Titel:
Vermögensanrechnung nach dem BAföG
Normenketten:
ZPO § 114
VwGO § 166
AFBG § 17a Abs. 2
BAföG § 27 Abs. 1 S. 2, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3
Leitsatz:
§ 29 Abs. 3 BAföG bzw. § 17a Abs. 2 AFBG verfolgen ebenso wie § 27 Abs. 1 S. 2 BAföG das Ziel, den Auszubildenden nicht der unzumutbaren Situation auszusetzen, auf Vermögen verwiesen zu werden, das für die Deckung des Ausbildungsbedarfs gar nicht verfügbar ist. Es kommt deshalb nicht allein darauf an, ob ein Hausgrundstück im sozialhilferechtlichen Sinn als angemessen anzusehen ist oder nicht, sondern auch darauf, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Verwertungschance im maßgeblichen Bewilligungszeitraum besteht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Aufstiegsfortbildungsförderung, Vermögensanrechnung, unbillige Härte, Beschwerde, Ausbildungsförderung, BAFöG, Hausgrundstück, Verwertungschance, Ermessen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 22.08.2023 – RN 12 K 22.2730
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28731
Tenor
I. Der Nichtabhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. August 2023 – RN 12 K 22.2730 – wird aufgehoben.
II. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. August 2024 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses und Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung mit dem Ziel der Abhilfe.
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1. Die Klägerin beantragte am 30. September 2021 für ihre Ausbildung zur Fachlehrerin für allgemeinbildende Schulen am Staatsinstitut ... Aufstiegsfortbildungsförderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG). Diese lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 ab mit der Begründung, dass sie Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks sei, für das sie trotz Aufforderung kein Wertgutachten vorgelegt habe. Damit habe sie gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2022 zurückgewiesen.
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2. Hiergegen erhoben die Kläger am 24. November 2022 Klage. Zudem beantragte der Kläger für sich selbst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Juli 2023 ab. Der seitens des Klägers geltend gemachte Erstattungsanspruch im Rahmen einer sogenannten Nothilfe bestehe bei summarischer Prüfung nicht.
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3. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2023 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Erstattung von Aufwendungen als Nothelfer und bat darum, auch seiner Tochter Prozesskostenhilfe zu gewähren. Diese Anträge lehnte das Verwaltungsgericht mit streitgegenständlichem Beschluss vom 7. August 2023 ab. Der erneute Antrag des Klägers sei unzulässig. Er sei nicht als Beschwerde auszulegen, da trotz Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich erneut Prozesskostenhilfe beantragt worden sei. Ihm fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil er sich in der Wiederholung des bereits dargelegten Sachverhalts erschöpfe. Der erstmalige Antrag der Klägerin sei mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen. Angesichts der grundsätzlichen Verwertbarkeit des Grundstücks bestehe auch eine Mitwirkungspflicht hinsichtlich dessen Bewertung.
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4. Mit ihrer gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde verfolgen die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Zudem werde die Klage ergänzt, da jedenfalls ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 BGB bestehe.
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5. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde ohne Begründung nicht abgeholfen. Daraufhin beantragten die Kläger, den Nichtabhilfebeschluss aufzuheben und das Verfahren zur Nachholung eines ordnungsgemäßen Abhilfeverfahrens an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht sei nicht auf das Beschwerdevorbringen eingegangen.
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Die Beschwerde hat insofern Erfolg, als dass der Nichtabhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. August 2023 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO aufgehoben und das Verfahren ans Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung mit dem Ziel der Abhilfe zurückverwiesen wird.
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1. Das Verwaltungsgericht hätte den Nichtabhilfebeschluss vom 22. August 2023 begründen müssen. Ein Nichtabhilfebeschluss ist immer dann zu begründen, wenn die Beschwerdebegründung Anlass zu neuen oder ergänzenden Gründen gibt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 148 Rn. 8; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 148 Rn. 13). Das ist hier aufgrund der ausführlichen neuen Argumentation des Klägers und der damit verbundenen erstmaligen Geltendmachung weiterer Ansprüche der Fall. Das Verwaltungsgericht hätte sich hiermit auseinandersetzen und darlegen müssen, weshalb auch das neue Vorbringen keine andere Entscheidung rechtfertigt.
