Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.03.2024 – 20 N 20.2765
Titel:

Coronaschutzmaßnahme hier: Rechtmäßigkeit der Untersagung von Gastronomiebetrieben

Normenketten:
8. BayIfSMV § 13
7. BayIfSMV § 13 Abs. 4
IfSG § 28 Abs. 1, § 32
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 S. 1, Art. 80 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 5 S. 1
Leitsatz:
Die weitgehende Untersagung von Gastronomiebetrieben, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, ist unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme, die verhältnismäßig ist, da geeignet, erforderlich, angemessen und auch im engeren Sinn verhältnismäßig. (Rn. 28, 35 und 38) (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Schließung und Beschränkung der Gastronomiebetriebe, Normenkontrollantrag, Bestimmtheitsgebot, Parlamentsvorbehalt, Existenzgrundlage, Berufsausübungsfreiheit, eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Mindestabstand, Maskenpflicht, Erhebung der Kontaktdaten, Betriebskantinen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28752

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt die Antragstellerin, ein Unternehmen in der Systemgastronomie, welches in Bayern 13 eigene Restaurants betrieb, die Feststellung, dass § 13 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BaylfSMV) vom 30. Oktober 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616) unwirksam war.
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2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hatte:
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„§ 13 Gastronomie
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(1) Gastronomiebetriebe jeder Art sind vorbehaltlich der Abs. 2 und 3 untersagt.
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(2) Zulässig sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken.
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(3) 1Zulässig ist der Betrieb von nicht öffentlich zugänglichen Betriebskantinen, wenn gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die nicht zu dem in § 3 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird. 2Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.“
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Mit Ablauf des 30. November 2020 trat die Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).
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3. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 23. November 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. August 2021 beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 13 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV) vom 30. Oktober 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616) unwirksam war.
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Sie trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen vor, es bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Bei der im konkreten Fall angegriffenen Regelung der 8. BayIfSMV handele es sich um eine Norm, deren Geltung ohnehin zeitlich kurz befristet gewesen sei. Diese kurze Geltungsdauer genüge bereits, um ein berechtigtes Feststellungsinteresse zu begründen. Die Antragstellerin habe durch die Schließung ihrer Restaurants Umsatzeinbußen hinnehmen müssen.
Der Normenkontrollantrag sei auch begründet, da die Regelung des § 13 Abs. 1 der 8. BayIfSMV ungültig gewesen sei. Ihr habe keine rechtmäßige Verordnungsermächtigung zugrunde gelegen. Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der 8. BayIfSMV des § 28 Abs. 1 IfSG habe gegen das in Art. 80 Abs. 1 GG normierte Bestimmtheitsgebot verstoßen und den damit eng verbundenen Parlamentsvorbehalt. Die erlassenen Regelungen hätten umfassend in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Bayern eingegriffen. Die Verordnungsermächtigung habe solch intensive und bereits seit März 2020 anhaltende Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen können. Mit der hier angegriffenen Regelung sei nicht mehr nur die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beschränkt worden. Mit der Untersagung ganzer Wirtschaftszweige („Gastronomiebetriebe jeder Art“) sei darüber hinaus auch in die Existenzgrundlage und damit in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen worden (Art. 14 Abs. 1 GG). Hinzu sei gekommen, dass der Kreis der Betroffenen immens groß gewesen sei („Gastronomiebetriebe jeder Art“). Die Entscheidung über solch weitreichende Grundrechtseingriffe sei nach dem Prinzip der Gewaltenteilung jedoch dem Bundesgesetzgeber vorbehalten gewesen.
