Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 02.10.2024 – 17 O 7452/22
Titel:

Sittenwidrige Schädigung, Feststellungsinteresse, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Nutzungsentschädigung, Verrichtungsgehilfen, Maßgeblicher Zeitpunkt, Unerlaubte Handlung, Elektronischer Rechtsverkehr, Verkehrserforderliche Sorgfalt, Sekundäre Darlegungslast, Rechtshängigkeit, Sittenwidrigkeit, Wert des Beschwerdegegenstandes, Stoffgleichheit, Schädigungsvorsatz, Verfassungsmäßiger Vertreter

Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Schädigungsvorsatz, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Typgenehmigungsverfahren, Rückruf, Verwerflichkeit, Differenzschaden, Fahrlässigkeit, Verbotsirrtum, Schadensminderungspflicht, Schadensersatz, Betrug, Annahmeverzug
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28649

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 17.135,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
2
Der Kläger erwarb mit Rechnung vom 30.03.2019 das Fahrzeug Opel Astra Sports Tourer Innovation 1.6 CDTi 100 kW (136 PS) (AT6), FIN: …, das mit einem 1.6l Motor des Motortyps B16DTH und der Emissionsklasse Euro 06 ausgestattet ist, von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Händler zum Gesamtpreis von 14.900 €.
3
Beim Kauf hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 56.600 km. Der streitgegenständliche Opel Astra Sports Tourer+ der Emissionsklasse Euro 6 mit der FIN … wurde auf Grundlage der Typgenehmigung ... am 08.01.2016 zum Straßenverkehr zugelassen.
4
Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug im Wege der sog. Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die konkrete Beschaffenheit dieser Rückführung ist zwischen den Parteien umstritten. Der Opel Astra des Klägers verfügt über keinen SCR-Katalysator und auch keinen Ad-Blue-Tank, sondern enthält eine andere Technologie der Abgasnachbehandlung, nämlich einen Speicherkatalysator, der als Lean-NOx-Trap oder LNT-Katalysator bezeichnet wird. Das Fahrzeug enthält keine Prüfstand- oder Prüfzykluserkennung.
5
Der Motortyp der Baureihe B16DTH wurde im Jahr 2017 durch die niederländische Typgenehmigungsbehörde RDW, nachträglich im Rahmen der Marktüberwachung überprüft. Der RDW bestätigte, dass die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems aus Motorschutzgründen gerechtfertigt und damit zulässig ist.
6
Die Beklagte stellte im Jahr 2017 ein freiwilliges Software-Update dem Kraftfahrt-Bundesamt zur behördlichen Freigabe vor. Die Freigabe des freiwilligen Software-Updates erfolgte schließlich durch Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts vom 20.04.2021. Mit angefochtenem und daher nicht bestandskräftigem Bescheid vom 02.12.2021 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt die Installation des Software-Updates verpflichtend an.
7
Das Fahrzeug unterlag einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes.
8
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde am 17.02.2024 mit einem Kilometerstand von 89.512 km zum Preis von 8.500 € verkauft.
9
Die Klagepartei behauptet, das Fahrzeug sei mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, die die Abgasreinigungsanlage parameterabhängig (im Hinblick auf Drehzahl, Umgebungsluftdruck oder Temperatur) nicht mehr richtig funktionieren lassen.
10
Es sei ein unzulässiges Thermofenster mit einem Temperaturbereich von 16 °C bis 32 °C im Einsatz. Sobald die Umgebungstemperatur unter 16 °C sinke, werde die Abgasrückführung durch die Motorsteuerungssoftware reduziert. Bei Temperaturen unter -10 °C und über 32 °C werde die Abgasrückführung komplett eingestellt. Eine Reduzierung trete auch bei einer Motordrehzahl ab 2.400 Umdrehungen pro Minute auf. Eine Erhöhung der Abgasrückführung erfolge erst dann, wenn die Motordrehzahl unter 1.250 Umdrehungen pro Minute falle. Außerdem trete eine Reduzierung ein, wenn der Umgebungsluftdruck unter 915 hPa falle. Bis zum Umgebungsluftdruck von 550 hPa werde die Effizienz der Abgasrückführung kontinuierlich bis auf null reduziert.
11
Die Klagepartei ist der Ansicht, es bestünden daher Schadensersatzansprüche gegen die Beklagtenpartei aus § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 i.V.m. 263 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
12
Die Klagepartei beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klagepartei 14.900,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs Astra Sports Tourer +, FIN: … und gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass die Beklagte in das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut hat.
3.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeuges in Verzug befindet.
4.
Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.732,64 € freizustellen.
Hilfshilfsweise beantragt der Kläger:
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klagepartei 2.235,00 € (15 % des Kaufpreises) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Die Beklagte rügte die Klage als teilweise unzulässig, weil das erforderliche Feststellungsinteresse nicht hinreichend dargelegt sei.
15
Sie behauptet, dass das AGR in einem breiten Temperaturband von minus 11 °C bis plus 34 °C aktiv sei und unterhalb von 16 °C dynamisch reguliert werde. Der NO x – Speicherkatalysator sei in einem Temperaturband von minus 11 °C bis plus 33,5 °C vollumfänglich aktiv. Zudem würden ab einer Drehzahl von 2.800 U/min die AGR-Rate dynamisch reduziert; bei 3.600 U/min werde die AGR deaktiviert. Unterhalb eines Umgebungsluftdrucks von 90 kPa werde die AGR-Rate ebenfalls reduziert.
16
Das streitgegenständliche Fahrzeug halte die erforderlichen Grenzwerte unter den gesetzlich vorgegebenen NEFZ-Bedingungen sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße ein.
17
Auch das On-Board-Diagnosesystem (OBD) des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei nicht manipuliert worden. Dass Emissionskontrollsysteme parametergesteuert arbeiten und deren Betriebsleistung von Bedingungen wie den genannten abhängt, entspreche damals wie heute dem Technologiestandard und sei branchenüblich. Die Beklagte sei überzeugt gewesen, sich gesetzeskonform zu verhalten.
18
Eine der Beklagten zurechenbare Gefahr der Stilllegung oder sonstige Einschränkung der Nutzbarkeit scheide vor dem Hintergrund des zur Verfügung gestellten Updates aus.
