Titel:
Erfolgreicher Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung in Iran
Normenketten:
§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3, § 71 Abs. 5 S. 3, § 75 Abs. 1
Anerkennungs-RL Art. 4 Abs. 3
Leitsätze:
1. Hat der Ausländer einen Asylfolgeantrag gestellt und ist ein weiteres Asylverfahren durchgeführt worden, ist ein unbegründeter Asylantrag von Gesetzes wegen als offensichtlich unbegründet abzulehnen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird bei einem Asylfolgeantrag ein weiteren Asylverfahren durchgeführt, hat über die Zulässigkeitsprüfung hinaus die erneute Prüfung des Asylbegehrens in vollem Umfang zu erfolgen, wobei grundsätzlich auch ein früheres Vorbringen des Asylsuchenden zu berücksichtigen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Prüfung eines Folgeantrags erfordert nach europarechtlichen Vorgaben eine umfassende Prüfung aller Umstände des konkreten individuellen Falles, was jeglichen Automatismus ausschließt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Konversion vom Islam zum Christentum, Verwestlichung, Sofortantrag, zulässiges Folgeverfahren, erfolgte Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet, Offensichtlichkeitsausspruch kraft Gesetzes, ernstliche Zweifel an Rechtmäßigkeit, keine eindeutige Aussichtlosigkeit des Asylantrages, erhöhte Begründungsanforderungen an Ablehnung als Gewähr für materielle Richtigkeit, fehlende umfassende Würdigung des gesamten Vorbringens des Antragstellers unter Einbeziehung aller vorliegenden Erkenntnisse, keine Aufklärung zu einer möglichen Verwestlichung, Ablehnung Prozesskostenhilfe mangels PKH-Erklärung, Eilverfahren, aufschiebende Wirkung, Asylverfahren, Offensichtlichkeitsausspruch, Konversion, exilpolitische Aktivitäten, Abschiebungsandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27926
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Verfahrens W 8 K 24.31426 gegen die unter Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2024 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Androhung der Abschiebung in den Iran infolge der Ablehnung seines Folgeantrags als offensichtlich unbegründet.
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Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag wurde mit Bescheid vom 3. Februar 2023 letztlich rechtskräftig abgelehnt (siehe VG Würzburg, U.v. 12.6.2023 – W 8 K 23.30105). Am 3. Juli 2024 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung gab er im Wesentlichen an: Er sei vom Islam zum Christentum konvertiert und am 20. Mai 2024 getauft worden. Außerdem habe er an Demonstrationen teilgenommen und sich auch im Internet exilpolitisch betätigt. Im Übrigen leide er an einer schweren depressiven Episode, zuletzt in Form eines suizidalen-depressiven Syndroms.
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Mit Bescheid vom 26. juli 2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran bzw. in einen anderen Staat wurde angeordnet. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die vom Antragsteller vorgetragene kürzlich mit Taufe vom Mai vollzogene Konversion vom Christentum sei ein neues Element. Die vom Antragsteller geltend gemachten weiteren Elemente in Form geschilderter exilpolitischer Aktivitäten seien hingegen nicht neu. Diese habe er bereits im vorangegangenen Asylverfahren eingebracht und sie seien auch dort gewürdigt worden. An der Glaubwürdigkeit des Antragstellers bestünden massive Zweifel. Einerseits sei in den vorgelegten Arztberichten von problemlosen Kontakten des Antragstellers zur Kernfamilie im Iran berichtet, anderseits beim Bundesamt vorgetragen worden, der Kontakt sei unter anderem wegen seiner Konversion zum Christentum von der Mutter seit einem Jahr abgebrochen. Zudem falle auf, dass der Zeitpunkt der Taufe des Antragstellers zeitlich im Zusammenhang mit einer dem Antragsteller drohenden Abschiebung in den Iran stehe. Der Antragsteller sei nicht in der Lage gewesen, zu veranschaulichen, welche Bedeutung seine alte Religion, der Islam, für ihn gehabt haben solle. Der Antragsteller sei schon nicht in der Lage gewesen, zwischen der Religion des Islam an sich und den sozialen und politischen Verhältnissen im Iran zu differenzieren. Das Vorbringen zu seiner Schwester wirke konstruiert. Der wiederholte Verweis auf Ungerechtigkeiten, Gewalt