Titel:
Aberkennung der Inlandsgültigkeit einer spanischen Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens (ua Tourette-Syndrom) - einstweiliger Rechtsschutz
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 82 Abs. 1 S. 1
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 1, S. 3 Nr. 5, Abs. 6 , 11 Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5
Leitsätze:
1. Entziehung der Fahrberechtigung rechtmäßig. (Rn. 43 – 64)
2. Zwingender Schluss auf Nichteignung. (Rn. 65)
1. Die Aberkennung der Inlandsgültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis setzt ebenso wie die Entziehung einer inländischen Fahrerlaubnis fehlende Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen voraus. Dem Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis kann seine Fahrerlaubnis nur von der zuständigen Behörde des Ausstellungsstaates entzogen werden. Eine deutsche Behörde ist nur berechtigt, ihm das Recht abzuerkennen, entsprechende Kraftfahrzeuge auf deutschem Gebiet zu führen. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens ist wegen konkreter Tatsachen gerechtfertigt, die Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers belegen, wenn sich aus seinen ärztliche Unterlagen im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung die Diagnosen Tourette, Zwangsstörungen, Depression, Neurodermitis, chronische Rückenschmerzen und zudem ein langjähriger Konsum von Marihuana bzw. Medizinal-Cannabis sowie des Medikaments Baclofen ergeben. (Rn. 48 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
berechtigte Zweifel an Fahreignung, Tourette-Syndrom, Medizinal-Cannabis, Adresse in Spanien, Aberkennung der Inlandsgültigkeit, ausländische Fahrerlaubnis, Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahreignung, ärztliches Fahreignungsgutachten, maßgeblicher Zeitpunkt der Beibringungsanordnung, konkrete Tatsachen, Cannabis-Medikation
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.08.2024 – 11 CS 24.1216
Weiterführende Hinweise:
rechtskräftig: ja, bestätigt durch VGH, Beschluss vom 19.08.2024, Az. 11 CS 24.1216
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28730
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners, mit dem die Entziehung seiner Fahrberechtigung auf Grund seines nationalen spanischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angeordnet wurde.
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Der Antragsteller ist seit dem 28. Juli 2022 Inhaber einer spanischen Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen AM und B.
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Im November 2023 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) die Fahrerlaubnisakte des Antragstellers vom Landkreis … zuständigkeitshalber übersandt. Daraus ergibt sich, dass die Fahreignung des Antragstellers nach Entzug seiner deutschen Fahrerlaubnis mit rechtskräftigem Bescheid vom 15. Februar 2012 und dem Auffinden von Marihuana und einem polnischen Führerschein bei seiner Verhaftung 2017 durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde überprüft werden sollte. Dies insbesondere, da der Antragsteller selbst gegenüber der Polizei einräumte, seit etwa sieben Jahren Marihuana zu rauchen. Aufgrund diverser Umzüge und seines Wegzugs nach Spanien am 30. November 2019 teilte das Landratsamt … dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 9. Dezember 2019 mit, dass weiterhin Bedenken gegenüber der Kraftfahreignung des Antragstellers bestünden, die weitere Überprüfung aber ruhe, da der Antragsteller nach Spanien verzogen sei.
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Nach seinem erneuten Zuzug nach Deutschland und in den Zuständigkeitsbereich des Landratsamts, forderte dieses den Antragsteller sodann mit Schreiben vom 30. November 2023 auf, da wegen seines Tourette-Syndroms mit Spasmen der Muskulatur Bedenken im Hinblick auf seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden, zur Abklärung der Eignungszweifel einen telefonischen Termin zu vereinbaren und eventuell bereits einen aktuellen Befundbericht des Hausarztes mitzubringen. Dieser müsse folgende Angaben erhalten:
- Welche Diagnosen liegen vor (ICD 10-basiert)? Welche aktuellen Befunde liegen vor? Folgen der Befunde?
- Dosierungsanweisung und Applikation von Medikamenten
- Angaben zu Compliance und Adhärenz
- Name, Unterschrift und Praxisstempel des Arztes
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Alternativ könne eine Schweigepflichtentbindung des behandelnden Arztes erfolgen. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass sofern bis zum genannten Termin am 15. Dezember 2023 keine Vorsprache oder Einwilligung erfolge, weitergehende Maßnahmen ergriffen werden müssten und u.U. eine Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens eines verkehrsmedizinisch geschulten Facharztes oder eines Arztes eines medizinisch-psychologischen Institutes ergehe.