Unterstellt, die Ermächtigungsnorm würde als materiell rechtmäßig angesehen, so sei die Regelung des § 13 der 8. BayIfSMV jedenfalls nicht verhältnismäßig gewesen und habe somit keine notwendige Schutzmaßnahme i. S. d. § 28 Abs. 1 IfSG dargestellt. Die Betriebsschließung möge zwar geeignet gewesen sein. Die Untersagung habe aber die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdet und sei damit nicht erforderlich gewesen. Nach dem Epidemiologisches Bulletin Nr. 38/20 vom 17. September 2020 des fachkundigen RKI hätten Neuansteckungen in „gastronomischen Einrichtungen“ im Vergleich zu anderen Infektionsumfeldern nur in geringem Maße stattgefunden. Übertragungen im öffentlichen Bereich, wozu die hier betroffenen „gastronomischen Einrichtungen“ zählten, seien vergleichsweise deutlich seltener vorgekommen (vgl. S. 11 des Epidemiologischen Bulletin). Dies sei wohl auf die bereits massiven Gegenmaßnahmen zurückzuführen gewesen, die in Gaststätten und allgemein im öffentlichen Bereich bereits gegolten hätten. Hierzu zählten insbesondere die Pflicht ein Schutz- und Hygienekonzept aufzustellen (§ 13 Abs. 4 Nr. 5 der 7. BayIfSMV), die Maßnahmen zur Einhaltung des Mindestabstandes (§ 13 Abs. 4 Nr. 1 der 7. BayIfSMV), sowie die Maskenpflicht (§ 13 Abs. 4 Nr. 2 der 7. BayIfSMV) und die Erhebung der Kontaktdaten (§ 13 Abs. 4 Nr. 6 der 7. BayIfSMV). Inwiefern eine Untersagung der bereits massiven Regelungen unterliegenden Gastronomiebetriebe erforderlich gewesen sei, um die Zahl der Neuansteckungen zu verringern, sei nicht ersichtlich. Die Schließung der Gastronomie habe dazu geführt, dass sich die Menschen vermehrt im privaten Umfeld getroffen hätten. Der „Lockdown light“ habe also Menschen aus der sicheren Gastronomie in stickige Partykeller, Wohnzimmer und Garagen, mit dem Potenzial Superspreading-Events zu erzeugen, verdrängt.
Die Antragstellerin als Systemgastronomin sei gegenüber den von § 13 Abs. 1 der 8. BayIfSMV ausgenommenen nicht öffentlich zugänglichen Kantinen unangemessen benachteiligt worden. Bei der Antragstellerin handele es sich um ein Unternehmen aus der Systemgastronomie, welches durch verschiedene Maßnahmen einen hohen Standardisierungsgrad erreicht habe. Dadurch sei eine deutlich geringere Verweildauer von Gästen möglich und vor allem zur Mittagszeit auch üblich.
Selbst unter der Annahme, dass eine noch weitere Verschärfung der Auflagen im Bereich des Infektionsfeldes „Gastronomiebetriebe“ zu einer nicht nur untergeordneten Verringerung der Neuinfektionen geführt habe, habe die gänzliche Untersagung des Betriebs vor Ort nicht das mildeste Mittel dargestellt. Zu denken wäre gewesen in erster Linie an eine weitere Begrenzung der an einem Tisch gemeinsam zulässigen Personen.
Selbst wenn man die Betriebsuntersagung als erforderlich ansehen würde, so sei sie jedenfalls unverhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Die Verluste durch die Stilllegung des Betriebs vor Ort habe auch nicht durch die weiterhin erlaubte Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen aufgefangen werden können. Die Antragstellerin habe über alle Standorte hinweg nur etwa 10% ihres Gesamtumsatzes mit dem „Delivery/Take-Away“- Geschäft erwirtschaftet. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei des Weiteren einzustellen, dass für die Betriebsschließung keine Kompensation geregelt worden sei.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er verteidigt die angegriffene Verordnung.
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5. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Beschluss entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet, weil § 13 der 8. BayIfSMV wirksam war.
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A. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von § 13 der 8. BayIfSMV, auch wenn diese Regelung mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft getreten ist.