gegen Frauen, Krieg und Töten im Namen des Islam spreche in seiner Oberflächlichkeit und floskelhaften Verwendung gegen die von ihm für sich in Anspruch genommene Auseinandersetzung mit der Religion. Soweit der Antragsteller christliche Begriffe verwende, habe der Unterzeichner nicht den Eindruck gewinnen können, dass der Antragsteller diese Begriffe aufgrund einer tiefergehenden Verinnerlichung der christlichen Lehre und ihre Werte und nicht etwa nur als Schlagworte benutze. Andererseits als bei einem tatsächlich durchlebten Konversionsprozess zu erwarten wäre, fehlten konkrete und detaillierte, über bloße Plattitüden hinausgehende Aussagen zum inneren Erleben des Konversionsverlaufs. Die Erläuterungen zur ungefragt erwähnten Missionierung seien unverständlich bis an die Grenze der Unsinnigkeit. Die asyltaktische Motivation der Behauptung, missionieren zu wollen, werde darüber hinaus ohne weiteres aus der eingangs erfolgten Erklärung deutlich, dies sei Christenpflicht, um die unterbleibenden dahingehenden Aktivitäten in Deutschland damit zu erklären, ein Pfarrer habe gesagt, diese Pflicht gelte in Deutschland nicht. Eine innere christlich motivierte Überzeugung, die den Antragsteller dazu veranlasst haben sollte, die im vorgelegten Gemeindeschreiben geschilderten Aktivitäten zu unternehmen, werde nicht deutlich. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) gestellt habe und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werde. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
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Am 13. August 2024 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 24.31426 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren beantragen
a) die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tag gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2024 anzuordnen,
b) dem Antragsteller auch für das Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, S …, zu bewilligen.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Laut der vorgelegten fachärztlichen Unterlagen und der dort getroffenen Feststellungen bestehe beim Antragsteller bei Abbruch der Therapie ein suizidales Risiko. Im Übrigen gälten die Ausführungen des VG Würzburg in seinem Beschluss vom 5. Juni 2024 (W 8 S 24.30857) entsprechend für den Antragsteller. Daher sei zumindest die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Klage und Eilantrag hätten hinreichende Aussicht auf Erfolg. Deshalb sei dem Antragsteller auch Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Beleg würden umgehend nachgereicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der Akten der Verfahren W 8 K 24.31426 und W 8 K 23.30105) sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage W 8 K 24.31426 gegen die unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom 26. Juli 2024 verfügte Abschiebungsandrohung hat Erfolg.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3, § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage entfaltet nach Maßgabe von § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Sofortantrag und Klage wurden innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eingelegt.
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Der Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides bestehen.
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Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 99).
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Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ist für das Eilverfahren erschöpfend zu prüfen, ob die Antragsgegnerin aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihr vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihr vorliegenden und zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, sowie, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Des Weiteren darf die Verneinung relevanter inlandsbezogener Abschiebungshindernisse gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG keinen ernstlichen Zweifel unterliegen.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Denn unter Würdigung des vorliegenden Akteninhalts und der sonstigen Erkenntnisse bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der ihr zugrundeliegenden Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags als unbegründet.