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Mit E-Mail vom 3. Dezember 2023 übersandte der Antragsteller ärztliche Unterlagen.
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Aus dem Attest des Herrn ..., Facharzt für Nervenheilkunde vom 17. Oktober 2019 ergibt sich, dass beim Antragsteller ein Gilles de la Tourette-Syndrom (F95.2G) mit Spasmen der Muskulatur (R25.2G) vorliege, die mit Baclofen kontrolliert werden könnten, sodass er im Alltag tagsüber symptomfrei sei. Nach amtsärztlicher Überprüfung dieses Attests durch das damals zuständige Landratsamt … wurde festgestellt, dass aufgrund der unklaren Ausprägung, der Häufigkeit, sowie der Unvermittelbarkeit der angegebenen Spasmen vor einer abschließenden amtsärztlichen Stellungnahme ein ausführlicher Bericht des behandelnden Neurologen vorzulegen sei.
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Daraufhin erstellte Herr ... ein weiteres Attest vom 22. November 2019. Darin wird ausgeführt, dass er bereits am 17. Oktober 2019 ein Attest ausgestellt habe und das Anschreiben des … missverständlich sei. Der Antragsteller erhalte eine Medikation, die die Spasmen seiner Muskulatur im Rahmen eines Gilles de la Tourette-Syndroms so kontrollierten, dass er im Alltag symptomfrei sei. Maßgeblich für die Beurteilung seien die Angaben des Patienten. Danach leide er unter Medikation nicht unter Muskelspasmen, weil diese durch das Medikament beherrscht würden. Zweifel an diesen Angaben hätte der Arzt nicht.
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Der Antragsteller teilte zudem mit, dass er sich seit 2016 in Therapie bei Herrn Dr. med. ... befinde und dort medizinische Cannabisblüten verordnet bekomme. Diese nehme er natürlich nicht vor dem Fahren ein, sondern nur abends. Er könne also auch Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr strikt trennen. Sein neuer Hausarzt verschreibe ihm Baclofen und als Notfallmedikament Diazepam.
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Neben den ärztlichen Attesten des Herrn ... ergibt sich aus der ärztlichen Bescheinigung zur Fahreignung des Herrn Dr. med. ... vom 23. Februar 2023, dass der Antragsteller sich bei ihm in ärztlicher Behandlung befindet und diese eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten umfasst. Die Medikamente nehme der Antragsteller bestimmungsgemäß ein, Adhärenz und Compliance seien gut, weshalb kein Verstoß gegen das Straßenverkehrsgesetz und die Fahrerlaubnisverordnung vorliege. Nach seiner ärztlichen Einschätzung bestehe Fahreignung. Im Arztbericht vom 14. März 2023 stellt Herr Dr. med. ... u.a. die Diagnosen Tourette-Syndrom, Depressionen, Neurodermitis, chronische Rückenschmerzen und Zwangsstörungen. Zur Vorgeschichte wird ausgeführt, dass die Tic-Störung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten therapiert werde und die aktuelle Dosierung laute, täglich 1 g Cannabisblüten der verordneten Sorte, aufgeteilt in drei Gaben, inhalativ zu nehmen (vaporisieren/rauchen). Nach eigenen Angaben nehme der Antragsteller Cannabis und 50 mg Baclofen ein.
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Mit Schreiben vom 4. Dezember 2023 forderte das Landratsamt die Vorlage eines Eignungsgutachtens nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Es bestünden Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers. Bei ihm lägen Tatsachen vor, die auf das Vorliegen einer Erkrankung (Depression) hinwiesen, die nach Nummer 7.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung infrage stellt, bzw. Erkrankungen (Tourette-Syndrom, Zwangsstörungen, Neurodermitis, chronische Rückenschmerzen) die nach Nummer 1 der Vorbemerkung zur Anlage 4 zur FeV zwar nicht gelistet seien, jedoch die Fahreignung aufgrund der offenkundig erforderlichen Betäubungsmittelmedikation infrage stellen würden. Darüber hinaus könne die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (hier Medizinal-Cannabis) die Fahreignung nach Ziffer 9.6 der Anlage 4 zur FeV beeinträchtigen. Es folgen zur Begründung umfangreiche Auszüge aus der Fachliteratur.
