Titel:
Maulkorbzwang für einen Rottweiler nach konkretem Beißvorfall verhältnismäßig
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5
BayLStVG Art. 18 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. An das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das sicherheitsrechtliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr nach Art. 18 Abs. 2 BayLStVG setzt nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis, bei dem Gesundheit oder Eigentum anderer Personen geschädigt wurde, stattgefunden hat. (Rn. 38 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Rennt ein nicht angeleinter Hund auf einen anderen Hund zu und beißt diesem in Hals und Unterkiefer, besteht die konkrete Gefahr weiterer derartiger Vorfälle und auch für die Unversehrtheit von Menschen, wenn zB ein Hundehalter versucht, seinen angegriffenen Hund gegen den angreifenden Hund zu schützen. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Halter ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über einen Hund. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Maulkorbzwang für einen größeren Hund ist verhältnismäßig, wenn er berücksichtigt, dass dieser einen freien Auslauf brauch und dennoch effektive Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr möglich sein müssen, indem er zB hinreichende Ausnahmen sowohl für Freiflächen innerhalb eines Bereichs des bebauten Ortsgebietes als auch für Außenbereiche vorsieht. (Rn. 46 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
6. Mit Blick auf die Bestimmtheit, die ein Verwaltungsakt gem. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG aufweisen muss, wird die Formulierung des "zuverlässigen Gehorchens" eines Hundes diesem nicht gerecht, weil dem Halter bei der genannten Formulierung nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, welche Anforderungen an Personen, die den Hund ausführen, insoweit gestellt werden. (Rn. 54 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Anordnung des Sofortvollzugs, Einbeziehung eines Änderungsbescheids, Beißvorfall beim Ausführen eines Hundes, sicherheitsrechtliche Anordnungen, Maulkorbzwang, Anforderungen an den Hundehalter bzw. Hundeführer, Interessenabwägung, Zwangsgeldandrohung, einstweiliger Rechtsschutz, Bestimmtheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.12.2024 – 10 CS 24.1697
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28073
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1.2. des Bescheides vom 7. Juni 2024 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29. August 2024 wird wiederhergestellt, soweit darin geregelt ist, dass der Hund „A“ nicht von Personen ausgeführt werden darf, denen er nicht zuverlässig gehorcht.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in den Bescheiden vom 7. Juni 2024 und 29. August 2024 enthaltenen Zwangsgeldandrohungen wird in folgendem Umfang angeordnet:
- Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2.2. des Bescheids vom 7. Juni 2024 bzw. Ziffer 3. des Änderungsbescheids vom 29. August 2024, soweit sich die Zwangsgeldandrohung auf die Regelung bezieht, dass der Hund „A“ nicht von Personen ausgeführt werden darf, denen er nicht zuverlässig gehorcht;
- hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2.3. des Bescheids vom 7. Juni 2024.
III. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 4. des Bescheids vom 7. Juni 2024 enthaltene Kostenentscheidung wird angeordnet.
IV. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
V. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.
VI. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin ihm gegenüber verfügten Anordnungen zur Hundehaltung.
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Der Antragsteller ist wohnhaft im Stadtgebiet der Antragsgegnerin und Halter des Rottweilers „A“ (Wurftag: * 2021).
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Am 6. Mai 2024 wandte sich ein Zeuge per E-Mail an die Antragsgegnerin und teilte insbesondere Folgendes mit: Der Zeuge sei am 14. April 2024 gegen 10:30 Uhr mit seinem Hund im Wald in * bei der * Straße spazieren gegangen, als er ein Rufen von anderen Hundebesitzern gehört habe. Er habe daraufhin seinen eigenen Hund zu sich gerufen, um ihn anzuleinen. Als sein eigener Hund bei ihm angekommen sei, sei ein Rottweiler aus dem Wald angerannt gekommen und habe sich unvermittelt auf den Hund des Zeugen gestürzt. Der Rottweiler habe sich in Hals und Unterkiefer des Hundes des Zeugen verbissen und nicht auf Kommandos seines Halters sowie von zwei Frauen, die ebenfalls dabei gewesen seien, gehört. Erst als eine der Frauen mit ihrer Jacke auf den Rottweiler geschlagen hätte, hätte dieser vom Hund des Zeugen abgelassen und angeleint werden können. Der Hund des Zeugen habe aufgrund des Vorfalls tierärztlich behandelt werden müssen. Mit dem Rottweiler habe es schon diverse Probleme in diesem Wald gegeben. Viele Spaziergänger würden einen riesigen Bogen um den Hund machen, da die Besitzer keine Kontrolle über ihn hätten und der Hund meist unangeleint geführt werde. Wenn der Hund angeleint sei, könne sein Halter ihn zwar noch festhalten, die beiden Frauen würden jedoch von dem Hund mitgezogen werden.
4
Über das von dem Zeugen mitgeteilte Autokennzeichen hat die Antragsgegnerin den Antragsteller als Halter des Rottweilers ermittelt.
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Am 15. Mai 2024 versandte die Antragsgegnerin daraufhin an den Antragsteller ein Anhörungsschreiben, in dem ihm gegenüber der Erlass mehrerer Anordnungen zur Hundehaltung angekündigt wurde, und gab dem Antragsteller Gelegenheit zur Äußerung. Eine Stellungnahme ging bei der Antragsgegnerin nicht ein.
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Am 18. Mai 2024 meldete sich eine weitere Zeugin bei der Antragsgegnerin und teilte mit, dass sie dem Antragsteller mit seinem Hund am 18. Mai 2024 vormittags begegnet sei. Der Hund sei an einer langen Schleppleine angeleint gewesen und habe keinen Maulkorb getragen. Zu einem konkreten Vorfall sei es nicht gekommen, sie habe jedoch den Eindruck gehabt, dass der Antragsteller den Hund nicht ausreichend im Griff gehabt hätte. Der Hund des Antragstellers habe bei der Begegnung mit der Zeugin, die mit ihrem eigenen Hund und ihrem Baby unterwegs gewesen sei, geknurrt und mit den Zähnen gefletscht. Die Zeugin habe sich sehr bedroht gefühlt und Angst um ihren Hund und insbesondere um ihr Baby gehabt. Der Hund des Antragstellers habe sich mit seinem Gewicht in die Leine gestemmt, sei vom Antragsteller jedoch nicht an die kurze Leine genommen worden.