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Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet folgt aus § 30 Abs. 1 Nr. 8 1. Alt. AsylG. Sie ist in dieser Konstellation vom Gesetzgeber vorgegeben. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn – wie hier – der Ausländer gemäß § 71 AsylG einen Folgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Da das Bundesamt vorliegend in die Prüfung eingestiegen ist und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat – und damit keine Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ausgesprochen –, ist der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit mit der Konsequenz der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung gesetzliche Folge einer Ablehnung des Asylfolgeantrags als in der Sache unbegründet (vgl. VG Augsburg, B.v. 13.6.2024 – Au 9 K 24.30493, Au 9 S 24.30494 – juris Rn. 47; B.v. 11.4.2024 – Au 5 S 24.30322, Au 5 K 24.30321 – juris Rn. 23; vgl. auch VG Hamburg, B.v. 11.4.2024 – 10 AE 1473/24 – juris Rn. 14).
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Gleichwohl ist auch in der vorliegenden Fallkonstellation des vom Gesetzgeber zwingend vorgegebenen Offensichtlichkeitsausspruchs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG bei Ablehnung des Asylantrags nach Durchführung eines Folgeverfahrens eine damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes – gerade auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nur gerechtfertigt, wenn, wie vom Bundesverfassungsgericht für das bisherige Recht gefordert, auch hier eine eindeutige Aussichtslosigkeit des Asylantrages gegeben ist (vgl. VG Augsburg, B.v. 13.6.2024 – Au 9 K 24.30493, Au 9 S 24.30494 – juris Rn. 49; VG Hamburg, B.v. 11.4.2024 – 10 AE 1473/24 – juris Rn. 15 mit Bezug auf BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 89 f.).
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Infolgedessen sind mit Blick auf die gravierenden Folgen einer qualifizierten Ablehnung des Asylantrages an die die Entscheidung des Bundesamtes tragende Begründung erhöhte Anforderungen zu stellen. Solche erhöhten Begründungsanforderungen dienen der wirksamen Durchsetzung des materiellen Asylanspruchs in einem dafür geeigneten Verfahren und der Sicherung des von Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich auch geschützten vorläufigen Bleiberechts des Asylbewerbers. Sie sollen die Gewähr für die materielle Richtigkeit der Entscheidung verstärken (Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 42 Ed. Stand 1.7.2024, § 30 AsylG Rn. 48 m.w.N.). Hat sich der Asylbewerber wie hier ihr Asylbegehren auf ein umfassendes Vorbringen gestützt, so muss sich das Bundesamt damit intensiv auseinandersetzen. Dies muss sich auch in seiner Begründung niederschlagen, wobei es letztlich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, welche Begründungstiefe und -weite geboten ist (vgl. Heusch in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 42. Ed. Stand 1.7.2024, § 30 AsylG Rn. 50).
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Des Weiteren ist zu Folgeverfahren in der vorliegenden Konstellation bei Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu beachten, dass über die Zulässigkeitsprüfung hinaus die erneute Prüfung des Asylbegehrens in der Sache insgesamt zu erfolgen hat, wobei grundsätzlich auch ein früheres Vorbringen des Asylsuchenden zu berücksichtigen ist. Die Verpflichtung zu einer erneuten Sachprüfung in vollem Umfang besteht, soweit der in zulässiger Weise geltend gemachte Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens reicht, hier primär bezogen auf die Konversion vom Islam zum Christentum, aber auch hinsichtlich fortgesetzter exilpolitischer Aktivitäten (vgl. VG Würzburg, U.v. 2.1.2023 – W 8 K 22.30737 – juris Rn. 29 m.w.N., etwa BVerwG, B.v. 5.8.1987 – 9 B 318/86 – Buchholz 402.25, § 14 AsylVfG Nr. 6; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67).
17
Dabei können auch Umstände, die schon während des Erstverfahrens vorhanden waren, relevant sein und das Vorbringen des Antragstellers kann in einem neuen Licht zu bewerten sein (vgl. VG Würzburg, U.v. 12.6.2023 – W 8 K 23.30207 – UA S. 7 f. mit Bezug auf EuGH, U.v. 9.9.2021 – C 18/20 – juris Rn. 33 ff.). Denn die Prüfung eines Folgeantrags erfordert auch gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU europarechtlich eine individuelle Prüfung dieses Antrags anhand aller in Rede stehenden Umstände durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wobei alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen sind. Erforderlich ist eine umfassende Prüfung aller Umstände des konkreten individuellen Falles, was jeglichen Automatismus ausschließt (EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-222/22 – juris Rn. 34 ff. – zur Konversion Iraners vom Islam zum Christentum – m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung).
