Titel:
Ermittlungsdefizit bei der fremdnützigen Überplanung eines privaten Grundstücks
Normenketten:
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 10 Abs. 3 S. 1, S. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BayGO Art. 26 Abs. 2 S. 1
GG Art. 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Verfügt die erlassende (bayerische) Gemeinde über ein eigenes Amtsblatt, müssen Bekanntmachung zwingend in diesem erfolgen; ein Rückgriff auf andere Bekanntmachungsarten ist nicht möglich. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gemeinde muss bei der fremdnützigen Überplanung privater Grundstücke insbesondere prüfen, ob das Planungsziel nicht auch unter weitergehender Schonung des Grundbesitzes der Betroffenen zu erreichen wäre, welche baurechtliche Qualität die betroffenen Flächen aufweisen und ob die Planung ein Mindestmaß an Lastengleichheit zwischen allen betroffenen Eigentümern gewährleistet. Es stellt keine hinreichende Ermittlung des nach § 34 BauGB auf einem Grundstück bestehenden Baurechts dar, wenn die Gemeinde weder den räumlichen Umgriff der näheren Umgebung bestimmt noch im Wege einer Bestandsaufnahme zumindest überschlägig das in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungsmaß ermittelt und auf dieser Grundlage die nach § 34 BauGB zulässige Bebaubarkeit des Grundstücks beurteilt. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ergänzendes Verfahren, Ortsübliche Bekanntmachung, Ermittlungsdefizit, Bewertungsdefizit, Abwägung, ortsübliche Bekanntmachung, Amtsblatt, Gesamtnichtigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28755
Tenor
I. Der Bebauungsplan mit Grünordnung „Südlich der Kirche“ der Antragsgegnerin ist sowohl in der Fassung vom 6. August 2024 als auch in der Fassung vom 15. Februar 2021 unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 30.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan mit Grünordnung „Südlich der Kirche“ der Antragsgegnerin.
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Der Bebauungsplan wurde von der Antragsgegnerin zunächst am 15. Februar 2021 als Satzung beschlossen und am 24. Februar 2021 durch Aushang an der Amtstafel des Rathauses sowie am 1. März 2021 im Amtsblatt der Antragsgegnerin bekanntgemacht. Nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens beschloss die Antragsgegnerin am 6. August 2024 den Bebauungsplan erneut als Satzung. Am 7. August 2024 wurde der Beschluss des Bauungsplans mittels Aushang an der Amtstafel des Rathauses bekanntgemacht und rückwirkend zum 24. Februar 2021 in Kraft gesetzt. Am 15. August 2024 erfolgte eine Bekanntmachung des Beschlusses des Bebauungsplans im Amtsblatt der Antragsgegnerin; ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Bebauungsplans ist darin nicht enthalten.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen 3540 m² großen Grundstücks FlNr. 74, das mit einem ehemaligen Molkereigebäude bebaut ist. Nördlich grenzt das Grundstück FlNr. 73 an, auf dem sich ein Kindergarten befindet.
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Der Bebauungsplan setzt auf einem 790 m² großen, an das Grundstück FlNr. 73 angrenzenden Teilbereich des Grundstücks FlNr. 74 eine Gemeinbedarfsfläche mit Zweckbestimmung Kindergarten/Kinderkrippe fest. Für die restliche Grundstücksfläche legt er ein Allgemeines Wohngebiet fest und weist darin zwei Bauräume aus.
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Am 28. Januar 2022 erhob der Antragsteller Normenkontrollklage. Er macht unter anderem geltend, dass der Bebauungsplan in seiner Ursprungsfassung vom 15. Februar 2021 an einem Abwägungsausfall hinsichtlich seiner Eigentümerbelange leide. Dieser schwerwiegende Fehler berühre die Grundzüge der Planung, so dass eine Heilung durch das durchgeführte ergänzende Verfahren nicht möglich sei. Darüber hinaus sei auch die nachgeholte Abwägungsentscheidung fehlerhaft. Die dabei vorgenommene Alternativenprüfung hinsichtlich der Gemeinbedarfsflächenfestsetzung sei unzureichend. Der erfolgte Baurechtsentzug werde durch die übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht annähernd kompensiert. Ohne den Bebauungsplan sei in dem Grundstücksbereich, für den der Bebauungsplan ein Allgemeines Wohngebiet mit zwei Bauräumen festsetze, nach § 34 BauGB eine deutlich dichtere Bebauung zulässig, als sie durch den Bebauungsplan ermöglicht werde, da die nähere Umgebung durch die Kubatur des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. 74 geprägt werde, die hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung rahmenbildend wirke.
