Titel:
Abgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser in ein oberirdisches Gewässer
Normenkette:
WHG § 1 Abs. 1
Leitsätze:
1. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AbwAG ist für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer eine Abwasserabgabe zu entrichten. Abwasser im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 2 Abs. 2 S. 1 AbwAG auch das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende gesammelte Wasser (Niederschlagswasser). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da der Zweck der Kanalisation darin liegt, Abwasser in ein oberirdisches Gewässer bzw. den Untergrund einzuleiten (vgl. § 2 Abs. 2 AbwAG) muss der Begriff "Kanalisation" alle Leitungen und Vorbehandlungsanlagen umfassen, die letztlich dem Ziel dienen, das gesammelte Abwasser nach Reinigung und Schadstoffminimierung einem oberirdischen Gewässer zuzuführen. Hieraus folgt, dass "eine Kanalisation" ein künstliches, sachlich zusammenhängendes Bauwerk darstellt, welches selbst noch nicht den Gewässerbegriff des § 1 Abs. 1 WHG unterfällt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Abgabefreiheit bei Mischkanalisationen setzt voraus, dass die jeweiligen Anforderungen aus den die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Erlaubnisbescheiden erfüllt werden. Das Vorliegen eines die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Erlaubnisbescheides ist somit tatbestandliche Voraussetzung für die Abgabenfreiheit. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Aufteilung einer Kanalisation in abgabefreie und abgabepflichtige Teilbereiche kommt lediglich nur dann in Betracht, wenn einerseits die Abwasserbehandlung den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 S. 1 und 2 BayAbwAG entspricht und andererseits selbstständige Teilbereiche der Kanalisation vorliegen, die mit den notwendigen Regenbecken oder Regenrückhalteeinrichtungen ausgestattet sind. Hierbei müssen die Voraussetzungen im Teilbereich für den gesamten Mischwasserentsorgungspfad erfüllt sein. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abwasserabgabe, Abgabefreiheit, Niederschlagswasser, Begriff der Kanalisation, Kanalisation, Gewässer, Mischwasser, Einleitung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.02.2025 – 8 ZB 24.1899
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28628
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung einer Abgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser in ein oberirdisches Gewässer.
2
Die Klägerin betreibt eine kommunale Kläranlage in A.. Über mehrere Kanalstränge wird sowohl Regenwasser, als auch verschmutztes Abwasser aus den Gebieten Stadt A., Gemeinde B. und Gemeinde C. zur Kläranlage befördert, dort gereinigt und anschließend in die D., ein Gewässer 2. Ordnung, eingeleitet.
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Am 23. Juli 2018 reichte die Klägerin beim Landratsamt ... Abgabeerklärungen für das Einleiten von verschmutztem Niederschlagswasser für die Jahre 2014 und 2015 ein.
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Mit Abgabenbescheid vom 30. November 2020 (Az. ... ) setzte das Landratsamt ... für das Jahr 2014 die Abgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser in Höhe von 87.823,46 EUR und für das Jahr 2015 in Höhe von 85.142,88 EUR fest.
5
Gemäß § 1 Abwasserabgabengesetz (AbwAG) sei für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer eine Abgabe zu entrichten. Die Stadt A. leite Niederschlagswasser ein. Somit sei sie gemäß § 9 Abs. 1 AbwAG abgabepflichtig. Unter Beachtung von Art. 6 Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetztes (BayAbwAG) gäbe es die Möglichkeit von der Abgabe befreit zu werden. Die Abgabe sei gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 und § 9 Abs. 4 AbwAG berechnet worden. Die Festsetzung der Niederschlagswasserabgabe sei teilweise durch Schätzung erfolgt, da die Frist zur Einreichung der Erklärung für das Abgabejahr 2014 mit Ablauf des 31. Dezember 2017 geendet habe. Für die Einleitung von behandeltem Abwasser aus der Kläranlage A. in die D. liege ein wasserrechtlicher Erlaubnisbescheid bis 31. Dezember 2018 vor. Es sei festgestellt worden, dass nicht alle Mischwasserentlastungsanlagen im hydraulisch zusammenhängenden System eine wasserrechtliche Zulassung hätten und demnach sei die Niederschlagswasserabgabe Mischsystem zu berechnen und festzusetzen. Darüber hinaus würden die einzelnen Kanalstränge hydraulisch zusammenhängende Einheiten darstellen, die abgaberechtlich relevant seien. Dies betreffe die Ortsteile E., F., G., H., I., J., K., L. und B. mit M. (Kanalstrang 1), die Ortsteile N., O., P., Q., R., S. und C. (Kanalstrang 2), sowie die Ortsteile T., U. und V. (Kanalstrang 3). Für das über Regenwasserkanäle (Trennsystem) eingeleitete Niederschlagswasser in den Ortsteilen W. und N.-... str., ... str. und ... str. sei gem. Art. 6 Abs. 1 BayAbwAG eine Abgabe zu bezahlen, da keine wasserrechtliche Erlaubnis vorliege und auch bislang kein Neuantrag bei der Kreisverwaltungsbehörde eingegangen sei.