19
Die Prüfung der niederländischen Typgenehmigungsbehörde RDW, welche auch die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erteilte und die Überprüfung des Software-Updates durch das Kraftfahrt-Bundesamt, welches mit Bescheid vom 20.04.2021 ausdrücklich dessen Freigabe erteilte, zeige, dass die Rechtsauffassung, dass das Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte, bei entsprechender Nachfrage bestätigt worden wäre. Ein Verschuldensvorwurf träfe die Beklagte daher nicht.
20
Eine Stilllegung des Fahrzeugs drohe nicht.
21
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das wechselseitige schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Beweis ist nicht erhoben worden.
22
Beweis ist nicht erhoben worden.

Entscheidungsgründe

23
Die weitgehend zulässige Klage ist unbegründet.
A.
24
Die Klage ist im Wesentlichen zulässig.
25
Soweit die Feststellung der Ersatzfähigkeit weiterer bzw. künftiger Schäden durch etwaig verbaute unzulässige Abschalteinrichtungen begehrt wird, ist die Klage bereits unzulässig. Ein Feststellungsinteresse besteht nicht.
26
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gewähren dem Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller neben dem der Höhe nach auf 15 % des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens keinen Anspruch auf Ersatz weiterer möglicher Vermögensnachteile; für einen auf die Pflicht zum Ersatz solcher Vermögensnachteile gerichteten Feststellungsantrag besteht kein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO (BGH Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 37/21).
27
Im Übrigen ist die Klage zulässig. Die Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG in sachlicher und aus § 32 ZPO in örtlicher Hinsicht.
B.
28
Die Klage ist unbegründet, da dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Klageforderungen zusteht.
29
I. Es sind weder Ansprüche aus § 826 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB noch aus § 831 BGB gegeben. Nachdem auch keine weiteren Anspruchsgrundlagen ersichtlich bzw. erfüllt sind, war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen, auch hinsichtlich des Hilfsantrages.
30
1. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist mangels sittenwidriger Schädigungshandlung bzw. mangels Täuschungsvorsatzes nicht gegeben.
31
a) Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB ist eine Schadenszufügung, die auf einer schädigenden Handlung beruht, die aus objektiver Sicht als sittenwidrig einzustufen ist. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 11 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 14 bei juris; Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 15 bei juris; OLG Frankfurt a.M. Urteil vom 29.04.2024 – 23 U 141/21).
32
Erforderlich ist zudem ein mit den objektiven Voraussetzungen korrespondierender Schädigungsvorsatz.
33
b) Der Bundesgerichtshof hat ein objektiv sittenwidriges Verhalten mit der Begründung betreffend den Motortyp EA 189 insoweit bejaht, dass auf der Basis einer für den Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht worden seien, in denen eine unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung verbaut gewesen sei. Die Motorsteuerungssoftware sei bewusst und gewollt so programmiert gewesen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, indem als Reaktion auf einen erkannten Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert worden sei (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 f. bei juris). Das an sich erlaubte Ziel einer Erhöhung des Gewinns werde auch im Verhältnis zum Käufer eines der Fahrzeuge dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde – konkret: des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) – erreicht werden solle und mit einer Gesinnung verbunden sei, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeige (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 23 bei juris).
34
Verhält sich dagegen das Emissionskontrollsystem eines Fahrzeugs auf dem Prüfstand ebenso wie unter vergleichbaren Bedingungen im wirklichen Verkehr, so bedeutet der Einbau einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung für sich genommen noch kein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers; der Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist vielmehr dann nur gerechtfertigt, wenn zu dem Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 16, juris).
35
Sofern die verwendete Abschalteinrichtung nicht grenzwertkausal ist oder auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, kommt eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB demnach nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 – III ZR 303/20, juris Rn. 13; Urteil vom 6. November 2023 – VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 12; Urteil vom 27. Februar 2024 – VIa ZR 238/22, Rn. 10, jew. m.w.N.).
36
c) Vor diesem Hintergrund kann vorliegend ein der Beklagten zuzurechnendes sittenwidriges Geschehen nicht nachgewiesen werden.
37
Der Kläger hat zunächst mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen an dem streitgegenständlichen Opel Astra behauptet. Das Fahrzeug unterlag auch unstreitig einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Bescheid des KBA vom 02.12.2021, mit dem das Software-Update verpflichtend angeordnet wurde, ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
38
Während der Kläger ein unzulässiges Thermofenster darlegt und sonstige Abschalteinrichtungen lediglich pauschal behauptet, führte die Beklagte hierzu folgendes aus: das AGR des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei – vor dem Software-Update – in einem breiten Temperaturband von minus 11 °C bis plus 34 °C aktiv gewesen und habe unterhalb von 16 °C dynamisch reguliert. Der NOx-Speicherkatalysator sei in einem Temperaturband von minus 11 °C bis plus 33,5 °C vollumfänglich aktiv. Außerdem werde ab einer Drehzahl von 2.800 U/min die AGR-Rate dynamisch reduziert; bei 3.600 U/min werde die AGR deaktiviert. Unterhalb eines Umgebungsluftdrucks von 90 kPa werde die AGR-Rate ebenfalls reduziert.
39
aa) Hinsichtlich sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen (Motordrehzahl, Umgebungsluftdruck) erfolgte bereits kein hinreichend bestimmter Vortrag.
40
Die Klagepartei trägt hierbei grundsätzlich die volle Darlegungs- und ggf. Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 218/03, NJW 2004, 2664, 2665 f.). Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ stellt ohne die erforderliche Darlegung unter die EG-VO subsumtionsfähiger Tatsachen, eine reine Rechtsbehauptung dar, die die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB nicht schlüssig darlegt (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 55). Grundsätzlich bleibt es im Zivilprozess einer Partei unbenommen, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine gesicherte Kenntnis hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich halten darf. Hiervon zu unterscheiden sind indes Fallgestaltungen, in denen eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ Behauptungen aufstellt (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 –, juris). In diesen Fällen liegt eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung vor, die mit Blick auf deren Rechtsfolgen jedoch nicht leichthin, sondern nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist. Denn die Bejahung einer Behauptung ins Blaue hinein führt dazu, dass entsprechenden Beweisangeboten nicht nachzugehen ist (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18). Dies stellt folglich einen erheblichen Eingriff in die prozessualen Rechte und den Anspruch auf rechtliches Gehör einer Partei dar, der eine sorgfältige Sachprüfung erfordert. Unter Anwendung dieser Grundsätze stellen die klägerseits vorgebrachten Behauptungen bezogen auf den Verbau sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Pkw jedoch Behauptungen ins Blaue hinein dar.