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Der Antragsteller beantragt zuletzt,
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Der Bebauungsplan mit Grünordnung „Südlich der Kirche“ der Antragsgegnerin in der am 7. August 2024 neu bekannt gemachten Fassung und der Bebauungsplan mit Grünordnung „Südlich der Kirche“ der Antragsgegnerin in der am 24. Februar 2021 bekannt gemachten Fassung sind unwirksam.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Sie verteidigt den angefochtenen Bebauungsplan. Die Eigentümerinteressen des Antragstellers seien bereits bei Erlass des Bebauungsplans in seiner Ursprungsfassung vom 15. Februar 2021 ausreichend berücksichtigt worden. Vorsorglich sei jedoch im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens eine erneute Abwägung der Eigentümerinteressen des Antragstellers unter Vornahme einer Alternativenprüfung hinsichtlich der Gemeinbedarfsflächenfestsetzung erfolgt. Die privaten wirtschaftlichen Interessen des Eigentümers seien intensiv diskutiert und mit der vorliegenden Planung als hinreichend berücksichtigt erachtet worden. Durch die Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebiets im dem bislang als Mischgebiet einzustufenden restlichen Grundstücksbereich erfahre der Antragsteller einen erheblichen finanziellen Vorteil, der die Überplanung der 790 m² großen Grundstücksteilfläche durch eine Gemeinbedarfsfläche bei Weitem ausgleiche. Die getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung ermöglichten die Schaffung von verdichtetem Wohnraum auf dem Grundstück des Antragstellers. Im Rahmen einer Bebauung nach § 34 BauGB sei dort eine geringere Baumasse, insbesondere was die überbaubare Grundstücksfläche und Gebäudehöhe anbelange, zulässig, als dies im Bestand der Fall sei. Da sich das Bestandsgebäude hinsichtlich der Baudichte und Gebäudegröße von der Umgebungsbebauung abhebe, sei es hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht rahmengebend.
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Mit Schreiben vom 25. Juli 2024 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO angehört. Beide Parteien erklärten hierzu ihr Einverständnis.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
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1. Der Senat kann nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheiden, da er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten dazu mit gerichtlichem Schreiben vom 25. Juli 2024 angehört worden sind. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK steht dem in Bezug auf den Antragsteller nicht entgegen, da der Normenkontrollantrag zulässig und begründet ist. Die Antragsgegnerin gehört als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht zum Kreis derjenigen, die in den Schutzbereich der Vorschrift fallen. Zudem haben beide Parteien ihr Einverständnis mit der Vorgehensweise erklärt.
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2. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist zulässig.
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2.1. Der Antragsteller hat sowohl die im ergänzenden Verfahren beschlossene Fassung des Bebauungsplans vom 6. August 2024 als auch die Ursprungsfassung vom 15. Februar 2021 innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO angegriffen.
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2.2. Der Antragsteller ist antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Planungsgebiet liegenden Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die – wie hier die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche und zweier Baufenster auf dem Grundstück FlNr. 74 – unmittelbar sein Grundstück betrifft (vgl. BVerwG, B.v. 8.2.2024 – 4 BN 28.23 – juris Rn. 4). Bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Beschränkungen, die sich hieraus für die Nutzung des Grundeigentums ergeben, braucht der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist. Ob dies der Fall ist, kann er im Normenkontrollverfahren überprüfen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 – juris Rn. 5).
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3. Der Antrag ist auch begründet.
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Sowohl die im ergänzenden Verfahren beschlossene Fassung des Bebauungsplans vom 6. August 2024 als auch die Ursprungsfassung des Bebauungsplans vom 15. Februar 2021 sind insgesamt unwirksam.
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3.1. Der Bebauungsplan vom 6. August 2024 ist unwirksam.