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Folgende Fragestellungen seien zu klären:
1. Liegen der Verordnung von medizinischen Cannabis Erkrankungen (Depression, Tourette-Syndrom, Zwangsstörungen, Neurodermitis, chronische Rückenschmerzen) zu Grunde, die nach Nr. 7 Anlage 4*) der FeV bzw. der Nr. 1 der Vorbemerkung zur Anlage 4 FeV die Fahreignung infrage stellen? Wenn ja, ist der Untersuchte in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen vollständig gerecht zu werden?
*) Die konkrete Zuordnung der Unternummer(n) der Anlage 4 erfolgt durch den Gutachter im Gutachten selbst.
2. a) Liegt eine ausreichende Compliance (u.a. kein Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Substanzen, regelmäßig überwachte Medizinal-Cannabiseinnahme, Hinweise auf – gegebenenfalls selbstinduzierte – Überdosierung) vor?
b) Ist aus ärztlicher Sicht eine Überprüfung der Adhärenz doch eine gesonderte medizinisch-psychologische Untersuchung anzuraten?
3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden? Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 FeV (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen? Wenn ja, warum?
4. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung **) i.S. einer erneuten [Nach-] Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?
**) Die Frage kann unabhängig erfolgen, ob in der Anlage 4 bezüglich der jeweiligen Erkrankung oder des Mangels eine Nachuntersuchung (i.S. einer erneuten [Nach-] Begutachtung) vorgesehen ist.
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Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass die Kosten der Begutachtung von ihm zu tragen seien und das Gutachten von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (Beispiele werden aufgelistet) zu erstellen sei. Dem Antragsteller wurde eine Frist zur Vorlage des Gutachtens bis 13. Februar 2024 gesetzt und darauf hingewiesen, dass bei Nichtvorlage oder Nichteinhaltung des Termins der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis kostenpflichtig abzulehnen wäre.
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Mit der Bitte um Fristverlängerung durch den Bevollmächtigten des Antragstellers vom 5. Februar 2024 wurde der Umzug des Antragstellers zum 1. Februar 2024 an die Adresse … in … mitgeteilt. Nach Übersendung der Akte der Fahrerlaubnisbehörde an das zuständige Landratsamt … wurde von dort gebeten, das Verfahren durch das Landratsamt fortzuführen (Bl. 266 d.A.).
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Mit Bescheid vom 11. März 2024, zugestellt gemäß Zustellungsurkunde durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung am 15. März 2024, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrberechtigung aufgrund eines nationalen spanischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Ziff. 1). Der Antragsteller wurde verpflichtet, den spanischen Führerschein der Klassen AM und B, ausgestellt von der Verwaltungsbehörde DGT Spanien am 28.07.2022 mit der Nummer …, unverzüglich beim Landratsamt zur Eintragung der Aberkennung vorzulegen (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides werde angeordnet (Ziff. 3). Für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Ziffer 2 des Bescheids nicht innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung des Bescheids nachkomme, werde die Polizei zur Einziehung des Führerscheins unter Anwendung unmittelbaren Zwangs angewiesen (Ziff. 4). Der Antragsteller habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr werde auf 200,00 EUR festgesetzt, die Auslagen betrügen 4,55 EUR (Ziff. 5). Diverse Hinweise wurden erteilt.
