Titel:
Berechnung der erforderlichen Sachverständigenkosten bei einem Verkehrsunfallschaden
Normenketten:
BGB § 249, § 398
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar über den üblichen (vgl. § 632 II BGB) Preisen, so sind diese nicht geeignet, als erforderlich iSd § 249 BGB zu gelten. Der erforderliche Geldbetrag ist vom Tatrichter anhand tragfähiger Anknüpfungstatsachen gem. § 287 ZPO zu ermitteln. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer hat der Zessionar – hier der klagende Sachverständige – darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Maßnahmen im Rahmen der Begutachtung tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Begutachtungskosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise des Sachverständigen oder – bei Berechnung des Honorars nach der Höhe des Schadens – wegen unzutreffender Schadensermittlung nicht erforderlich waren. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Macht der Sachverständige aus abgetretenem Recht des Geschädigten sein Honorar geltend, muss er darlegen und beweisen, dass die abgerechneten Maßnahmen im Rahmen der Begutachtung tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Begutachtungskosten erforderlich waren. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei Standardgutachten zur Feststellung eines Kraftfahrzeugschadens können im Rahmen der Schätzung der Bemessung die Honorarbefragungen des BVSK zugrunde gelegt werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
6. Das angemessene Grundhonorar ohne Mehrwertsteuer bestimmt sich nach dem BVSK 2022 HB V Korridor, wobei grundsätzlich der untere Betrag des Korridors anzuwenden ist, dazu kommen 50% Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige öffentlich bestellt und allgemein vereidigt ist und/oder 50% Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige seinen Sitz im Bezirk des angerufenen Landgerichts hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Verkehrsunfall, Sachverständigenkosten, Sachverständigenrisiko, Berechnung, Honorarbefragung, BVSK, Grundhonorar
Fundstellen:
BeckRS 2024, 28106
LSK 2024, 28106
NJOZ 2024, 1462
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 444,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.05.2024 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 12% und die Beklagte 88% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 444,22 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
3
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 388,89 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG in Verbindung mit § 398 BGB aus abgetretenem Recht.
4
Unstreitig haftet die Beklagte als Haftpflichtversicherung des unfallgegnerischen Fahrzeugs für die Schäden am Fahrzeug mit dem amtlichen Kennz ... aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall, der sich am 07.04.2024 ereignete, zu 100%. Unstreitig ist auch, dass die Klägerin nach Beauftragung durch den Geschädigten ... ein Gutachten über die unfallbedingten Schäden erstellte.
5
Streitig ist, ob die noch ausstehenden Sachverständigenkosten von 444,22 Euro erstattungsfähig sind oder nicht, ob also insgesamt Sachverständigenkosten in Höhe von 675,44 € brutto laut Rechnung der Klägerin – nach Unterzeichnung einer Abtretungserklärung durch den Geschädigten an diese – ersetzt werden müssen. Einen Betrag in Höhe von 231,22 € hat die Beklagte darauf bereits unstreitig vorgerichtlich reguliert.
6
Die Beklagte bestreitet die Angemessenheit der geltend gemachten Sachverständigenkosten der Höhe nach, sowie die Aktivlegitimation.
7
Die Aktivlegitimation besteht. Spätestens mit Vorlage der Abtretungserklärung K8 bestehen keine Zweifel an deren Wirksamkeit. Solche wurden auch beklagtenseits nicht mehr erhoben.
8
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH NJW-RR 1989, 953, 956).
9
Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar über den üblichen (vgl. § 632 Abs. 2 BGB) Preisen, so sind diese nicht geeignet, als erforderlich i.S.d. § 249 BGB zu gelten. Der erforderliche Geldbetrag ist vom Tatrichter anhand tragfähiger Anknüpfungstatsachen gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2014, 3151).
10
Auch greift nicht das sogenannte Sachverständigenrisiko zu Gunsten des Sachverständigen bei Abtretung. Im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer hat der Zessionar – hier der klagende Sachverständige – darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Maßnahmen im Rahmen der Begutachtung tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Begutachtungskosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise des Sachverständigen oder – bei Berechnung des Honorars nach der Höhe des Schadens – wegen unzutreffender Schadensermittlung nicht erforderlich waren, vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2024 – VI ZR 280/22.
11
Bei Standardgutachten zur Feststellung eines Kraftfahrzeugschaden – wie im hiesigen Fall – kann nach der Rechtsprechung des OLG Münchens (Beschluss vom 14.12.2015, 10 U 579/15) – der das Gericht in ständiger Rechtsprechung folgt – gemäß § 287 ZPO die Honorarbefragung des BVSK (hier 2022) zur Schätzung der üblichen Vergütung herangezogen werden – auch in Bezug auf die Nebenkosten.
