Titel:
Anrechnung eines Fachsemesters bei Doppelimmatrikulation an zwei Hochschulen
Normenkette:
BAföG § 9, § 48
Leitsätze:
1. Während ein Fachsemester jedes Semester bezeichnet, in dem ein Studierender in einem bestimmten Studiengang mit einem bestimmten Abschluss immatrikuliert wird, ist der Begriff des Hochschulsemesters umfassender und berücksichtigt bei der Zählung verschiedene Studiengänge mit unterschiedlichen Studienabschlüssen sowie Urlaubssemester. (Rn. 9) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Für die Anrechnung eines Studiensemesters als Fachsemester kommt es nicht darauf an, dass der Student auch aktiv studiert, d.h. an Lehrveranstaltungen und Prüfungen teilgenommen hat, sondern allein darauf, dass er durch den formalen Akt der Immatrikulation die Möglichkeit hierzu hatte. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ist ein Student in einem Semester an zwei Universitäten immatrikuliert, betreibt jedoch nur an einer ein Studium, obliegt ihm im Rahmen seiner Verpflichtung zur sorgfältigen Planung und Durchführung seines Studiums, durch Rücksprache mit der Hochschulverwaltung das Schicksal des nicht betriebenen Studiums, insbesondere seine Anrechnung auf die Fachsemesterzahl, zu klären. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Ausbildungsförderung, Vorlage der Leistungsbescheinigung, Fachsemesterzählung, Doppelimmatrikulation, Vertrauensschutz, Fördervoraussetzungen, Leistungsbescheinigung, Hochschulsemester
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 27.06.2023 – RO 12 K 21.898
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28738
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Kläger verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung die Leistung von Ausbildungsförderung für sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens für den Zeitraum April 2020 bis Juli 2020 weiter.
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1. Er immatrikulierte sich zum Wintersemester 2017/2018 zunächst für den Studiengang Wirtschafsingenieurwesen an der OTH ... sowie nach einer zeitlich späteren Zulassung zugleich für den Studiengang Technische Volkswirtschaftslehre am K. Institute of Technology (KIT), wo er in der Folge auch studierte. Eine Exmatrikulation an der OTH ... erfolgte von Amts wegen aufgrund der unterbliebenen Rückmeldung des Klägers zum Sommersemester 2018. Zum Wintersemester 2018/2019 wechselte der Kläger aus persönlichen Gründen vom KIT zurück an die OTH ... und nahm dort sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens wieder auf. Eine Bescheinigung nach § 9 BAföG wies das Sommersemester 2020 als sein fünftes Fachsemester aus. Mit Schreiben vom 17. April 2019 gab das Prüfungsamt der OTH ... einem Antrag des Klägers auf Annullierung einer als nicht bestanden geltenden Prüfungsleistung im Fach „Mathematik 2“ mit der Begründung statt, die Prüfungskommission lasse das Wintersemester 2018/2019 als erstes Fachsemester „gelten“, da er im Wintersemester 2017/2018 an einer anderen Hochschule studiert habe, und gewähre ihm daher für die Ablegung der Prüfung eine Nachfrist.
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2. Mit Schreiben vom 7. Februar 2020 beantragte der Kläger die Förderung seines Studiums für den Förderzeitraum April 2020 bis März 2021. Daraufhin forderte ihn das beklagte Studentenwerk zur Abgabe der sog. Leistungsbescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG auf. Demgegenüber verwies der Kläger gegenüber dem Beklagten auf das Schreiben des Prüfungsamts, wonach er aktuell erst im vierten Fachsemester studiere und daher nicht zur Abgabe der Leistungsbescheinigung verpflichtet sei. Nach Rücksprache mit der Studienbüroleitung der OTH ... führte er in einer Email an das beklagte Studentenwerk aus, dass er sich „rechtlich“ zwar im fünften Fachsemester befinde, prüfungstechnisch das Wintersemester 2018/2019 jedoch als erstes Fachsemester zähle. Für ihn hätte sich das Wintersemester 2019/2020 als Zwischensemester dargestellt, in dem er die Prüfungen des (eigentlich) dritten Fachsemesters nicht habe ablegen können. Es wäre ihm daher erst mit Ende des Sommersemesters 2020 möglich, die Leistungsnachweise für das dritte und vierte Fachsemester zu erbringen. In der Folge legte der Kläger am 28. August 2020 der Beklagten die Bescheinigung der OTH ... vor, dass er die bis zum fünften Fachsemester zu erbringenden Leistungen im fünften Fachsemester nunmehr erbracht habe. Daraufhin bewilligte das Studentenwerk mit Bescheid vom 1. September 2020 dem Kläger ab August 2020 Ausbildungsförderungsleistungen, lehnte jedoch Ausbildungsförderung für den Zeitraum April 2020 bis Juli 2020 ab.