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Gemäß § 47 Abs. 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn die Antragstellerin weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr., vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris)
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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1. Die Antragstellerin hat ihren Normenkontrollantrag am 23. November 2020 und damit während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, B. v. 28.7.2022 – 3 BN 8.21 – BeckRS 2022, 22986 Rn. 10, 12, 16 f.). Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 30. November 2020 kann sie weiterhin geltend machen, in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Auf der Grundlage ihres Vortrags erscheint es möglich, dass sie durch § 13 der 8. BayIfSMV, der Gastronomiebetriebe jeder Art weitgehend untersagte, jedenfalls in ihrem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht der Berufsausübungsfreiheit sowie in ihrem durch Art. 14 GG geschütztem Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt wurde.
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2. Die Antragstellerin hat trotz des Außerkrafttretens der Regelung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die weitgehende Schließung der Gastronomiebetriebe unwirksam war.
Art. 19 Abs. 4 Satz 1GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr., vgl. BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023, 1846 Rn. 15).
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Danach besteht ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Klärung der Wirksamkeit von § 13 der 8. BayIfSMV. Die zur Prüfung gestellte Norm hatte eine kurze Geltungsdauer (2.11.2020 – 30.11.2020), innerhalb derer gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Die Antragstellerin macht Beeinträchtigungen ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geltend, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelung rechtfertigt. Dass das Gewicht des Eingriffs durch staatliche Hilfsprogramme zur finanziellen Kompensation seiner Folgen gemindert wurde, kann die nachträgliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorschriften nicht erübrigen. Eine gewichtige Beeinträchtigung der erwerbswirtschaftlichen Seite der Berufsausübungsfreiheit kann für sich genommen ein fortbestehendes Feststellungsinteresse begründen. (vgl. BVerwG, B. v. 16.5.2022 – 3 CN 6.22 – BeckRS 2023, 10365 Rn. 16). Deshalb kommt es auf die von der Antragstellerin behauptete Wiederholungsgefahr nicht mehr an.
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B. Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet, weil die angegriffene Verordnungsregelung wirksam war.
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1. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona- Krise (Corona -Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG).
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Die weitgehende Untersagung von Gastronomiebetrieben, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60).
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2. Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war beim Erlass von § 13 der 8. BayIfSMV und während der Geltungsdauer der Regelung eine verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomiebetrieben. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips. Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen an die von Schließungen betroffenen Inhaber von Gastronomiebetrieben musste das Infektionsschutzgesetz nicht regeln (vgl. im Einzelnen: BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023,1846).
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Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Beschränkung von Einrichtungen und Betrieben, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in der betroffenen Einrichtung oder in dem jeweiligen Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
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3. Die weitgehende Schließung von Gastronomiebetrieben war verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG.
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a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit Schließung von Gastronomiebetrieben durch § 13 der 8. BayIfSMV ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.
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aa) Der 8. BayIfSMV vom 30. Oktober 2020 lag der Beschluss zur Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 28. Oktober 2020 zugrunde (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1805024/5353edede6c0125ebe5b5166504dfd79/2020-10-28-mpk-beschluss-corona-data.pdf?download=1). Dort wurde u.a. festgestellt, dass zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage es erforderlich sei, durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche zu senken. Ohne solche Beschränkungen würde das weitere exponentielle Wachstum der Infiziertenzahlen unweigerlich binnen weniger Wochen zu einer Überforderung des Gesundheitssystems führen und die Zahl der schweren Verläufe und der Todesfälle würde erheblich ansteigen. Dieses Ziel entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).
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bb) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 52).
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Nach dem Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 28. Oktober 2020 war in allen Bundesländern ein weiterer Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nahm zu. Es gab immer noch keine zugelassenen Impfstoffe, und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe war komplex und langwierig. Das Robert Koch-Institut schätzte die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-28-de.pdf? blob=publicationFile).
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SARS-CoV-2 war, nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts, zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Das Infektionsrisiko war stark vom individuellen Verhalten (AHA- Regel: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen), der regionalen Verbreitung und von den Lebensbedingungen (Verhältnissen) abhängig. Hierbei spielten Kontakte in Risikosituationen (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Die Aerosolausscheidung stieg bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen stieg hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich und bestand auch, wenn ein Abstand von mehr als 1,5 m eingehalten wurde. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund- Nasen -Bedeckung unterschritten wurde, z. B. wenn Gruppen von Personen an einem Tisch saßen oder bei größeren Menschenansammlungen, bestand auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-28-de.pdf? blob=publicationFile).
