Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 23.07.2024 – 20 O 2041/23
Titel:

Vertragsanpassung nach vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung und Vorvertraglichkeit in der Zahnzusatzversicherung

Normenketten:
VVG § 19 Abs. 4
MB/KK § 2 Abs. 1
ZPO § 256
Leitsätze:
1. Die §§ 19 ff. VVG zu Anzeigepflichten beim Vertragsabschluss sind nicht auf neue Versicherungsverträge beschränkt. Erfasst werden auch Vertragsänderungen, jedoch nur solche, mit denen die bisherige Leistungspflicht des Versicherers inhaltlich oder zeitlich erweitert wird, ohne dass ein bestehender Versicherungsvertrag dem Versicherungsnehmer einen Anspruch darauf gibt. Dann darf der Versicherer auch neue Gesundheitsfragen stellen, die wahrheitsgemäß zu beantworten sind. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anwendbarkeit der §§ 19 ff. VVG ist nicht auf neue Versicherungsverträge beschränkt. Erfasst werden auch Vertragsänderungen, jedoch nur solche, mit denen die bisherige Leistungspflicht des Versicherers inhaltlich oder zeitlich erweitert wird, ohne dass der Versicherungsvertrag dem Versicherungsnehmer einen Anspruch darauf gibt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat der Versicherungsnehmer einen bereits vom Vermittler unzutreffend vorausgefüllten Antrag unterzeichnet, ohne ihn mit der gebotenen Sorgfalt zu lesen und zu prüfen, begründet dies jedenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Zahnbehandlung beginnt als Versicherungsfall in der Zahnzusatzversicherung bereits mit der Vornahme einer eingehenden Vorsorgeuntersuchung, ohne dass dabei Art und Umfang der späteren Behandlung feststehen müssten (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 2507). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Zahnzusatzversicherung, vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung, Vertragserweiterung, Vertragsanpassung, Vorsorgeuntersuchung, Versicherungsfall, Beginn
Fundstellen:
BeckRS 2024, 27646
FDVersR 2024, 027646

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 14.485,61 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Zahnzusatzversicherung.
2
Der Kläger schloss bei der Beklagten zum Versicherungseintritt 01.10.2009 eine private Zahnzusatzversicherung … mit einem Versicherungsschutz von 30 % bei allen Leistungen ab.
3
Sodann schloss der Kläger mit Antrag vom 26.10.2020 (Anlage … 2) eine Erweiterung des Versicherungsschutzes auf den Tarif … ab, wonach je bei Zahnersatzleistungen bei kassenärztlicher Regelversorgung ein Versicherungsschutz von 100 %, sonst ein Versicherungsschutz von 90 % der anfallenden zahnärztlichen Kosten vereinbart wurde. Hinsichtlich der zugrundeliegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage … 1 Bezug genommen.
4
In dem Antrag waren auch Gesundheitsfragen zu beantworten. Durch seine Unterschrift bestätigte der Kläger, dass alle Fragen vollständig und richtig beantwortet wurden. Aus der Schlusserklärung war ersichtlich, dass fehlende Angaben den Versicherer zur Veränderung oder Beendigung des Vertrages berechtigten. Die im Antragsformular enthaltene Frage 2) lautete:
„Finden derzeit zahnärztliche Maßnahmen statt? (Behandlung und/oder Anfertigung und/oder Erneuerung von Zahnersatz/Implantaten/Kronen/In- bzw. Onlays [Einlagefüllungen bzw. Teilkronen])“
5
Diese Frage wurde vom Kläger verneint.