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Mit Bescheid vom 7. Juni 2024, dem Antragsteller zugestellt am 11. Juni 2024, verfügte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller mehrere Anordnungen hinsichtlich der Haltung des Hundes „A“ (Ziffer 1.). Unter Ziffer 1.1. des Bescheids wurde angeordnet, dass der Antragsteller den Hund außerhalb der Wohnung bzw. des (ausbruchsicher) umfriedeten Besitztums nicht mehr ausführen dürfe, es sei denn der Hund trage einen ordnungsgemäß angebrachten Maulkorb. Der Maulkorbzwang entfalle auf Freiflächen innerhalb des Bereiches des bebauten Ortsgebiets (z.B. Felder und Wiesen, jedoch nicht in öffentlichen Grün- und Parkanlagen – in * i.S. der Grünanlagensatzung der Stadt *). Bei der Begegnung mit fremden Personen bzw. Hunden oder in unübersichtlichen Bereichen entfalle jedoch diese Ausnahme, was bedeute, dass es in diesem Fall wieder erforderlich sei, den Maulkorb anzubringen (Ziffer 1.1.1.). Im Außenbereich von Ortschaften (Entfernung von mehr als 100 m von der nächstgelegenen Bebauung), ohne öffentliche Straßen für den Kraftfahrzeugverkehr, entfalle der Maulkorbzwang, wenn sich keine fremden Personen oder andere fremde Hunde in der Nähe befänden, der Hund sofort gehorche, sich jederzeit, wenn erforderlich, den Maulkorb anlegen lasse und keine Gefahrensituationen, wie sie z.B. bei der Begegnung mit fremden Personen oder Hunden entstehen können, erkennbar seien (Ziffer 1.1.2.). Weiter wurde angeordnet, dass der Hund nicht von Personen ausgeführt werden darf, die psychisch oder physisch oder mangels Sachkenntnissen in Bezug auf die Haltung von Hunden nicht in der Lage seien, den Hund stets sicher zu beherrschen und zu kontrollieren (wie z.B. einige Kinder und Jugendliche, erheblich alkoholisierte Personen) oder denen der Hund nicht sofort gehorche. Diese Anordnung gelte auch für den Halter selbst (Ziffer 1.2.). Die vorstehenden Anordnungen würden auch gelten, wenn der Hund durch andere Personen ausgeführt werde. Soweit der Hund von einer anderen Person ausgeführt oder vorübergehend betreut werde, habe der Antragsteller diese Person über die getroffenen Anordnungen zu informieren und auf geeignete Weise sicherzustellen, dass diese beauftragte Person die getroffenen Anordnungen einhalte. Eventuelle Anleinpflichten oder Verbote aufgrund anderweitiger Rechtsvorschriften (auch aus dem Zivilrecht) blieben unberührt (Ziffer 1.3.). Werde der Hund endgültig an einen neuen Halter überlassen, habe der Antragsteller dies innerhalb von zwei Wochen dem Ordnungsamt der Antragsgegnerin schriftlich mitzuteilen und dabei Namen und Anschrift des neuen Halters anzugeben (Ziffer 1.4.). In Ziffer 2. des Bescheids (Ziffern 2.1. bis 2.4.) wurden für den Fall der Nichterfüllung oder nicht fristgerechten bzw. nicht vollständigen Erfüllung der in Ziffer 1.1. bis 1.4. festgelegten Verpflichtungen jeweils Zwangsgelder angedroht (300,00 EUR in Bezug auf die Ziffer 1.1. bzw. jeweils 200,00 EUR in Bezug auf die Ziffern 1.2., 1.3. und 1.4.). In Ziffer 3. des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der gesamten Ziffer 1. angeordnet. Schließlich enthält der Bescheid unter Ziffer 4. eine Kostenentscheidung und -festsetzung.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anordnungen auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt würden. Danach könne die Antragsgegnerin unter anderem zum Schutz vor Gefahren für Leben, Gesundheit und des Eigentums Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Bei der Haltung des Rottweilers „A“ bestehe eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter. Bei der Feststellung einer Gefahr durch den Hund komme es nicht darauf an, dass es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne von Aggressivität oder Bissigkeit handle. Eine Gefahr könne auch durch andere Verhaltensweisen des Tieres hervorgerufen werden. Niemand müsse dulden oder hinnehmen, von freilaufenden Hunden auf öffentlich zugänglichen Flächen belästigt zu werden. Für die Bejahung einer konkreten Gefahr sei es nicht erforderlich, dass ein schädigendes Ereignis bereits stattgefunden habe. Im vorliegenden Fall sei am 14. April 2024 sogar bereits ein schädigendes Ereignis eingetreten. Diese Bissverletzung des anderen Hundes sei durch eine Tierarztrechnung und ein Verletzungsbild dokumentiert worden. Da die festgestellte Gefährdung auch gegeben wäre, wenn es zu keinerlei Verletzungen gekommen wäre, komme es auf die Schwere der Verletzungen nicht an. Auch bei einem nur einmaligen (Beiß-)Vorfall sei der Erlass von Einzelanordnungen zu prüfen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Hundes sei in solchen Fällen regelmäßig nicht geboten. Ohne den Erlass der Anordnung in Ziffer 1. des Bescheids werde es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verletzung der besonders schützenswerten Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder des Eigentums kommen. Die getroffenen Anordnungen entsprächen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung und stünden insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang (Art. 8 LStVG). Die Anordnungen seien zumutbar und könnten auch ohne unüberwindbare Schwierigkeiten erfüllt werden. Bei der Entscheidung seien die Interessen der Allgemeinheit und die Interessen des Antragstellers an einer möglichst freien und unbeschränkten Haltung des Hundes gegeneinander abgewogen worden. Die Interessenabwägung habe ergeben, dass die Interessen des Antragstellers hier hinter den Interessen der Allgemeinheit zurückstehen müssten. Der Antragsteller sei als Zustandsstörer der richtige Adressat der Anordnungen. Die Anordnung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 18, 19, 29, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Die sofortige Vollziehung des Bescheids sei gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse geboten. Die Allgemeinheit habe einen Anspruch darauf, vor Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum durch bissige bzw. aggressive Hunde, oder durch andere Verhaltensweisen von Hunden, die solche Gefahren auslösen könnten, geschützt zu werden. Die Maßnahmen könnten nur dann ihre Schutzwirkung entfalten, wenn sie sofort vollzogen werden könnten. Die Kostenentscheidung und -festsetzung beruhe auf Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 5, 6, 10, 11, 15 des Kostengesetzes i.V.m. Tarif-Nummer 2.II.1/2 des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz (KVz).
