Titel:
Belehrung über das Widerrufsrecht bei Ergänzung des Versicherungsvertrages um einen zusätzlichen Tarif - Beitragsentlastungstarif
Normenketten:
VVG § 8
BGB § 242
Leitsätze:
1. Vereinbaren die Parteien die Erweiterung eines bestehenden Versicherungsvertrages um einen zusätzlichen Tarif für die Beitragsentlastung im Alter, steht dem Versicherungsnehmer in Bezug auf diese Vertragsänderung ein gesetzliches Widerrufsrecht zu. (Rn. 13)
2. Es spricht viel dafür, dass für die Belehrung über die ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG) die Angabe der Großkundenpostleitzahl des Versicherers ausreicht. (Rn. 19)
3. Jedenfalls stünde der Ausübung eines auf den – unterstellt – hierin liegenden Belehrungsfehler gestützten Widerrufsrechts des Versicherungsnehmers der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen. (Rn. 20)
1. Hat der Versicherer im Policenbegleitschreiben auf das Bestehen eines Widerrufsrechts gem. § 8 VVG und die hierfür geltenden Anforderungen allgemein hingewiesen und diese sodann in einem beigefügten Informationsblatt, auf das in dem allgemeinen Hinweis konkret Bezug genommen wird, näher erläutert, werden beide Komponenten der Belehrung Teil einer in der Gesamtschau zu bewertenden Widerrufsbelehrung (Anschluss an OLG Saarbrücken BeckRS 2024, 16531 zur Widerspruchsbelehrung gem. § 5a Abs. 2 S. 1 VVG aF). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass die Widerrufsbelehrung hinsichtlich des Widerrufsadressaten auf den Briefkopf des Anschreibens verweist und dort neben dem Namen und der Anschrift des Versicherers mit dem Hinweis "Es betreut Sie: ..." auch der Name und die Anschrift des Versicherungsmaklers erwähnt werden, ergeben sich keine unzulässige Abweichung von dem Grundgedanken des § 8 Abs. 1 S. 1 VVG und keine relevante Erschwernis zu Lasten des Versicherungsnehmers im Hinblick auf die Ausübung seines Lösungsrechts. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsentlastungstarif, Erweiterung, Widerrufsrecht, Widerrufsadressat, ladungsfähige Anschrift, Großkundenpostleitzahl, Rechtsmissbrauch
Vorinstanz:
LG Ansbach, Urteil vom 15.03.2024 – 3 O 887/23 Ver
Weiterführende Hinweise:
Berufungsrücknahme nach diesem Hinweis.
Fundstellen:
NJW-RR 2025, 292
FDVersR 2024, 027889
LSK 2024, 27889
BeckRS 2024, 27889
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 15.03.2024, Az. 3 O 887/23 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über den Widerruf von Vertragsänderungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung, die der Kläger bei der Beklagten unterhält.