6
Die im Antragsformular enthaltene Frage 3) lautete:
„Sind zahnärztliche Maßnahmen für die Zukunft angeraten? (Behandlung und/oder Anfertigung und/oder Erneuerung von Zahnesatz/Implantaten/Kronen/In- bzw. Onlays [Einlagefüllungen bzw. Teilkronen])“
7
Auch diese Frage wurde vom Kläger verneint. Den Fragen folgte jeweils der im Antragsformular fett gedruckte Hinweis:
„Wurde die Frage mit „Ja“ beantwortet, bin ich mit der Vereinbarung „Die Leistungspflicht entfällt für die angeratene Zahnersatzmaßnahme.“ einverstanden.“
8
Der Kläger bzw. dessen behandelnde Zahnarztpraxis reichte zum 27.10.2021 einen Heil- und Kostenplan vom 27.10.2021 über 8.310,30 € sowie einen Heil- und Kostenplan vom 27.10.2021 über 11.056,17 € bei der Beklagten ein (Anlage K 2). Gemäß aktualisiertem Heil- und Kostenplan vom 30.10.2021 wird ein Gesamtbetrag von 24.142,68 € für die Leistungen Implantatinsertion und Freilegung, Gesamtplanung Zahnersatz und laborgefertigtes Langzeitprovisorium für den Oberkiefer des Klägers veranschlagt (Anlage K 3).
9
Hierauf übersandte die Beklagte dem Kläger ein Zahnstatus – Formular mit der Bitte, sich an den behandelnden Zahnarzt zu wenden und dieses ausgefüllt zurückzusenden.
10
Im Rahmen des vom behandelnden Zahnarzt unter dem 02.12.2021 übersandten Zahnstatus nebst zahnärztlicher Dokumentation (Anlage … 4) war unter der Karteikarte für den 17.08.2018 folgender Eintrag zu entnehmen:
„Patient möchte erst den Unterkiefer machen lassen und wenn wir fertig sind im Oberkiefer neuen Zahnersatz planen“
11
Mit Schreiben vom 13.01.2022 (Anlage … 5) teilte die Beklagte dem Kläger mit, den Vertrag nur in der Form weiter führen zu können, wie sie es bei vollständiger Kenntnis der Gesundheitsangaben schon ab Versicherungsbeginn vereinbart hätte und machte von ihrem Vertragsänderungsrecht nach § 19 Abs. 4 S. 2 VVG Gebrauch. Für den eingereichten Heil- und Kostenplan über die geplante Versorgung des Oberkiefers mit Implantat getragenem Zahnersatz wurden lediglich Leistungen im Rahmen des Tarifs … zugesagt. Mit Schreiben vom 09.06.2022 (Anlage K 5) zeigte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an. Mit Schreiben vom 15.06.2022 (Anlage K 8) lehnte die Beklagte weiter die Kostenerstattung ab. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 24.06.2022 (Anlage K 9) wurde die Beklagte erneut unter Fristsetzung zur Anerkennung der Einstandspflicht aufgefordert. Mit Schreiben vom 07.07.2022 (Anlage K 10) hielt die Beklagte an Ihrer fehlenden Eintrittspflicht gem. dem Tarif … fest, stellte aber eine Kostenübernahme im Rahmen des Tarifs … in Aussicht.
12
Der Kläger behauptet, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Zahnzusatzversicherung im Jahr 2020 seien keine zahnärztlichen Maßnahmen für die Zukunft (Behandlung und/oder Anfertigung und/oder Erneuerung von Zahnersatz/Implantaten/Kronen/In- bzw. Onlays [Einlagefüllungen bzw. Teilkronen]) im Bereich des Oberkiefers angeraten gewesen. Dabei seien die Unterlagen zum gegenständlichen Antrag vom 26.10.2020 dem Kläger bereits angekreuzt übergeben worden, wobei individuell nur die Bankdaten, sowie Datum und Unterschrift angegeben worden seien. Eine Aufklärung über das Erfordernis einer Angabe von Gesundheitsdaten sei dem Kläger nicht vermittelt worden. Jedenfalls seien der Beklagten die relevanten Gesundheitsdaten aufgrund vorangegangener Zahnbehandlungen vor Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages bekannt gewesen.
13
Der Kläger ist der Ansicht, der Anspruch ergebe sich aus der abgeschlossenen Zahnzusatzversicherung. Dabei sei die Beklagte bei Abschluss der Versicherung im Jahr 2020 nicht mehr berechtigt gewesen, erneute Gesundheitsfragen zu stellen, da es sich insoweit nur um die Erweiterung einer bereits bestehenden Versicherung gehandelt habe. Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestehe dabei unter Verzugsgesichtspunkten.