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Auf die Begründung des Bescheides wird im Einzelnen verwiesen.
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Am 27. Juni 2024 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin telefonisch mit, dass er das im Bescheid erwähnte Anhörungsschreiben vom 15. Mai 2024 nicht erhalten habe. Daraufhin gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 28. Juni 2024 (erneut) die Gelegenheit, sich zu der Angelegenheit zu äußern.
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Am 10. Juli 2024 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 7. Juni 2024 erheben (Au 8 K 24.1631), über welche noch nicht entschieden wurde. Gleichzeitig begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz und ließ beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wird wiederhergestellt.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsätzen vom 10. Juli 2024 und 30. August 2024 im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts könne ausgeschlossen werden, dass vom Hund des Antragstellers Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgingen. Die Anordnung der Antragsgegnerin liege damit nicht im öffentlichen Interesse. Die Gesundheit von Menschen bzw. von Tieren stelle zwar ein sehr hohes Schutzgut dar, sodass das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Anordnungen im Einzelfall gegenüber dem privaten Interesse eines Verfügungsempfängers überwiegen könnte. Diese Gefahr werde hier jedoch nicht gesehen, sodass hier die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen sei. Der Hund des Antragstellers habe bei dem Vorfall am 14. April 2024 kein maulkorbfähiges Verhalten gezeigt. An dem Tag sei der Antragsteller mit seiner Schwester und deren Tochter gemeinsam mit seinem Hund „A“ und dem Hund seiner Schwester unterwegs gewesen. Plötzlich hätten sie aus Richtung eines tiefer gelegenen Waldweges einen Mann mindestens zweimal laut und hysterisch „B“ rufen hören. Der Antragsteller, seine Begleitpersonen sowie die beiden Hunde seien sehr erschrocken und hätten in etwa 30 Meter Entfernung einen anderen Hundehalter mit dessen Hund erkannt. Der Antragsteller und seine Schwester hätten dann ihre beiden Hunde zu sich gerufen. Der Hund der Schwester sei zu ihr gekommen, der Hund des Antragstellers habe sich jedoch genau in dem Moment in Richtung des anderen Hundes „B“ in Bewegung gesetzt. Die Hunde seien dann aufeinandergetroffen, wobei alles so schnell gegangen sei, dass nicht mehr genau gesagt werden könne, welcher Hund mit dem Angriff begonnen habe. Der Antragsteller sei sofort zu seinem Hund gelaufen, habe ihn am Geschirr genommen und versucht, ihn dazu zu bewegen, vom anderen Hund abzulassen. „B“ habe dagegen weiterhin versucht, den Hund des Antragstellers zu beißen. „A“ habe eine blutende Wunde unter dem rechten Ohr davongetragen, die aber nicht tierärztlich versorgt worden sei. Mehrere Schilderungen im streitgegenständlichen Bescheid seien unzutreffend, so z.B., dass der Antragsteller vor dem Vorfall seinen Hund gerufen hätte. Auch habe keine der beiden Frauen mit einer Jacke auf den Hund eingeschlagen. Es habe noch nie Probleme mit einem anderen Hund gegeben. Der Hund des Antragstellers sei stets kontrollierbar und komme auf sein Rufen sofort zu ihm. An die Begegnung mit der zweiten Zeugin am 18. Mai 2024 könne sich der Antragsteller nicht mehr erinnern, da es gerade nicht zu einem Vorfall gekommen sei. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller seinen Hund nicht jederzeit im Griff habe. Der Antragsteller habe im Übrigen über 26 Jahre Erfahrung als Hundehalter. Der Hund „A“ sei ein sozialisierter und freundlicher Familienhund, der noch nie Probleme mit anderen Hunden gehabt hätte und bei anderen Hundehaltern in der Wohngegend des Antragstellers ausgesprochen beliebt sei. Dies würden die beigefügten Stellungnahmen von Nachbarn, Freunden oder sonstigen Kontaktpersonen bestätigen. Vielmehr sei der Hund des Zeugen gleichermaßen auf den Hund des Antragstellers zugerannt und habe diesen angegriffen. Der Hund des Antragstellers habe sich im Rahmen eines artgerechten Abwehrverhaltens nur verteidigt. Dass ein angreifender Hund letztendlich die umfangreicheren Blessuren davontrage, mache ihn nicht automatisch zum Opfer einer Auseinandersetzung.
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Im Wesentlichen dieselben Ausführungen machte der Antragsteller mit Schreiben vom 26. August 2024 auch im Rahmen des (nachgeholten) Anhörungsverfahrens gegenüber der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 27. August 2024 mit, dass sie sich aufgrund der Stellungnahme des Antragstellers nicht zu einer anderweitigen Entscheidung veranlasst sehe.
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Am 29. August 2024 erließ die Antragsgegnerin einen Änderungsbescheid, mit dem die Formulierung „denen der Hund nicht sofort gehorcht“ in Ziffer 1.2. des Bescheids vom 7. Juni 2024 in die Formulierung „denen der Hund nicht zuverlässig gehorcht“ abgeändert wurde (Ziffer 1. des Änderungsbescheids). Im Übrigen wurde angeordnet, dass der Bescheid vom 7. Juni 2024 unverändert bestehen bleibt (Ziffer 2.). Für den Fall, dass der Antragsteller die (geänderte) Verpflichtung aus Ziffer 1. des Änderungsbescheids nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig erfüllt, wurde ein Zwangsgeld i.H.v. 200,00 EUR angedroht (Ziffer 3.). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. wurde angeordnet (Ziffer 4.).