18
Vorliegend bestehen schon hinsichtlich der einfachen unbegründeten Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers durchgreifende rechtliche Bedenken.
19
Ausgehend von den vorstehend skizzierten Grundsätzen sprechen erhebliche Gründe dafür, dass der streitgegenständliche Bescheid der Antragsgegnerin einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Denn nach Überzeugung des Gerichts ist das Begehren des Antragstellers nicht eindeutig aussichtslos, so dass sich eine Abweisung seines Antrags nicht aufdrängt.
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Die Ablehnung des Folgeantrags ist schon deshalb fraglich, weil der flüchtlingsrelevante Aspekt der (fortgesetzten) exilpolitischen Aktivitäten seitens der Antragsgegnerin nicht vertieft behandelt worden ist. Unter anderem wurde nicht aufgeklärt an wieviel Demonstrationen der Antragsteller wann und wo seit Abschluss des Erstverfahrens teilgenommen hat und, ob Bezüge zu exilpolitischen Gruppen oder Organisationen bestanden. Im streitgegenständlichen Bescheid finden sich dazu keine Ausführungen. Vielmehr ist im Bescheid nur ausgeführt, dass die weiteren Elemente in Form der exilpolitischen Aktivitäten bereits im Erstverfahren eingebracht und gewürdigt worden seien, ohne die nach Abschluss des Erstverfahrens erfolgten von Antragsteller explizit angeführten exilpolitischen Aktivitäten zu berücksichtigen. In dem Zusammenhang bedurfte es, wie schon ausgeführt, einer umfassenden individuellen Prüfung, auch unter Einbezug des Vorbringens im Erstverfahren, weil dieses Vorbringen insgesamt möglicherweise in einem neuen Licht zu bewerten gewesen sein könnte.
21
Des Weiteren bestehen ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit des streitgegenständlichen Bescheides mit Bezug auf die vorgebrachte Konversion vom Islam zum Christentum.
22
Denn erforderlich für die Annahme einer dem Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran infolge einer Konversion vom Islam zum Christentum ist, aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen zu haben und aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis zu haben, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen öffentlich auszuüben, weil bei ihm eine andauernde christliche Prägung vorliegt (vgl. im Einzelnen zu den Voraussetzungen für die Annahme einer flüchtlingsrelevanten Konversion vom Islam zum Christentum bei Iranern etwa VG Würzburg, U.v. 8.1.2024 – W 8 K 23.30461 – juris Rn. 20 f. m.w.N. zur Rspr.).
23
Zwar ist der Antragsgegnerin zugute zu halten, dass nach dem Vorbringen des Antragstellers im Folgeverfahren, insbesondere im Rahmen ihrer Anhörung, gewisse Bedenken bestehen, ob er die vorstehend skizzierten Voraussetzungen erfüllt. Jedoch ist gerade in Konversionsfällen für die eigene Überzeugungsbildung des Gerichts gemäß § 108 VwGO erforderlich, sich selbst einen persönlichen Eindruck vom Antragsteller in der mündlichen Verhandlung zu verschaffen, um sich über Vorliegen einer ernsthaften flüchtlingsrelevanten Konversion ein Urteil zu bilden zu können. Die Würdigung der Angaben des Antragstellers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung, wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner religiösen und kulturellen Prägung und seiner intellektuellen Disposition abhängen (VG Würzburg, U.v. 8.1.2024 – W 8 K 23.30461 – juris Rn. 21 mit Verweis auf Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 sowie m.w.N. zur Rspr.). Insoweit sind die Erfolgsaussichten der Klage jedenfalls zumindest als offen zu betrachten.