14
Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gegenüber dem Kläger zum Ersatz von 90 % der Kosten der geplanten Behandlung gem. Heil- und Kostenplan der …, vom 30.10.2021 (für die Leistungen Implantatinsertion und Freilegung, Gesamtplanung Zahnersatz und laborgefertigtes Langzeitprovisorium) verpflichtet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 1.491,07 € an vorgerichtlichen, nicht festsetzbaren Anwaltskosten zu bezahlen.
15
Die Beklagte beantragt zuletzt;
die Klage abzuweisen
16
Die Beklagte behauptet, die handschriftlichen Eintragungen im Rahmen des Antrages seien durch den Kläger selbst erfolgt. Jedenfalls liege kein Versicherungsfall i.S.v. § 1 Abs. 2 AVB vor, der nach Beginn des Versicherungsschutzes (§ 2 Abs. 1 AVB), also innerhalb des Haftungszeitraumes, entstanden sei.
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Die Beklagte ist der Ansicht, entsprechende Leistungen wären bereits mangels Vorlage entsprechender Nachweise nicht fällig. Weiter sei die Klage mangels Bestimmtheit unzulässig, jedenfalls aber nicht begründet, da die Beklagte zu Recht von ihrem Gestaltungsrecht gem. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG Gebrauch gemacht habe, da der Kläger bei der Antragstellung gefahrerhebliche Umstände vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig verschwiegen habe. Auf bestehe Leistungsfreiheit wegen Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalls im Sinne des § 2 Abs. 1 AVB.
18
Die Klage vom 12.04.2024 wurde der Beklagten gemäß Verfügung vom 18.04.2023 am 22.04.2024 zugestellt. Das Gericht hat am 26.09.2023, 27.02.2024, 14.05.2024 und am 18.06.2024 mündlich verhandelt. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und …. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Verhandlungsprotokolle Bezug genommen

Entscheidungsgründe

A.
19
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für 90 % der Kosten für die geplante zahnärztliche Behandlung nicht zu.
20
I. Die Klage ist zulässig.
21
1. Das Landgericht ist für den vorliegenden Rechtsstreit sachlich gemäß §§ 23, 71 GVG und örtlich gemäß § 215 VVG zuständig.
22
2. Der Antrag auf Feststellung, dass die Beklagten gegenüber dem Kläger zum Ersatz von 90 % der Kosten der geplanten Behandlung gem. Heil- und Kostenplan der … vom 30.10.2021 (für die Leistungen Implantatinsertion und Freilegung, Gesamtplanung Zahnersatz und laborgefertigtes Langzeitprovisorium) verpflichtet ist, ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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3. Auch liegt das für eine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vor.
24
a. Der Kläger hat auch ein rechtliches Interesse, durch die begehrte Feststellung Sicherheit dafür zu bekommen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für die nach ihrer Darstellung medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen des Heil- und Kostenplans zu erstatten (BGH, Urteil vom 08.02.2006 – IV ZR 131/05, NJW-RR 2006, 678).
25
Der Kläger hat dabei mit der Vorlage des Heil- und Kostenplans dargelegt, dass die darin vorgeschlagene Behandlung aus ärztlicher Sicht erforderlich ist. Mit der vorangegangenen ausführlichen Voruntersuchung ist diese Behandlung bereits eingeleitet worden. Damit hat sich ihre Notwendigkeit in Bezug auf einen Erstattungspflichten auslösenden Versicherungsfall so weit verdichtet, dass sich aus dem Kreis der im Versicherungsvertrag allgemein angelegten vielfältigen Anspruchsmöglichkeiten ein das Feststellungsbegehren rechtfertigendes gegenwärtiges Rechtsverhältnis gebildet hat.
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Auch ist von einem Feststellungsurteil auch zu erwarten, dass der bestehende Streit, ob für die in Aussicht genommene Behandlungsmethode Versicherungsschutz besteht, bereits jetzt sachgemäß und erschöpfend beigelegt werden kann.