6
Am 23. Juli 2020 reichte die Klägerin beim Landratsamt ... Abgabeerklärungen für das Einleiten von verschmutztem Niederschlagswasser für das Jahr 2016 ein.
7
Am 22. Dezember 2020 ließ die Klägerin Klage (Au 9 K 20.2798) gegen den Bescheid vom 30. November 2020 erheben. Mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 erklärte die Klägerin die Rücknahme der Klage, soweit für beide Jahre jeweils eine Gebühr für die Niederschlagswassereinleitung aus dem Kanalstrang 3 zu jeweils 6.334,83 EUR, also insgesamt 12.669,66 EUR festgesetzt worden sei. Beantragt wurde sodann:
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Der Niederschlagswasserabgabenbescheid vom 30.11.2020 wird aufgehoben, als dieser eine Niederschlagswasserabgabe über insgesamt 12.669,66 EUR hinausgehend festsetzt.
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Eine Begründung erfolgte zunächst nicht.
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Mit Beschluss vom 24. August 2022 wurde das Verfahren nach übereinstimmendem Antrag der Beteiligten ruhend gestellt.
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Auf Antrag der Klägerin wurde das Verfahren am 20. November 2023 wiederaufgegriffen und unter dem Aktenzeichen Au 9 K 23.1917 fortgeführt.
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Mit Schriftsatz vom 17. November 2023 wurde zur Begründung der Klage ausgeführt, dass für die Gemeinden B. und C. keine wasserrechtlichen Einleitungsbescheide vorliegen würden bzw. diese abgelaufen seien. Tatsächlich würden jedoch von sämtlichen Gasteinleitern wie auch von der Anlage der Klägerin die in Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG gesetzten Voraussetzungen erfüllt. Die Berechnung der Abgaben sei fehlerhaft. Die im Einzugsgebiet der klägerischen Kläranlage betriebenen Mischwasserentlastungsanlagen seien dem Landratsamt hinsichtlich ihres Betriebs, Aufbaus und der Schmutzfracht ausweislich der Bescheide vom 22. August 2013 und 10. Oktober 2014 bekannt gewesen. Unter jeweils der Nummer 1.3.1 der Bescheide werde die Schmutzfrachtberechnung explizit genannt und dabei auf den Prüfvermerk des Wasserwirtschaftsamts ... vom 22. August 2013 verwiesen. Unter Nr. 3.2 der Bescheide werde erklärt, dass die beantragten Einleitungen den Anforderungen nach §§ 57 und 69 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) entsprächen. In der Schmutzfrachtberechnung für das Gesamteinzugsgebiet der Kläranlage der Klägerin seien 40 Ausleitungsstellen enthalten, davon 29 der Klägerin, 7 der Gemeinde C. und 4 der Gemeinde B.. Hierzu seien in den Antragsunterlagen des Ingenieurbüros ... vom 31. Oktober 2011 eine Übersichtskarte, ein Erläuterungsbericht sowie Zusammenstellungen aller Einzugsgebiete bzw. Außengebiete und die Kennwerte aller 40 Mischwasserbehandlungsanlagen bezeichnet. Alle Seiten des Antrags seien mit dem Vermerk „Geprüft“ des amtlichen Sachverständigen und dem Stempel „wasserrechtlich genehmigt mit Bescheid des Landratsamts ... vom 22. August 2013“ versehen. Somit sei davon auszugehen, dass sämtliche Entlastungsanlagen im Gesamtsystem mit der Schmutzfrachtberechnung vom 31. Oktober 2011 von der Klägerin beantragt, vom amtlichen Sachverständigen gesehen, geprüft und nicht zuletzt vom Beklagten wasserrechtlich genehmigt worden sei. Der Beklagte habe positive Kenntnis davon, dass sämtliche Einleitungen entsprechend den gesetzlichen/technischen Anforderungen betrieben würden. Mit der Erfüllung der Anforderungen sei bewiesen, dass die Voraussetzungen in Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayAbwAG erfüllt seien. Die Vorschrift fordere nicht die Vorlage eines „zulassenden Bescheids“, sondern vielmehr den Nachweis der Einhaltung der für die Erlangung eines solchen Bescheids einzuhaltenden Anforderungen und somit eine technische/hydraulische Gesetzeskonformität. Könne der Beklagte aus eigener positiver Kenntnis feststellen, dass die Anlagen sämtliche Anforderungen an eine wasserrechtliche Zulassungsfähigkeit erfüllen, seien damit auch die Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayAbwAG erfüllt. Der Bescheid erweise sich unabhängig davon auch als rechtswidrig, weil auf Grundlage des offensichtlich missverständlichen Begriffs der „hydraulischen Einheit“ die Kanalstränge 1 und 2 jeweils im Ganzen als abgabepflichtig qualifiziert worden seien, obwohl jeweils nur ein Einleiter in den betroffenen Jahren nicht über einen formellen wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid verfügt habe. Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG kenne den Begriff der „hydraulischen Einheit“ nicht. Vielmehr liege der Vorschrift der Begriff der „Kanalisation“ zu Grunde. Erst mit der Verwaltungsvorschrift zum Abwasserabgabengesetz und zum Bayerischen Gesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes (VwVBayAbwAG) sei der Begriff eingeführt worden. Erst mit Änderung dieser Vorschrift vom 14. März 2016 und somit nach Ablauf der hier relevanten Beurteilungszeiträume, sei in Anlage 6 zur VwVBayAbwAG eine nähere Erläuterung der „hydraulischen Einheit“ erfolgt. Die VwVBayAbwAG sei nicht geeignet, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayAbwAG als formelles Gesetz zu verschärfen. Der Begriff der „einen Kanalisation“ sei auf eine, zum Gegenstand einer die Einleitung zulassenden Genehmigung geeigneten Entwässerungsanlage bezogen. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG könnten sich nur an eine einheitliche kommunale Entwässerungseinrichtung und nicht auf eine Reihe verschiedener kommunaler Anlagen an den Kanalsträngen der Klägerin richten. Mit Ziffer 2.2.1 der VwVBayAbwAG werde jedoch die Gesamtheit der örtlichen Kanalisationen der Abwassergäste einschließlich der Kanalstränge und der letztlich in die Vorflut einleitende Anlage der Klägerin erweitert. Hierdurch werde der gesetzgeberischen Intention, nur die Einleitung aus derjenigen Kanalisation nicht abgabefrei zu stellen, die nicht über eine entsprechende gültige bescheidliche Zulassung verfüge, nicht entsprochen. Dadurch würden die Klägerin und sämtliche einleitende Gemeinden abgabepflichtig gestellt werden, obwohl deren Kanalisationen die Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG erfüllen und über gültige Bescheide verfügen würden. Der damit als „Sippenhaft“ bezeichenbare eintretende Effekt überschreite die Grenzen der Angemessenheit und Erforderlichkeit der mit Art. 6 BayAbwAG angestrebten Steuerungswirkung.
13
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2023 ist der Beklagte der Klage entgegengetreten und beantragt,
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Die Klägerin sei abgabepflichtig und die Voraussetzungen einer Befreiung lägen nicht vor. Die Entwässerung im Gebiet der Stadt A. erfolge sowohl im Trenn- als auch im Mischsystem. Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG sei für die Befreiung im Mischsystem maßgeblich. Voraussetzung sei ein die Einleitung zulassender Bescheid. Nur aus diesem sei ersichtlich, welche Anforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit die Einleitung abgabefrei bleibe. Es entspreche auch dem Sinn und Zweck der Abgabefreiheit, diese nur zu gewähren, wenn gewährleistet sei, dass die Einleitung des Niederschlagswassers keine qualitative Gewässerbelastung zur Folge habe. Ein solcher Erlaubnisbescheid habe weder für die Gemeinde B. noch für die Gemeinde C. vorgelegen. Die Befreiungsvoraussetzungen müssten für eine Kanalisation vorliegen. Nach Nr. 2.2.1 VwVBayAbwAG sei eine Kanalisation gegeben, wenn diese eine hydraulische Einheit bilde. Fehle innerhalb der hydraulischen Einheit eine wasserrechtliche Erlaubnis, so sei die gesamte Einheit abgabepflichtig. Bei der VwVBayAbwAG handele es sich um eine Verwaltungsvorschrift, die für die Verwaltung verbindlich sei und auch bei der Gesetzesanwendung Beachtung finde. In den Veranlagungsjahren 2014 und 2015 wären im Mischsystem in der hydraulischen Einheit 1 für die Einleitung aus dem Regenüberlauf (RÜ) M., dem Regenüberlaufbecken (RÜB) M., dem RÜB 1 B. und RÜB 2 B. sowie in der hydraulischen Einheit 2 für die Einleitung aus dem RÜB 1.01 Y., dem RÜB 1.02 Z., dem RÜ 1.03 C., dem RÜB 1.04 C., dem Stauraumkanal (SK) 2.01 C., dem SK 3.01 C. und dem RÜB 1.05 C. keine wasserrechtlichen Erlaubnisse für die Einleitung vorgelegen. Im Trennsystem hätten in der hydraulischen Einheit 1 für den Regenwasserkanal W. und die hydraulische Einheit 2 für den Regenwasserkanal N. keine Erlaubnis vorgelegen.
16
Bezüglich der Darstellung der Berechnung wird auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes verweisen.
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Mit Abgabebescheid vom 4. Dezember 2023 (Az. ... ) setzte das Landratsamt ... für das Jahr 2016 Abgaben für das Einleiten von Niederschlagswasser in Höhe von 81.599,77 EUR fest. Als Anlage zum Bescheid war ein Berechnungsblatt beigefügt.
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Die Klägerin ließ am 21. Dezember 2023 Klage (Au 9 K 23.2206) gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2023 erheben mit dem Antrag:
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Der Niederschlagswasserabgabenbescheid des Landratsamtes vom 4. Dezember 2023 wird insoweit aufgehoben, als eine Abgabe über 12.645,32 EUR festgesetzt wird.