2
Am 12.05.2016 beantragte der Kläger erstmals die Erweiterung des bestehenden Versicherungsvertrages um den Beitragsentlastungstarif „B…“. Diesen Antrag nahm die Beklagte an und übersandte dem Kläger am 17.05.2016 den entsprechenden Versicherungsschein sowie die Tarifbedingungen „B…“ (sog. Vertragsgrundlage …). Beginn des Versicherungsschutzes in dem zusätzlichen Tarif war vereinbarungsgemäß der 01.06.2016. Das Policenbegleitschreiben der Beklagten (Anlagenkonvolut B 1, Seiten 1 f.) enthielt u.a. folgende durchgehend fett gedruckte Passage:
„Sie können der Vertragsänderung (Antrags- oder Annahmeerklärung) nach Zugang des Versicherungsscheines innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Einzelheiten zu Form, Fristwahrung, Prämienanspruch und Adresse, an die der Widerruf zu richten ist, entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Informationsblatt. Ein Beitragsguthaben werden wir Ihnen im Falle eines Widerrufs erstatten.“
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Der Kläger kündigte im Januar 2017 zunächst den Versicherungsschutz im Beitragsentlastungstarif „B…“, was die Beklagte rückwirkend zum 01.01.2017 bestätigte (Anlagen B 2 und B 3). Am 14.05.2020 beantragte der Kläger erneut die Erweiterung des bestehenden Versicherungsvertrages um den Beitragsentlastungstarif „B…“. Auch diesen Antrag nahm die Beklagte an und übersandte dem Kläger am 18.05.2020 den entsprechenden Versicherungsschein sowie die Tarifbedingungen „B…“. Beginn des Versicherungsschutzes in dem zusätzlichen Tarif war vereinbarungsgemäß der 01.06.2020. Das Policenbegleitschreiben der Beklagten (Anlagenkonvolut B 4, Seiten 1 f.) enthielt u.a. folgende durchgehend fett gedruckte Passage:
„Sie können Ihre Vertragserklärung nach Zugang des Versicherungsscheines innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Einzelheiten zu Form, Fristwahrung, Prämienanspruch und Adresse, an die der Widerruf zu richten ist, entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Informationsblatt.“
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Den beiden Policenbegleitschreiben der Beklagten (Anlagen B 1 und B 4) lag jeweils ein identisches, einseitiges Informationsblatt bei, das mit der fettgedruckten Überschrift „Wichtiger Hinweis zum Widerrufsrecht“ versehen war. Es folgte, mit fettgedruckten Zwischenüberschriften versehen und durch waagerechte Linien unterteilt, eine Belehrung über das Widerrufsrecht und die Widerrufsfolgen (Anlagenkonvolute B 1, Seite 23, und B 4, Seite 11). Dort hieß es jeweils u.a.:
„Die genaue Adresse, an die der Widerruf zu richten ist, entnehmen Sie bitte dem Briefkopf des Anschreibens.“
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.06.2023 (Anlage K 3) erklärte der Kläger den Widerruf beider Vertragsänderungen hinsichtlich der Einbeziehung des Tarifs „B…“. Er forderte die Rückerstattung der auf diesen Tarif gezahlten Prämien.
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In erster Instanz verlangte der Kläger die Feststellung der Wirksamkeit des Widerrufs, Zahlung von 4.979,82 € sowie Herausgabe gezogener Nutzungen in Höhe von 201,13 €.
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Das Landgericht hat diese Klage ohne Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Feststellungsklage nur zulässig sei, soweit sie den im Jahre 2020 abgeschlossenen Beitragsentlastungstarif betreffe. Es sei ferner fraglich, ob ein Teilwiderruf bezogen auf ein einheitliches Versicherungsverhältnis überhaupt möglich sei. Jedenfalls sei der Widerruf verfristet, denn die Widerrufsbelehrung sei formell und inhaltlich jeweils ordnungsgemäß erfolgt. Zwar gelte nicht die Gesetzlichkeitsfiktion. Die Angabe der Großkundenpostleitzahl der Beklagten genüge jedoch für die Information über den Widerrufsadressaten.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Klageanträge weiterverfolgt und in der Hauptsache nunmehr Zahlung von 5.920,77 € verlangt.
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Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht die gesamte Klage abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
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Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob es – wie das Landgericht meint (LGU 8) – hinsichtlich der im Jahre 2016 erfolgten Vertragsänderung an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fehlt oder ob insofern zumindest eine Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig ist. Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
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Im Zeitpunkt des Schreibens vom 27.06.2023 war der Kläger nicht mehr berechtigt, seine Vertragserklärungen gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG zu widerrufen.
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a) Bei dem vom Kläger am 12.05.2016 und am 14.05.2020 geäußerten Wunsch nach Abschluss eines zusätzlichen Tarifs handelte es sich jeweils um eine Vertragserklärung, die auf eine Erweiterung des Versicherungsschutzes bezogen war (vgl. HK-VVG/Schimikowski, 4. Aufl., § 8 Rn. 5; Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24). Der Beitragsentlastungstarif „B…“ betrifft nicht nur eine Vereinbarung von Versicherungsbedingungen zu den Modalitäten der Beitragszahlungen in der Hauptversicherung. Vielmehr handelt es sich um einen rechtlich eigenständigen Tarif, dessen Leistung darin besteht, ab einem festgelegten Lebensalter der versicherten Person die Höhe der Prämie der Hauptversicherung zu mindern (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2024 – IV ZR 51/22, NJW 2024, 758 Rn. 11 f.). Dem Versicherungsnehmer stand daher in Bezug auf die vereinbarte Vertragsänderung ein gesetzliches Widerrufsrecht zu (vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 8 Rn. 2).