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Zur Begründung der Formulierungsänderung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Vorfall am 14. April 2024 gezeigt habe, dass der Hund „A“ nicht sofort gehorche. Da die entsprechende Anordnung zum Ausführen des Hundes auch für den Halter selbst gelte, hätte die ursprüngliche Formulierung dazu geführt, dass ein Ausführen des Hundes durch andere Personen und auch durch den Halter selbst faktisch unmöglich wäre. Bezüglich der unveränderten Formulierung verweist die Antragsgegnerin auf die Begründung des Ursprungsbescheids.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 30. August 2024 im Wesentlichen Folgendes vorgebracht: Das Interesse am Sofortvollzug überwiege hier das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die erforderliche Anhörung sei jedenfalls gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt worden. Die Anordnungen würden auf Art. 18 Abs. 2 LStVG beruhen. Aufgrund des „Beißvorfalls“ vom 14. April 2024 habe sich gezeigt, dass bezüglich der Haltung des Hundes „A“ Anordnungen zum Schutz der Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum zu treffen seien. Bei dem angeordneten Maulkorbzwang handle es sich um eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Maßnahme, die den Hundehalter nur wenig belaste (weniger als ein Leinenzwang im Außenbereich), den Erfordernissen des Tierschutzes entspreche und den Hund nicht unerträglich beeinträchtige. Dass die Anordnungen unter Ziffer 1.2. (in der Fassung des Änderungsbescheids) rechtmäßig sind, habe das VG Augsburg bereits in einem vergleichbaren Verfahren mit Urteil vom 7. April 2011 (Au 5 K 09.1225) festgestellt. Dass Hunde nur von Personen ausgeführt werden, die den Hund auch beherrschen, sei eher eine Selbstverständlichkeit als eine belastende Maßnahme. Die Ziffern 1.3. und 1.4. dienten einer wirkungsvollen Umsetzung der Maulkorbpflicht, mithin also einem lückenlosen Schutz für die betroffenen Rechtsgüter.
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Auf die Antragserwiderung wird im Übrigen verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 6. September 2024 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers, den Änderungsbescheid vom 29. August 2024 in die gerichtlichen Verfahren miteinzubeziehen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch in dem Verfahren Au 8 K 24.1631, und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
23
Der Antrag ist zulässig, hat aber in der Sache nur in dem tenorierten Umfang Erfolg.
24
1. Verfahrensgegenstand ist der Bescheid vom 7. Juni 2024 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 29. August 2024. Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers erbetene Einbeziehung des Änderungsbescheids in das Klage- und damit auch in das vorliegende Eilverfahren ist gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, da sich diese jedenfalls als sachdienlich erweist (vgl. hierzu Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 9 und Rn. 31).
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Antragsgegenstand des Eilverfahrens ist weiter die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen die Ziffer 1. des Bescheids vom 7. Juni 2024 (in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29. August 2024), für die die Antragsgegnerin in Ziffer 3. des Ausgangsbescheids (bzw. betreffend die geänderte Ziffer 1.2. auch in Ziffer 4. des Änderungsbescheids) die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO).
26
Da sich die Klage gegen den gesamten Bescheid richtet und der Eilantrag ohne Einschränkung auf diese Klage Bezug nimmt, sind die Zwangsgeldandrohungen (Ziffer 2. des Ausgangsbescheids bzw. Ziffer 3. des Änderungsbescheids) sowie die Kostenentscheidung und -festsetzung (Ziffer 4.), für die jeweils ein gesetzlicher Sofortvollzug gilt, ebenfalls vom Eilantrag umfasst (vgl. Art. 21a VwZVG bzw. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, wobei davon auszugehen ist, dass sich § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nicht nur auf isolierte, selbstständige Kostenentscheidungen, sondern auch auf mit einer Sachentscheidung verbundene Kostenentscheidungen bezieht, vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 31). Der Antrag ist insoweit dahingehend auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), dass bezüglich dieser von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Regelungen nicht die Wiederherstellung, sondern die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt wird (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO).
27
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage hinsichtlich Ziffer 1. des Bescheids wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung und Kostenentscheidung anzuordnen, ist zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 2 VwGO statthaft.
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3. Der Antrag ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
29
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 65 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 136 ff.).
30
Soweit die Behörde – wie hier – die sofortige Vollziehung ausdrücklich gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erweist, insbesondere ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO als nicht ausreichend erweist; ist dies der Fall, hat das Gericht ohne weitere Sachprüfung die Vollziehungsanordnung aufzuheben (vgl. hierzu etwa Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff., 98 m.w.N.).
31
a) Die in Ziffer 3. des Bescheids vom 7. Juni 2024 (bzw. in Ziffer 4. des Änderungsbescheids vom 29. August 2024) hinsichtlich der Ziffer 1. verfügte Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere sind die sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Begründungserfordernisse gewahrt.
32
An die Begründung sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 43 ff.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde vorliegend im Wesentlichen mit Schutz vor Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum sowie dem Anspruch der Allgemeinheit auf Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründet. Dies genügt den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil die Anordnung des Sofortvollzugs hinreichend konkret und detailliert im Lichte der besonderen sicherheitsrechtlichen Gefährdungslage begründet wurde. Sonstige Gründe, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
33
b) Gemessen an den oben aufgezeigten Maßgaben fällt die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hinsichtlich der Ziffern 1.1., 1.3. und 1.4. zu Lasten des Antragstellers aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers gegen diese Anordnungen voraussichtlich keinen Erfolg haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass hier bereits aus diesem Grund das Interesse der Allgemeinheit am Sofortvollzug überwiegt.
34
Bezüglich der Ziffer 1.2. (in der Fassung des Änderungsbescheids) ergibt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage dagegen, dass sich diese Anordnung aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen wird, soweit darin angeordnet wurde, dass der Hund „A“ nicht von Personen ausgeführt werden darf, denen er nicht zuverlässig gehorcht. Insoweit überwiegt damit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die Ziffer 1.2. im Übrigen wird sich dagegen voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
35
(1) Der streitgegenständliche Bescheid ist nach summarischer Prüfung formell rechtmäßig, insbesondere wurde die Anhörung des Antragstellers gemäß Art. 28 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG ordnungsgemäß nachgeholt. Dem Antragsteller wurde mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin – nach einem kritischen Überdenken der getroffenen Sachentscheidung – an ihrem Bescheid trotz des (vertieften) Vorbringens des Antragstellers in seinem Schreiben vom 26. August 2024 festhält. Damit sind die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst (etwaig) unterbliebenen Anhörung gewahrt.