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Zur Begründung werden zunächst die Ausführungen im Schreiben vom 4. Dezember 2023 wiederholt. Da bis Bescheiderlass weder ein entsprechendes ärztliches Gutachten, noch eine aussagekräftige Stellungnahme eingegangen sei, sei nunmehr über den Entzug der Fahrerlaubnis zu entscheiden. Die Aberkennung des Rechts vom Gebrauch einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Fahrerlaubnis aufgrund der Nichteignung des Führerscheininhabers unterläge den gleichen gesetzlichen Anforderungen, wie der Entzug der deutschen Fahrerlaubnis. Dies folge aus § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), in dem in Satz 1 der Entzug der deutschen Fahrerlaubnis und in Satz 2 die Aberkennung des Rechts zum Gebrauch einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis geregelt sei. Voraussetzung sei in beiden Fällen die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Beim Antragsteller sei bekannt geworden, dass er an Erkrankungen leide, welche nach Nummer 7 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung beeinträchtigen bzw. aufheben könnten, bzw. die nach Nummer 1 der Vorbemerkungen zu Anlage 4 zur FeV zwar nicht gelistet seien, jedoch die Fahreignung aufgrund der offenkundig erforderlichen Betäubungsmittelmedikation infrage stellen würden. Dies stelle eine Tatsache dar, welche Bedenken gegen die Fahreignung des Antragstellers begründe. Daher könne die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV in Verbindung mit Anlage 4 zu FeV die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens rechtmäßig fordern. Diese Anordnung entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung. Der Antragsteller sei bereits mit der Gutachtensaufforderung auf den Entzug der Fahrerlaubnis hingewiesen worden. Trotz Hinweises habe der Antragsteller die Möglichkeit zur Entlastung nicht wahrgenommen und kein Gutachten vorgelegt, so dass das Landratsamt gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung schließen dürfe. Die Fahrerlaubnis müsse deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV entzogen werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids sei im öffentlichen Interesse geboten, da nur so sichergestellt werden könne, dass der Antragsteller nicht ggf. durch das Vorzeigen des Führerscheindokuments über eine bestehende Fahrerlaubnis täusche und ein ungeeigneter Fahrerlaubnisinhaber unverzüglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen sei.
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Mit Schreiben vom 19. März 2024 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2024 ein, der ihm über die Lebensgefährtin des Antragstellers zugeleitet worden sei.
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Das Landratsamt beauftragte die Polizei in … mit der Einziehung des Führerscheins unter Anwendung unmittelbaren Zwangs und der Übersendung an das Landratsamt.
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Aus dem Ermittlungsbericht vom 27. März 2024 ergibt sich, dass der Antragsteller per E-Mail eine Abmeldung bei der Gemeindeverwaltung in … vom 13. März 2024 meldete. Am 26. März 2024 um 12:30 Uhr sei durch die Beamten des Polizeireviers … kein Klingelschild mit dem Namen des Antragstellers festgestellt worden. Die (ehemalige) Lebensgefährtin des Antragstellers gab an, dass sich der Antragsteller von ihr getrennt habe und sich im Ausland, vermutlich Spanien, befinde. Eine Anschrift kenne sie nicht. Jedoch vertrete ihn ein Anwalt (Anm.: der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers).
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Am 4. April 2024 kam der Bescheid vom 11. März 2024 zusammen mit einer Mitteilung der Deutschen Post beim Landratsamt in Rücklauf. Aus der Mitteilung ergibt sich, dass das Schriftstück im Bereich der Deutschen Post aufgefunden worden sei, die näheren Umstände der Rückgabe jedoch nicht bekannt sein. Auf dem Umschlag ist neben „zugestellt am 15.03.24“ vermerkt: „seit 13.03.24 unbekannt ins Ausland verzogen“.
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Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2024 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers die aufschiebende Wirkung des mit Schreiben vom 19.03.2024 eingelegten Widerspruchs gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 11.03.2024, AZ …, hinsichtlich der Entziehung der Fahrberechtigung aufgrund seines nationalen spanischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der Klassen B und AM samt Nebenverfügungen, wiederherzustellen.
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Mit Teilabhilfebescheid vom 14. Mai 2024 hob das Landratsamt die Ziffern 2 und 4 des Bescheids vom 11. März 2024 (Ziff. 1), sowie die Ziffer 3 im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 2 auf (Ziff. 2). Kosten wurden nicht erhoben (Ziff. 3). Zur Begründung wird unter Wiederholung des Ausgangsbescheids ausgeführt, dass der ursprüngliche Bescheid nach Einlegung des form- und fristgerechten Widerspruchs wie tenoriert abzuändern sei. Aufgrund des unbekannten Aufenthaltsortes des Antragstellers in Spanien sei eine Vorlage des Führerscheins zwecks Eintragung in Deutschland nicht europarechtskonform.
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Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 4. Juni 2024 Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth ein (Az. B 1 K 24.492).