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Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 21. März 2024 vorgebracht, dass mangels nachvollziehbarer Begründung weder aus dem Bescheid, noch aus dem dazu vorgelegten Berechnungsblatt hervorgehe, ob die Voraussetzungen der Abgabenfreiheit gesehen oder geprüft worden seien, weshalb es sich bei den als „hydraulische Einheiten“ bewerteten Einleitern um jeweils zusammenhängende Kanalsysteme handele und ob und welche der einleitenden Entwässerungsanlagen die Voraussetzungen der Abgabefreiheit nicht erfüllt seien.
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Mit Schreiben vom 18. April 2024 machte der Beklagte geltend, dass der Bescheid hinreichend begründet sei, da sein Inhalt dem Musterbescheid in Anlage 6 VwVBayAbwAG entspreche. Bei den als hydraulische Einheit bewerteten Einleitern handele es sich zum einen per Definition und zum anderen auf Grundlage der Erklärung der Stadt A. um ein zusammenhängendes Kanalsystem. Da bei allen im Berechnungsblatt aufgeführten Einheiten die wasserrechtliche Erlaubnis nicht vollständig vorhanden sei, sei die jeweilige gesamte hydraulische Einheit abgabepflichtig.
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Mit Schriftsatz vom 27. August 2024 trug die Klägerin ergänzend vor, dass erst aus der Klageerwiderung im Zusammenhang mit dem Bescheid deutlich geworden sei, dass der Beklagte eine Prüfung einer möglichen Befreiung durchgeführt und auf die jeweils vorhandene „hydraulische Einheit“ als „eine Kanalisation“ abgestellt habe. Zur Frage der „hydraulischen Einheit“ werde auf die Ausführungen im Verfahren Au 9 K 23.1917 verwiesen. Keinesfalls könne die vorgeschriebene deutliche Verschärfung der Anforderungen an eine Gebührenfreiheit über eine Verwaltungsvorschrift eingeführt werden. Hier sei der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes betroffen. Des Weiteren sei darauf hingewiesen, dass das im Berechnungsblatt unter Ziffer 2.1 in die „Hydraulische Einheit 1“ einbezogene Kreisgutgelände im Jahr 2016 noch nicht im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gestanden habe. Erst im Jahr 2020 sei dieses Baugebiet in die Zuständigkeit der Klägerin überführt worden.
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Am 16. September 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Auf das hierüber gefertigte Protokoll wird verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25
Soweit die Klägerin im Verfahren Au 9 K 23.1917 ihre ursprünglich erhobene Klage gegen den Bescheid vom 30. November 2020 mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 betragsmäßig beschränkt hat, liegt darin eine teilweise Klagerücknahme. Das Verfahren ist insoweit (formlos) einzustellen und die teilweise Klagerücknahme im Rahmen der Kostenentscheidung zu berücksichtigen.
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Die Verfahren konnten gemäß § 93 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden, da ein identischer Sachverhalt vorliegt und lediglich die jeweiligen Abgabejahre differieren. Insoweit erscheint die Verbindung der Verfahren sachgerecht und prozessökonomisch.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Abwasserabgabenbescheide vom 30. November 2020 und 4. Dezember 2023 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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1. Die Abgabebescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere liegt auch hinsichtlich des Bescheids vom 4. Dezember 2023 eine hinreichende Begründung vor.
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Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 und 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, die die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Entscheidend ist, dass der Betroffene die maßgeblichen Erwägungen nachvollziehen kann. Dies dient der Transparenz der öffentlichen Verwaltung und ermöglicht dem Betroffenen, die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens besser bewerten zu können.
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Zwar weist der Bescheid für das Abgabejahr 2016 weder Ausführungen zu tatsächlichen noch zu rechtlichen Gegebenheiten auf. Hingegen wurde zusammen mit dem Bescheid ein Berechnungsblatt vorgelegt, auf welches in der Anlage des Bescheids hingewiesen wird. Aus dem Berechnungsblatt ergeben sich die der Abgabefestsetzung zugrundeliegenden Grundlagen, insbesondere ist dem Berechnungsblatt zu entnehmen, für wie viele Schadeinheiten eine Abgabe für das Jahr 2016 festgesetzt wurde.
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Selbst wenn man hinsichtlich der Prüfung der Abgabefreiheit von einer fehlenden Begründung ausgehen sollte, konnte diese gem. Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG nachträglich im gerichtlichen Verfahren geheilt werden. Mit Schreiben vom 18. April 2024 hat der Beklagte nähere Ausführungen zur Festsetzung der Abgabe und der aus seiner Sicht fehlenden Abgabefreiheit gemacht. Damit erweist sich der Bescheid zumindest im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als formell rechtmäßig (vgl. VG Augsburg, U.v. 28.3.2012 – Au 6 K 11.144 – juris Rn. 22).