27
b. Hingegen besteht kein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Pflicht zur Erstattung der Kosten nach der zum Versicherungseintritt 01.10.2009 bestehenden private Zahnzusatzversicherung … mit einem Versicherungsschutz von 30 % bei allen Leistungen ab. Denn insoweit hat sich die Beklagte nach dem klägerischen Vortrag bereits außergerichtlich zur entsprechenden Kostenübernahme bereit erklärt.
28
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten gegenüber dem Kläger zum Ersatz von 90 % der Kosten der geplanten Behandlung gemäß Heil- und Kostenplan der … vom 30.10.2021 verpflichtet ist.
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1. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die streitgegenständliche zahnärztliche Behandlung in Höhe von 90 % scheidet bereits deshalb aus, als die Beklagte zu Recht mit Schreiben vom 13.01.2022 (Anlage … 5) von ihrem Gestaltungsrecht gem. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG Gebrauch gemacht hat.
30
a. Nach § 19 Abs. 4 VVG sind das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Die anderen Bedingungen werden dabei auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil.
31
Im Rahmen des Antragsformulars sind im Zusammenhang mit den gestellten Gesundheitsfragen jeweils der folgende Hinweis enthalten:
„Wurde die Frage mit „Ja“ beantwortet, bin ich mit der Vereinbarung „Die Leistungspflicht entfällt für die angeratene Zahnersatzmaßnahme.“ einverstanden.“
32
Damit hat die Beklagte eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie im Fall der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Gesundheitsfragen den Vertrag mit dem Kläger gleichwohl abgeschlossen hätte, aber zu der abweichenden Bedingung, dass die Leistungspflicht für die angeratene Zahnersatzmaßnahme entfällt. Mithin kommt vorliegend kein Rücktritts- oder Kündigungsrecht, sondern nur ein Recht zur Vertragsänderung in Betracht.
33
b. Vorliegend hat die Beklagte mit Schreiben vom 13.01.2022 von ihrem entsprechenden Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht. Entgegen den Ausführungen der Klagepartei ist die Beklagte dabei gerade nicht von dem Versicherungsvertrag zum Tarif … zurückgetreten, sondern hat lediglich von ihrem Recht zur Vertragsänderung Gebrauch gemacht. Der Vertrag besteht zwischen den Parteien – in geänderter Form – weiterhin fort, sodass es sich nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB darstellt, dass die Beklagte den monatlichen Beitrag weiterhin abbucht.
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c. Aufgrund der Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen durch den Kläger war die Beklagte auch zur Vertragsänderung gemäß § 19 Abs. 4 VVG berechtigt.
35
i. Die Beklagte war entgegen der Auffassung des Klägers auch zur Stellung der entsprechenden Gesundheitsfragen berechtigt, da es sich insoweit um eine Erweiterung des bereits bestehenden Versicherungsschutzes und mithin um den Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages gehandelt hat.
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Soweit klägerseits vorgetragen wurde, dass aus der entsprechenden Werbeanzeige nicht ersichtlich geworden sei, dass ein Neuvertrag samt neuer Gesundheitsprüfung abgeschlossen werde, ist dies unerheblich. Denn spätestens mit Zusendung des Antragsformulars, in welchen unstreitig die entsprechenden Gesundheitsfragen enthalten waren, war für die Kläger erkennbar, dass es hinsichtlich der Erweiterung des bestehenden Versicherungsschutzes zu einer erneuten Gesundheitsprüfung kommen wird. Dem Kläger wäre es sodann unbenommen geblieben, unter diesen Bedingungen die Erweiterung des Versicherungsschutzes abzulehnen und den bereits bestehenden Versicherungsschutz beizubehalten.
37
Im Übrigen ist die Anwendbarkeit von §§ 19 ff. VVG nicht auf neue Versicherungsverträge beschränkt. Erfasst werden auch Vertragsänderungen, jedoch nur solche, mit denen die bisherige Leistungspflicht des Versicherers inhaltlich oder zeitlich erweitert wird, ohne dass ein bestehender Versicherungsvertrag dem Versicherungsnehmer einen Anspruch darauf gibt (BeckOK VVG/Spuhl, 23. Ed. 22.4.2024, VVG § 19 Rn. 13 m.w.N.), was vorliegend ohne Zweifel der Fall ist.