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Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2024 beantragte der Antragsgegner, den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
25
Aufgrund des geöffneten Briefes und der Mitteilung des Rechtsanwaltes, dass der Bescheid bei ihm eingegangen sei, könne davon ausgegangen werden, dass der Bescheid ordnungsgemäß zugestellt wurde. Weiterhin sei die Zustellungsurkunde korrekt ausgefüllt worden und am 19. März 2024 beim Landratsamt … eingegangen. Hierin sei vermerkt, dass der Bescheid am 15. März 2024 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden sei. Auch auf dem Umschlag sei das Zustellungsdatum 15. März 2024 vermerkt. Mit Teilabhilfebescheid des Landratsamtes … vom 14. Mai 2024, zugestellt am 21. Mai 2024, seien die Ziffern 2 und 4, sowie die Ziffer 3 – hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit der Ziffer 2 – des Bescheides des Landratsamtes … vom 11. März 2024 aufgehoben worden. Die Teilabhilfe sei aufgrund des Umzuges ins europäische Ausland (vgl. EuGH U.v. 29.4.2021, Az. C-56/20) erfolgt. Im Übrigen sei über den Widerspruch noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden.
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Die Entziehung der Fahrberechtigung auf Grund eines nationalen spanischen Führerscheines im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei rechtmäßig ergangen, der Antragsteller sei in seinen Rechten nicht verletzt. Darüber hinaus sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet. Gerade für Maßnahmen der präventiven Gefahrenabwehr sei anerkannt, dass sich die Gründe für den Erlass des Grundverwaltungsaktes mit denen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung decken könnten. Aus den bereits in der Begründung der sofortigen Vollziehung genannten Gründen der Verkehrssicherheit sei dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Vorrang gegeben worden vor dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage.
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Das Landratsamt wies daraufhin, dass eine Vollmacht des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers dort nicht vorliege. Der Antrag richte sich zudem gegen den falschen Antragsgegner (Anm.: Landkreis statt Landratsamt bzw. Freistaat Bayern). Darüber hinaus dürfte der Antrag bereits deshalb unzulässig sein, da der Antragssteller keine aktuelle Anschrift angegeben habe und er deshalb nicht hinreichend bezeichnet i.S.v. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog sei.
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Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2024 wurde der Antrag nach dem Teilabhilfebescheid des Antragsgegners vom 14. Mai 2024 auf Ziffer 1 beschränkt und begründet, sowie beantragt, nach Erledigung dem Antragsgegner die Kosten diesbezüglich aufzuerlegen.
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Darin wird vor allem moniert, dass das Landratsamt unzuständig sei, keine wirksame Zustellung erfolgt sei und die Maßnahme grob ermessensfehlerhaft sei. Insbesondere sei der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt worden und mildere Mittel, wie Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes oder die Einreichung weiterer Unterlagen durch den Antragsteller, seien offenbar nicht in Erwägung gezogen worden. Zwingend wäre erforderlich gewesen, zunächst einmal aufgrund des immensen Zeitablaufs weitere Ermittlungen einzuholen. Auch wäre eine Einholung von Informationen der spanischen Behörden erforderlich gewesen hinsichtlich Auffälligkeiten des Antragsstellers im Straßenverkehr in Spanien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
31
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bezüglich Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 11. März 2024 in der Fassung des Bescheids vom 14. Mai 2024 hat keinen Erfolg.
32
Der Antrag vom 16. Mai 2024 ist zulässig, da gegen den am 15. März 2024 zugestellten Bescheid fristgerecht Widerspruch eingelegt worden war.
33
Der Antrag ist auch nicht bereits nach § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO unzulässig. Das Gericht hält die angegebene Postadresse und die nachgereichten Unterlagen zum Wohnort des Antragstellers für ausreichend.
34
Die Pflicht zur Angabe der Wohnanschrift entfällt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche bzw. nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten entgegenstehen. Ebenso ist das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift unschädlich, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er über eine solche Anschrift nicht verfügt. In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden kann (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2016 – 10 CE 16.1145 – juris, Rn. 15).