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2. Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig, da die Klägerin als Einleiterin abgabepflichtig ist (a), die Voraussetzungen einer Abgabefreiheit für die streitgegenständlichen Abgabejahre 2014, 2015 und 2016 nicht vorlagen (b) und auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war (c). Fehler in der Berechnung der Abgabe werden von der Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
33
a) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ist für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer eine Abwasserabgabe zu entrichten. Abwasser im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 AbwAG auch das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende gesammelte Wasser (Niederschlagswasser). Abgabepflichtig ist gem. § 9 Abs. 1 AbwAG, wer Abwasser einleitet, wobei unter Einleiten das unmittelbare Verbringen des Abwassers in ein Gewässer zu verstehen ist (vgl. § 2 Abs. 2 AbwAG). Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die in Schadeinheiten bestimmt wird (vgl. § 3 Abs. 1 AbwAG). Die Zahl der Schadeinheiten von Niederschlagswasser, das über eine öffentliche Kanalisation eingeleitet wird, beträgt gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 AbwAG 12 vom Hundert der Zahl der angeschlossenen Einwohner. Nach § 7 Abs. 2 AbwAG können die Länder bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Einleitung von Niederschlagswasser ganz oder zum Teil abgabefrei bleibt, denn die Kriterien für die Ermäßigung oder Freistellung hängen von den Regelungen der Länder über die technischen Anforderungen an Bau und Betrieb der Abwasseranlagen ab (vgl. BR-Drs. 112/86, S. 14). Der Landesgesetzgeber kann sowohl formelle als auch materielle Voraussetzungen für Abgabenminderungen beim Niederschlagswasser festlegen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 – 8 C 28.90 – NVwZ 1993, 998 zu § 7 Abs. 2 AbwAG a.F.). Auf diese Ermächtigung stützt sich Art. 6 BayAbwAG.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Einleitung von Abwasser über die Kläranlage der Klägerin abgabepflichtig. Bei der von der Klägerin betriebenen Kläranlage in Aichach handelt es sich um eine Abwasseranlage i.S.d. § 60 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), über die das Niederschlagswasser aus dem Gebiet der Stadt A. und den Gemeinden B. und C. in die D., ein oberirdisches Gewässer 2. Ordnung, eingeleitet wird. Damit leitet die Klägerin als tragende und betreibende Körperschaft der Kläranlage das Abwasser unmittelbar in die D. ein und ist folglich Abgabepflichtige i.S.d § 9 AbwAG.
35
b) Für die Klägerin bestand auch keine Abgabefreiheit. Die Voraussetzungen des Art. 6 BayAbwAG liegen für die für die Veranlagungsjahre 2014, 2015 und 2016 nicht vor.
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aa) Streitgegenständlich ist vorliegend das Einleiten aus einer Kanalisation im Mischsystem, so dass sich die Abgabefreiheit nach der gesetzlichen Bestimmung in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayAbwAG beurteilt. Danach besteht eine Abgabefreiheit nur dann, wenn die Kanalisation so bemessen ist, dass je Hektar befestigter Fläche ein Speichervolumen zur Mischwasserbehandlung von mindestens fünf Kubikmeter vorhanden ist (Nr. 1), das zurückgehaltene Mischwasser einer Abwasserbehandlungsanlage zugeführt wird, welche die Anforderungen nach § 7a Abs. 1 und 2 WHG in der bis zum 28. Februar 2010 geltenden Fassung oder nach § 57 Abs. 1 und 2 WHG erfüllt (Nr. 2) und die Anforderungen der die Einleitung zulassenden Bescheide an das Speichervolumen zur Mischwasserbehandlung und die Abwasserbehandlung eingehalten werden (Nr. 3). Um Abgabefreiheit zu erreichen, müssen die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BayAbwAG genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen.
37
bb) Die Abgabefreiheit setzt zunächst das Einleiten von Niederschlagswasser aus einer Kanalisation im Mischsystem voraus. Der Begriff „einer Kanalisation“ wird weder im Bayerischen Gesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes noch im Abwasserabgabengesetz des Bundes näher definiert. Auch den jeweiligen Gesetzesmaterialien sind insoweit keine Auslegungshinweise zu entnehmen (vgl. insb. LT-Drs. 9/6725; 11/7944; BT-Drs. 7/2272; 7/5088; 7/5183). Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 AbwAG verwendete Formulierung „eine öffentliche Kanalisation“ deutet durch ihre Verknüpfung mit dem Begriff der daran „angeschlossenen Einwohner“ jedoch auf ein weites Begriffsverständnis hin. Nach Rechtsprechung und Literatur ist unter „einer Kanalisation“ ein Kanalsystem bzw. Kanalnetz zu verstehen, welches eine Gesamteinrichtung bildet (vgl. Zöllner in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, 39. EL Januar 2023, Art. 6 BayAbwAG, Rn. 2). Da der Zweck der Kanalisation darin liegt, Abwasser in ein oberirdisches Gewässer bzw. den Untergrund einzuleiten (vgl. § 2 Abs. 2 AbwAG) muss der Begriff „Kanalisation“ alle Leitungen und Vorbehandlungsanlagen umfassen, die letztlich dem Ziel dienen, das gesammelte Abwasser nach Reinigung und Schadstoffminimierung einem oberirdischen Gewässer zuzuführen. Hieraus folgt, dass „eine Kanalisation“ ein künstliches, sachlich zusammenhängendes Bauwerk darstellt, welches selbst noch nicht den Gewässerbegriff des § 1 Abs. 1 WHG unterfällt (vgl. Dahme in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand: August 2023, § 7 AbwAG, Rn. 8). Dieses zusammenhängende Bauwerk kann nicht in einzelne, abgabenrechtlich isoliert zu betrachtende Teilelemente der Abwasserbehandlung aufgespalten werden (z.B. Verbindungsrohre, Regenüberlaufbecken, Regenüberläufe, Stauraumkanäle). Die Annahme einer Vielzahl eigenständiger Kanalisationen, wie sie die Klägerin trifft, ist ausgeschlossen, da die baulich über Kanalstränge verbundenen Elemente gesamtheitlich der Regulierung der Schadstofffracht bei der netzabschließenden Einleitung in die D. dienen. Über die einzelnen Kanalstränge bzw. einen Abschlag in vorgelagerte oberirdische Gewässer wird letztlich das Abwasservolumen bzw. die Schadstofffracht an der netzabschließenden Einleitung in die D. reguliert. Nicht von Bedeutung ist, wie viele Betreiber (z.B. mehrere Gemeinden) an einer Kanalisation beteiligt sind, da die Abwasserabgabe auf die einzelne Einleitung in ein Gewässer bezogen ist (vgl. VG Bayreuth, U.v. 14.3.2023 – B 4 K 20.57 – juris Rn. 26 m.w.N).