36
(2) Der in Ziffer 1.1. des Bescheids vom 7. Juni 2024 angeordnete Maulkorbzwang für den Hund „A“ erweist sich bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig.
37
(a) Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 18 Abs. 2 LStVG. Danach können von den Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder öffentlicher Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden getroffen werden.
38
Der Tatbestand des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfordert das Vorliegen einer konkreten Gefahr, also einer Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt. Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der möglicherweise eintretende Schaden und je ranghöher das bedrohte Rechtsgut ist (stRspr., vgl. z.B. BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 40; B.v. 27.8.2015 – 10 CS 15.1523 u.a. – juris Rn. 4 je m.w.N.).
39
Das sicherheitsrechtliche Einschreiten zur Gefahrenabwehr setzt demnach nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis, bei dem Gesundheit oder Eigentum anderer Personen geschädigt wurde, stattgefunden hat. Zu Beißzwischenfällen muss es deshalb vor Erlass einer Anordnung nicht notwendigerweise gekommen sein, es genügt vielmehr schon, wenn sich ein Hund gefahrdrohend gezeigt hat, ohne dass der Halter hiergegen eingeschritten wäre (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2003 – 24 CS 03.2796 – juris Rn. 8 f.). Ist es hingegen bereits zu Zwischenfällen gekommen, sind sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Abwehr der realisierten Gefahr in der Regel nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten.
40
Vorliegend durfte die Antragsgegnerin aufgrund der ihr vorliegenden Erkenntnisse davon ausgehen, dass von dem Hund „A“ eine konkrete Gefahr für Gesundheit und Eigentum ausgeht. Am 14. April 2024 rannte der nicht angeleinte Hund „A“ unstreitig auf den Hund des Zeugen zu und biss diesen in Hals und Unterkiefer, wodurch dieser tierärztlich behandelt werden musste. Damit hatte sich die Gefahr sogar schon verwirklicht. Es besteht die konkrete Gefahr weiterer derartiger Vorfälle. Außerdem ist dann auch eine Gefährdung für die Unversehrtheit von Menschen gegeben, da es naheliegt, dass z.B. ein Hundehalter versucht, seinen angegriffenen Hund gegen den Hund „A“ zu schützen (vgl. auch BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 42). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag des Antragstellers, der Hund „A“ sei ein sozialisierter und freundlicher Familienhund, der noch nie Probleme mit anderen Hunden gehabt hätte und bei anderen Hundehaltern ausgesprochen beliebt sei. Durch den geschilderten Vorfall vom 14. April 2024 ist diese Einschätzung der fehlenden Gefährlichkeit des Hundes „A“ eindeutig widerlegt. Einer weiteren Nachprüfung zur von dem Hund „A“ ausgehenden konkreten Gefahren, etwa durch ein Sachverständigengutachten, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht mehr (vgl. hierzu Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: 39. EL April 2024, Art. 18 Rn. 40, 42 m.w.N.).
41
Unerheblich ist auch, von welchem Hund der Vorfall am 14. April 2024 letztlich ausgegangen ist, dass der Hund des Antragstellers ebenfalls Verletzungen davongetragen hat und ob der Hund des Zeugen eventuell ein Mitverschulden an dem Vorfall trägt. Denn von einem Hund geht auch dann eine Gefahr aus, wenn die Reaktion des von einer Anordnung betroffenen Hundes auf einer „Provokation“ eines anderen Hundes beruht (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 15; BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 24. Edition, Stand: 01.03.2024, Art. 18 Rn. 60 ff.). Vom Schutzzweck des Art. 18 Abs. 2 LStVG wird sowohl hundetypisches, artgerechtes Verhalten als auch außergewöhnlich aggressives Verhalten eines Hundes erfasst. Die auf diesem Verhalten beruhenden Verletzungen sind dem Hund sicherheitsrechtlich zuzurechnen. Sinn der Regelung ist es, den Behörden die Ermächtigung zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die betreffenden Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen. Hieraus ergibt sich, dass in (auch artgerechten) Kampfsituationen mit anderen Tieren eine Gefahr zumindest für das Eigentum, oftmals auch für die Gesundheit der anwesenden Hundeführer bzw. Passanten (wie z.B. bei Rettungsbemühungen), besteht. Zwar wird insbesondere derjenige Hund, von dem die Kampfinitiative ausging, eine konkrete Gefahr darstellen, und zwar auch dann, wenn es beispielsweise der angegriffene Hund ist, der im „Eifer des Gefechts“ oder wegen des Eingreifens seines eigenen Halters diesen beißt. Denn bereits die Auslösung einer Auseinandersetzung unter Hunden dokumentiert die Gefahr des Tieres (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 9). Jeder Hundehalter muss seinen Hund so kontrollieren können, dass er auch im Fall, dass dieser sich von einem Menschen oder Hund bedroht fühlt, diesen nicht angreift bzw. verletzt. Dies gilt auch bei einem arttypischen Kräftemessen in Rangeleien und Raufereien zur Festlegung der Rangordnung. Demnach kommt es in solchen Kampfsituationen nicht auf die Ermittlung von etwaigen Mitverschuldensanteilen an. Es ist nicht Aufgabe der Sicherheitsbehörde für einen „gerechten Ausgleich“ unter den Haltern an einem Vorfall beteiligter Hunde zu sorgen. Sie hat vielmehr die Aufgabe, bestehende sicherheitsrelevante Gefahren abzuwehren (vgl. dazu VG München, B.v. 10.1.2012 – M 22 S 11.5317 – juris Rn. 35).