41
Der Kläger stützt seinen Vortrag hinsichtlich der unzulässigen Abschalteinrichtungen betreffend den Umgebungsdruck und die Motordrehzahl auf zwei Gutachten (Anlagen K17 und K18) von Prof. ... und Prof. ... . Diesen Gutachten liegt jedoch keine Untersuchung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zugrunde, sondern eines Opel Zafira Tourer 1.6 CDTi und einem Opel Astra Tourer 1.6 CDTi, jeweils mit SCR-Katalysator. Dort finden sich zudem folgende Ausführungen:
„So ist aus technischer Sicht zu konstatieren, dass für die in den SCR – Katalysatoren, die von Opel verwendet werden, ablaufenden chemischen Reaktionen die Raumgeschwindigkeit – mithin die Durchflussgeschwindigkeit bei Drehzahlen ab dem mittleren Drehzahlbereich – zu hoch wird. […] Verschärft wird die Notwendigkeit für Opel, die Emissionskontrolle ab der genannten Geschwindigkeit abzuschalten, noch dadurch, dass das Potential der Einspeicherfähigkeit durch das kleine Bauvolumen des von Opel verwendeten SCR – Katalysators erheblich begrenzt wird. Anders formuliert: Würde Opel einen größeren Katalysator verwenden, so könnte dieser mehr Ammoniak einspeichern; auf diese Weise würde die Notwendigkeit, die AdBlue-Zuführung ab einer bestimmten Drehzahl zu reduzieren bzw. zu stoppen, entfallen.“ (Anlage K17).
42
Das streitgegenständliche Fahrzeug hat jedoch unstreitig keinen SCR-Katalysator und auch keinen Ad-Blue-Tank, sondern funktioniert mit einem abweichenden System. Auch der vorgelegte Blogeintrag der FCD (Anlage K9) oder das Gutachten der Technischen Universität Prag (Anlage K10) betrifft andere Fahrzeuge. Die Argumentation aus den Gutachten geht damit an dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorbei, worauf die Beklagte auch ausdrücklich hingewiesen hat.
43
Den Vortrag der Beklagten zur Installation des Abgasrückführungssystems mit den von ihr behaupteten Werten wurde von dem Kläger bestritten. Darüber hinaus wurde lediglich vorgetragen, dass auch der Verbau des LNT-Speicherkatalysators den Vortrag zu dem Thermofenster sowie der Steuerung der Abgasrückführung anhand der Motordrehzahl und des Umgebungsdruckes unberührt lasse. Dies genügt den Anforderungen an eine ausreichende Darlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung jedoch nicht, zumal keinerlei Ausführungen dazu erfolgten, weshalb die vom Kläger oder von der Beklagten behauptete Installation hinsichtlich sonstiger Abschalteinrichtungen – im Rahmen des abweichend von den Gutachten K17, K18 verbauten Systems – konkret eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen soll. Der Verweis auf den – noch nicht rechtskräftig entschiedenen – Rückruf des KBA trägt insoweit nicht. Eine Beweiserhebung war demnach nicht veranlasst.
44
bb) Soweit ein unzulässiges Thermofenster bzw. eine unzulässige Parametrierung des Emissionskontrollsystems vorgetragen ist, kann es letztlich dahinstehen, ob diese eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen.
45
Selbst wenn dies bestandskräftig festgestellt wäre und als wahr unterstellt, so stellt dies nach der Rechtsprechung kein sittenwidriges Handeln dar, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
46
Hier ist zunächst festzustellen, dass das Fahrzeug unstreitig keine Manipulationssoftware eingebaut hat. Eine Umschaltlogik im Sinne einer Prüfstanderkennung ist nicht konkret dargelegt, sondern nur pauschal ins Blaue hinein behauptet. Die Ausführungen des Klägers hierzu betrafen zudem einen Opel Zafira und nicht das streitgegenständliche Fahrzeug.
47
Hierfür fehlt auch tatsächlich jeglicher Anhaltspunkt (dies auch unter Berücksichtigung von BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740; siehe auch OLG Köln, Beschluss vom 28.01.2019 – 28 U 36/18; OLG München, Beschluss vom 22.03.2019 – 21 U 533/19; OLG Köln, Beschluss vom 19.02.2019 – 4 U 175/18; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.02.2019 – 1 U 50/18; OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2019 – 7 U 169/18; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19; OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Einem Autohersteller wäre es vor diesem Hintergrund nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung im Einzelnen darlegen zu müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält und warum diese ggf. für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 65; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 61). Die Beklagte hat hierzu zudem eine Auskunft des KBA zu einem ähnlichen Fahrzeug – Opel Astra mit einem Motor der Baureihe B16 – vorgelegt, aus der sich ergibt, dass kein Hinweis gefunden worden sei, dass eine Erkennungssoftware verwendet worden sei, die zwischen Prüfstands- und Straßenbetrieb unterscheide (vgl. Anlage B7). Dies ist unstreitig. Auch die behaupteten Parameter – Temperatur, Luftdruck, Drehzahl – können unabhängig vom Prüfstand auch im normalen Straßenbetrieb eintreten.
48
cc) Da es somit nicht um eine Umschaltlogik oder Manipulationssoftware handelt, lässt sich eine vorwerfbare Sittenwidrigkeit nur begründen, wenn zu dem – unterstellten – Verstoß gegen die VO (EG) 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Voraussetzung ist insoweit, dass sie bei der Entwicklung/Verwendung des parametergesteuerten Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 09.11.2023 – 28 U 117/23).
49
Auch hierfür bestehen nach dem klägerischen Vortrag keinerlei belastbaren Anhaltspunkte.