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Diese fachliche Einschätzung trug die vom bayerischen Verordnungsgeber angenommene Gefährdungslage. Der Verordnungsgeber konnte sich dabei insbesondere auf die Risikobewertung und weiteren Erkenntnisse des RKI stützen (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 56 f.). Auf der Grundlage der Erkenntnisse und Einschätzungen des hierzu berufenen Robert Koch-Instituts (§ 4 IfSG) bestand in dem hier fraglichen Zeitraum eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und es drohte – jedenfalls regional – eine Überlastung des Gesundheitssystems. Mit den einschneidenden Maßnahmen wollte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) wahrnehmen und verfolgte mithin einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, der selbst schwere Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – juris). Lebens- und Gesundheitsschutz und damit auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems sind überragend wichtige Gemeinwohlbelange (BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – BVerfGE 159, 223-355).
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b) Der Antragsgegner hat die in § 13 der 8. BayIfSMV festgelegten Betriebsschließungen von Gastronomiebetrieben als geeignet ansehen dürfen, um das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.
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aa) Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 185; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 59, jeweils m. w. N.).
37
bb) Ausgehend von der Beurteilung des RKI zur Übertragbarkeit des Virus waren die Betriebsschließungen von Gastronomiebetrieben geeignet, physische Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren, um weitere Infektionen mit dem hochansteckenden Virus SARS-CoV-2 einzudämmen und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen sicherzustellen. Dies gilt im Übrigen allgemein für Maßnahmen, um Ansammlungen zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und damit allgemein die Mobilität innerhalb der Bevölkerung zu reduzieren. Die Schließung von Gaststätten ist insoweit eine spezifische Form der Kontaktbeschränkungen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 128; vgl. auch BT-Drucks 19/28444, S. 8).
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c) Die durch § 13 der 8. BayIfSMV angeordneten weitgehenden Schließungen von Gastronomiebetrieben waren zur Zweckerreichung erforderliche Maßnahmen.
39
aa) An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 63).
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der auch im hier maßgeblichen Zeitraum noch fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 64). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 17 ff.).
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bb) Gastronomiebetriebe wie z.B. die der Antragstellerin haben nicht nur Ansammlungen von Menschen hervorgerufen, sondern zusätzliche Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg zu und von den Einrichtungen geschaffen, denen auch mit dem Hygienekonzept der Antragstellerin nicht hätte begegnet werden können. Dass die Benutzung der Einrichtungen aufgrund des Hygienekonzepts für sich betrachtet infektiologisch unbedeutend wäre (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 21), kann indes nicht festgestellt werden. Richtig ist zwar, dass nach den Feststellungen des RKI in seinem Epidemiologisches Bulletin Nr. 38/20 vom 17. September 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf? blob=publicationFile) Ausbrüche in gastronomischen Einrichtungen im Vergleich zu bestimmten anderen Infektionsumfeldern nur in geringerem Maße zu verzeichnen waren. Übertragungen im familiären und häuslichen Umfeld, die nicht unbedingt zu vielen Folgefällen führten und nur wenige Fälle pro Ausbruch aufwiesen, kamen dagegen nach den behördlichen Feststellungen offensichtlich sehr häufig vor. Übertragungen im öffentlichen Bereich (in Verkehrsmitteln, Gaststätten, Hotels) kamen, sicher auch bedingt durch die massiven Gegenmaßnahmen, vergleichsweise deutlich seltener vor. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die von den Behörden erfassten Ausbrüche mit mindestens zwei Fällen (nur solche wurden dokumentiert) und Übertragungen im gastronomischen Betrieben infektiologisch als unbedeutend angesehen werden konnten. Auch hier findet der Natur der Sache nach ein intensiver und längerer persönlicher Kontakt mit einem hohen Übertragungsrisiko (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 38/20 vom 17. September 2020 S. 10) statt, auch wenn der Vortrag der Antragstellerin, bei ihr komme es zu kürzeren Verweildauern als sonst in der Gastronomie üblich, zutreffen sollte. Eine kürzere Verweildauer geht andererseits mit einer höheren Fluktuation von Gästen einher, was die Anzahl der Kontakte wiederum erhöht. Außerdem ist allgemein die große Anzahl und weite Verbreitung von Gastronomiebetrieben zu berücksichtigen, was in Verbindung mit ihrer spezifischen Betriebsform, Speisen und/oder Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle einem ständig wechselnden Personenkreis anzubieten (vgl. § 1 GastG), eine Relevanz dieses Wirtschaftszweigs in infektiologischer Hinsicht begründet. Letztlich ist entscheidend, dass das Ziel, durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, ohne breit angelegte Infektionsschutzmaßnahmen, zu der auch die Schließung der Gastronomiebetriebe gehörte, jedenfalls aus damaliger Sicht nicht zu erreichen gewesen war.
