Inhalt

LG Regensburg, Beschluss v. 04.07.2024 – SR StVK 1150/24
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz des Gefangenen gegen anstaltsinterne Verlegung

Normenkette:
StVollzG § 114 Abs. 2
Leitsatz:
Begehrt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine anstaltsinterne Verlegung, so handelt es sich um einen Antrag auf Aussetzung des Sofortvollzugs. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung bereits vollzogen wurde (Anschluss an BVerfG BeckRS 2015, 50928). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafvollzug, Eilrechtsschutz, Aussetzung des Sofortvollzugs, anstaltsinterne Verlegung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28034

Tenor

1. Die Anordnung der Antragsgegnerin vom 03.07.2024, den Antragstellers am 03.07.2024 von Haus 1 in Haus 2 zu verlegen, wird einstweilig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt. Der Antragsteller ist bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache vorläufig in Haus 1 zurückzuverlegen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers zu tragen.
3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 150 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt S. .
2
Mit Schreiben vom 03.07.2024 hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach § 114 Abs. 1 S. 1 StVollzG beantragt. Konkret beantragt er die gegen ihn am 03.07.2024 von der Antragsgegnerin angeordnete anstaltsinterne Verlegung von Haus 1 in Haus 2 einstweilen außer Vollzug zu setzen bzw. sofern, die Verlegung bereits erfolgt ist, diese einstweilen rückgängig zu machen. Zur Begründung führte er aus, ihm sei am 03.07.2024 vom Bediensteten Herrn ... mitgeteilt worden, dass er aus Sicherheitsgründen in Haus 2 verlegt werden solle. Nähere Angaben zu den Sicherheitsgründen seien nicht erfolgt. Er habe angeben, dass seine Sicherheit nicht gefährdet sei. Die Verlegung sei willkürlich. In Haus 2 sei er möglicherweise einer höheren Sicherheitsgefährdung ausgesetzt.
3
Die JVA S. nahm mit Schreiben vom 04.07.2024 Stellung und führte zum Sachverhalt aus, dass der Antragsteller am 03.07.2024 von Haus 1 in Haus 2 verlegt worden sei. Hintergrund sei gewesen, dass die Sicherheit des Antragstellers im Haus 1 nicht mehr in der erforderlichen Art und Weise gewährleistet werden könne.
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Zur rechtlichen Würdigung führt die JVA aus, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig sei, da eine Eilbedürftigkeit nicht ersichtlich sei, jedenfalls unbegründet sei, da die Verlegung rechtmäßig sei. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Unterbringung in einem bestimmten Haftraum. Die JVA legt sodann dar, welche Sachverhalte insbesondere in die Entscheidung eingestellt worden seien. U.a. führt die JVA aus, dass die Bediensteten in der Vergangenheit Kenntnis darüber erlangt hätten, dass der Antragsteller durch eine Vielzahl von Schreiben, insbesondere Anträgen nach §§ 109 ff. StVollzG für Mitgefangene auffalle. Dieser Zustand sei von den Bediensteten als konfliktfördernd eingeschätzt worden. Es habe Beschwerden von Mitgefangenen gegeben, der Antragsteller würde sich ihnen förmlich aufdrängen. Ein Mitgefangener habe dem Unterzeichner jüngst mitgeteilt, dass der Antragsteller mehreren Mitgefangenen im Zuge seiner Auftragsarbeiten versprochen habe, dass durch ihn erstellte Anträge hinsichtlich geänderter Einschlusszeiten zu 100 % Erfolg haben würden. Es sei daher zu befürchten, dass es im Falle einer Zurückweisung der Anträge zu Übergriffen durch enttäuschte Mitgefangene komme. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren habe der Antragsteller schriftlich eingereicht, dass ein Mitgefangener die Anstalt im Hinblick auf Mietkosten für einen Kühlschrank betrogen habe. Der Mitgefangene habe nunmehr Kenntnis davon. Auch hier sei ein Übergriff etwa aus Rachegedanken zu befürchten bzw. dass der Mitgefangene den Antragsteller bei weiteren Gefangenen in Misskredit bringe und diese gegen ihn aufhetzen wolle. Insgesamt sei eine zunehmend negative Stimmungslage in Haus 1 gegen den Antragsteller erkennbar. Der Anstalt obliege eine Fürsorgepflicht in Bezug auf die Sicherheit des Antragstellers. Ein solches Stimmungsbild könne, was die vollzugliche Erfahrung zeige, schnell kippen. In der Gesamtschau der Umstände sei ausschlaggebend für die Verlegung. Die Beschwerdetätigkeit des Antragstellers für andere Gefangene sei für die Verlegungsentscheidung unerheblich, da eine solche Tätigkeit auch in Haus 2 fortgeführt werden könne. Der Antragsteller sei vor der Verlegung gehört worden. Er habe u.a. angegeben, seine Sicherheit sei derzeit in Haus 1 gewährleistet. Ob seine Sicherheit in Haus ebenfalls gewährleistet sei, sei dahinzustellen, da sich die Sicherheitslage durch Gerüchte seine Verlegung betreffend dort verschlechtern könne. Das Vorbringen sei gewürdigt worden. Der Antragsteller habe jedoch keine substantiierten Gründe vorgetragen, die einer Verlegung entgegenstünden. Die Verlegung wie praktiziert sei das mildeste Mittel. Eine etwaige alternative Verlegung von Mitgefangenen wäre nicht gleich zielführend.