50
Die Ausführungen der Klagepartei führen zu keinem entsprechenden Ergebnis. Der Vorwurf, dass mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden seien und dies aufgrund einer strategischen Entscheidung erfolgt sei, scheitert bereits an dem unsubstantiierten Vortrag zu mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen. Aber selbst wenn man dies unterstellen würde, würde dennoch hieraus nicht ohne weiteres eine Sittenwidrigkeit abzuleiten sein. Eine strategische Entscheidung zur Vermarktung einer Fahrzeugreihe begründet ebenfalls noch kein sittenwidriges Handeln. Eine Täuschung des KBA ist lediglich ins Blaue hinein behauptet, was ohne – dargelegten – konkreten Anhaltspunkt erfolgte.
51
Hierzu führte die Klagepartei aus, dass die Beklagte in allen Euro 6-Fahrzeugen mit SCR-Katalysator eine vergleichbare Ausgestaltung der Motorsteuerungssoftware – und damit auch eine vergleichbare Ausgestaltung des OBD-Systems nutze; auch beim streitgegenständlichen Fahrzeug erfolge im Falle eines „Abklemmens“ des SCR-Katalysators keine Fehlermeldung im OBD-System. Die Verwendung des Thermofensters sei nicht offengelegt und dadurch die Arglosigkeit des KBA ausgenutzt worden.
52
Die Bauteile, welche das Emissionsverhalten beeinflussen, seien billig und unzureichend konstruiert und minderwertig gefertigt und montiert worden, das Fahrzeug sei hinsichtlich der Hardare nicht auf dem neuesten Stand, was durch die Abschalteinrichtung habe verborgen werden sollen.
53
Die Klagepartei übersieht hierbei, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über keinen SCR-Katalysator verfügt und die Behauptung damit ohne konkreten tatsächlichen Anhaltspunkt erhoben wird – worauf die Beklagte auch hingewiesen hat. Den Ausführungen zugrunde lag ein anderes, nicht das streitgegenständliche Fahrzeug. Die Vorwürfe betreffend die Hardware erfolgen rein ins Blaue hinein. Es besteht auch kein Anspruch auf die neueste technisch verfügbare Entwicklung. Die Beklagte hat indes ausgeführt, dass alle erforderlichen Angaben im Typgenehmigungsverfahren gemacht worden seien, insbesondere alle gemäß Artikel 3 Nr. 9 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 erforderlichen Nachweise erbracht worden seien. Die Verordnung (EU) 2016/646, nach der die gesamte Emissionsstrategie offengelegt werden musste, trat erst am 16.05.2016 – mithin nach Zulassung des streitgegenständlichen Fahrzeuges – in Kraft.
54
Ein verpflichtender Rückruf lässt ohne Hinzutreten weiterer Umstände grundsätzlich ebenfalls nicht ausreichend auf das Vorliegen einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung und eine bewusste Täuschung der Genehmigungsbehörde schließen (BGH, Beschluss vom 23.02.2022 – VII ZR 2/21; OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 09.11.2023 – 28 U 117/23). Der Kläger hat lediglich ins Blaue hinein behauptet, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren falsche oder unvollständige Angaben zur Ausgestaltung der Emissionssteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemacht habe, und beantragt, dass die Beklagte die Typengenehmigung nebst dazugehörigem Prüfbogen vorzulegen habe. Für eine entsprechende Aufforderung an die Beklagte bestand jedoch nach Auffassung des Gerichts kein Raum. Grundsätzlich könnte ein entsprechend konkreter Vortrag zwar eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auslösen, jedoch nur wenn tatsächlich nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Täuschung bestehen. Derlei Anhaltspunkte vermag das Gericht nicht zu erkennen, zumal die Beklagte hierzu sogar – wenn auch oberflächlich – Angaben gemacht hat. Die Behauptung, dass ansonsten ja keine Genehmigung erteilt worden sei, stellt lediglich eine pauschale Behauptung ins Blaue hinein dar.
55
Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Es ist nämlich auch festzuhalten, dass selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben zu den Einzelheiten unterlassen haben sollte, die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (BGH, Hinweisbeschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 223/20).
56
Durch den Rückruf wird ebenfalls keine sekundäre Darlegungslast der Beklagten ausgelöst. Denn zum einen können amtliche Rückrufe auch darauf beruhen, dass sich die Rechtsauffassung der Typengenehmigungsbehörde nachträglich geändert hat (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22. September 2021 – 6 U 25/21 –, juris Rn. 124). Zum anderen kann ein solcher Rückruf allenfalls das objektive Vorliegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung belegen; inwiefern er darüber hinaus bewusste Falschangaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren indizieren bzw. eine diesbezügliche sekundäre Darlegungslast der Beklagten auslösen soll, erschließt sich hingegen nicht.
57
Angesichts der unsicheren Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters hat die insoweit ebenfalls darlegungs- und beweispflichtige Klagepartei auch nicht dargetan, dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines Gesetzesverstoßes bzw. zumindest dessen billigende Inkaufnahme vorhanden war. Der Kläger hat lediglich pauschal bestritten, dass die Beklagte der Überzeugung gewesen sei, sich gesetzeskonform zu verhalten. Solange in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (OLG Koblenz, Urteil vom 8. Februar 2021 – 12 U 471/20 –, juris Rn. 52; OLG Frankfurt a.M., Urteil vo 29.04.2024 – 23 U 141/21). Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZR 424/21 –, juris Rn. 30).
58
Eine solche fahrlässige Verkennung der Rechtslage kommt vorliegend in Betracht, denn die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2a VO (EG 715/2007) war nicht eindeutig. Zu diesem Ergebnis gelangt nicht nur die Rechtsprechung (so etwa BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZR 424/21 –, juris Rn. 30; OLG Koblenz, Urteil vom 8. Februar 2021 – 12 U 471/20 –, juris Rn 54 ff.; OLG Oldenburg, Urteil vom 9. April 2021 – 11 U 56/20 –, BeckRS 2021, 29944 Rn. 79 ff.), sondern auch die vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzte Untersuchungskommission „Volkswagen“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, dort S. 123: Die motorenschutzorientierte Lesart der Hersteller sei möglicherweise nicht verordnungswidrig). Zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens für das hier in Rede stehende Fahrzeug und auch zum Zeitpunkt dessen Inverkehrbringens war danach die Auslegung, dass ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Koblenz, Urteil vom 8. Februar 2021 – 12 U 471/20 –, juris Rn. 58; OLG Oldenburg, Urteil vom 9. April 2021 – 11 U 56/20 –, BeckRS 2021, 29944 Rn. 82).