38
cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen stellen die Kanalstränge der Klägerin, an die auch die Gemeinden B. und C. angeschlossen sind und die abschließend zur Kläranlage der Klägerin geführt werden, „eine Kanalisation“ im Sinn von Art. 6 BayAbwAG dar. Der Auffassung der Klägerin, nach der die Kläranlage und die einzelnen im Kanalnetz vorhandenen Einzelbauten (Regenüberlaufbecken etc.) jeweils eigenständige Kanalisationen darstellen würden, kann nicht gefolgt werden. Wie aus dem vom Beklagten vorgelegten Systemplan ersichtlich ist (s. S. 105 der Gerichtsakte zum Verfahren Au 9 K 23.1917), liegt ein einziger Mischwasserentsorgungspfad vor. Das Niederschlagswasser aus sämtlichen Entlastungsbauwerken entlang des Kanalnetzes wird aufgrund der gemeinsamen Kanalführung vermischt und zusammen zur netzabschließenden Kläranlage geführt, bevor es dort in die D. eingeleitet wird. Die Kläranlage der Klägerin stellt den abschließenden Teil des zusammenhängenden Kanalnetzes dar, an der die in § 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 AbwAG für die Abgabepflicht maßgebliche Einleitung in ein oberirdisches Gewässer stattfindet.
39
Für die sachlich gebotene Gesamtbetrachtung spricht weiter, dass das zuständige Wasserwirtschaftsamt im Rahmen des Verfahren zur Erteilung der wasserrechtlichen Einleitungserlaubnis (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 WHG) das gesamte Kanalsystem einer wasserwirtschaftlichen Begutachtung unterzogen hat, um die Genehmigungsfähigkeit der wasserrechtlich relevanten Einleitung an der netzabschließenden Kläranlage beurteilen zu können. Die Kläranlage wurde somit nicht isoliert als eigenständige Kanalisation betrachtet. Der Begriff der „hydraulischen Einheit“, so wie er in der VwVBayAbwAG verwendet und auch vom Landratsamt zur Einteilung herangezogen wird, ist somit für die Konkretisierung der Begrifflichkeit der „einen Kanalisation“ nicht erforderlich.
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Selbst unter Verwendung des Begriffs „hydraulische Einheit“ und der Annahme, dass die einzelnen Kanalstränge jeweils eine „hydraulische Einheit“ darstellen, gelangt die Kammer zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch die einzelnen Kanalstränge erweisen sich als ein Verbund von Abwassersträngen, die ein Gesamtabwassersystem bilden.
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dd) Für die Abgabenfreiheit fehlt es zumindest am Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayAbwAG.
42
Wie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayAbwAG zeigt, setzt die Abgabefreiheit bei Mischkanalisationen – ebenso wie im Fall des Art. 6 Abs. 1 BayAbwAG – voraus, dass die jeweiligen Anforderungen aus den die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Erlaubnisbescheiden erfüllt werden. Das Vorliegen eines die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Erlaubnisbescheides ist somit tatbestandliche Voraussetzung für die Abgabenfreiheit, da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Einleiter von Niederschlagswasser seiner gesetzlichen Pflicht, eine wasserrechtliche Erlaubnis einzuholen, nachgekommen ist. Außerdem hängt nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift die Abgabefreiheit davon ab, dass mit der Einleitung des Niederschlagwassers keine qualitative Gewässerbelastung verbunden ist. Dies kann nur anhand der erlassenen Erlaubnisbescheide überprüft werden (vgl. Zöllner in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, 39. EL Januar 2023, Art. 6 BayAbwAG, Rn. 2). Fehlt auch nur eine solche wasserrechtliche Erlaubnis im Veranlagungszeitraum, scheidet eine Abgabefreiheit für das Einleiten von Niederschlagswasser für die gesamte Kanalisation aus (vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2016 – 8 CS 15.2387 – juris Rn. 8; B.v. 13.5.2013 – 8 ZB 11.2773 – juris Rn. 9). Ziel des Gesetzgebers ist es, den Betreiber einer Kanalisation anzuhalten, die netzabschließende Kläranlage sowie die Vorfluter insgesamt möglichst wenig zu belasten. Dieser Zweck ist nur dann zu erreichen, wenn die Voraussetzungen an die Gesamteinrichtung geknüpft werden (vgl. OVG RhPf, U.v. 19.5.2005 – 12 A 12121/04 – BeckRS 2005, 27244, Rn. 17). Dies legt auch der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayAbwAG nahe, der von „die Einleitung zulassenden Bescheide“ spricht. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber bei Abfassung der Vorschrift davon ausgegangen ist, dass innerhalb „einer Kanalisation“ mehrere Teilelemente vorhanden sein können, die jeweils eine wasserrechtliche Gestattung voraussetzen. Folglich entfällt bei Fehlen einer wasserrechtlichen Erlaubnis innerhalb des Kanalsystems bzw. bei Nichteinhaltung der Anforderungen einer Erlaubnis die Abgabefreiheit für die gesamte Kanalisation. Wäre lediglich maßgeblich, dass die Anforderungen des Erlaubnisbescheids für die final einleitende Abwasseranlage eingehalten werden, so wäre davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hierfür eine andere Formulierung gewählt und nur auf „den die Einleitung zulassenden Bescheid“ verwiesen hätte.