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Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Äußerung und nahm mit Schreiben vom 04.07.2024 Stellung. U.a. führte er aus, dass die Verlegung bereits durchgeführt sei. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt anderen Gefangenen aufgedrängt. Auch habe er keine 100 prozentige Erfolgsquote zugesichert. Der Mitgefangene hinsichtlich der Mietkosten stelle keine Bedrohung dar. Die genannten Gründe der Antragsgegnerin seien nachgeschoben.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schriftstücke verwiesen und Bezug genommen.
II.
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Der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung des Sofortvollzugs ist zulässig und begründet, da die Voraussetzungen i.S.d. § 114 Abs. 2 S. 1 StVollzG vorliegen.
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Entgegen der rechtlichen Würdigung der Antragsgegnerin handelt es sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei dem Begehren des Antragstellers, der sich gegen die anstaltsinterne Verlegung wendet, nicht um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Begehrt ein Gefangener wie hier vorliegend Eilrechtsschutz gegen eine anstaltsinterne Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung wie hier gegeben bereits vollzogen wurde (BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 29.5.2015 – 2 BvR 869/15, NStZ-RR 2015, 355, beck-online).
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Auch liegt keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Eine nur in Ausnahmefällen zulässige Vorwegnahme der Hauptsache liegt nur dann vor, wenn die begehrte vorläufige Entscheidung faktisch keine vorläufige wäre, sondern einer endgültigen gleichkäme. Dies ist nicht der Fall, wenn die einstweilige Aussetzung einer Maßnahme begehrt wird, die bei einem Unterliegen in der Hauptsache wieder in Geltung gesetzt werden kann. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht eine vorläufige Regelung nicht zu einer faktisch endgültigen. Die vorläufige Aussetzung ist vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade der typische, vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsgehalt des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine belastende Maßnahme (BVerfG a.a.O.).
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Gemessen daran ist keine Vorwegnahme der Hauptsache gegeben. Die Verlegung kann rückgängig gemacht werden, wenn im Falle eines Hauptsacheantrags ein solcher kein Erfolg hätte.
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Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Eilantrag nach § 114 Abs. 2 S. 1 StVollzG ist ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers an der begehrten Entscheidung. Daran fehlt es, wenn die Aussetzung des Sofortvollzugs zur Wahrung der Rechte des Antragstellers nicht notwendig ist (Calliess/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 114 Rdnr. 3 m.w.N.). Ein solches schutzwürdiges Interesse des Antragstellers ist vorliegend dargelegt. Der Eilantrag muss auch die angefochtene Maßnahme nach Inhalt, Zeitpunkt und Begründung vollständig bezeichnen (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 114, Rn. 3 m.w.N.). Auch dieser Anforderung wird der Antrag gerecht.
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Der Eilantrag ist auch begründet.
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Gemäß § 114 Abs. 1 StVollzG hat ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung keine aufschiebende Wirkung. Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG kann das Gericht den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht.
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Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem im Strafvollzugsgesetz zum Ausdruck gekommenen öffentlichen Interesse am wirksamen und deshalb in der Regel sofortigen Vollzug von Anstaltsmaßnahmen einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, einstweilen von belastenden Maßnahmen verschont zu bleiben, die letztlich möglicherweise nicht aufrechterhalten bleiben (Callies/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 6. Aufl. 2008, § 114 Rdnr. 3 m.w.N.). Entgegenstehende höherrangige Interessen des Staates können namentlich bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr vorliegen, die aus Sicherheitsgründen erforderlich sind oder dem Schutz elementarer Ordnungsfunktionen (Sicherheit und Ordnung der Anstalt) dienen (Calliess/Müller-Dietz, Kommentar zum StVollzG, 6. Aufl. 2008, § 114 Rdnr. 2).
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Auch kann eine Rolle spielen, ob nach einer summarischen Prüfung der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. BVerfG, NJW 2004, 223/225).