59
Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber der Typengenehmigungsbehörde würden keine Anhaltspunkte dafür folgen, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 1. März 2021 – 8 U 4122/20 –, juris Rn. 63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 5 U 4765/19 –, BeckRS 2020, 17693 Rn. 17). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung der Typengenehmigungsbehörde und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. zu diesen Anforderungen BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZR 424/21 –, juris Rn. 28), sind vorliegend nicht erkennbar. Hinzukommt, dass das RDW und das KBA bis zum Dezember 2021 trotz Antrag auf Freigabe eines freiwilligen Softwareupdates bereits im Jahre 2017 von der Zulässigkeit der Motorsteuerung ausgegangen sind (OLG Bamberg, Endurteil vom 06.03.2024 – 3 U 31/23). Daneben ist auch zu berücksichtigen, dass die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der geltend gemachte Schadenseintritt zeitlich auseinanderfallen und die Beklagte in der Zwischenzeit nach außen erkennbar ihr Verhalten geändert hat (OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 09.11.2023 – 28 U 117/23). So hat sie bereits im Jahr 2017 ein Softwareupdate dem KBA vorgestellt, welches vom KBA 2019 überprüft wurde. Die Ergebnisse dieser Überprüfung stellte das KBA im Januar 2020 der Öffentlichkeit vor. Dass das Update erst zu einem späteren Zeitpunkt genehmigt wurde, ist hierfür ohne Belang.
60
Dass ein besonders verwerfliches Verhalten im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters ausscheidet, gilt entsprechend letztlich auch für Abschalteinrichtungen, die an sonstige äußere Parameter anknüpfen. Die bloße Behauptung, dass die Beklagte das KBA getäuscht habe, ist substanzlos und daher unbeachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 179/21 –, Rn. 16, juris).
61
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht deshalb der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27 bei juris; Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 13 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 25. November 2021 – III ZR 202/20, Rn. 14 bei juris).
62
Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten ist damit insgesamt nicht nachzuweisen.
63
d) Darüber hinaus fehlt es auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. Schädigungsvorsatz setzt voraus, dass der Handelnde die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (st. Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, juris Rn. 32; BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, juris Rn. 25).
64
Allein aus der hier – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht ausreichend dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen.
65
2. Sonstige Anspruchsgrundlagen für die begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages sind nicht ersichtlich. Insbesondere besteht keine vertragliche Beziehung zwischen den Parteien.
66
3. Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu, den er hilfsweise beantragt hat.
67
Zwar sind nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 vom 21. März 2023 die Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1 und 46 der Richtlinie 2007/46 sowie die Bestimmungen der VO (EG) 715/2007 als drittschützende Normen zu qualifizieren. Entsprechende Verstöße gegen diese Normen können grundsätzlich auch nach den nunmehr am 26. Juni 2023 ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den Verfahren Via ZR 335/21, VIa ZR 533/21 sowie VIa ZR 1031/22 auch im Fall bloßer Fahrlässigkeit Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 GB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in einem Bereich von 5 bis 15 Prozent des für das Kraftfahrzeug aufgewendeten Kaufpreises rechtfertigen.
68
Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 40, beck-online). § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 schützen zwar das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Nicht umfasst ist hiervon jedoch das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden. Das Unionsrecht verlangt nicht, dass der Käufer so zu stellen ist, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
69
Dem Käufer eines Fahrzeuges, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen ist, steht damit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zwar kein Anspruch auf Rückabwicklung des mit dem Verkäufer geschlossenen Vertrags zu (vgl. BGH, Urteil v. 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 19 ff., juris), aber auf Ersatz des sog. Differenzschadens.
70
Ob die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt hat, weil das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet ist, kann auch hier dahinstehen.
71
Denn vorliegend fehlt es an einem für eine Haftung nach den o.g. Vorschriften erforderlichen Verschulden der Beklagten selbst in der Form einfacher Fahrlässigkeit. Daneben ist ein etwaiger Schaden jedenfalls durch die Freigabe des Software-Updates aufgezehrt.
72
a) Eine Schadensersatzhaftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EGFGV setzt ein Verschulden des in Anspruch genommenen Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 36 f.). Insoweit genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung (BGH, a.a.O. Rn. 38).
73
Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ist § 276 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 16. Januar 1968 – VI ZR 134/66, juris Rn. 15). Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Irrtum des Schuldners über die Rechtmäßigkeit seines Tuns schließt Fahrlässigkeit nur aus, wenn er unvermeidbar war. An die Unvermeidbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Urteil vom 27. September 1989 – IVa ZR 156/88, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1969 – VIII ZR 10/68, juris Rn).
74
Der Fahrzeughersteller muss, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 59).
75
Dabei kommt es nicht auf das Vorstellungsbild des Herstellers bei der Entwicklung der Emissionsstrategien oder bei Beantragung der Typgenehmigung an, sondern stattdessen ist maßgeblich der Zeitpunkt, zu dem das streitgegenständliche Fahrzeug erworben wurde, da erst dann durch das – vermeintlich – schädigende Ereignis das gesetzliche Schuldverhältnis gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV entstanden ist (BGH, a.a.O., juris Rn. 61).
76
Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen braucht (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 63).
77
Dabei kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung tatsächlich nicht eingeholt hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 65).
78
b) Nach diesen Maßstäben ist ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten – auch in Form bloßer Fahrlässigkeit i.S. von § 276 BGB – zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger zu verneinen. Denn die Beklagte hat nach Maßgabe des § 286 ZPO hinreichend dargelegt und bewiesen, dass sie hinsichtlich der Einordnung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung einem Verbotsirrtum unterlag.
79
Für die einfache Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 BGB gilt kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektivierter Sorgfaltsmaßstab. Dabei kommt es darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden kann (vgl. nur BeckOK BGB/Lorenz, 01.05.2023, BGB § 276, Rn. 21 m.w.N.).
80
Entscheidend für das Vorliegen eines Verbotsirrtums bei der Beklagten ist Folgendes:
81
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine wirksame EG-Typgenehmigung. Dass die Beklagte die temperaturbasierte Abgassteuerung in dem behördlicherseits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs verlangten Umfang zur Typgenehmigung angemeldet hat und mit einer Bewertung der konkreten Konfiguration als rechtswidrige auf der Basis der zum Zeitpunkt des beanstandeten Handelns vorherrschenden Bewertung nicht rechnen musste, sondern sich darauf verlassen durfte, dass eine solche Konfiguration, die zudem damals wie heute „Stand der Technik“ war, entsprach dem Ergebnis sorgfältiger Prüfung.