24
Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller im Übrigen in der Sache asyltaktisches Verhalten vorwirft, ist diese Argumentation für sich schon fragwürdig, weil angesichts der Willkür der iranischen Behörden und der Unberechenbarkeit ihres Vorgehens die Annahme eines asyltaktischen Verhaltens für sich nicht geeignet ist, eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückreise auszuschließen (vgl. nur VG Würzburg, U.v. 25.3.2024 – W 8 K 23.30739 – juris Rn. 70 mit Verweis auf VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – juris Rn. 72 ff., 79 f.).
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Des Weiteren ist die Verwendung von Schlagworten und „Floskeln“ seitens des Antragstellers bzw. von ähnlichem Vortrag wie bei anderen Asylbewerbern für sich kein Beleg, dass dieses Vorbringen unglaubhaft sein muss. Vielmehr hat durchweg eine konkrete Prüfung und Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachvorbringen sowie eine Bewertung nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – juris Rn. 78 mit Verweis auf VG Minden, B.v. 30.10.2023 – 2 L 930/23.A – juris Rn. 55 ff.).
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In dem vorstehend zitierten, der Antragsgegnerin bekannten Urteil vom 19. Februar 2024 hat das erkennende Gericht darüber hinaus ausgeführt, dass keine aktuellen konkreten Erkenntnisse ersichtlich sind, dass die iranischen Behörden Nachfluchtaktivitäten (insbesondere Konversion vom Islam zum Christentum und/oder exilpolitische Aktivitäten) realistisch einschätzten und infolgedessen mit einer Verfolgung nicht zu rechnen sei. Die den betreffenden Annahmen zugrundeliegenden Erkenntnisse sind überholt, da sie nicht erst durch aktuelle Aussagen des Auswärtigen Amtes (siehe nachfolgend), sondern auch sonst in der Sache überholt sind, weil sich diese Annahmen auf 17 Jahre alte Erkenntnisse beziehen, die in der Folgezeit explizit nicht mehr aufrechterhalten wurden (vgl. dazu ausführlich VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – juris Rn. 72 ff.; vgl. auch U.v. 25.3.2024 – W 8 K 23.30739 – juris Rn. 70).
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Des Weiteren ist anzumerken, dass mittlerweile ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes vorliegt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 15.7.2024, Stand 3.4.2024) vorliegt, in dem das Auswärtige Amt auf S. 27 f. mit Blick auf die geänderten Verhältnisse aufgrund der Niederschlagung der Proteste im Herbst 2022 verweist und ausführt, dass aufgrund der Zunahme des Interesses iranischer Dienste an regimekritischen Aktivitäten auch außerhalb des Iran die Gefahr für Regimekritikerinnen und -kritikern (einschließlich Asylbewerberinnen und -bewerbern bzw. anerkannten Flüchtlingen) eine Kontaktaufnahme mit zuständigen iranischen Auslandsvertretungen deutlich gestiegen sei. Familienangehörige von Asylbewerberinnen und -bewerbern und anerkannten Flüchtlingen würden im Iran erheblichem Druck ausgesetzt. Die Kontaktaufnahme mit einer iranischen Auslandsvertretung könne diese Gefahr bereits erhöhen. Allein das Bekanntwerden, dass eine Person Asyl beantragt habe, erhöhe die Gefahr weiter. Eine Beantragung von Pässen und Personenstandsdokumenten bei iranischen Auslandsvertretungen in Deutschland ist daher aus der Sicht des Auswärtigen Amtes nicht zumutbar. Auch diesen Aspekt hat die Antragsgegnerin nicht gewürdigt.
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Angesichts der vorliegenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides überwiegt das Interesse des Antragstellers, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten war abzulehnen, weil der Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen vorgelegt hat.