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b) Dem Kläger sind im Rahmen der beiden Vertragsänderungen unstreitig der Versicherungsschein, die für den neuen Tarif geltenden Versicherungsbedingungen sowie die sonstigen Verbraucherinformationen mitgeteilt worden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VVG).
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c) Er wurde darüber hinaus – wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat – ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht und die Widerrufsfolgen belehrt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG).
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aa) Die beiden Policenbegleitschreiben der Beklagten vom 17.05.2016 und vom 18.05.2020 enthielten jeweils einen durchgehend fett gedruckten Absatz, der sich vom übrigen Text des übersichtlich gestalteten und gegliederten Schreibens deutlich abhob und jedem durchschnittlichen Versicherungsnehmer sofort ins Auge sprang. Damit wurde die Aufmerksamkeit des Lesers auf das in der genannten Passage angesprochene Widerrufsrecht gelenkt. Jeder Versicherungsnehmer, der sich hierüber informieren wollte, konnte das beigefügte Informationsblatt ohne Mühe auffinden. Dieses war in besonders großer Schrifttype mit der fett gedruckten Überschrift „Wichtiger Hinweis zum Widerrufsrecht“ versehen und umfasste lediglich eine Seite. Das Hinweisblatt selbst war durch waagrechte Trennlinien und seitlich herausgerückte, fett gedruckte Zwischenüberschriften übersichtlich gestaltet. Ein aufmerksamer Versicherungsnehmer konnte erkennen, dass an dieser Stelle detaillierte Informationen zu den Voraussetzungen und Folgen des Widerrufsrechts mitgeteilt werden. Durch die im Policenbegleitschreiben erfolgte fett gedruckte Bezugnahme auf das seinerseits eindeutig überschriebene Informationsblatt werden beide Komponenten Teil einer in der Gesamtschau zu bewertenden Widerrufsbelehrung (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.01.2024 – 5 U 60/23, juris). Die vom OLG Köln in der Sache 20 U 277/23 vorläufig vertretene Ansicht (Anlage K B 1) überzeugt daher nicht. Vielmehr schließt sich der Senat der Auffassung des OLG München (Hinweis vom 24.05.2024 – 14 U 848/24, Anlage B 15) an.
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bb) Inhaltlich informierten die so zu betrachtenden Belehrungen zutreffend über den Beginn und die Dauer der Frist, die einzuhaltende Textform sowie die zur Fristwahrung genügende rechtzeitige Absendung der Erklärung (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VVG; LGU 9). Die im Informationsblatt enthaltenen Hinweise zählen insbesondere die für den Fristbeginn maßgeblichen Unterlagen vollständig auf.
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Von Gesetzes wegen war auch über den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen zu belehren, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist. Diesbezüglich, d.h. hinsichtlich der „genauen Adresse“, verweist die Belehrung auf den Briefkopf des Anschreibens. Die beiden im Streitfall maßgeblichen Policenbegleitschreiben der Beklagten vom 17.05.2016 und vom 18.05.2020 enthalten im Briefkopf jeweils die Firmenbezeichnung der Beklagten („A. Krankenversicherung AG“) nebst der Postleitzahl mit Ortsangabe („5… K.“) sowie einer Telefon- und Telefaxnummer. Im Briefkopf sind außerdem die Firma und die Adresse der den Kläger betreuenden Versicherungsmaklerin (i. AG in G.) angegeben.