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3.1.1. Er leidet an einem Bekanntmachungsmangel und ist daher bereits formell unwirksam.
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Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist der Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen, wenn – wie hier – eine Genehmigung nicht erforderlich ist. Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann. In welcher Form eine Bekanntmachung ortsüblich ist, bestimmt das jeweilige Landes- und Gemeinderecht (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2022 – 4 CN 1.22 – juris Rn. 13). Gem. Art. 26 Abs. 2 Satz 1 der Bayerischen Gemeindeordnung (GO) sind Satzungen im Amtsblatt bekanntzumachen. Verfügt die erlassende Gemeinde über ein eigenes Amtsblatt, müssen Bekanntmachung zwingend in diesem erfolgen; ein Rückgriff auf andere Bekanntmachungsarten ist nicht möglich (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand April 2023, Art. 26 Rn. 7; BeckOK KommunalR Bayern, Stand August 2024, GO Art. 26 Rn. 16). Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO und § 1 Abs. 2 der Bekanntmachungsverordnung (BekV) lassen es nur dann zu, dass eine Gemeinde in ihrer Geschäftsordnung als Bekanntmachungsart den Anschlag an Gemeindetafeln vorsieht, wenn sie über kein eigenes Amtsblatt verfügt (vgl. BayVGH, U.v. 26.5.2023 – 9 N 19.699 – juris Rn. 27; B.v. 29.4.2021 – 1 ZB 19.224 – juris Rn. 5).
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Da die Antragsgegnerin mit dem „W. B.“ ein eigenes Amtsblatt besitzt, stellt der nach § 33 der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2023 erfolgte Aushang des Beschlusses des Bebauungsplans vom 6. August 2024 an der Amtstafel des Rathauses keine ortsübliche Bekanntgabe im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB dar. Eine wirksame Bekanntmachung des Beschlusses ist mangels des nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB erforderlichen Hinweises auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Bebauungsplans auch im „W. B.“ vom 15. August 2024 nicht erfolgt. Hierbei handelt es sich um einen nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB beachtlichen Fehler, für den nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB keine Rügefristen gelten (vgl. BVerwG, B.v. 3.6.2010 – 4 BN 55.09 – juris Rn. 13).
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3.1.2. Darüber hinaus ist der Bebauungsplan vom 6. August 2024 auch aus materiellen Gründen insgesamt unwirksam. Er leidet an einem nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB und genügt damit auch nicht den an eine ordnungsgemäße Abwägung im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB zu stellenden Anforderungen.
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Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne nach § 2 Abs. 3 BauGB zu ermitteln und zu bewerten. Zu ermitteln und zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2023 – 4 CN 11.21 – juris Rn. 12).
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Zu den für die Abwägung relevanten privaten Belangen gehört in hervorgehobener Weise das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Eigentum (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 14.12.2022 – 4 CN 1.22 – juris Rn. 29). Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben. Dies setzt indes voraus, dass hinreichend gewichtige, städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange hierfür bestehen. Diese Allgemeinbelange müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Festsetzungen eines Bebauungsplans die Befugnisse des Eigentümers einschränken oder Grundstücke von einer Bebauung ganz ausschließen (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.2017 – 4 BN 25.16 – juris Rn. 5). Die grundgesetzliche Eigentumsgarantie umfasst neben der Substanz des Eigentums auch die Beachtung des Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss von der Gemeinde daher als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange beachtet werden. Im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB hat die Gemeinde folglich die Nachteile einer Planung für Planunterworfene zu berücksichtigen. Besteht ein Recht zur Bebauung, kommt der normativen Entziehung desselben erhebliches Gewicht zu, das sich im Rahmen der Abwägung auswirken muss (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.2017 – 4 BN 25.16 – juris Rn. 5 f). Korrespondierend hierzu folgt die Pflicht des Plangebers, sich ein hinreichendes Bild über die durch das Eigentumsrecht vermittelten gegenwärtigen Nutzungsrechte zu verschaffen. Das gilt insbesondere für den Umfang eines nach § 34 BauGB bestehenden Baurechts. Zwar muss dieses in der Regel nicht quadratmetergenau ermittelt werden; die Gemeinde muss aber eine auf einer zutreffenden überschlägigen Ermittlung beruhende Vorstellung davon haben, in welchem Umfang die beabsichtigte Planung bestehendes Baurecht einschränkt. Nur unter dieser Voraussetzung kann sie das private Interesse am Erhalt dieser Rechte mit dem öffentlichen Interesse an einer Neuordnung des Plangebiets sachgerecht abwägen (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2024 – 1 N 21.1251 – juris Rn. 33; OVG Saarland, B.v. 25.1.2024 – 2 C 186/22 – juris Rn. 74; OVG BB, U.v. 16.11.2023 – OVG 10 A 15.19 – juris Rn. 32).