42
Die Antragsgegnerin durfte hier auch von der Richtigkeit der Mitteilung über den Vorfall ausgehen. Denn als Grundlage der Gefahrenprognose liegen bei sicherheitsrechtlichen Anordnungen zur Hundehaltung typischerweise Aussagen der Halter der an den Vorfällen beteiligten Hunden bzw. sonstiger Betroffener vor, die die Vorfälle aus ihrer Sicht oft verschieden darstellen. Die Sicherheitsbehörde hat den Sachverhalt bezüglich einer von dem Hund ausgehenden konkreten Gefahr soweit wie möglich aufzuklären. Dabei hat sie auch zu prüfen, ob irgendwelche Gründe dafürsprechen, dass die geschilderten Vorfälle nicht glaubwürdig sind, sie z.B. auf persönlichen Motiven beruhen können. Liegen aber derartige Anhaltspunkte – wie hier – nicht vor, darf die Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit einer Mitteilung bzw. Zeugenaussage ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage einen Vorfall hinreichend detailliert und plausibel schildert oder, wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Für die grundsätzliche Glaubwürdigkeit einer solchen Mitteilung spricht nämlich, dass derjenige, der wider besseres Wissen eine derartige Anzeige bei einer Behörde erstatten würde, sich u.U. gemäß § 164 StGB wegen falscher Verdächtigung strafbar machen könnte. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der effektiven Gefahrenabwehr ist es deshalb im Bereich des präventiven Sicherheitsrechts für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten nicht erforderlich, dass bereits eine vollständige Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalles bzw. der Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens geführt werden kann (zum Ganzen VG Augsburg, B.v. 28.2.2011 – Au 5 S 11.112 – juris Rn. 24; VG Würzburg, U.v. 27.7.2018 – W 9 K 17.332 – juris Rn. 29; VG München, U.v. 3.3.2022 – M 22 K 20.554 – juris Rn. 20).
43
Im Übrigen bestreitet auch der Antragsteller selbst nicht, dass sich der Vorfall vom 14. April 2024 grundsätzlich zugetragen hat. Verschiedene Sichtweisen der Hundehalter bestehen lediglich im Hinblick auf die Details, insbesondere hinsichtlich des Auslösers der Auseinandersetzung. Dass es zu einer durch „A“ verursachten Bissverletzung von „B“ gekommen ist, steht im Ergebnis nicht in Streit. Da bereits ein einmaliger (Beiß-)vorfall für die Anordnung von Maßnahmen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG ausreichen kann, kommt es auf die von der weiteren Zeugin geschilderte Begegnung vom 18. Mai 2024 nicht mehr entscheidungserheblich an.
44
(b) Der Antragsteller ist als Halter des Hundes „A“ Zustandsstörer im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG und entsprechend richtiger Adressat der sicherheitsrechtlichen Anordnung(en). Halter ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Hund (BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 133). Es ist daher maßgeblich darauf abzustellen, wer die tatsächliche Verfügungs- und Bestimmungsmacht über das Tier ausübt. Vorliegend ist nichts vorgetragen und auch sonst nichts ersichtlich, was gegen die Halter- und somit Störereigenschaft des Antragstellers sprechen könnte.
45
(c) Der angeordnete Maulkorbzwang zur Abwehr der von dem Hund „A“ ausgehenden Gefahr wurde ermessensfehlerfrei ausgewählt (§ 114 Satz 1 VwGO), entspricht dem in Art. 8 LStVG geregelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und begegnet im Übrigen auch keinen tierschutzrechtlichen Bedenken.
46
Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Anordnung des Maulkorbzwangs unter Berücksichtigung des Vorstehenden verhältnismäßig. Der Maulkorbzwang berücksichtigt, dass gerade ein größerer Hund – wie hier der Rottweiler „A“ – freien Auslauf braucht, dass aber andererseits effektive Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr möglich sein müssen (BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 24 CS 06.2766 – juris Rn. 22). Es sind keine weniger einschneidenden Maßnahmen ersichtlich, die zum Schutz der durch den Hund „A“ gefährdeten Rechtsgüter gleichermaßen geeignet wären. Im Hinblick auf den hohen Rang der gefährdeten Rechtsgüter stellt der Maulkorbzwang nur eine geringe Belastung des Antragstellers dar (vgl. hierzu auch BayVGH, a.a.O., wonach ein Maulkorbzwang den Hundehalter weniger als ein Leinenzwang im Außenbereich belastet). Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die ein verantwortungsbewusster Hundehalter nach einem solchen Vorfall von sich aus ergriffen hätte, um von seinem Hund ausgehende Gefahren abzuwenden (vgl. BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 111 m.w.N.).
47
Die Antragsgegnerin hat dem Bedürfnis von (insbesondere großen) Hunden, sich in bestimmten Situationen frei und damit jedenfalls zeitweise auch ohne Maulkorb zu bewegen, und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung getragen, dass sie in den Ziffern 1.1.1. und 1.1.2. hinreichende Ausnahmen sowohl für Freiflächen innerhalb des Bereichs des bebauten Ortsgebietes (Ziffer 1.1.1.) als auch für Außenbereiche (Ziffer 1.1.2.) vorgesehen hat (vgl. zum Erfordernis von Ausnahmen BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 112 f. m.w.N.). Dass der Maulkorbzwang hier anstelle einer Leinenpflicht – und gerade nicht in Kombination zu dieser – verfügt wurde, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Wie die Antragsgegnerin ausführt, wurde der Maulkorbzwang hier dem Leinenzwang vorgezogen, da zu befürchten sei, dass Personen, die den Hund ausführen, nicht in der Lage seien, die Leine zu halten. Dies erscheint – jedenfalls nach summarischer Prüfung – nachvollziehbar (vgl. hierzu auch BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Art. 18 Rn. 110).
48
Dass die Anordnung (mit ihren Ausnahmen) nicht auf das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin beschränkt ist, sondern grundsätzlich bayernweit gilt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, weil die von dem Hund ausgehende Gefahr, welche die Antragsgegnerin mit der Anordnung abwehren will, nicht an der gemeindlichen Gebietsgrenze der Antragsgegnerin endet (vgl. auch BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 3; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 65).
49
Schließlich erweist sich die Anordnung des Maulkorbzwanges auch unter Berücksichtigung von tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten als rechtmäßig. Nach § 2 Abs. 1 der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) ist einem Hund u.a. ausreichend Auslauf im Freien sowie ausreichend Umgang mit der Betreuungsperson zu gewähren. Dies wird durch den Maulkorbzwang nicht berührt. Bei einer entsprechenden Auswahl des Maulkorbs werden Hunde auch nicht in relevanter Weise am Hecheln gehindert (VG München B.v. 29.1.2008 – M 22 S. 07.5668, juris Rn. 33) und nicht unerträglich in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt (BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 24 CS 06.2766 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 10 CS 22.865 – juris Rn. 10).
