller nicht vor.
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Nach der vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgelegten Liste, aus der die Adressen aller Bewerberinnen und Bewerber sowie die jeweiligen Entfernungen zur Schule ersichtlich sind, wurden die ersten 60 der 186 verfügbaren Plätze für die Jahrgangsstufe 5 an Geschwisterkinder vergeben, die Plätze 61 bis 186 aufgrund des Entfernungskriteriums. Dabei betrug die geringste Entfernung 0,08 km (Platzziffer 61), die größte berücksichtigte Entfernung 1,27 km (Platzziffer 186). Daraus folgt, dass aufgrund der Auswahlentscheidung der Schule im Ergebnis alle Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt wurden, die in einem Entfernungsradius kleiner oder gleich 1,27 km zur Schule wohnen. Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Bezugspunkt hinsichtlich des Standorts der Schule und damit der (hypothetische) Kreismittelpunkt wurden zwar unrichtig ermittelt und sind auf den tatsächlichen Standort der Schule, F.-straße …, und damit ca. 90 m westwärts zu verschieben. Es ist somit davon auszugehen, dass sich bei einer Neuberechnung der Radius dieses Kreises abhängig von den neu ermittelten Entfernungen verändert. Jedoch hat der Antragsteller – auch nach Vorlage der Unterlagen, die der Auswahlentscheidung der Schule zu Grunde liegen – weder vorgetragen oder glaubhaft gemacht noch ist für den Senat ersichtlich, dass eine derartige Verschiebung dazu führen könnte, dass sich der Antragsteller, der in einer (korrigierten) Entfernung von mindestens ca. 1,97 km zur Schule wohnt, in das berücksichtigungsfähige Bewerberfeld von 126 Bewerberinnen und Bewerbern einreihen kann.
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Nach Aktenlage wohnen (ohne Geschwisterkinder) 126 Bewerberinnen und Bewerber – bezogen auf den unzutreffenden Standort der Schule – näher an der Schule als der Antragsteller. Auch bei einer Verschiebung auf den korrekten Messpunkt ist daher nicht davon auszugehen, dass es aufgrund der dann ermittelten Entfernungen zu einer für den Antragsteller erheblichen Veränderung innerhalb der Reihenfolge der zu berücksichtigenden Bewerberinnen und Bewerber kommt. Dies ergibt sich zum einen aus den sehr geringen Entfernungsabständen vieler Bewerberinnen und Bewerber zur Schule und damit erwartungsgemäß auch zueinander (in mehreren Fällen gleiche Abstände aufgrund Adressidentität; oft nur Abstände von wenigen Metern). Zum anderen ist nicht zu erwarten, dass eine Verschiebung des Messpunkts „Schule“ zu einer derart massiven Verlagerung des „Einzugsgebiets“ nach Südwesten führen wird, dass der Antragsteller tatsächlich zu berücksichtigen wäre. Denn selbst dann, wenn die ermittelte Entfernung bei allen berücksichtigten Bewerberinnen und Bewerbern um 90 m nach oben und beim Antragsteller nach unten korrigiert wird, gehört der Antragsteller nicht zum Kreis derjenigen, die einen Anspruch auf Berücksichtigung haben.
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3. Das Verwaltungsgericht hat seine Kostenentscheidung in nicht zu beanstandender Weise auf § 154 Abs. 1 VwGO gestützt.
14
Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegen die Voraussetzungen des § 155 Abs. 4 VwGO nicht vor. Nach dieser Bestimmung können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Erfasst werden vorprozessuale wie (inner) prozessuale Verhaltensweisen der Beteiligten (vgl. Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 144 Rn. 22 ff.). Die Kostenregelung zulasten eines Beteiligten wegen Verschuldens nach § 155 Abs. 4 VwGO geht als Spezialregelung allen übrigen Kostenregelungen und damit auch derjenigen des § 154 Abs. 1 VwGO vor (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 CE 16.1333 – juris Rn. 18; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 77 m.w.N.). Ein Verschulden eines Beteiligten im Sinn des § 155 Abs. 4 VwGO liegt vor, wenn dieser unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst hat, die nicht erforderliche Kosten verursacht haben.
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Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 155 Abs. 4 VwGO nicht vor. Ob in der Vorlage einer teilweise geschwärzten Liste ein behördliches Fehlverhalten liegt, kann vorliegend offenbleiben, denn ein solches wäre wohl jedenfalls nicht verschuldet i.S.v. § 155 Abs. 4 VwGO gewesen, da der Beklagte die Schwärzungen mit grundsätzlich nachvollziehbaren datenschutzrechtlichen Erwägungen begründet hat. Unabhängig davon hat der Antragsteller aber an der Rechtsverfolgung festgehalten, obwohl der Verwaltungsgerichtshof ihm Einsicht in die begehrten Unterlagen gewährt hat. Damit wird deutlich, dass der Antragsteller ungeachtet seiner Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen von der Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung überzeugt war.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).