12
So bestätigte jüngst auch das Landgericht München I mit den Hinweisen vom 08.11.2023 zu dem Az. 19 S 10686/23 und vom 15.05.2024 zu dem Az. 19 S 3500/24, dass die BVSK-Befragung eine geeignete Schätzgrundlage für das Gericht gem. § 287 ZPO darstellt:
„Das Amtsgericht hat vorliegend die hier klägerseits geltend gemachte Sachverständigenkostenhöhe auf die Üblichkeit und die Erkennbarkeit seitens des Geschädigten im Hinblick auf die erhebliche Überschreitung der üblichen Sachverständigenkosten überprüft. Die Beklagtenseite verkennt dabei, dass es nicht darum geht, dass das Amtsgericht diese Sachverständigenkosten konkret auf den Cent genau berechnet. Vielmehr hat das Amtsgericht zu überprüfen, ob diese Kosten sich im Rahmen der üblichen Vergütung bewegen. Hierfür ist die Heranziehung der BVSK Honorarbefragung eine geeignete Grundlage (so ausdrücklich OLG München, Urteil vom 26.02.2016 – 10 U 579/15). Die seitens der Beklagtenseite vorgestellten Berechnungsmethoden unterliegen ebenfalls gewissen Unsicherheiten, Ungenauigkeiten und Schwankungen, wobei ein einheitliches und sämtliche bundesweit tätige Sachverständige zusammengefasstes vollständiges Abbild der üblichen Vergütungshöhe bislang nicht existiert. Insbesondere bedarf es keiner Feststellung der Mitgliedschaft des klägerischen Parteigutachters beim BVSK e.V.“
13
Das angemessene Grundhonorar ohne Mehrwertsteuer bestimmt sich demnach nach dem BVSK 2022 HB V Korridor, wobei grundsätzlich der untere Betrag des Korridors anzuwenden ist, dazu kommen 50% Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige öffentlich bestellt und allgemein vereidigt ist und/oder 50% Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige seinen Sitz in M. oder im Landkreis M. hat. Dies rechtfertigt sich darin, dass in diesem Korridor die Mehrheit der BVSK-Mitglieder (50 bis 60%) je nach Schadenshöhe abrechnen und es sich daher um die übliche Vergütung eines Sachverständigen für ein Standardschadensgutachten handelt.
14
Nebenkosten (ohne Mehrwertsteuer) sind entsprechend der BSVK 2020-Vorgabe als angemessen anzusehen bis zu:
Fotokosten: 2,00 €/Lichtbild und 0,50 € je Lichtbild des zweiten Fotosatzes
Porto/Telefon pauschal 15,00 €
Schreibkosten 1,80 €/Seite und 0,5 €/Kopie
15
Weitere Nebenkosten wie insbesondere Stundenlöhne für die Fahrzeit und Kosten für Datenbanken sind nicht erstattungsfähig, da sie entsprechend der Umfrage nicht üblich sind und letztlich als Teil des Grundhonorars und nicht als gesondert zu vergüten anzusehen sind.
16
Allerdings sieht die BVSK 2022 für die Positionen Achsvermessung, Karosserievermessung und Fehlerspeicherauslese eine gesonderte Berechnung vor.
17
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführung ergeben sich im vorliegenden Fall folgende Werte:
18
Der Schaden beträgt laut dem Gutachten 1.874,88 Euro netto Reparaturkosten und 300 € Wertminderung. In der Gruppe der Schadenshöhe bis 2250 Euro folgt ein Korridor HB V von 473-528 Euro der BVSK 2022. Da der Sachverständige ... laut Briefkopf und Unterschriftenzusatz nicht öffentlich bestellt und vereidigt ist und die Klägerin ihren Sitz nicht im Landkreis M. hat, erfolgt kein 50-prozentiger Zuschlag der Differenz auf den unteren Korridorbetrag. Es folgt ein Grundhonorar in Höhe von 473 Euro.
19
Außerdem können 7 Schreibseiten und 5 Kopierseiten angesetzt werden. Der Ausdruck der Kalkulationsrundlage stellt nach ständiger hiesiger Rechtsprechung keine Schreibarbeit dar. Die insofern zuerkannten Kosten der Schreibseiten beinhalten dabei nicht nur das Abtippen oder Einfügen in Textbausteine und etwaige Papierkosten, sondern auch die dahinterstehende Denkarbeit, soweit sie nicht vom Grundhonorar erfasst ist.
20
Die Anzahl der Fotos von 9 ist aufgrund der Schadenshöhe vertretbar.
21
Fahrtkosten fielen nicht an.
22
Hieraus resultiert folgende Rechnung:
Grundhonorar max Anzahl
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473
|
Fahrtkosten 0,70 EUR/km
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0
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0
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Fotokosten 2,00 EUR
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9
|
18
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2. Fotosatz (0,50 EUR)
|
0
|
0
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Schreibkosten (1,80 EUR/S.)
|
7
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12,6
|
Kopien (0,50 EUR /Kopie)
|
5
|
2,5
|
Porto/Telefon
|
|
15
|
Gesamtsumme Nebenkosten
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48,1
|
Gesamtsumme incl. Grundhonorar netto
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521,1
|
MwSt 19%
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99,009
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Gesamtsumme incl. Grundhonorar brutto
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620,109
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23
Einen Betrag in Höhe von 231,22 € hat die Beklagte darauf bereits unstreitig vorgerichtlich reguliert, so dass ein Anspruch in Höhe von 388,89 Euro verbleibt.
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Der Anspruch auf Verzugszinsen folgt aus §§ 288 I, 286 I BGB.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
26
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
27
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung.
28
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und auch die Fortbildung des Rechts bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch das Berufungsgericht nicht erfordert, § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.