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ii. Die entsprechenden Gesundheitsfragen wurden durch den Kläger auch objektiv falsch beantwortet. Den nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das Gericht mit der notwendigen Sicherheit fest, dass bereits vor dem 26.10.2020 (Zeitpunkt des Antrages) die streitgegenständlichen zahnärztlichen Maßnahmen im Bereich des Oberkiefers, welche unter die im Rahmen der Gesundheitsfragen aufgeführten Maßnahmen (Behandlung und/oder Anfertigung und/oder Erneuerung von Zahnesatz/Implantaten/Kronen/In- bzw. Onlays [Einlagefüllungen bzw. Teilkronen) fallen, jedenfalls angeraten waren.
39
(1) So ergibt sich bereits aus den als Anlage … 14 vorgelegten zahnärztlichen Unterlagen unter einem Eintrag vom 17.08.2018 dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein neuer Zahnersatz im Oberkiefer geplant gewesen ist und insbesondere der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis davon hatte. Denn in dem entsprechenden Eintrag ist folgender Vermerk enthalten
„Patient möchte erst den Unterkiefer machen lassen und wenn wir fertig sind im Oberkiefer neuen Zahnersatz planen“
40
Soweit im Rahmen der Anlage … 4 in einem anderen Schriftbild die Anmerkung „gesamter OK angeraten“ eingefügt wurde, stammt diese hingegen nicht von den behandelnden Ärzten des Klägers, sondern wurden durch die Beklagte selbst im Rahmen der Sichtung der Unterlagen eingefügt, wie von Seiten der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.06.2024 ausdrücklich klargestellt wurde.
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(2) Aber auch die Zeugen … und … haben bestätigt, dass bereits zum Zeitpunkt der Erneuerung des Zahnersatzes im Bereich des Unterkiefers, welcher vor Abschluss des erweiterten Versicherungsschutzes erfolgt ist, feststand, dass es in absehbarer Zeit zu einer Erneuerung des Zahnersatzes im Oberkiefer kommen wird, dieses daher bereits absehbar gewesen ist.
42
Insbesondere hat die Zeugin … als behandelnde Zahnärztin des Klägers im Rahmen ihrer Zeugenaussage ausgeführt, dass im Jahr 2017 oder 2018 eine umfassende Zahnersatzbehandlung im Unterkiefer beim Kläger durchgeführt worden sei und im Rahmen dieser Behandlung darauf hingewiesen wurde, dass es, da im Oberkiefer ein herausnehmbarer Zahnersatz vorhanden sein, während im Unterkiefer ein fester Zahnersatz nach der Behandlung vorhanden sein wird, zu einem Verlust von Oberkieferzähnen, die die herausnehmbaren Zahnersatz quasi tragen, kommen werde. Auch sei dabei über das Alter der Prothese im Oberkiefer gesprochen worden, da es aufgrund des Alters auch zu Materialermüdungen kommen könne.
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Auch hat der Zeuge … welcher alle chirurgischen Maßnahmen hinsichtlich des Klägers durchgeführt hat, im Rahmen seiner Zeugenaussage bestätigt, dass der Kläger im Oberkiefer einen abnehmbaren bzw. nicht fest verbauten Zahnersatz hatte, während im Unterkiefer Implantate, d.h. ein starrer fest eingebauter Zahnersatz verbaut ist. In der Kombination aus festen Zahnersatz und rausnehmbaren Zahnersatz ist es sicher so, dass es absehbar ist dass es irgendwann zu Problemen im Rahmen des herausnehmbaren Zahnersatzes kommen kann und wird.
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Lediglich der Zeuge … konnte hierzu keinerlei näheren Angaben machen, da er im Rahmen seiner Zeugenaussage ausgeführt hat, dass er den Kläger lediglich im Fall eines Notfalls als Vertreter der behandelnden Ärztin … behandelt hat.