50
Da nach alldem die gegen Ziffer 1.1. erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung. Gründe, die unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage für ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
51
(3) Weiter erweist sich auch die Ziffer 1.3. nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Darin wurde angeordnet, dass die getroffenen Anordnungen auch gelten, wenn der Hund durch andere Personen ausgeführt oder betreut wird und der Antragsteller diese Personen über die getroffenen Anordnungen zu informieren und auf geeignete Weise sicherzustellen hat, dass diese beauftragte Person die getroffenen Anordnungen einhält. Nur wenn sichergestellt ist, dass insbesondere der in Ziffer 1.1. angeordnete Maulkorbzwang auch beachtet wird, wenn dritte Personen den Hund ausführen oder betreuen, kann den vom Hund ausgehenden Gefahren hinreichend effektiv begegnet werden. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat somit auch hier hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurückzutreten.
52
(4) Schließlich begegnet auch die in Ziffer 1.4. des Bescheids verfügte Meldepflicht bei Überlassung an einen neuen Halter keinen rechtlichen Bedenken, da bei einem Halterwechsel Anlass bestehen kann, auch gegenüber dem neuen Halter Auflagen hinsichtlich des als gefährlich einzustufenden Hundes anzuordnen. Da der Bescheid allein an den Antragsteller adressiert ist, verlieren die Anordnungen bei einem Halterwechsel ihre Wirkung. Dadurch entstünde eine nicht hinnehmbare Sicherheitslücke (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2003 – 24 CS 02.2894 – juris Rn. 26). Die verfügte Meldepflicht zielt demnach auf eine Kompensation von Wissenslücken, die dadurch entstehen, dass die Behörde nicht zwingend erfährt, wenn das Tier in neue Hände gerät (vgl. BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 127 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund überwiegt auch hinsichtlich der Ziffer 1.4. das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung.
53
(5) Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis bezüglich der Anordnungen in Ziffern 1.1., 1.3. und 1.4. auch gelten würde, wenn man hier von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgehen wollte. Mit der Verpflichtung, dem Hund in bestimmten Situationen einen Maulkorb aufzusetzen, ist ebenso wenig eine übermäßige Beeinträchtigung des Antragstellers verbunden wie mit den ergänzenden Anordnungen in Ziffer 1.3. und 1.4. Sollte der Antragsteller in der Hauptsache insoweit Erfolg haben, so sind nachhaltige Schäden oder Belastungen nicht zu erwarten. Umgekehrt besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die von dem Hund ausgehenden Gefahren zu unterbinden. Die Antragsgegnerin hat der Verhältnismäßigkeit des angeordneten Maulkorbzwangs im Übrigen dadurch Rechnung getragen, dass diese Anordnungen nur in bestimmten Bereichen und Situationen gelten (vgl. Ziffern 1.1.1. und 1.1.2.).
54
(6) Bezüglich der in Ziffer 1.2. des Ausgangsbescheids in der Fassung der Ziffer 1. des Änderungsbescheids verfügten Anordnung, dass der Hund nicht von Personen ausgeführt werden darf, die psychisch oder physisch oder mangels Sachkenntnissen in Bezug auf die Haltung von Hunden nicht in der Lage seien, den Hund stets sicher zu beherrschen und zu kontrollieren (wie z.B. einige Kinder und Jugendliche, erheblich alkoholisierte Personen) oder denen der Hund nicht zuverlässig gehorcht, sowie der ausdrücklichen Erstreckung dieser Anordnung auf den Halter, wird sich die Klage allerdings voraussichtlich erfolgreich zeigen, soweit sie das Verbot des Ausführens des Hundes von Personen, denen der Hund nicht zuverlässig gehorcht, betrifft.
55
Erhebliche rechtliche Bedenken bestehen zunächst mit Blick auf die Bestimmtheit der gewählten Formulierung des „zuverlässigen Gehorchens“. Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (vgl. BVerwG, U.v. 15.02.1990 – 4 C 41/87 – juris; VG Würzburg, U.v. 13.3.2020 – W 9 K 19.474 – juris Rn. 24). Maßgeblich ist insofern die am objektiven Empfängerhorizont orientierte Auslegung der behördlichen Anordnung (§ 133, § 157 BGB; BayVGH, B.v. 10.3.2017 – 10 ZB 17.136 – juris Rn. 7).
56
Vorliegend ist für den Antragsteller bei der genannten Formulierung nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Anforderungen an Personen, die den Hund ausführen, insoweit gestellt werden (a.A. wohl VG Augsburg, U.v. 7.4.2011 – Au 5 K 09.1225 – juris Rn. 63, allerdings ohne sich explizit mit der Frage der Bestimmtheit auseinanderzusetzen). Dass die Ansichten, wann ein Hund „zuverlässig gehorcht“, oftmals auseinandergehen, zeigt bereits der vorliegende Fall. Zu dem Vorfall am 14. April 2024 kam es offensichtlich u.a. deswegen, weil der Hund „A“ auf das entsprechende Rufen des Antragstellers nicht reagiert hat. Dennoch wird im klägerischen Schriftsatz vom 30. August 2024 vorgetragen, der Hund „kommt nach dem Rufen (…) sofort zu dem Kläger.“ Diese Zweifel an der Bestimmtheit wiegen umso schwerer, als für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung ein Zwangsgeld i.H.v. 200,00 EUR angedroht wurde.
57
Hinreichend bestimmt wäre die Anordnung womöglich nur dann, wenn man auch die Formulierung „zuverlässig gehorcht“ (entsprechend der ursprünglichen Formulierung im Ausgangsbescheid) dahingehend verstehen möchte, dass der Hund der Person „jederzeit sofort gehorchen“ muss, damit er gemäß der Ziffer 1.2. von ihr ausgeführt werden darf. Dann wäre die Anordnung aber aller Voraussicht nach unverhältnismäßig i.S.v. Art. 8 LStVG, da dieses Verständnis der Formulierung dazu führen könnte, dass der Hund faktisch von niemandem mehr ausgeführt werden darf.