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Solche höherrangigen Interessen der Anstalt sind vorliegend nichht gegeben. Dem Interesse des Antragstellers, einstweilen vom Vollzug der angegriffenen Maßnahme verschont zu bleiben, steht nach summarischer Prüfung nicht das höher zu bewertende Interesse der Justizvollzugsanstalt S. am sofortigen Vollzug dieser Maßnahme entgegen. Denn nach summarischer Prüfung ist die gegen den Antragsteller verhängte Maßnahme rechtswidrig.
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Bei einer anstaltsintemen Verlegung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, was die JVA auch zu Recht gesehen hat. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Unterbringung in einem bestimmten Gebäude, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ermessensentscheidung sind durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbar. Fehlerhaft sind Ermessenserwägungen, wenn sie auf unrichtigen oder unvollständigen Tatsachengrundlagen beruhen, Ermessen nicht ausgeübt oder nicht alle ermessensabwägungsrelevanten Aspekte einbezogen wurden. Als fehlerhafte Ermessenserwägung ist auch eine Falschgewichtung der abwägungsrelevanten Aspekte zu sehen.
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Nach summarischer Prüfung hat die JVA den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und nicht alle relevanten Aspekte gewürdigt bzw. eine Falschgewichtung von relevanten Aspekten vorgenommen.
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Die JVA hat nicht aufgeklärt, in welchem Verfahrensstadium sich die Anträge von Mitgefangenen, denen nach Angaben der JVA eine 100 Prozent Erfolgsquote versprochen worden sei, befinden. Sofern die JVA noch keine gerichtliche Stellungnahme abgegeben hat, dürfte eine etwaige Enttäuschung durch Mitgefangene derzeit noch nicht gegeben sein bzw. auch nicht in den nächsten Tagen. Auch ist es eine bloße Vermutung, dass der Mitgefangene in Sachen Mietkosten andere Gefangene gegen den Antragsteller aufhetzt. Es hätte einer Prüfung und Würdigung bedurft, seit wann der Mitgefangene Kenntnis davon hat, dass der Antragsteller Angaben im Verfahren des Mitgefangenen gegenüber dem Gericht gemacht hat. Sollte die Kenntnis schon einige Zeit zurückliegen, dürfte es, da derzeit dem Antragsteller nichts passiert ist, eine Bedrohungslage in naher Zukunft eher fernliegend sein. Auch wurde nicht mit ausreichendem Gewicht gewürdigt, dass der Antragsteller selbst sich nicht gefährdet sieht. Der Antragsteller hat mit Sicherheit kein Interesse daran in Haus 1 zu bleiben, wenn er selbst eine Gefährdung merken würde. Insofern kommt dem eigenen Interesse aufgrund subjektiver fehlender Aussetzung einer Gefahr eine hohe Bedeutung in der Ermessensentscheidung zu. Überdies wurde mit zu geringem Gewicht gesehen, dass die Verlegung in Haus 2 b dazu führen kann, dass der Antragsteller weiterhin Anträge für Mitgefangene schreibt bzw. das sich dort verbreitet, dass der Antragsteller einen Mitgefangenen gegenüber dem Gericht betrügerischer Angaben bezichtigt haben soll. Insofern ist genauso wenig hinreichend ausgeschlossen, dass auch in Haus eine potentielle Gefährdung besteht, so dass mildere Mittel nicht auf einer hinreichenden Sachverhaltsaufklärung geprüft wurden. Auch wurde nicht geprüft, ob der Antragsteller sich während der Aufschlusszeiten überwiegend in seinem Haftraum aufhält und mithin sodann durch verstärkte Beobachtung durch Personal sichergestellt werden kann, dass kein anderer Gefangener sich in den Haftraum des Antragstellers begibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 121 Abs. 2, Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 StPO, diejenige über den Streitwert auf §§ 60, 65, 52 GKG.
III.
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Gegen die vorliegende Entscheidung ist ein Rechtsmittel gemäß § 114 Absatz 2 Satz 3, 1. Halbsatz StVollzG nicht gegeben.
IV.
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Eine Entscheidung im ordentlichen Verfahren müsste der Antragsteller gesondert neu beantragen. Derzeit ist ein Hauptsacheantrag nicht gestellt. Die Antragsgegnerin ist durch die vorliegende Entscheidung nicht gehindert, die Maßnahme vom 03.07.2024 selbst im Wege der Abhilfe aufzuheben und neu über eine Verlegung zu entscheiden. Im Falle einer erneuten Entscheidung müsste dann gesondert, falls Rechtsschutz begehrt wird, dagegen vorgegangen werden. Die vorliegende Entscheidung betrifft ausschließlich die Anordnung der Verlegung am 03.07.2024.