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(3) Dabei ist es nach Auffassung des Gerichts unerheblich, dass die entsprechenden zahnärtlichen Maßnahmen im Bereich des Oberkiefers zum Zeitpunkt des Antrages auf Erweiterung des Versicherungsschutzes nicht unmittelbar bevorstanden und – nach Aussage der behandelnden Ärzte – auch noch kein konkreter Behandlungsplan erstellt wurde. Denn diese waren zu diesem Zeitpunkt-bereits soweit konkretisiert beziehungsweise es stand schon mit einer so großen Sicherheit fest, dass auch im Bereich des Oberkiefers ein neuer Zahnersatz erforderlich werden wird, dass dieser Umstand jedenfalls durch den Kläger, welcher durch seine Ärzte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hierüber entsprechend aufgeklärt wurde, hätten offenbart werden müssen.
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iii. Der Kläger hat die entsprechenden Gesundheitsfragen dabei auch vorsätzlich falsch beantwortet. Ist objektiv die Anzeigepflicht verletzt, vermutet das Gesetz, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hat; es wird Vorsatz und nicht nur grobe Fahrlässigkeit vermutet (BeckOK VVG/Spuhl, 23. Ed. 22.4.2024, VVG § 19). Der Versicherungsnehmer muss sich vom vermuteten Vorsatz entlasten (BeckOK VVG/Spuhl, 23. Ed. 22.4.2024, VVG § 19 Rn. 121). Dies ist dem Kläger vorliegend nicht gelungen:
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Soweit der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung ausgeführt hat, dass die Angaben zum Zahnstatus beziehungsweise die Gesundheitsfragen bereits ausgefüllt gewesen seien, konnte er dies bereits nicht zur notwendigen Überzeugung für das Gericht nachweisen. Denn die Zeugin …, bei welcher es sich um die Vermittlerin der streitgegenständlichen Versicherung gehandelt hat, hat abweichend von den Ausführungen des Klägers ausgesagt, dass sie sich zwar an das konkrete hier streitgegenständliche Vertragsverhältnis nicht mehr erinnern könne, es aber in den Fällen, in denen Bestandskunden eine Erweiterung der Zusatzversicherung angeboten wurde, so war, dass an die Kunden die vollständigen Vertragsunterlagen übersandt wurden, wobei nur die mit Computer geschriebenen Teile, welche im Bestand gespeichert waren, bereits ausgefüllt gewesen waren. Die entsprechenden Gesundheitsfragen seien dabei in der Regel nicht vorab ausgefüllt gewesen. Die Zeugin hat dabei ohne Be- oder Entlastungseifer ausgesagt und auf Erinnerungslücken von sich aus hingewiesen, sie ist als glaubwürdig und die Aussage als glaubhaft zu bewerten. Mithin stehen sich die Aussagen des Klägers und der Zeugin gegenüber, ohne das einer der Aussagen ein höherer Beweiswert zukommen würde. Gegen die Version des Klägers, dass die Gesundheitsfragen bereits vorab ausgefüllt gewesen wären, spricht jedoch, dass die entsprechenden Kreuze im Rahmen des Antrages (Anlage K 1) von der Optik her eher händisch erfolgt sein dürften, was sich auch im Rahmen eines Augenscheins der Originalunterlagen bestätigt hat.
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Im Ergebnis kann die Frage, ob die Gesundheitsfragen, wie vom Kläger vorgetragen, bereits vorausgefüllt waren, sogar offengelassen werden. Denn der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2024 weiter ausgeführt, dass er den Vertrag durchgelesen und unterzeichnet habe, ohne Änderungswünsche oder Monierungen geltend zu machen. Selbst wenn, wie von Seiten des Klägers vorgetragen, die Gesundheitsfragen bereits ausgefüllt gewesen sein sollten, wäre der Kläger gehalten gewesen, die entsprechenden falschen Angaben vor Unterzeichnung zu korrigieren. Hat der Kläger jedoch den Antrag unterzeichnet, ohne diesen vorher mit der gebotenen Sorgfalt zu lesen und prüfen, würde dies ebenfalls jedenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.