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2. Der Senat macht von dem ihm nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO eingeräumten Ermessen, die erneute Entscheidung über die Beschwerde an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, auch deshalb Gebrauch, weil eine hinreichende Prüfung des § 17a Abs. 2 AFBG bislang nicht stattgefunden hat. Infolgedessen hätte der neuerliche Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis abgelehnt werden dürfen.
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2.1 Nach § 1 Satz 1 AFBG ist es Ziel des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes, Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Aufstiegsfortbildung durch Beiträge zu den Kosten der Maßnahmen und zum Lebensunterhalt finanziell zu unterstützen. Leistungen zum Lebensunterhalt werden gewährt, soweit die dafür erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen, § 1 Satz 2 AFBG. Nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AFBG ist auf den Unterhaltsbedarf unter anderem das Vermögen des Antragstellers oder der Antragstellerin anzurechnen. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 AFBG i.V.m. § 27 Abs. 1 BAföG gelten als Vermögen alle beweglichen und unbeweglichen Sachen, Forderungen und sonstige Rechte. Ausgenommen sind Gegenstände, soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vermögensanrechnung nach dem BAföG, die hier angesichts der Verweisung in § 17 Abs. 1 Satz 1 AFBG entsprechend heranzuziehen ist, konkretisiert § 27 BAföG für den Bereich der Vermögensanrechnung auf Seiten des Auszubildenden (vgl. § 26 Abs. 1 BAföG) den Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung (BVerwGE 82, 328 [325 f.]; 87, 284 [286]), nach dem individuelle Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, „wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen“ (§ 1 Halbsatz 2 BAföG bzw. die entsprechende Regelung in § 1 Satz 2 AFBG). Ihm ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass Aufwendungen für eine Ausbildung, die auf die Vermittlung von beruflichen Qualifikationen hinzielt, die maßgebliche Investition des Auszubildenden für die Schaffung seiner zukünftigen Lebensgrundlage darstellen und es deshalb einem unverheirateten, kinderlosen Auszubildenden (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG) im Regelfall zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen für diesen Zweck im Grundsatz voll – bis auf einen Freibetrag – einzusetzen (vgl. BVerwGE 87, 284 [286]; 88, 303 [309]). Dabei geht der Gesetzgeber in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG allerdings davon aus, dass das Vermögen für den Ausbildungsbedarf des Auszubildenden auch wirklich einsetzbar ist. Trifft dies ausnahmsweise nicht zu, würde der Auszubildende bei einem Festhalten an der Vermögensanrechnung auf Vermögen verwiesen, das einem Verwertungszugriff gar nicht zugänglich ist (vgl. BVerwGE 87, 284 [286]; 88, 303 [307]).
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2.2 Nach diesen Maßstäben ist das Grundeigentum der Klägerin zwar Vermögen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 AFBG i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Allerdings spricht nach derzeitigem Kenntnisstand nicht wenig dafür, dass dieses Vermögen gemäß § 17a Abs. 2 AFBG im hier streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum anrechnungsfrei zu bleiben hat.
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Nach § 17a Abs. 2 AFBG kann zur Vermeidung unbilliger Härten über die Freibeträge nach § 17a Abs. 1 AFBG hinaus ein weiterer Teil des Vermögens anrechnungsfrei bleiben. Nach Zweck und Stellung des § 17a Abs. 2 AFBG im System der Vorschriften über die Vermögensanrechnung dient diese Norm dazu, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalisierungen und Typisierungen ergeben können. Zu diesen Typisierungen gehört auch diejenige, dass der Gesetzgeber für den Regelfall davon ausgeht, dass das nach den §§ 26 bis 29 Abs. 1 BAföG anrechenbare Vermögen für den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist. § 29 Abs. 3 BAföG (bzw. § 17a Abs. 2 AFBG) dient damit unter anderem auch der Abwehr von Gefahren für die Durchführung der Ausbildung, die daraus entstehen, dass der Auszubildende trotz vorhandener, die Freibeträge übersteigender Vermögenswerte seinen Ausbildungsbedarf aus dem angerechneten Vermögen nicht decken kann. Bei der Anwendung dieser Schutznorm ist es deshalb nicht gerechtfertigt, wirtschaftlichen Verwertungshindernissen grundsätzlich die tatbestandliche Relevanz für den Begriff der unbilligen Härte abzusprechen (vgl. BVerwGE 88, 303 [307]).