35
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er an der genannten Adresse tatsächlich zu erreichen ist, ohne dort einen Wohnsitz begründet zu haben. Er hat dafür gesorgt, seine Behördenpost an der angegebenen Anschrift empfangen zu können und glaubhaft gemacht, dass eine andere Möglichkeit für ihn im ländlichen Spanien nicht besteht. Über eine Wohnanschrift im Sinne des deutschen Meldewesens verfügt er nicht. Dies wurde durch die Schilderung von Frau ... in der E-Mail vom 26. Juni 2024 bestätigt. Seine Meldeadresse ist zudem durch die vorgelegten Unterlagen hinreichend glaubhaft gemacht, so dass er für das Gericht, im Falle der Unzustellbarkeit seiner Behördenpost an der angegebenen Adresse, erreichbar wäre.
36
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
37
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
38
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrberechtigung im Inland ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich. Da der Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. März 2024 Widerspruch einlegte, dem nur teilweise abgeholfen und über den im Übrigen noch nicht entschieden wurde, ist hier im Übrigen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
39
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. Die Klage in der Hauptsache ist wohl unbegründet, da sich der Bescheid des Landratsamts vom 11. März 2024 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14. Mai 2024 nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.
40
1. Das Landratsamt war örtlich zuständig nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und Abs. 3 BayVwVfG, da das aufgrund des Wohnsitzes des Antragstellers im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuständige Landratsamt … zustimmte, das begonnene Verfahren zur Fahreignungsüberprüfung durch das Landratsamt abzuschließen.
41
2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 2024 genügt den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 – juris Rn. 12). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht.
42
Insbesondere weist der Antragsgegner darauf hin, dass das Interesse eines ungeeigneten Fahrzeugführers daran, trotz der Entziehung der Fahrerlaubnis bis zur Bestandskraft des Bescheids weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu können, angesichts der von ihm ausgehenden Gefahr grundsätzlich hinter dem Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer zurücktreten muss. Dies gilt auch, wenn es einen gravierenden Einschnitt in den persönlichen Bereich des Antragstellers bedeutet (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 14).
43
3. Die Anordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 11. März 2024, mit der dem Antragsteller die Fahrberechtigung aufgrund seines nationalen spanischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entzogen wurde, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
44
a. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach § 46 Abs. 5 FeV hat bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Die Aberkennung der Inlandsgültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis setzt ebenso wie die Entziehung einer inländischen Fahrerlaubnis fehlende Eignung oder Befähigung voraus (vgl. Koehl in Nomos-Kommentar Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, FeV § 46 Rn. 34). Dem Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis kann seine Fahrerlaubnis nicht entzogen werden, dies bleibt der zuständigen Behörde des Ausstellungsstaates vorbehalten. Eine deutsche Behörde ist nur berechtigt, dem Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, unabhängig davon, ob er seinen ordentlichen Wohnsitz oder Aufenthaltsort in der BRD hat oder nicht, das Recht, entsprechende Kraftfahrzeuge auf dem Gebiet des Entscheidungsstaates zu führen, abzuerkennen (vgl. Hahn/Kalus in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, FeV, § 46 Rn. 17).
45
b. Die Nichteignung des Antragstellers ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 FeV.
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Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden.
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Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 19). Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Weiterhin ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18).
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aa. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV müssen der Fahrerlaubnisbehörde zunächst Tatsachen bekannt werden, die im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Beibringungsanordnung Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Ergehens der zu überprüfenden Anordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14; B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris Rn. 11). Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens muss sich dabei auf konkrete Tatsachen stützen und darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden (BayVGH, U.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13). Ob solche konkreten Tatsachen vorliegen, die Bedenken in diesem Sinne begründen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese Tatsachen können sich auch aus Mitteilungen anderer Behörden ergeben.
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Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Forderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung zu Recht erfolgte, denn es waren hinreichend gewichtige Tatsachen vorhanden, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers in diesem Sinne belegen und die die Fahrerlaubnisbehörde veranlassen durften, eine Abklärung herbeizuführen.
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Mit Übersendung der Fahrerlaubnisakte an das Landratsamt wurde bekannt, dass seit 2017 Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers bestanden, als Marihuana bei ihm aufgefunden wurde und er angab, dieses aus medizinischen Gründen zu rauchen (Bl. 132 d.A.). Zudem gab er selbst eine Tic-Störung an (Bl. 166 d.A.). Eine Begutachtung der jeweils zuständigen Fahrerlaubnisbehörde konnte allerdings aufgrund seines Wegzugs nach Spanien nie abschließend erfolgen. Nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet in den Zuständigkeitsbereich des Landratsamtes wurden von dort die Ermittlungen zur Fahreignung des Antragstellers wieder aufgenommen.