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Bei einer fremdnützigen Überplanung privater Grundstücke durch eine Gemeinbedarfsfläche sind nach ständiger Rechtsprechung an die Abwägung besonders hohe Anforderungen zu stellen (vgl. OVG SH, U.v. 22.2.2023 – 1 KN 2/18 – juris Rn. 47; BayVGH, U.v. 27.6.2019 – 1 N 16.220 – juris Rn. 31; OVG NW, U.v. 8.3.2018 – 7 D 60/16.NE – juris Rn. 55; OVG SA, U.v. 2.2.2016 – 2 L 7/14 – juris Rn. 171). Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass Bebauungspläne keine enteignungsrechtliche Vorwirkung haben und deshalb die Enteignungsvoraussetzungen (§§ 85 ff. BauGB) bei der Rechtmäßigkeitskontrolle nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht zu prüfen sind. Die planerische Inanspruchnahme privater Flächen als Gemeinbedarfsfläche ist mit erheblichen Eingriffen in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Nutzungsrecht des Eigentümers verbunden. Mit der Festsetzung im Bauungsplan wird bindend über die künftige Zweckbestimmung der Fläche entschieden; hierfür und für die hiervon ausgehenden Nutzungsbeschränkungen muss der Plangeber im Rahmen der Abwägung die planerische Verantwortung übernehmen (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.2009 – 4 CN 5.08 – juris Rn. 24). Er hat dabei in besonderem Maße die Bestandsgarantie des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sowie das Gebot größtmöglicher Schonung privater Flächen zu beachten und muss daher insbesondere prüfen, ob das Planungsziel nicht auch unter weitergehender Schonung des Grundbesitzes der Betroffenen zu erreichen wäre, welche baurechtliche Qualität die betroffenen Flächen aufweisen und ob die Planung ein Mindestmaß an Lastengleichheit zwischen allen betroffenen Eigentümern gewährleistet (vgl. OVG SH, U.v. 22.2.2023 – 1 KN 2/18 – juris Rn. 47; BayVGH, U.v. 27.6.2019 – 1 N 16.220 – juris Rn. 31; OVG NW, U.v. 8.3.2018 – 7 D 34/17.NE – juris Rn. 53). Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung ist dabei nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB der des Satzungsbeschlusses.
29
Den dargestellten Anforderungen ist die Antragsgegnerin nicht gerecht geworden. Sie hat die mit den Festsetzungen einer Gemeinbedarfsfläche und zweier Baufenster auf dem Grundstück des Antragstellers verbundenen Eigentumsbeeinträchtigungen unzureichend ermittelt. Über den Umfang des nach § 34 BauGB auf dem Grundstück bestehenden Baurechts hat sie sich kein ausreichendes Bild verschafft. Die Ausführungen in der Abwägungsübersicht hierzu beschränken sich darauf, dass im Rahmen einer Bebauung nach § 34 BauGB auf dem Grundstück eine geringere Baumasse zulässig sei, als dies bei dem auf dem Grundstück befindlichen Bestandsgebäude der Fall sei. Das Areal der ehemaligen Molkerei hebe sich hinsichtlich Baudichte und Gebäudegröße von der Umgebungsbebauung ab, in der sich stattliche landwirtschaftliche Hofstellen mit untergeordneten Nebengebäuden, Wohnhäuser in unterschiedlicher Größe sowie die gemeindlichen Gebäude (Kindergarten, Rathaus) samt Freiflächen befänden, und sei daher hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht rahmengebend. Dies stellt keine hinreichende Ermittlung des nach § 34 BauGB auf dem Grundstück des Antragstellers bestehenden Baurechts dar. Weder hat die Antragsgegnerin den räumlichen Umgriff der näheren Umgebung bestimmt noch im Wege einer Bestandsaufnahme zumindest überschlägig das in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungsmaß ermittelt und auf dieser Grundlage die nach § 34 BauGB zulässige Bebaubarkeit des Grundstücks – einschließlich der mit einer Gemeinbedarfsfläche überplanten 790 m² großen Teilfläche – beurteilt. Das wäre aber notwendig gewesen, um unabhängig von der Frage, ob die zulässige Baumasse im überplanten Bereich hinter der Bestandsbebauung