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§ 29 Abs. 3 BAföG bzw. § 17a Abs. 2 AFBG verfolgen ebenso wie § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG das Ziel, den Auszubildenden nicht der unzumutbaren Situation auszusetzen, auf Vermögen verwiesen zu werden, das für die Deckung des Ausbildungsbedarfs gar nicht verfügbar ist (vgl. BVerwGE 88, 303 [306; 311]). Es kommt deshalb nicht allein darauf an, ob ein Hausgrundstück im sozialhilferechtlichen Sinn als angemessen anzusehen ist oder nicht, sondern auch darauf, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Verwertungschance im maßgeblichen Bewilligungszeitraum besteht. Denn nur wenn das vorhandene einsatzpflichtige Vermögen tatsächlich aktuell verwertet werden kann, steht es zur Bedarfsdeckung zu Verfügung (vgl. BVerwGE 88, 303 [307]; BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 12 C 11.1343 – juris Rn. 25; VG Karlsruhe, U. v. 23.11.2005 – 10 K 1312/04 – juris Rn. 22; VG Sigmaringen, U. v. 21.3.2007 – 1 K 335/06 – juris Rn. 32).
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2.3 In Anwendung dieser Grundsätze ist anzunehmen, dass die Klägerin das in ihrem Alleineigentum stehende Grundstück im hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum nicht unter zumutbaren Bedingungen tatsächlich verwerten konnte mit der Folge, dass dieses der Bewilligung von Aufstiegsfortbildungsförderung voraussichtlich nicht entgegenstehen dürfte. Mangels Verwertbarkeit des Grundstücks durfte nicht die Vorlage eines Wertgutachtens verlangt und die Ablehnung entsprechend nicht mit der Verletzung einer Mitwirkungspflicht begründet werden.
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Eine realistische Chance zur Vermögensverwertung durch Veräußerung des Grundstücks im maßgeblichen Bewilligungszeitraum sieht der Senat nicht. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die Dachgeschosswohnung ist zugunsten des Klägers mit einem lebenslangen, unentgeltlichen Wohnungsrecht belastet, zugunsten der Mutter der Klägerin mit einem bedingten lebenslangen, unentgeltlichen Wohnungsrecht. Das Wohnungsrecht umfasst das „Kinderzimmer“ im Dachgeschoss und den gemeinschaftlichen Gebrauch insbesondere von Diele, Küche, Bad und Keller. Das Grundstück liegt in M., einem Ortsteil von Feldkirchen mit wenigen hundert Einwohnern, im niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen. Der Senat hält es deshalb für sehr unwahrscheinlich, dass der Klägerin in absehbarer Zeit eine Veräußerung des nicht zuletzt aufgrund der Lage und der Belastung mit einem lebenslangen unentgeltlichen Wohnungsrecht für den 73jährigen Kläger bzw. die 57jähige Mutter der Klägerin wirtschaftlich uninteressanten Grundstücks hätte gelingen können. Aus denselben Gründen ist zudem eine Vermietung einer der Wohnungen oder von einzelnen Zimmern illusorisch.
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Da die Klägerin im maßgeblichen Bewilligungszeitraum kein laufendes Einkommen erzielt hat, erscheint auch eine Beleihung des Grundstücks ausgeschlossen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Klägerin von Kreditinstituten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht als materiell kreditwürdig eingeschätzt worden wäre.
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Da das Vermögen der Klägerin somit tatsächlich nicht hätte verwertet werden können, ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin ein Anspruch auf Bewilligung von Aufstiegsfortbildungsförderung zusteht. In diesem Fall dürfte zugleich auch das Begehren des Klägers gegenstandslos werden. Der Beschwerde ist somit in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.
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3. Einer Kostenentscheidung bedarf es vorliegend nicht, da das Verfahren gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei ist und Kosten im Beschwerdeverfahren nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).