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Auf Anfrage des Landratsamts beim Antragssteller legte dieser diverse ärztliche Unterlagen vor, aus welchen sich die Diagnosen Tourette, Zwangsstörungen, Depression, Neurodermitis und chronische Rückenschmerzen ergaben und zudem, dass er seit 2016 – nach eigenen Angaben bereits seit etwa 2010 – Marihuana bzw. Medizinal-Cannabis konsumiert. Weiter ergibt sich, dass er seit vielen Jahren das Medikament Baclofen wegen seiner Muskelspasmen einnimmt, das ebenfalls die Fahrtüchtigkeit erheblich beeinträchtigen kann (https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Baclofen_1302, aufgerufen am 24.06.2024).
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Aus den Unterlagen des Antragstellers und der Fahrerlaubnisakte ergeben sich berechtigte Zweifel an seiner Fahreignung.
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Die diagnostizierte Depression fällt insbesondere bei schwerer Depression unter Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV, wie vom Landratsamt ausführlich in der Gutachtensaufforderung dargestellt. Auch die weiteren diagnostizierten Krankheiten, vor allem das Tourette-Syndrom mit den beim Antragsteller vorliegenden Muskelspasmen, sind zwar nicht ausdrücklich in der Anlage 4 zur FeV genannt. Gemäß Vorbemerkung 1. zu Anlage 4 zur FeV enthält die Aufstellung häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Nicht aufgenommen sind Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern (z. B. grippale Infekte, akute infektiöse Magen-/Darmstörungen, Migräne, Heuschnupfen, Asthma). Jene Aufstellung ist also nur exemplarisch. Die nachvollziehbaren Zweifel des Landratsamtes an der Fahreignung des Antragsstellers zu überprüfen erscheint vorliegend zwingend erforderlich.
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Weiterhin bestanden berechtigte Zweifel an der Fahreignung des Antragsstellers auch aufgrund seines verschriebenen Konsums von Medizinal-Cannabis. Nach Ziffer 9.6 der Anlage 4 zur FeV ist bei einer Dauerbehandlung mit Arzneimitteln, als welches das Medizinal-Cannabis einzustufen ist, die Fahreignung möglicherweise beeinträchtigt.
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Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV, wie sie hier geltend gemacht wird, nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. Eine missbräuchliche Einnahme, die z.B. bei einer Einnahme des Medikaments in zu hoher Dosis oder entgegen der ärztlichen Verschreibung angenommen werden kann, beurteilt sich nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV und schließt danach die Fahreignung aus (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 11 CS 22.860 – juris, Rn. 21). Das Landratsamt hat vorliegend gemäß der Handlungsempfehlung die Fragen zur Begutachtung und entsprechende Hinweise formuliert.
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bb. Die Fragestellung in der Gutachtensanforderung (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) ist vor dem Hintergrund der feststehenden Tatsachen zu Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers (siehe unter aa.) nicht zu beanstanden.
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Das Landratsamt stellte im gegenständlichen Bescheid darauf ab, zunächst abzuklären, ob die diagnostizierten Krankheiten, die mit Medizinal-Cannabis behandelt werden, die Fahreignung beeinträchtigten. Es wird ausführlich dargelegt, welche Zweifel bei der Fahrerlaubnisbehörde bestehen, auf welche Nummern der Anlage 4 zur FeV – sofern vorhanden – sich diese beziehen und was abzuklären ist.
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Da die Fahrerlaubnisakte dem Gutachter zur Verfügung gestellt wird und dieser aus der Begründung des Bescheids entnehmen kann, worauf die Untersuchung abzielt, ist es diesem aufgrund seiner verkehrsmedizinischen Zusatzqualifikation problemlos möglich, die relevanten Fragen zu beantworten. Es begegnet keinen Bedenken, die Zuordnung der jeweiligen Nummer der Anlage 4 zur FeV dem verkehrsrechtlich versierten Gutachter zu überlassen und die Leistungsfähigkeit des Antragstellers nur bei Bedarf bzw. entsprechenden Feststellungen näher zu überprüfen (vgl. Seite 10 unten des Bescheids).