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Es spricht vieles dafür, in Übereinstimmung mit der vom Landgericht überzeugend begründeten Auffassung davon auszugehen, dass dem Erfordernis einer Mitteilung der „ladungsfähigen Anschrift“ des Widerrufsadressaten durch die Angabe des Firmennamens des Versicherers nebst dessen Großkundenpostleitzahl genügt worden ist. Der Versicherungsnehmer erleidet keinen Nachteil dadurch, dass ihm in der Belehrung keine Straße und Hausnummer mitgeteilt wird. Ein an die Anschrift „5… K.“ adressiertes und auf dem Postweg versandtes Widerrufsschreiben hätte die Beklagte zweifellos erreicht. Es handelte sich hierbei auch nicht etwa nur um eine „Postfachadresse“ (vgl. dazu OLG Koblenz, NJW 2006, 919, 920 f.). Vielmehr verkörpert die Kombination der Ortsangabe mit einer Großkundenpostleitzahl eine physische Grundstücksadresse (vgl. OLG Saarbrücken, BeckRS 2017, 120467 Rn. 115 ff.; OLG Frankfurt, BeckRS 2015, 8031; OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 12255 Rn. 14). In dieser Hinsicht ist sie grundsätzlich als Anschrift ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2017 – XI ZR 72/16, juris Rn. 26). So hat beispielsweise auch das Bundessozialgericht in verfahrensrechtlichem Zusammenhang keinen Anlass gesehen, die in Rede stehende Kombination von Großkundenpostleitzahl mit Ortsangabe nicht als ladungsfähige Anschrift gelten zu lassen (vgl. BSG, Beschluss vom 27.06.2019 – B 12 KR 12/19 B, juris Rn. 10). Abgesehen davon steht das in diesem Zusammengang mit der „Ladungsfähigkeit“ verbundene Ziel, eine eindeutige Identifizierung der Parteien zu ermöglichen und das persönliche Erscheinen anordnen zu können (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 07.07.2023 – V ZR 210/22, NJW-RR 2023, 1291 Rn. 6 und vom 06.04.2022 – VIII ZR 262/20, NJW-RR 2022, 714 Rn. 15), bei einer an den Vertragspartner zu richtenden Erklärung des Versicherungsnehmers nicht in Frage. Durch die eindeutige und unmissverständliche Adressbezeichnung ist der Versicherungsnehmer nicht daran gehindert worden, seine Widerrufserklärung rechtzeitig auf den Weg zu bringen (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 09.03.2017 – 12 U 98/16, juris Rn. 30; OLG Hamm, Urteil vom 31.07.2017 – 5 U 142/15, juris Rn. 120; OLG Celle, Urteil vom 17.05.2024 – 8 U 149/23, Anlage B 16). Die von der Berufung wiederholt behaupteten Erschwernisse erschließen sich dem Senat nicht. Soweit sich der Kläger auf eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 31.05.2024 – 2 O 107/23, Anlage K B 3) beruft, betrifft diese einen teilweise anderen Sachverhalt. Die hiergegen gerichtete Berufung ist bei dem erkennenden Senat unter Az. 8 U 1284/24 anhängig. Es erscheint eher zweifelhaft, dass mit der in der genannten Entscheidung zitierten – nicht weiter begründeten – Aussage des Bundesgerichtshofs, wonach im Kontext mit Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung die „Kombination der Ortsangabe mit einer Großkundenpostleitzahl anstelle der Angabe von Straße und Hausnummer nebst zugehöriger Postleitzahl“ keine ladungsfähige Anschrift darstelle (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2017 – XI ZR 72/16, juris Rn. 26), ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt werden sollte. Die angesprochenen Zweifel ergeben sich daraus, dass die knappe Aussage eher beiläufig getroffen worden ist und sich in keiner Weise zu der oben zitierten – gegenläufigen – Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte verhält.
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Indes kommt es letztlich auf die vorstehend thematisierte Frage nicht entscheidend an. Denn selbst wenn die Mitteilung „nur“ einer Großkundenpostleitzahl (mit Ortsangabe) die Vorgabe der Benennung einer „ladungsfähigen Anschrift“ nicht erfüllen sollte, stünde der Ausübung eines auf den (unterstellt) hierin liegenden Belehrungsfehler gestützten Widerrufsrechts des Klägers jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen. Wird dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerrufsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2023 – IV ZR 353/21, juris Rn. 14 ff.). Die um der Argumentation willen als fehlerhaft unterstellte Verwendung der Großkundenpostleitzahl müsste aus den schon angesprochenen Gründen als eine geringfügige, die Ausübung des Widerrufsrechts nicht erschwerende und damit im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung eingestuft werden.