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d) Die in § 13 der 8. BayIfSMV angeordneten weitgehenden Schließungen von Gastronomiebetrieben waren angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
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aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 75 m. w. N.).
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bb) Die durch § 13 der 8. BayIfSMV angeordneten weitgehenden Schließungen von Gastronomiebetrieben waren ein gewichtiger Eingriff in die Berufsausübungsübungsfreiheit der Antragstellerin (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG). Der Eingriff wurde dadurch noch verstärkt, dass es sich bereits um die zweite Schließung nach dem ersten „Lockdown“ in Bayern von März bis zum Mai 2020 gehandelt hat und die Betreiber der Einrichtungen in der Zwischenzeit in Hygienemaßnahmen investiert hatten, aber auch weiterhin zahlreichen Betriebsbeschränkungen ausgesetzt waren. Gemildert wurde der Eingriff durch die erlaubte Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken. Das Eingriffsgewicht wurde ferner durch die für die von den Schließungen betroffenen Betriebe vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert. Zwar ist das Grundrecht der Berufsfreiheit in erster Linie persönlichkeitsbezogen, konkretisiert also im Bereich der individuellen beruflichen Leistung und Existenzerhaltung das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Daher kann eine finanzielle Kompensation für sich genommen dem Bedeutungsgehalt der Berufsfreiheit nicht gerecht werden. Gleichwohl verminderten Hilfsprogramme die Wahrscheinlichkeit einer existenzbedrohenden Lage und unterstützten die Betroffenen darin, die ausgeübte Tätigkeit künftig weiterhin wirtschaftlich ausüben zu können (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 Rn. 28 m. w. N.; zur <verneinten> Erforderlichkeit gesetzlicher Entschädigungsregelungen vgl. BVerwG, U. vom 16.5.2022 – 3 CN 4.22 – Rn. 60 ff. m. w. N.). Auch wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses noch nicht in Kraft gesetzt waren, durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass diese Hilfen, die Teil des am 28. Oktober 2020 zwischen der Bundeskanzlerin und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder beschlossenen Maßnahmenpakets waren, den betroffenen Betrieben alsbald zur Verfügung gestellt würden (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn 69).
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cc) Die weitgehende Schließung von Gastronomiebetrieben nach § 13 der 8. BayIfSMV verstieß auch nicht gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG, weil nach § 13 Abs. 3 BayIfSMV der Betrieb von nicht öffentlich zugänglichen Betriebskantinen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt war. Selbst wenn hier eine Ungleichbehandlung gesehen werden kann, ist diese gerechtfertigt. Anders als in der frei zugänglichen Gastronomie finden in nicht öffentlich zugänglichen Kantinen Begegnungen nur im Kreis der jeweiligen Beschäftigten statt, welche in der Regel während der Arbeitszeit ohnehin untereinander Kontakt haben. Die Einschätzung des Verordnungsgebers hält sich im Rahmen seines Einschätzungsspielraums und ist damit nicht zu beanstanden.