82
Auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt brauchte die Beklagte insoweit mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen. Die Beklagte durfte vielmehr – insbesondere auch, weil zum Zeitpunkt der Herstellung des Fahrzeugs der Einsatz eines Thermofensters zur Standardausstattung eines Dieselmotors gehörte – auch im Kaufzeitpunkt noch davon ausgehen, dass die Verwendung eines Thermofensters zulässig war. Vor diesem Hintergrund unterlag die Beklagte bezüglich des vorgetragenen „Thermofensters“ der Fehlvorstellung, dass dessen Verwendung zulässig ist.
83
Die eingangs in Bezug genommene Rechtsprechung des EuGH war im Kaufzeitpunkt noch nicht ergangen, so dass die Beklagte zu dem Zeitpunkt, als der Kläger das Fahrzeug erwarb, auch nicht mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte rechnen musste (vgl. ebenso OLG Nürnberg (17. Zivilsenat), Beschluss vom 24.08.2023 – 17 U 4052/21, BeckRS 2023, 22853; OLG Nürnberg (17. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 07.12.2023 – 17 U 2429/21, BeckRS 2023, 36048).
84
Die Beklagte hat hierzu konkret dargelegt, dass sie hierfür ein Compliance-Gremium gebildet hat und letztlich die Rechtsmeinung vertrat, dass das fragliche Thermofenster zulässig ist. Es sei auch besprochen worden, wie die Emissionskontrollsysteme im Lichte der maßgeblichen Grenzwerte und der sachlichen und technischen Erwägungen bedatet werden müssten. Diese gewonnene Rechtsauffassung des Compliance-Gremiums sei dem Vorstand der Beklagten berichtet und sodann von diesem mitgetragen worden. Dieser Vortrag ist unstreitig – der Kläger hat lediglich den Aufbau und die Kommunikationsstruktur des Gremiums mit Nichtwissen bestritten. Die Behauptung, dass die Bedatung tatsächlich nicht entsprechend der gebildeten Rechtsmeinung des Gremiums erfolgt sei, wurde ohne konkrete Anhaltspunkte ins Blaue hinein erhoben.
85
c) Der von der Beklagten unter Hinweis auf die Rechtsauffassung und Genehmigungspraxis der zuständigen Behörde dargelegte Verbotsirrtum war auch unvermeidbar. Die Beklagte hat als Fahrzeugherstellerin zu ihrer Entlastung dargelegt und nachgewiesen, dass ihre Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023, a.a.O., Rn. 65; BGH, Urteil vom 27.06.2017 – VI ZR 424/16, Rn. 16, 17, juris; BGH, Urteil vom 10.07.2018 – VI ZR 263/17, Rn. 31 ff, juris, beide zur Vorschrift des § 54 KWG). Auch hat zum Zeitpunkt des Kaufes des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung keine im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats geboten (BGH, Urt. v. 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 69).
86
Hierbei ist zunächst auszuführen, dass das freiwillige Software-Update im Jahr 2021 vom KBA genehmigt wurde. Bereits im Jahr 2020 wurde es durch das KBA der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei steht unstreitig fest, dass das Kraftfahrt-Bundesamt noch im Januar 2020 das Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung des streitgegenständlichen Motortyps mit identischem Emissionskontrollsystem einer detaillierten Überprüfung durch das RDW als zuständige Typgenehmigungsbehörde unterzog.
87
Bereits aus der unstreitigen Veröffentlichung des Kraftfahrt-Bundesamts im Januar 2020 (Bericht zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“, Auszug Anlage B5) ergibt sich die entsprechende fortgeltende Rechtsauffassung des KBA. Darin qualifizierte das Kraftfahrt-Bundesamt das von der Beklagten bereits im Jahr 2017 entwickelte und zur Freigabe vorgestellte Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung für Motoren der Baureihen B13 und B16 (wie im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut) mit NO x – Speicherkatalysator (LNT) nicht als rechtlich gebotene, sondern als freiwillige Servicemaßnahme, da „keine unzulässige Abschaltvorrichtung gemäß Verordnung (EG) 715/2007 […] in der Softwarestruktur des auf dem Markt befindlichen Datenstandes zum Zeitpunkt der Erteilung der Freigabe festgestellt“ wurde. Auch dies ist unstreitig.
88
Das Gericht geht daher davon aus, dass die Genehmigung zum damaligen Zeitpunkt auch hypothetisch erteilt worden wäre. Auf das pauschale Bestreiten des Klägers hinsichtlich der Angaben gegenüber dem RDW und dessen Feststellungen sowie der Feststellungen des TÜV ... kommt es daher nicht an. Soweit der Kläger bestritten hat, dass die Beklagte dem RDW lückenlos und zutreffend die Bedatung und die Wirkweise des Emissionskontrollsystems dargestellt habe, so dass das RDW dazu kam, dass die eingesetzten Abschalteinrichtungen für den Motorschutz notwendig waren, erfolgte dieser Vortrag zudem ebenfalls ins Blaue hinein. Konkrete Anhaltspunkte hierfür hat der Kläger weder behauptet, noch sind solche anderweitig ersichtlich. Für eine – wie vom Kläger beantragte Anweisung der Beklagten, die Korrespondenz mit dem RDW offenzulegen, bestand daher kein Anlass.
89
d) Darüber hinaus schließt die Verhaltensänderung der Beklagten ein Unwerturteil insoweit ebenfalls aus. Die zunächst auf die Sittenwidrigkeit angewandte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstreckt sich auch eine mögliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB (BGH (Via. Zivilsenat), Urteil vom 10.07.2023 – VIa ZR 1119/22, BeckRS 2023, 18668).