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cc. Das Landratsamt forderte vom Antragsteller die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV. Die Auswahl des konkreten Gutachters überlässt das Landratsamt dem Antragsteller.
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dd. Die Beibringungsaufforderung entspricht auch den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Der Antragsgegner ist den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 2 und 4 FeV ergebenden Informationspflichten korrekt nachgekommen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ausführlich die Gründe dargelegt, welche die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers stützen. Auch Hinweise darauf, dass der Antragsteller die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten. Dabei ist es unschädlich, dass versehentlich von einer „Erteilung der beantragten Erlaubnis“ die Rede ist, da dem Antragsteller klar war, dass es um die Aberkennung des Rechts geht, von seiner spanischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Die Fristsetzung zur Beibringung des medizinischen Gutachtens bis 13. Februar 2024 war angemessen im Sinne von § 2 Abs. 8 StVG und § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV.
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Es ist weiterhin nicht zu beanstanden, dass die mit Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 5. Februar 2024 beantragte Fristverlängerung nicht gewährt wurde. Zwar reicht es aus Sicht des Gerichts nicht aus, eine dem Landratsamt nicht vorliegende Vollmacht zu rügen (und dann dennoch über den vom Prozessbevollmächtigten eingelegten Widerspruch zu entscheiden). Die Angabe, dass der Antragsteller die „Angelegenheit im Umzugsstress aus den Augen verloren habe“, stellt jedoch keine hinreichende Begründung dar, eine Fristverlängerung zu gewähren, insbesondere vor dem Hintergrund der Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs.
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ee. Es war vorliegend kein milderes Mittel ersichtlich als die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 2 FeV. Nachdem zunächst vom Antragsteller selbst Unterlagen angefordert worden waren, die die Mitarbeitenden der Fahrerlaubnisbehörde als medizinische Laien nicht abschließend beurteilen können, war die Einholung eines ärztlichen Gutachtens geeignet, erforderlich und angemessen, die Eignungszweifel weiter aufzuklären.
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Aufgrund der Erkrankungen des Antragstellers, die im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, was insbesondere für Tourette gemäß der amtsärztlichen Stellungnahme vom 4. November 2019 (Bl.198 d.A.) feststand, war mangels medizinischer Expertise der Behörde als mildestes Mittel die Einholung eines ärztlichen Gutachtens (und ggf. eine daran anschließende Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)) zu fordern. Insofern orientierte sich das Landratsamt zutreffend am gesetzlichen Stufenverhältnis des § 11 FeV.
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Die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle war auch verhältnismäßig. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gegenüber dem Antragsteller war im vorliegenden Fall insbesondere erforderlich, mithin das mildeste geeignete Mittel, um die Zweifel an der Fahreignung des Klägers auszuräumen. Lassen die der Anforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen, so steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dieser Anordnung in der Regel nicht entgegen. Dies wurde gerichtlich vor allem für die Fälle festgestellt, in denen die Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren nicht nur ein einfaches medizinisches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert hat (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69 – juris Rn. 63; BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 29.10.2019 – B 1 K 19.219 – juris Rn. 30). Erst recht gilt dies für die Fälle der Aufforderung zur Beibringung eines einfachen medizinischen Gutachtens, das gegenüber dem medizinisch-psychologischen Gutachten im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine geringere Eingriffsintensität aufweist.
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c. Nachdem der Antragsteller das ordnungsgemäß geforderte Gutachten nicht innerhalb der angemessenen Frist bis 3. März 2023 beibrachte, war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV mangels entsprechender Mitwirkung des Antragstellers gehalten, aus der Nichtvorlage auf die Nichteignung zu schließen und hatte dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mit der Wirkung nach § 46 Abs. 5 FeV zu entziehen. Ein Ermessen wird der Behörde bei dieser Entscheidung nicht eingeräumt. Der Antragsteller war zur Mitwirkung verpflichtet.
66
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Da dem Landratsamt die Vollziehung der Anordnung in Ziffer 2. nebst entsprechend angeordnetem Sofortvollzug in Ziffer 3. nur durch den Wegzug des Antragstellers nach Spanien unmöglich wurde, ist das erledigende Ereignis und die erfolgte Teilaufhebung dem Kläger zuzuschreiben, mit entsprechender Kostenfolge.
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Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).