58
Weiter ist auch zumindest zweifelhaft, ob das Verbot des Ausführens des Hundes durch Personen, denen er nicht zuverlässig gehorcht, überhaupt erforderlich ist. Mit dem angeordneten Maulkorbzwang soll ja gerade den Gefahren begegnet werden, die insbesondere dadurch entstehen, dass der Hund in bestimmten Einzelfällen (etwa bei starken Außenreizen wie der Begegnung mit einem anderen Hund oder einem Menschen) eben nicht gehorcht (wie der Vorfall vom 14. April 2024 gezeigt hat), auch wenn er im Allgemeinen die Kommandos des Hundeführers durchaus befolgt. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass das Kriterium des „Gehorchens“ insgesamt keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Beurteilung, ob der Hund von einer bestimmten Person ausgeführt werden darf, darstellt und dass es vielmehr sachgerechter wäre, allgemein auf die „Kontrolle“ über den Hund abzustellen, wie es im Übrigen auch die Antragsgegnerin in der Begründung des Änderungsbescheids (unter Ziffer 1.3. der rechtlichen Würdigung) selbst macht.
59
Aufgrund der überwiegenden Erfolgsaussichten der Klage fällt die Interessenabwägung insoweit vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die aufschiebende Wirkung nur hinsichtlich des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs – d.h. soweit an das Kriterium des zuverlässigen Gehorchens angeknüpft wird – wiederhergestellt wird. Die Anordnung im Übrigen, nämlich, dass der Hund nicht von Personen ausgeführt werden darf, die psychisch (geistig) oder physisch (körperlich) oder mangels ausreichender Sachkenntnisse in Bezug auf die Haltung von Hunden nicht in der Lage sind, den Hund stets sicher zu beherrschen und zu kontrollieren, erweist sich dagegen nach summarischer Einschätzung als rechtmäßig (vgl. hierzu BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 18 Rn. 125 f.), sodass es insoweit bei der sofortigen Vollziehbarkeit bleibt. Damit wird den vom Hund ausgehenden Gefahren bereits hinreichend Rechnung getragen, sodass das öffentliche Vollzugsinteresse bezüglich der weiteren Einschränkung über die Formulierung des „zuverlässigen Gehorchens“ als relativ gering zu werten ist.
60
c) Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen hat der Eilantrag nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg:
61
(1) Die in Ziffer 2. des Bescheids (bzw. Ziffer 3. des Änderungsbescheids) enthaltenen Zwangsgeldandrohungen, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind (Art. 21a VwZVG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), erweisen sich hinsichtlich der Ziffern 1.1. und 1.4. bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 5 VwZVG und sind jeweils als geeignetes und gleichzeitig mildestes Mittel rechtlich nicht zu beanstanden. Die Höhe der Zwangsgeldandrohung(en) steht mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG in Einklang. Fehler bei der Ermessensausübung sind nicht ersichtlich. Weitere Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Da sich die dagegen erhobene Klage somit voraussichtlich als unbegründet erweisen wird und damit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen muss, war der Eilantrag auch insoweit abzulehnen.
62
(2) Soweit dagegen hinsichtlich der Ziffer 1.2. (in der Fassung des Änderungsbescheids) die Klage voraussichtlich erfolgreich sein wird (Anknüpfen an das „zuverlässige Gehorchen“), so gilt dies auch für das entsprechende unter Ziffer 2.2. und Ziffer 3. des Änderungsbescheids angedrohte Zwangsgeld. Dieses teilt insoweit das rechtliche Schicksal des Grundverwaltungsakts. Damit war die aufschiebende Wirkung hier in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen.
63
(3) Schließlich war auch hinsichtlich des in Ziffer 2.3. bezüglich der Ziffer 1.3. angedrohten Zwangsgeldes die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da die dagegen gerichtete Klage voraussichtlich erfolgreich sein wird. Hier bestehen rechtliche Bedenken betreffend die hinreichende Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung (Art. 36 Abs. 3 und Abs. 5 VwZVG, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Eine Androhung zur Durchsetzung mehrerer Verpflichtungen muss erkennen lassen, ob sich diese auf Verstöße gegen jede einzelne bezieht oder nur auf Verstöße gegen alle Verpflichtungen zugleich. Zwangsmittel müssen bestimmt und unzweideutig angedroht und einer bestimmten Unterlassungs- und Duldungspflicht konkret zugeordnet werden (VG Würzburg, B.v. 17.10.2016 – W 6 S 16.993 – juris Rn. 19).
64
Nach diesen Grundsätzen ist die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2.3. nicht bestimmt genug. Die Ziffer 1.3. enthält mit der Pflicht zur Information von Dritten einerseits und mit der Pflicht zur Sicherstellung der Einhaltung der Anordnungen andererseits zumindest zwei verschiedene Pflichten. Es ist somit schon dem Wortlaut nach nicht ersichtlich, ob das angedrohte Zwangsgeld lediglich einmal bzgl. Ziffer 1.3. verhängt werden soll, oder für jede der in Ziffer 1.3. enthaltene Verpflichtung (ggf. sogar mehrfach) gesondert. Dies gilt auch, soweit das Zwangsgeld u.a. auch für den Fall angedroht wurde, dass „die in Ziffer 1.3. festgelegte Verpflichtung (…) nicht vollständig“ erfüllt wird. Insoweit ist nämlich unklar, ob mit „Verpflichtung“ die Ziffer 1.3. insgesamt oder jede Pflicht (Informationspflicht bzw. Sicherstellungspflicht) gesondert gemeint ist. Unklarheiten bei der Zwangsgeldandrohung gehen zulasten der Behörde (VG München, B.v. 29.8.2019 – M 18 S 19.2680 – juris Rn. 64 f.; VG Würzburg, B.v. 17.10.2016 – W 6 S 16.993 – juris Rn. 19).
65
d) Bezüglich der im Bescheid vom 7. Juni 2024 unter Ziffer 4. enthaltene Kostenentscheidung, die ihre Rechtsgrundlage in den Vorschriften des Kostengesetzes i.V.m. Tarif-Nummer 2.II.1./2 des Kostengesetzes findet, war die aufschiebende Wirkung insgesamt anzuordnen, da die Antragsgegnerin für den Bescheid insgesamt Gebühren i.H.v. 200,00 EUR erhoben hat, ohne zwischen den verschiedenen Anordnungen in Ziffern 1.1. bis 1.4. zu differenzieren. Da somit aus dem Bescheid nicht ersichtlich ist, welcher Gebührenanteil auf die – voraussichtlich zum Teil rechtswidrige – Anordnung in Ziffer 1.2. entfällt, kann eine Entscheidung hier nur einheitlich ergehen.
66
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie folgt dem Grad des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens.
67
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt die Nrn. 1.5, 35.2 des Streitwertkatalogs.