43
Vorliegend lagen für die Veranlagungsjahre 2014, 2015 und 2016 keine wasserrechtlichen Erlaubnisse für die Einleitung durch einzelne Entlastungsbauwerke, beispielsweise die Regenüberlaufbecken Y. (RÜB 1.01), C. (RÜB 1.04), M. oder B., im Kanalnetz vor (genaue Aufstellung in der Behördenakte Teil 1 S. 23). Da somit die Voraussetzungen des Art. 6 BayAbwAG für die Gesamtanlage „Kanalisation“ nicht erfüllt waren, wurde zu Recht das Vorliegen einer Abgabefreiheit verneint und die Klägerin zu einer Abwasserabgabe herangezogen.
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Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass nach den Angaben der Klägerin die betroffenen Anlagen der Gemeinden B. und C. tatsächlich nach den gesetzlichen und technischen Anforderungen betrieben worden sind. Denn es ist ausschließlich auf die formelle Bescheidslage abzustellen. Es kommt somit nicht darauf an, ob eine Entwässerungsanlage offensichtlich (materiell) ordnungsgemäß betrieben wird und deren formelle Legalisierung lediglich reine Formsache wäre (vgl. OVG RhPf, U.v. 19.5.2005 – 12 A 12121/04 – BeckRS 2005, 27244 Rn. 18, 20).
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ee) Wie oben bereits dargelegt, führen die fehlenden wasserrechtlichen Erlaubnisse auch zwingend dazu, dass die gesamte Kanalisation abgabepflichtig bleibt. Dem steht auch nicht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entgegen.
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Die Klägerin bringt vor, dass bei der Betrachtung des gesamten Kanalnetzes als „eine Kanalisation“ und dem Fehlen einer einzelnen wasserrechtlichen Erlaubnis auch diejenigen Gemeinden abgabepflichtig gestellt werden, deren Anlagen die Voraussetzungen des Art. 6 BayAbwAG erfüllen. Dies würde die Grenzen der Angemessenheit und Erforderlichkeit der mit Art. 6 BayAbwAG angestrebten Steuerungswirkung überschreiten. Es wäre aus Sicht der Klägerin angemessen und geboten, lediglich eine Abgabe für diejenigen Bereiche des Kanalsystems festzusetzen, für die die Voraussetzungen nicht vorliegen.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Die Aufteilung einer Kanalisation in abgabefreie und abgabepflichtige Teilbereiche kommt lediglich nur dann in Betracht, wenn einerseits die Abwasserbehandlung den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayAbwAG entspricht und andererseits selbstständige Teilbereiche der Kanalisation vorliegen, die mit den notwendigen Regenbecken oder Regenrückhalteeinrichtungen ausgestattet sind. Hierbei müssen die Voraussetzungen im Teilbereich für den gesamten Mischwasserentsorgungspfad erfüllt sein (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 8 ZB 16.1050 – juris Rn. 12; Zöllner in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, 39. EL Januar 2023, Art. 6 BayAbwAG, Rn. 14).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Eine Aufteilung käme allenfalls nach den jeweiligen Kanalsträngen in Betracht, so wie es der Beklagte für seine Beurteilung bereits vorgenommen hat. Allerdings fehlen sowohl im Kanalstrang 1 als auch im Kanalstrang 2 wasserrechtliche Erlaubnisse für die Einleitung aus den Entlastungsbauwerken, sodass auch für diese Teilbereiche die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayAbwAG nicht erfüllt sind. Die wasserrechtlichen Einleitungserlaubnisse der Entlastungsbauwerke und der Kläranlage hängen in Bezug auf Quantität und Qualität des an der Kläranlage A. final ankommenden Abwassers untrennbar zusammen. Eine Differenzierung der Abwasserströme ist an der abschließenden Einleitungsstelle bei der Kläranlage der Klägerin nicht mehr möglich. Hier erfolgt ein einheitlicher Abwasserzufluss, der lediglich durch die vorgelagerten Entlastungsbauwerke bereits in Menge und Schadstofffracht vorreguliert ist. Auch hier zeigt sich nochmals die gebotene Gesamtbetrachtung der Kanalisation. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass die Ausnahmen von der Abgabepflicht nach allgemeinen Grundsätzen und im Hinblick auf den Umweltschutzgedanken des Abwasserabgabenrechts eng auszulegen ist (vgl. VG Bayreuth, U.v. 14.3.2023 – B 4 K 20.57 – juris Rn. 34). Diese Betrachtungsweise erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Denn eine aus der Einbeziehung aller angeschlossenen Einwohner resultierende Abwasserabgabe fördert die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 6 BayAbwAG. So werden auch im Innenverhältnis der einzelnen angeschlossenen Gemeinden Anreize geschaffen, eine zugelassene und möglichst wenig belastende Einleitung durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 8 ZB 16.1050 – juris Rn. 14).
