Titel:
Gebot der Rücksichtnahme im Baurecht
Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bauherr bestimmt durch seinen Bauantrag den Umfang des zur Genehmigung gestellten Vorhabens. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, ernstliche Zweifel, Richtigkeit, Urteil, Baugenehmigung, Nachbarklage, Rücksichtnahmegebot, Bauherr, Bauantrag
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.03.2023 – M 1 K 22.3129
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28748
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 in Gestalt der Tekturgenehmigung vom 23. Juni 2021 für den Abbruch der Bestandsgebäude und den Neubau eines fünfstöckigen Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung T,, sowie für die Erweiterung des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. …
2
Im Erdgeschoss des genehmigten Vorhabens sind Ladenflächen, im ersten Obergeschoss Büroräume und Wohnungen und in den darüber liegenden Geschossen eine Arztpraxis und weitere Wohnungen vorgesehen.
3
Die Kläger sind in Erbengemeinschaft Eigentümer des südöstlich gelegenen Grundstücks FlNr. …, für das ihnen mit Bescheid vom 26. November 2018 die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des bisherigen Ladens in eine Gaststätte im Rückgebäude des Anwesens erteilt worden war. Weiter wurde den Klägern für ihre gegründete GbR am 10. Dezember 2021 die baurechtliche Genehmigung für den Abbruch und Wiedererrichtung eines Kamins erteilt.
4
Die vorgenannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des (einfachen) Bebauungsplans „Altstadtkern – Vergnügungsstätten“, der ein Mischgebiet festsetzt.
5
Die Kläger erhoben gegen die Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung Klage, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Die Genehmigung verletze die Kläger nicht in ihren Rechten, insbesondere liege kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot unter dem Gesichtspunkt einer heranrückenden (Wohn-)Bebauung vor, die zu einer Verschlechterung der rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten müsste, führe. Es befinde sich bereits in unmittelbarer Nähe in dem Rückgebäude auf dem Grundstück FlNr. … Wohnbebauung, auf die die Kläger Rücksicht zu nehmen hätten. Auch in Bezug auf die Nutzung einer Lüftungsanlage durch den Gastronomiebetrieb auf dem Anwesen der Kläger lägen keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor, da sie nicht Bestandteil der den Klägern erteilten Baugenehmigungen sei.
6
Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 21. Oktober 2022 zurückgewiesen (1 CS 22.1921).
7
Mit dem Zulassungsantrag verfolgen die Kläger in der Hauptsache ihr Rechtsschutzziel weiter.
8
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakten Bezug genommen.
9
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
10
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist hier nicht der Fall.
11
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger durch die Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt werden. Mit den fragmentarischen Ausführungen in der Zulassungsbegründung werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das angegriffene Vorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, nicht dargelegt. Soweit die Kläger ausführen, es hätte für die Beurteilung der Frage des Rücksichtnahmegebots „entsprechender“ Feststellungen des Verwaltungsgerichts bedurft, ist nicht dargetan, welche Feststellungen die Kläger vermissen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Lüftungsanlage nicht Gegenstand der den Klägern erteilten baurechtlichen Genehmigungen war, begegnet im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen keinen Bedenken. Für die seitens der Kläger angedachte Auslegung der Genehmigungen dahingehend, dass hiervon auch Lüftungsanlagen umfasst sind, ist angesichts der eindeutigen Angaben in der Betriebsbeschreibung kein Raum. Der Bauherr bestimmt durch seinen Bauantrag den Umfang des zur Genehmigung gestellten Vorhabens. Eine Lüftungsanlage für den Gastronomiebetrieb war hierin nicht erhalten. Ob das auf einem Versehen der Kläger beruht, ist bei der Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts einer Genehmigung nicht relevant. Im Übrigen handelt es sich nach der Betriebsbeschreibung, die der Genehmigung zu Grunde lag, um ein Tagescafe. Das Erfordernis einer Lüftungsanlage war daher auch nicht offensichtlich, zumal der Eingabeplan eine Theke und einen Lager-/Vorbereitungsraum darstellt, hingegen keine Küche. Soweit das Zulassungsvorbringen zu Beeinträchtigungen mit Blick auf die Höhe der intendierten Bebauung im Verhältnis zu dem Schornstein, über den der Küchenbereich entlüftet werden soll, auf seinen erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19. März 2023 verweist, genügt der Vortrag nicht dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
12
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren inhaltlich nicht geäußert hat. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
13
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).