90
Wie der Senat mit Urteil vom 26. Juni 2023 (BGH VIa ZR 335/21, juris Rn. 61) ausgeführt hat, kann der Vorwurf einer deliktischen Schädigung ohne Rücksicht auf die einen deliktischen Schadensersatzanspruch rechtfertigende Anspruchsgrundlage durch eine Verhaltensänderung insgesamt ausgeräumt werden. Für die Frage nach einer die Sittenwidrigkeit ausschließenden Verhaltensänderung des Schädigers kommt es demgegenüber nicht darauf an, ob ein Hersteller sichergestellt hat, dass die Informationen über den Rückruf des KBA und das Erfordernis eines Software-Updates zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhindert haben (vgl. BGH NJW 2021, 1814 Rn. 22; 18.5.2021 – VI ZE 486/20, BeckRS 2021, 21700 Rn. 14; 12.1.2022 – VII ZR 391/21, BeckRS 2022, 6626 Rn. 30; 12.1.2022 – VII ZR 222/21, BeckRS 2022, 6824 Rn. 26). Dass die Beklagte möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus (BGH 12.1.2022 – VII ZR 222/21, BeckRS 2022, 6824; BGH Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 533/21). Dies gilt auch hinsichtlich eines Fahrlässigkeitsvorwurfes.
91
Durch die Beantragung der Freigabe des Softwareupdates hat die Beklagte insoweit ihr Verhalten, selbst bei einer unterstellten unzulässigen Abschalteinrichtung, jedenfalls geändert, bevor der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hat. Dass das Update erst später freigegeben wurde, ist hierfür ohne Belang.
92
e) Selbst wenn man das Bestreiten des Klägers als ausreichend substantiiert ansehen wollte, kommt es auf ein Verschulden der Beklagten letztlich nicht an. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV den Ersatz des sog. „Differenzschadens“ schuldet, denn ein solcher Anspruch wäre vorliegend jedenfalls durch das Software-Update vollständig aufgezehrt.
93
Hierfür spielt es keine Rolle, ob der Kläger das Update tatsächlich hat installieren lassen oder er sich dagegen verwehrt hat. Selbst im letztgenannten Fall müsste eine entsprechende Anrechnung nach § 254 BGB wegen Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht erfolgen, so dass dies offen bleiben konnte (OLG Frankfurt a.M. (24. Zivilsenat), Urteil vom 07.06.2024 – 24 U 150/23).
94
Beruft sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, kann damit eine Schadensminderung indessen nur verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert. Das wiederum kann nach der Rechtsprechung nur dann der Fall sein, wenn es nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung beinhaltet. Die Vorteilausgleichung kann der Gewährung auch eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21). Dies ist vorliegend der Fall.
95
Der Kläger hat zwar pauschal die Wirksamkeit des Updates bestritten, die Abschalteinrichtungen zu beseitigen, und beantragt, die Beklagte zur Herausgabe des Antrages auf Freigabe des Software-Updates anzuweisen. Es sei zu bedenken, dass behördliche Maßnahmen bis hin zur Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätten und es sei unklar, ob mit dem Update die Abschalteinrichtungen entfernt werden könnten. Davon abgesehen, dass der Vortrag lediglich pauschal erfolgte, legte die Beklagte daraufhin mehrere Unterlagen vor. Sie trug dezidiert vor, dass das KBA mit Bescheid vom 20.04.2021 mitgeteilt habe, dass die Emissionsstrategien geprüft und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien (Anlage B4). Die Änderung der Applikation habe keinen Einfluss auf Schadstoffemissionen, die Dauerhaltbarkeit von emissionsmindernden Einrichtungen, Kraftstoffverbrauchswerte und CO2-Emissionen, Motorleistung und maximales Drehmoment oder Geräuschemissionen. Auch den Bericht des KBA „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“ vom 10.01.2020 legte die Beklagte auszugsweise vor.
96
Dem Schreiben des KBA vom 08.03.2024 (Anlage B7), obgleich dies augenscheinlich ein anderes Fahrzeug mit SCR-Katalysator betrifft, ist zudem zu entnehmen:
„Zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen, auch bereits im Verkehr befindlichen, Fahrzeuge sind die unzulässigen Abschalteinrichtungen, entsprechend Artikel 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 in Übereinstimmung mit Artikel 5 Abs. 2 S. 1 dieser Verordnung, zu entfernen. Der Fahrzeughersteller hat geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge zu ergreifen. Die von dem betroffenen Fahrzeughersteller in diesem Zusammenhang durchzuführenden Rückrufe werden durch das KBA nur frei gegeben, wenn sie geeignet sind die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge in jeder Hinsicht herzustellen.“
97
Die Beklagte hat substantiiert ausgeführt, dass das Software-Update seinerseits keine unzulässigen Abschalteinrichtungen erhält und die Gefahr einer etwaigen Betriebsbeschränkung durch die Freigabe des Updates ausräumte. Ein etwaiger Schaden sei hierdurch jedenfalls kompensiert. Der Kläger ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Für die Behauptung bzw. Vermutung („es sei unklar“), ob das Update die Abschalteinrichtungen beseitigen könne, besteht nach der Freigabe durch das KBA keinerlei konkreter Anhaltspunkt. Weiterer Vortrag hierzu erfolgte von der Klageseite nicht, so dass der Vortrag der Beklagten als zugestanden anzusehen ist. Weitere Betriebseinschränkungen, die zu befürchten waren, sind nicht ersichtlich.
98
Der sich durch das Update ergebende Vorteil für den Kläger ist schadensmindernd anzusetzen und betragsmäßig zu schätzen. Nach der Rechtsprechung sind gleichartige Vorteile, ohne dass dies einredeweise geltend gemacht werden müsste, von Amts wegen auf den Schadensersatz anzurechnen und führen zu einer entsprechenden Verringerung eines in Geld zu leistenden Schadensersatzes (BGH Urteil vom 25.07.2022 – VIa ZR 485/21).
99
Ein Schaden des Klägers mag selbst bei unterstellter unzulässiger Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nach Auffassung des Gerichts allenfalls bei 5 %, mithin 745 €, liegen. Jedenfalls liegt ein etwaiger Schaden nicht über 10 % des ursprünglichen Kaufpreises. Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich allenfalls um einen fahrlässigen Verstoß handelte und zum Zeitpunkt des Erwerbs bereits die Freigabe des Updates geprüft wurde. Dieser Schaden, selbst bei Annahme von 10 %, ist durch die nachträgliche Zurverfügungsstellung des Updates – zunächst freiwillig und letztlich verbindlich, wenn auch noch nicht rechtskräftig – aufgezehrt. Auf eine Anrechnung des Nutzungsvorteils und des Restwertes kommt es dagegen nicht an, da diese nur insoweit anzurechnen sind, als sie den um den Differenzschaden geminderten Kaufpreis übersteigen.