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Die Klägerin ist als Einleiterin und damit Abgabepflichtige dafür verantwortlich, dass die Voraussetzung für eine Abgabebefreiung vorliegen. Sie muss damit auch sicherstellen, dass fremde, an das Kanalsystem angeschlossene Gemeinden diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllen. Hierfür steht ihr die Möglichkeit offen, durch entsprechende Vereinbarungen, wie einer Ausgleichsregelung, Anreize für die weiteren angeschlossenen Gemeinden zu schaffen, die gesetzlichen Voraussetzungen ebenfalls einzuhalten. Um für sich eine Abgabenfreiheit zu erreichen, ist der Klägerin auch zuzumuten, bei erstmaligem Anschluss externer Gemeinden an ihr Kanalsystem dafür Sorge zu tragen, dass ein Anschluss nur dann erfolgt, wenn die Entlastungsbauwerke der jeweiligen Gemeinde die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Da durch den Anschluss anderer Gebiete deren Kanäle und Anlagen Teil des eigenen von der Klägerin unterhaltenen einheitlichen Kanalsystems werden, hat sie auch fortlaufend dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die eigenen Bauwerke als auch diejenigen anderer Gemeinden die erforderlichen wasserrechtlichen Erlaubnisse für die damit verbundenen Einleitungen aufweisen. Denn nur sie trifft für das abschließende Einleiten aus der Kläranlage in ein oberirdisches Gewässer die Abgabepflicht und nur sie kann für sich die Abgabefreiheit bei Nachweis der gesetzlichen Voraussetzungen beanspruchen.
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Mangels Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG scheidet eine Abgabenfreiheit unter jeglicher Betrachtungsweise aus.
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c) Soweit eine Einleitung von Niederschlagswasser im Trennsystem erfolgt, war auch insoweit eine Abgabe festzusetzen, da die Voraussetzungen einer Abgabefreiheit nach Art. 6 Abs. 1 BayAbwAG nicht vorliegen. Eine Abgabenfreiheit setzt in diesem Fall, ebenso wie Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayAbwAG, einen die Einleitung zulassenden Bescheid voraus. Da für vereinzelte Regenwasserkanäle in den Ortsteilen W. und N. keine wasserrechtlichen Erlaubnisse vorlagen, ist die Klägerin auch für das über diese Kanäle eingeleitete Niederschlagswasser abgabepflichtig. Die im Bescheid vom 30. November 2020 vorgenommene Festsetzung einer Abwasserabgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser über Regenwasserkanäle im Trennsystem erweist sich somit als rechtmäßig
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d) Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Abgabebescheide war auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
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Die Festsetzung einer Abgabe ist gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 c) BayAbwAG i.V.m. § 169 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Frist beträgt gem. § 169 Abs. 2 AO vier Jahre. Da eine Abgabenerklärung abzugeben ist (vgl. § 11 Abs. 2 AbwAG, Art. 10 Abs. 2 BayAbwAG) beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wurde, spätestens jedoch mit Ablauf von drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist.
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Vorliegend hat die Klägerin erst im Juli 2018 Erklärungen für die Jahre 2014 und 2015 abgegeben. Die Frist für das Jahr 2014 begann somit, da die Erklärung nicht innerhalb von drei Jahren nach Entstehen der Abgabe eingereicht wurde, mit Ablauf des 31. Dezember 2017 zu laufen und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2021. Für das Jahr 2015 begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2018 (Ablauf des Jahres der Erklärungsabgabe) zu laufen und endete am 31. Dezember 2022. Da der Abgabenbescheid für beide Jahre am 30. November 2020 erlassen wurde, war noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Dies trifft auch auf die Abgabe für das Jahr 2016 zu. Hier gab die Klägerin die entsprechende Erklärung im Juli 2020 und damit erst nach Ablauf der drei Jahre ab, weshalb die Frist mit Ablauf des 31. Dezember 2019 zu laufen begann und mit Ablauf des 31. Dezember 2023 endete. Der Abgabebescheid für 2016 wurde am 4. Dezember 2023 und damit rechtzeitig erlassen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, wonach die Klägerin als unterlegene Partei die Verfahrenskosten zu tragen hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. Zivilprozessordnung (ZPO).