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Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie die zum Verwaltungsgericht Regensburg erhobene Klage. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 27. Juni 2023 wies das Gericht die auf die Gewährung von Ausbildungsförderung für die Monate April 2020 bis Juli 2020 gerichtete Klage ab. Der Kläger habe den für die Gewährung von Ausbildungsförderung ab dem fünften Fachsemester nach § 9 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG erforderlichen Leistungsnachweis dem Beklagten nicht bis einschließlich 31. Juli 2020 vorgelegt, sodass die Förderung für den Zeitraum April 2020 bis Juli 2020 nicht habe gewährt werden können. Entgegen seiner Auffassung habe der Kläger im Sommersemester 2020 im fünften Fachsemester studiert; das Wintersemester 2017/2018 sei ihm als erstes Fachsemester anzurechnen. Als Fachsemester gelte jedes Semester, in dem die Ausbildung erfolge. Maßgeblich hierfür sei allein die Immatrikulation, nicht hingegen, ob der Auszubildende tatsächlich Lehrveranstaltungen besucht oder Prüfungen abgelegt, mithin sein Studium tatsächlich betrieben habe. Der Kläger genieße auch im Hinblick auf das Schreiben des Prüfungsamts vom 17. April 2019 keinen Vertrauensschutz bezüglich der Berechnung der Fachsemesteranzahl. Die Prüfungskommission habe insoweit lediglich die Bewertung der Klausur im Fach Mathematik 2 als nicht bestanden aufgehoben, jedoch keine Regelung hinsichtlich der hochschul- oder förderungsrechtlichen Semesterzahl getroffen. Dem Kläger komme im Hinblick auf die Semesterzahl auch deshalb kein Vertrauensschutz zu, weil es sich bei einer derartigen Annahme um einen leicht zu korrigierenden Irrtum gehandelt habe. Der Kläger hätte sich durch Nachfrage bei der Prüfungskommission, jedoch spätestens bei Erhalt der Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 2020 hinsichtlich der Fachsemesterzahl durch Rückfragen vergewissern müssen. Auch aus sonstigen Gründen könne der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
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3. Gegen das klageabweisende Urteil wendet sich der Kläger nunmehr mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geltend macht. Demgegenüber verteidigt das beklagte Studentenwerk das angefochtene Urteil.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht den Erfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind.
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1. Die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils erweist sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Zulassungsverfahren nicht als ernstlich zweifelhaft.
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1.1 Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, das Verwaltungsgericht habe den Begriff des Fachsemesters und insbesondere dessen Abgrenzung zum Hochschulsemester verkannt und das Sommersemester 2020 damit fälschlich als fünftes Fachsemester des Klägers angesehen, kann er damit ernstliche Richtigkeitszweifel nicht begründen. Während – bereits vom Wortsinn nach – das Fachsemester jedes Semester bezeichnet, in dem ein Studierender in einem bestimmten Studiengang mit einem bestimmten Abschluss immatrikuliert wird, ist der Begriff des Hochschulsemesters umfassender und berücksichtigt bei der Zählung verschiedene Studiengänge mit unterschiedlichen Studienabschlüssen, ferner auch Urlaubssemester (zu dieser Differenzierung vgl. etwa Weber in Leuze/Epping, Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, Stand 1/2024, § 63 Rn. 64). Hochschulsemester sind demnach all diejenigen Semester, in denen ein Studierender an einer deutschen Hochschule, egal in welchem Fach, immatrikuliert ist, während das Fachsemester spezifisch auf den jeweiligen Studiengang und Abschluss abstellt. Demzufolge handelt es sich bei der vorliegend strittigen Frage, ob das Wintersemester 2017/2018, in dem der Kläger zusätzlich zu seinem Studium am KIT auch an der OTH ... im Fach Wirtschaftsingenieurwesen immatrikuliert war, ihm als Fachsemester anzurechnen ist, nicht um ein Problem der Differenzierung zwischen Fachsemester und Hochschulsemester, sondern darum, ob angesichts der bestehenden Immatrikulation das Semester dem Kläger als Fachsemester zugerechnet wird, obwohl er an der OTH ... nicht aktiv studiert, d.h. keine Lehrveranstaltungen besucht und auch keine Prüfungen abgelegt hat.