100
Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht daher insoweit nicht.
101
III. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu.
102
Eine Haftung scheidet bereits deswegen aus, weil es an der gebotenen Darlegung der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch die entsprechenden Personen fehlt (vgl. OLG Braunschweig ZIP 2019, 815). Es fehlt bereits an substantiiertem Vortrag dazu, über welche objektiven Umstände seitens der Beklagten getäuscht worden sein soll. Soweit die Klagepartei hierfür auf die behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen abstellt, gelten die vorstehenden Ausführungen im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB entsprechend.
103
Darüber hinaus fehlt es an der für einen Betrugsvorwurf erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteil und einem etwaigen Vermögensschaden. Ein Vermögensschaden kann im Gegensatz der von der Klagepartei vertretenen Ansicht nur in dem Wert liegen, um den der Kläger das Fahrzeug zu teuer erworben hat, nicht aber in der Eingehung einer sonst nicht geschlossenen Verbindlichkeit. Bei einem durch behauptetes betrügerisches Verhalten bewirkten Vertragsabschluss werden die Vermögenslagen mit und ohne den Vertragsschluss verglichen. Die Vermögenseinbuße ist in der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert des Fahrzeuges zu sehen.
104
Es besteht aber keine Stoffgleichheit dieser Vermögenseinbuße mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte. Eine Absicht der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten, dem Gebrauchtwagenverkäufer einen mit dem Schaden des Klägers stoffgleichen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist weder hinreichend dargelegt noch nachweisbar. Selbst wenn das ursprüngliche Ziel der Beklagten eine kostengünstigere Vermarktung durch billigere Produktion der Fahrzeuge mittels Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen gewesen sein mag, ließe sich dies mit dem Verkauf von Neuwagen erreichen. Ein späterer Verkauf von Gebrauchtwagen ist hierfür kein notwendiges Zwischenziel. Auch geht damit nicht die Absicht einher, dass mit dem erneuten Verkauf desselben Fahrzeuges den jeweiligen Gebrauchtwagenverkäufer um einen etwaigen den eigentlichen Wert des Fahrzeugs übersteigenden Anteil am Kaufpreis zu bereichern (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798). Erst recht kann den verfassungsmäßigen Vertretern der Beklagten eine solche Absicht nicht schon im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs und einer damit möglicherweise einhergehenden betrügerischen Tathandlung unterstellt werden.
105
IV. Auch scheidet eine Haftung nach § 831 BGB aus.
106
Hierfür müsste ein Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung rechtswidrig erfüllt haben. Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zu den § 826 BGB und §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB entsprechend (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 21.06.2011 – 12 U 26/11, juris Rn. 101 f.).
107
Eine Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Vorschriften der EG-VO Nr. 715/2007 kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Vorschriften der EG-VO Nr. 715/2007 kein Schutzgesetz darstellen.
108
V. Ferner besteht auch kein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass die Beklagte in das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut habe. Die Klage ist insoweit auch unbegründet (BGH, Urteil vom 13.03.2001 – VI ZR 290/00), so dass sie abzuweisen war.
109
Ein auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteter Feststellungsantrag kann bereits nur dann Erfolg haben, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGHZ 216, 149 = NJW 2018, 1242 Rn. 49). Dabei kann die Möglichkeit ersatzpflichtiger künftiger Schäden ohne Weiteres zu bejahen sein, wenn ein deliktsrechtlich geschütztes absolutes Rechtsgut verletzt wurde und bereits ein Schaden eingetreten ist (BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 397/19). Ein letztlich verbleibender Schaden des Klägers besteht jedoch nicht. Welche weiteren Schäden aus dem Fahrzeugerwerb der insoweit darlegungsbelastete (vgl. BGH NJW-RR 2015, 626 Rn. 12, 14) Kläger befürchtet, ob solche Schäden möglich sind und ob auch insoweit die materiellen Haftungsvoraussetzungen des § 826 BGB (oder einer anderen Anspruchsgrundlage) erfüllt wären, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Auch hierauf hat die Beklagte hingewiesen.
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VI. Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkws.
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Da kein Anspruch auf Rückabwicklung besteht, muss die Beklagte das Fahrzeug auch nicht zurücknehmen, zumal es zwischenzeitlich verkauft wurde. Die §§ 293 ff. BGB sind mangels Obliegenheitsverstoß daher nicht anwendbar.
112
Davon abgesehen ist der für die Entscheidung maßgebliche Zeitpunkt derjenige des Schlusses der mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger jedoch sein Angebot zur Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an unberechtigte Bedingungen geknüpft, nämlich an eine Erstattung des vollen Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Damit befindet sich die Beklagte ohnehin nicht mehr im Annahmeverzug (vgl. Senat NJW 2020, 1962, Rn. 85 m.w.N.; BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 397/19).
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VII. Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Freistellung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Mangels Anspruchsgrundlage kam auch insoweit ein Schadensersatz nicht in Betracht. Ein über den „aufgezehrten“ Differenzschaden hinausgehender Ersatz von weiteren Vermögensschäden, insbesondere von vorgerichtlichen Anwaltskosten, kann auf Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verlangt werden (BGH Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 37/21). Eine vertragliche Beziehung besteht zwischen den Parteien nicht.
115
VIII. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung war gemäß § 148 Abs. 1 ZPO abzulehnen, weil er bereits prozessual überholt war.
116
Der Kläger begehrte insoweit, das Verfahren nach § 148 ZPO analog bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 auszusetzen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist insoweit bereits im Jahr 2023 ergangen.
C.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
118
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 2 ZPO.
D.
119
Der Streitwert war nach der Hauptforderung der Klage zuzüglich dem Wert des hilfsweise gestellten Antrages, da über diesen ebenfalls entschieden wurde. Sowohl der Antrag auf Zug-um-Zug-Leistung als auch die begehrten Feststellungen blieben insoweit ohne Auswirkung (BGH, Beschluss vom 13.10.2020 – VIII ZR 290/19, NJW-RR 2020, 1517).