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dd) Diesen durch die Schließung von Einrichtungen und Angeboten bewirkten, gewichtigen Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 80 und – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 32). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Regelungen davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Das RKI schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland, wie bereits ausgeführt, weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Wegen der stark ansteigenden Zahl der Neuinfektionen und der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen hatte die Verlangsamung der Ausbreitung ein hohes Gewicht. Nach dem – plausiblen – Schutzkonzept des Verordnungsgebers war die Schließung von Einrichtungen und Angeboten des Sports, der Gastronomie und des Tourismus – neben der Schließung von Einrichtungen auch in den Bereichen Kultur und Freizeit, der Kontaktbeschränkung im öffentlichen und im privaten Raum, der Pflicht, in bestimmten Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, der Anordnung von Hygieneregeln und der Kontaktdatenerhebung in den offen gehaltenen Einrichtungen – ein zentrales Mittel zur Zielerreichung (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn 69).
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ee) Der Verordnungsgeber hat für den zu beurteilenden Zeitraum mit den angegriffenen Regelungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit ihnen verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Kammerbeschluss vom 23. März 2022, mit dem es die Verfassungsbeschwerde einer Gastronomin gegen das Verbot der Öffnung von Gaststätten nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 nicht zur Entscheidung angenommen hat, bestätigt, dass die dortige Schließung von gastronomischen Einrichtungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhältnismäßig im engeren Sinn war. Es hat den Eingriff in die Berufsfreiheit als gerechtfertigt angesehen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist es von einem erheblichen Eingriffsgewicht ausgegangen, das allerdings durch die staatlichen Hilfsprogramme für die von den Schließungen betroffenen Betriebe gemindert worden sei. Dem Eingriff in die Berufsfreiheit sei gegenüberzustellen, dass angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens im April 2021 eine besondere Dringlichkeit bestanden habe, zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abwägung des Gesetzgebers nicht beanstandet. Die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme hätten für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen gesorgt. Belastungsmindernd hat das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt, dass der Außer-Haus-Verkauf sowie die Lieferung von Speisen und Getränken möglich blieben und die Regelung befristet war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 Rn. 19 ff.). Es ist nicht ersichtlich, warum für den hier maßgeblichen Zeitraum und die hier in Rede stehenden Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne anders zu beurteilen sein sollte (vgl. BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn 72). Soweit die Betreiber von Gastronomiebetrieben verfassungsrechtlich gesehen auch in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum betroffen wurden, folgt hieraus keine andere Bewertung; in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls nicht weitergeht als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt (vgl. BVerfG, U. v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – BVerfGE 143, 246 Rn. 240 und B. v. 30.6.2020 – 1 BvR 1679/17 u. a. – BVerfGE 155, 238 Rn. 86, jeweils m. w. N.; BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – juris Rn 64).
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ff) Die Abwägung des Verordnungsgebers ist auch dann nicht zu beanstanden, wenn man nicht nur die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Betriebsinhaber, sondern zusätzlich die Folgen der Gastronomieschließungen für die Gäste in die Abwägung einstellt. Die Schließung von Restaurants (zu einem hiergegen gerichteten Normenkontrollantrag eines Besuchers vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 11, 82 f.) schränkten die Möglichkeiten privater Lebensgestaltung potentieller Besucher erheblich ein. Der Verordnungsgeber hat mit der Einschätzung, das Ziel, die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen, habe angesichts des Standes der Pandemie im maßgeblichen Zeitraum ein so hohes Gewicht, dass es auch die negativen Folgen der Maßnahmen für die Nutzer der geschlossenen Betriebe überwiege, seinen Einschätzungs- und Bewertungsspielraum nicht überschritten. Dies gilt umso mehr, als Gastronomiebetriebe bei generalisierender Betrachtung keinen so schlechthin unverzichtbaren Versorgungsauftrag erfüllen (anders als etwa Lebensmittelgeschäfte), dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i.e.S. an eine Betriebsuntersagung deutlich erhöhte Anforderungen zu stellen wären.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BeckRS 2022, 43974).
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4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Revisionsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) vorliegen.