Inhalt

VGH München, Urteil v. 19.09.2024 – 20 B 22.1989
Titel:

Kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch wegen Bestandskraft von Abrechnungsbescheid

Normenketten:
AGBGB Art. 71 Abs. 1
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 lit. a
AO § 218 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Eine rechtlich zutreffende Bewertung der bekannten Umstände ist für den Beginn der Erlöschensfrist iSd Art. 71 Abs. 1 S. 2 AGBGB nicht erforderlich (Fortführung VGH München BeckRS 2021, 16288). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erstattungsanspruch, Abrechnungsbescheid, Bestandskraft, Erlöschen, Wasserversorgungsanlage, Herstellungsbeitrag, öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 05.08.2020 – RO 11 K 18.1530
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28750

Tenor

I.    Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.    Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren im Berufungsverfahren die Rückzahlung eines Herstellungsbeitrags zur Wasserversorgungsanlage des Beklagten, der auf Grundlage eines Bescheides vom 5. März 2012 an den Beklagten geleistet wurde, sowie die Rückzahlung anteiliger Widerspruchsgebühren und Auslagen.
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Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 743 der Gemarkung … Das ungeteilte Buchgrundstück hatte ursprünglich eine Fläche von 26.483 m². Von diesem wurde das Teilgrundstück 743/2 mit einer Fläche von 5.511 m² am 5. April 2012 abgetrennt. Das Grundstück Fl.Nr. 743 grenzt mit seiner südlichen Seite an den leitungsführenden … Weg und mit seiner Westseite an die … Straße an. Der Beklagte betreibt eine Wasserversorgungseinrichtung als öffentliche Einrichtung.
3
Mit Bescheid vom 5. März 2012 erhob der Beklagte vom Kläger zu 1) auf der Grundlage der §§ 1 bis 6 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 8. Juni 2000 (wohl gemeint 18. Mai 2000) in der Fassung der Änderungssatzung vom 16. Juni 2004 (BGS-WAS) einen Herstellungsbeitrag für die Erweiterung der Grund- und Geschossfläche auf dem Grundstück Fl.Nr. 743 (inkl. Fl.Nr. 743/2) in Höhe von 17.327,10 EUR. Grund für die Erhebung eines Herstellungsbeitrags war die Errichtung eines weiteren Schweinestalls auf der später parzellierten Fl.Nr. 743/2. Tag der Nutzungsaufnahme war der 8. August 2011.
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Die Widerspruchsbehörde half dem Widerspruch des Klägers zu 1) gegen den streitgegenständlichen Bescheid mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2013 zum Teil ab und reduzierte den Herstellungsbeitrag auf 12.539,83 EUR. Gegen den Widerspruchsbescheid wurden keine Rechtsmittel eingelegt, der festgesetzte Beitrag wurde bezahlt.
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Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 beantragten die Kläger gegenüber dem Beklagten die Feststellung der Nichtigkeit des Beitragsbescheides vom 5. März 2012 und verlangten unter Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs die Rückzahlung des Beitrags aus dem Bescheid vom 5. März 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013 in Höhe von 12.539,83 EUR zuzüglich Erstattungszinsen für den Zeitraum vom 30. Juli 2013 bis zur endgültigen Rückzahlung.
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Mit an beide Kläger adressiertem Bescheid vom 21. August 2018 (ohne Zustellnachweis) lehnte der Beklagte unter anderem sowohl die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 5. März 2012 als auch die Rückzahlung zuzüglich der geltend gemachten Zinsen ab.
7
Mit Schriftsatz vom 18. September 2018 erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht unter anderem mit dem Antrag, den Bescheid des Beklagten vom 21. August 2018 aufzuheben und sowohl die Nichtigkeit des Beitragsbescheides vom 5. März 2012 als auch festzustellen, dass den Klägern ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 12.738,87 EUR zuzüglich Zinsen zustehe und den Beklagten zur Rückzahlung zu verpflichten.
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Das Verfahren gegen den Bescheid des Beklagten vom 21. August 2018 wurde abgetrennt und unter dem Aktenzeichen RO 11 K 18.1531 weitergeführt. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2020 erklärten Rücknahme der Klage wurde dieses Verfahren eingestellt.
9
Die ebenfalls am 18. September 2018 erhobene Klage auf Rückzahlung von 12.738,87 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit 30. Juli 2013, hilfsweise auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides des Beklagten vom 5. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2013, wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. August 2020 ab (RO 11 K 18.1529). Da lediglich der Kläger zu 1) Adressat des Beitragsbescheides vom 5. März 2012, sei die Klage der Klägerin zu 2) bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Leistungsklage auf Rückzahlung verwirkt und daher unzulässig.
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Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 8. September 2022 wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen.