zurückbleibt, erstere überhaupt beurteilen zu können. Sie hat sich die derzeit bestehenden Möglichkeiten der Bebauung demnach nicht hinreichend vergegenwärtigt und den Eigentümerbelangen des Antragstellers dadurch im Abwägungsvorgang möglicherweise nicht ihrem objektiven Gewicht entsprechend Rechnung getragen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Annahme der Antragsgegnerin, dass das Bestandsgebäude auf dem Grundstück als sog. Fremdkörper zu werten sei, der in einem auffälligen Kontrast zu seiner im Wesentlichen homogenen Umgebungsbebauung stehe, im Hinblick auf die Bebauung auf dem unmittelbar nördlich angrenzenden Grundstück FlNr. 73 nicht unproblematisch erscheint.
30
Der Ermittlungs- und Bewertungsmangel sowie der damit verbundene Fehler im Abwägungsvorgang ist auch im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Er ist offensichtlich, da er sich unmittelbar aus den Bebauungsplanakten ergibt. Zudem ist er auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, weil nach den Umständen des vorliegenden Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel im Abwägungsvorgang anders ausgefallen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan bei einer hinreichenden Ermittlung und Bewertung der Eigentümerbelange des Antragstellers in jedem Fall mit demselben Inhalt beschlossen hätte.
31
Der Mangel ist auch nicht im Nachhinein gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er vom Antragsteller rechtzeitig gerügt wurde.
32
Er führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Die Ungültigkeit eines Teils eines Bebauungsplans führt nur dann nicht zur Gesamtnichtigkeit, wenn die Restbestimmung auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibt und nach dem mutmaßlichen Willen des Normgebers mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – juris Rn. 30). Bei der Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche und zweier Baufenster auf dem Grundstück des Antragstellers handelt es sich um Kernpunkte der Bauleitplanung, so dass die Annahme fernliegt, die Antragsgegnerin hätte den Bebauungsplan ohne die Festsetzungen mit ansonsten gleichem Inhalt beschlossen.
33
Auf die weiteren seitens des Antragsteller gerügten Mängel kommt es daher nicht mehr an. Insbesondere braucht nicht entschieden werden, ob der Bebauungsplan vom 15. Februar 2021 an einem nicht in einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB behebbaren, den Kern der Abwägungsentscheidung betreffenden Mangel (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 BN 15.16 – juris Rn. 3) leidet.
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3.2. Auch der Bebauungsplan vom 15. Februar 2021 erweist sich als unwirksam.
35
Er wurde zwar am 1. März 2021 mit dem nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB erforderlichen Hinweis auf seine Einsichtsmöglichkeit wirksam im Amtsblatt der Antragsgegnerin bekanntgemacht, jedoch leidet er ebenso an dem unter 3.1.2. dargelegten Ermittlungs- und Abwägungsmangel. Dass der Antragsteller während der Auslegung des Entwurfs des Bebauungsplans keine Einwendungen erhoben hat, ist dabei unerheblich. Die Abwägungsrelevanz der Eigentümerbelange des Antragstellers, die für die Abwägung von zentraler Bedeutung waren, hätte sich der Antragsgegnerin aufdrängen müssen, zumal sie mit dem Antragsteller keine Einigung über einen freihändigen Grundstückserwerb erzielen konnte. Auf die weiteren gegen den Bebauungsplan vom 15. Februar 2021 erhobenen Rügen des Antragstellers kommt es somit ebenfalls nicht an.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG und orientiert sich an Nr. 9.8.1. der Festsetzungen des Streitwertkataloges 2013.
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5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Nr. I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.