49
iv. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte bereits vor Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages Kenntnis davon hatte, dass Maßnahmen im Bereich des Zahnersatzes des Oberkiefers konkret angeraten waren. Der Umstand, dass durch die Beklagte bereits in der Vergangenheit Rechnungen im Zusammenhang mit Behandlungen im Oberkiefer beziehungsweise im Zusammenhang mit dem Zahnersatz im Unterkiefer reguliert wurden, ist hierfür nicht ausreichend. Und selbst wenn man davon ausgehen würde, dass sich aus den entsprechend eingereichten Rechnungen der Zustand des Oberkiefers zweifelsfrei ergeben würde, würde dies im Umkehrschluss für die Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalls sprechen.
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2. Selbst wenn man unterstellen sollte, dass der Kläger die an ihn gestellten Gesundheitsfragen nicht vorsätzlich oder fahrlässig falsch beantwortet hat, würde der streitgegenständliche Anspruch auch wegen Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalls ausscheiden.
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a. Nach § 2 Abs. 1 AVB beginnt der Versicherungsschutz mit dem im Versicherungsschein bezeichneten Zeitpunkt, jedoch nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages (insbesondere nicht vor dem Zugang des Versicherungsscheines oder einer schriftlichen Annahmeerklärung) und nicht vor Ablauf von Wartezeiten. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 AVB wird für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht geleistet.
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Der Versicherungsfall ist definiert in § 1 Abs. 2 AVB als medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung. Beginn der Heilbehandlung ist in der Regel schon die erste ärztliche Untersuchung, die erste ärztliche Maßnahme, sie endet erst, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – IV ZR 399/13, r+s 2015, 142; OLG Köln, Urteil vom 18.10.2013 – 20 U 125/13, r + s 2014, 293). Dies gilt nicht nur dann, wenn der untersuchende Arzt von vornherein die gesamte Heilbehandlung durchführen soll, sondern auch, wenn zunächst nur eine Diagnose oder ein Behandlungsvorschlag erstellt werden sollen, diese Tätigkeiten aber einer späteren Behandlung durch denselben oder einen anderen Arzt zugrunde gelegt werden. Bezugspunkt für die Bestimmung des Begriffs der Heilbehandlung ist nämlich nicht der jeweilige Auftrag des Patienten an den Arzt, sondern die zu Grunde liegende Krankheit und die Beziehung der ärztlichen Tätigkeit zu ihr (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – IV ZR 399/13, r+s 2015, 142; OLG Köln, Urteil vom 18.10.2013 – 20 U 125/13, r + s 2014, 293; OLG Oldenburg Hinweisbeschluss vom 02.05.2012 – 5 U 37/12, BeckRS 2013, 95). Es ist weiter anerkannt, dass eine Zahnbehandlung bereits mit Vornahme einer eingehenden Vorsorgeuntersuchung beginnt, ohne dass dabei Art und Umfang der späteren Behandlung feststehen müsste (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – IV ZR 399/13, r+s 2015, 142; OLG Köln, Urteil vom 18.10.2013 – 20 U 125/13, r + s 2014, 293; OLG Oldenburg Hinweisbeschluss vom 02.05.2012 – 5 U 37/12, BeckRS 2013, 95).
53
b. Ausgehend von den vorgeanannten Grundsätzen ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme von einer Vorvertraglichkeit auszugehen, mit der Folge, dass der klägerische Anspruch bereits aus diesem Grund ausscheidet.
54
So haben die Zeugen … und …, wie bereits durch das Gericht ausgeführt, jeweils bestätigt, dass bereits zum Zeitpunkt der Erneuerung des Zahnersatzes im Unterkiefer im Jahr 2017 und 2018 absehbar gewesen sei, dass der Zahnersatz im Oberkiefer ebenfalls erneuert werden muss, was sich auch aus der Patientenakte des Klägers ergibt. Gemessen hieran hat sich in den geplanten Behandlungen gem. Heil- und Kostenplan vom 30.10.2021 gerade das Risiko verwirklicht, was dem Kläger seit der Erneuerung des Unterkiefers und mithin bereits bei Abschluss der streitgegenständlichen Zusatzverwirklichung bekannt gewesen ist.
55
3. Mangels Obsiegens in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
B.
56
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
C.
57
Die Entscheidung hinsichtlich der Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
D.
58
Der Streitwert war gemäß § 48 GKG, §§ 3 ff. ZPO auf 14.485,61 € festzusetzen.