11
Mit Schriftsatz vom 14. November 2022 wurde die Berufung begründet. Die Kläger führen im Wesentlichen aus, der Bescheid vom 5. März 2012 sei nichtig, weil er keinen Lageplan enthalte und nicht bestimmbar sei, welche Grundstücksflächen aus dem damals noch ungeteilten Grundstück Fl.Nr. 743 zum Beitrag herangezogen worden seien. Daraus ergebe sich der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch, welcher auch die Gebühren des Widerspruchsverfahrens und Auslagen umfasse.
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Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 05.08.2020 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, einen Abrechnungsbescheid zu erlassen, in dem ein Erstattungsanspruch i. H. von 12.738,87 EUR nebst Zinsen hieraus i. H. von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 30.07.2021 festgesetzt wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung sowie auf die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Die Klagen, mit welchen zuletzt die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines Abrechnungsbescheides nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) KAG i.V.m. § 218 Abs. 2 Satz 2 AO begehrt wurden, sind unzulässig.
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1. Der Klägerin zu 2) fehlt für ein entsprechendes Verpflichtungsbegehren die Betroffenheit in eigenen Rechten und damit die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Da der Beitragsbescheid vom 5. März 2012 ausschließlich gegenüber dem Kläger zu 1) erlassen wurde, kann auch nur dieser ein Verpflichtungsbegehren mit dem Ziel der Erstattung des Herstellungsbeitrags gerichtlich geltend machen. Die Klägerin zu 2) hat jedenfalls keine Umstände vorgetragen, die einen ihr zustehenden Erstattungsanspruch möglich erscheinen lassen.
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2. Für die Verpflichtungsklage des Klägers zu 1) besteht wegen der entgegenstehenden Bestandskraft des Abrechnungsbescheides des Beklagten vom 21. August 2018 kein Rechtsschutzbedürfnis. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt zwar der Grundsatz, dass die Rechtsordnung immer dann, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in aller Regel auch das Interesse dessen, der sich als der Inhaber dieses Rechts sieht, am gerichtlichen Schutze dieses Rechts anerkennt. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt deshalb nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (BVerwG, U.v. 17.1.1989 – 9 C 44/87 – BVerwGE 81, 164, 165 f. = NVwZ 1989, 673; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 335). Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen klageweise geltend gemachten Anspruch besteht aber dann nicht, wenn der Rechtssuchende seine Rechtsstellung im Erfolgsfall seiner Klage nicht verbessern kann. Dies ist hier der Fall. Durch die Rücknahme der zunächst gegen den einen Erstattungsanspruch ablehnenden Abrechnungsbescheid vom 21. August 2018 erhobenen Anfechtungsklage in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 5. August 2020 und die daraufhin erfolgte Einstellung des Verfahrens ist der Abrechnungsbescheid, nachdem die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) bereits abgelaufen war, in Bestandskraft erwachsen. Damit steht zwischen den Beteiligten bindend fest, dass der Anspruch auf Erstattung des geleisteten Herstellungsbeitrags in Höhe von 12.738,87 EUR nebst Zinsen aus dem Bescheid vom 5. März 2012 nicht besteht. Eine auf dasselbe Klageziel gerichtete Klage ist daher unzulässig. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Beitragsbescheid vom 12. März 2012 an erheblichen Bestimmtheitsmängeln gelitten haben könnte, die zu seiner Nichtigkeit führen.
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3. Ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankommt, ist der geltend gemachte Erstattungsanspruch jedenfalls nach Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGBGB erloschen. Nach dieser Vorschrift erlöschen u.a. die auf eine Geldzahlung gerichteten öffentlich-rechtlichen Ansprüche gegen einen bayerischen Gemeindeverband, soweit nichts anderes bestimmt ist, in drei Jahren. Die Frist nach § 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB begann – das Entstehen des Anspruchs unterstellt – nach dem Erlass des Beitragsbescheides (5. März 2012) am 31. Dezember 2012 und endete nach Ablauf von drei Jahren am 31. Dezember 2015, weil dem Kläger zu 1) der Inhalt des Bescheides und das Fehlen eines Lageplans, der die abgerechneten Flächen genau hätte festlegen sollen, zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides bekannt war und er zu demselben Zeitpunkt auch Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB hatte. Eine rechtlich zutreffende Bewertung der bekannten Umstände ist für den Beginn der Erlöschensfrist nicht erforderlich (vgl. auch BayVGH, B.v. 17.8.2006 – 4 ZB 05.2771 – juris Rn. 12; B. v. 21.6.2021 – 6 ZB 20.2742 – juris Rn 17).
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4. Die Kläger tragen nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.