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Auch wenn es auf individuelle Kausalitätserwägungen grundsätzlich nicht ankommt, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Kläger in der Vergangenheit offenbar keine Schwierigkeiten hatte, vertragsrelevante Erklärungen an die Anschrift „5… K.“ zu adressieren (Anlage B 2).
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Etwaige Erschwernisse ergeben sich auch nicht daraus, dass die Belehrung hinsichtlich des Widerrufsadressaten auf den Briefkopf des Anschreibens verweist und dort neben dem Namen und der Adresse der Beklagten mit dem Hinweis „Es betreut Sie:“ auch der Name und die Anschrift der i. AG erwähnt werden. Zwar bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG ausdrücklich, dass die Widerrufserklärung gegenüber dem Versicherer zu erfolgen hat. Es ist dem Versicherer jedoch gestattet, einen Empfangsvertreter zu benennen, sofern es dem Versicherungsnehmer zumutbar ist, den Widerruf an diesen Adressaten zu richten (vgl. BeckOGK/ Knops, BGB, § 495 Rn. 70 m.w.N. [Stand: 01.07.2023], Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, 12. Aufl. 2012, § 495 Rn. 33; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 10. Aufl., BGB, § 495 Rn. 104). Dies ist im Falle einer langjährig für den Versicherungsnehmer tätigen Maklerin zu bejahen. Daneben stand es dem Kläger erkennbar offen, den Widerspruch auch gegenüber der Beklagten selbst wirksam erklären. Eine unzulässige Abweichung von dem Grundgedanken des § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG und eine relevante Erschwernis zu Lasten des Versicherungsnehmers vermag der Senat nicht zu erkennen. Da es zur Fristwahrung allein auf die rechtzeitige Absendung des Widerrufs ankommt und der Versicherungsmakler als Betreuer des Versicherungsnehmers zur Weiterleitung der Erklärung verpflichtet ist, kann der Versicherungsnehmer ohne weiteres einen der beiden angegebenen Ansprechpartner als Adressaten des Widerrufs wählen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 05.11.2014 – 11 U 18/13, juris Rn. 74). Selbst wenn man unterstellt, dass sich ein verunsicherter Versicherungsnehmer veranlasst sehen könnte, den Widerruf kumulativ an zwei Adressaten zu richten, wäre damit angesichts der ausreichenden Textform und der nicht notwendigen Begründung ein derart geringer Mehraufwand verbunden, dass es rechtsmissbräuchlich erscheint, sich nach jahrelanger Vertragsdurchführung auf einen – vermeintlichen – Belehrungsmangel zu berufen (§ 242 BGB).
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Die fett gedruckten Hinweise in den Policenbegleitschreiben verweisen hinsichtlich der Einzelheiten der einzuhaltenden Form auf das beigefügte Informationsblatt. Dort wird zutreffend darüber belehrt, dass die Erklärung in Textform zu erfolgen hat, wobei durch eine beispielhafte Aufzählung in Klammern Brief, Fax und E-Mail genannt werden. Aus dem Umstand, dass hinsichtlich der „genauen Adresse“ auf den Briefkopf des Anschreibens verwiesen wird und dort u.a. eine Telefonnummer angegeben ist, wird ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer nicht den – irrtümlichen – Schluss ziehen, er könne den Widerruf auch wirksam telefonisch erklären (LGU 10). Er wird einen Telefonanruf weder mit einer Erklärung in „Textform“ assoziieren noch eine Telefonnummer für einen Bestandteil der „genauen Adresse“ halten.
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c) Demgemäß besteht kein Zahlungsanspruch des Klägers aus § 9 Abs. 1 VVG und er kann auch keine Herausgabe gezogener Nutzungen verlangen.
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Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).