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Insoweit stellt das Verwaltungsgericht zutreffend darauf ab, dass es für die Zählung eines Studiensemesters als Fachsemester nicht darauf ankommt, dass der Student auch aktiv studiert, d.h. an Lehrveranstaltungen und Prüfungen teilgenommen hat, sondern dass er durch den formalen Akt der Immatrikulation die Möglichkeit hierzu hatte (vgl. hierzu Winkler in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2024, § 7 BAföG Rn. 53 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; ders. in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2024, § 48 BAföG Rn. 5a, 5b; Lackner/Achelpöhler im Ramsauer/Stallbaum, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 8. Aufl. 2024, § 48 Rn. 6). Kann ein Student diese Möglichkeit beispielsweise wegen einer Erkrankung nicht wahrnehmen, steht es ihm offen, sich – gegebenenfalls auch rückwirkend – vom Studium beurlauben zu lassen mit der Folge, dass das Urlaubssemester dann nicht als Fachsemester „zählt“. Da das Ausbildungsförderungsrecht nicht nur bei der Pflicht zur Vorlage der Leistungsbescheinigung, sondern auch bei den Anforderungen an einen förderunschädlichen Fachrichtungswechsel an die absolvierte Fachsemesterzahl anknüpft, erweist sich überdies – wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend angeführt hat – die formale Anknüpfung an die Immatrikulation bzw. fehlende Beurlaubung auch als sachgerecht, weil es der Auszubildende andernfalls in der Hand hätte, durch sein Studierverhalten die gesetzlichen Grenzen der Förderfähigkeit willkürlich zu verschieben. Nachdem der Kläger im vorliegenden Fall im Wintersemester 2017/2018 im Fach Wirtschaftsingenieurwesen an der OTH ... immatrikuliert war und erst infolge seiner unterbliebenen Rückmeldung zum Sommersemester 2018 wieder exmatrikuliert worden ist, ist das beklagte Studentenwerk zu Recht vom Vorliegen eines „zählbaren“ Fachsemesters ausgegangen.
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1.2 Soweit der Kläger sich mit seinem Zulassungsvorbringen erneut auf das Schreiben des Prüfungsamts der OTH ... vom 17. April 2019 und daraus resultierendem „Vertrauensschutz“ im Hinblick auf die Fachsemesteranzahl beruft, kann er damit ernstliche Richtigkeitszweifel ebenfalls nicht darlegen. Dabei kann dahinstehen, ob das Prüfungsamt überhaupt eine Zuständigkeit für die Anerkennung (oder Nichtanerkennung) eines Studiensemesters als Fachsemester für sich in Anspruch nehmen kann. Zwar lässt das Prüfungsamt im Hinblick auf die Annullierung der Bewertung des Faches „Mathematik 2“ mit „nicht bestanden (5,0)“ laut dem Schreiben das Wintersemester 2018/2019 als erstes Fachsemester „gelten“. Zuvor wird in diesem Schreiben jedoch Folgendes festgestellt:
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„Da Sie im Wintersemester 2017/18 bereits erstmalig im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen eingeschrieben waren, zählt dieses Semester als erstes Fachsemester.“
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Angesichts dessen ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das Schreiben des Prüfungsamts vom 17. April 2019 begründe keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf die Fachsemesterzahl, nicht zu beanstanden.
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1.3 Selbst wenn man das Prüfungsamtsschreiben als zumindest missverständlich einordnen wollte, was die „Anerkennung“ der Fachsemester betrifft, könnte sich der Kläger gleichwohl nicht darauf berufen, da es ihm – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – im Rahmen seiner Verpflichtung zur sorgfältigen Planung und ordnungsgemäßen Durchführung seines Studiums oblegen hätte, durch Rücksprache mit der Hochschulverwaltung eine entsprechende Klärung der Fachsemesterzahl herbeizuführen. Diese Pflicht resultiert im Übrigen nicht erst aus dem Schreiben des Prüfungsamts, auf das der Kläger sich beruft, sondern bestand bereits nach der Aufnahme seines „Doppelstudiums“ am KIT sowie in der Folgezeit nach der erneuten Immatrikulation an der OTH ... . Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Versuch unternommen hätte, das „Schicksal“ seiner Immatrikulation an der OTH ... im Wintersemester 2017/2018 nach der Aufnahme des Studiums am KIT zu klären, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Angesichts dessen könnte zugunsten des Klägers auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Fachsemesteranzahl angenommen werden.
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2. Die Berufung ist vorliegend auch nicht aufgrund besonderer rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Zu diesem Zulassungsgrund enthält das Zulassungsvorbringen des Klägers keine Ausführungen. Es ist mithin nicht ersichtlich, worin die behaupteten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten liegen sollen.
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3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.