Titel:
Pflicht zur Begründung der Verfassungsbeschwerde
Normenkette:
VfGHG Art. 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der aus Art. 51 Abs. 1 S. 1 VfGHG folgenden Begründungspflicht wird nur dann entsprochen, wenn die Verfassungsbeschwerde aus sich heraus verständlich ist. Um der Verfassungsbeschwerde den erforderlichen Inhalt zu geben, darf der Beschwerdeführer auf Schriftstücke Bezug nehmen, die er ihr beifügt, wobei er seinen erforderlichen Sachvortrag nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf beigefügte Schriftstücke ersetzen kann. Die in der Verfassungsbeschwerdeschrift zu erbringende Begründungsleistung kann weder durch die Vorlage von Anlagen noch durch deren Hineinkopieren in den Text der Verfassungsbeschwerde ersetzt werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch der gem. Art. 51 Abs. 2 S. 1 VfGHG erforderliche Nachweis der Erschöpfung des Rechtswegs muss in entsprechend substanziierter und nachvollziehbarer Weise erfolgen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mangels hinreichender Substanziierung unzulässige Verfassungsbeschwerde., Verfassungsbeschwerde, Substanziierungspflicht, Erschöpfung des Rechtswegs
Vorinstanz:
AG Freyung, Beschluss vom 23.02.2023 – 1 Cs 36 Js 7300/14
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27633
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.
Entscheidungsgründe
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Mit Beschluss vom 23. Februar 2023 verwarf das Amtsgericht Freyung im Strafverfahren 1 Cs 36 Js 7300/14 einen Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers als unzulässig, da der Antrag entgegen § 366 Abs. 2 StPO nicht mittels einer vom Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden und daher gemäß § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen sei.
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Am 15. März 2023 beantragte der Beschwerdeführer zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Freyung die Wiederaufnahme des genannten Verfahrens.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 10. November 2023, die am selben Tag eingegangen ist und durch Schreiben vom 22. Dezember 2023 und vom 25. Mai 2024 ergänzt wurde, rügt der Beschwerdeführer eine „Verletzung seiner verfassungsmäßigen Grundrechte nach Art. 91 / 98 / 99 der Verfassung des Freistaates Bayern (Art. 103 Abs. 1 GG) […] Wegen der Wiederaufnahme Az.: 1 Cs 36 Js 7300/14 eines Strafbefehl Erlass des Amtsgerichtes Passau, wegen der unwahrheitlichen Angabe der Stadt V. über einen angeblichen Diebstahl / Sachbeschädigung zur Abwassergemeinschaft Aufeld 1 – 4“, ohne einen bestimmten Angriffsgegenstand zu benennen oder zu diskutieren. Der Verfassungsbeschwerde waren jedoch ‒ neben einem Schreiben des Beschwerdeführers an das Amtsgericht Passau vom 9. November 2020 ‒ der Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Februar 2023 und die Niederschrift über den Antrag des Beschwerdeführers vom 15. März 2023 (siehe jeweils oben unter I.) beigefügt.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig und im Übrigen auch für unbegründet.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht den ‒ innerhalb der zweimonatigen Frist zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde (Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG) zu erfüllenden ‒ Anforderungen genügt, die Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG an ihre Substanziierung stellt.
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1. Nach dieser Vorschrift sind in der Verfassungsbeschwerde die Handlung oder Unterlassung der Behörde, gegen die sich der Beschwerdeführer wendet, und das verfassungsmäßige Recht, dessen Verletzung der Beschwerdeführer geltend macht, zu bezeichnen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gehört dazu auch der Vortrag des wesentlichen Sachverhalts, aus dem die Rechtsverletzung hergeleitet wird. Der die behauptete Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang muss vollständig und nachvollziehbar dargelegt werden, sodass der Verfassungsgerichtshof in die Lage versetzt wird, ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfassungsverstoß nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zumindest möglich erscheint. Die Verfassungsbeschwerde muss aus sich heraus verständlich sein (VerfGH vom 2.2.1966 VerfGHE 19, 14/15 f.; vom 22.7.2019 BayVBl 2019, 857, vgl. Rn. 14 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt; vom 16.7.2020 – Vf. 69-VI-17 – juris Rn. 19).Um der Verfassungsbeschwerde den erforderlichen Inhalt zu geben, darf der Beschwerdeführer auf Schriftstücke Bezug nehmen, die er ihr beifügt, wobei er seinen erforderlichen Sachvortrag nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf beigefügte Schriftstücke ersetzen kann (vgl. VerfGH vom 27.2.2017 BayVBl 2018, 34 Rn. 20). Die in der Verfassungsbeschwerdeschrift zu erbringende Begründungsleistung kann weder durch die Vorlage von Anlagen noch durch deren Hineinkopieren in den Text der Verfassungsbeschwerde ersetzt werden (VerfGH BayVBl 2018, 34 Rn. 20; vom 21.7.2020 – Vf. 56-VI-17 u. a. – juris Rn. 63; BVerfG vom 20.3.2012 – 2 BvR 1382/09 – juris Rn. 5; vom 20.2.2019 - 2 BvR 280/19 – juris Rn. 7; VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 16.7.2020 – 41/20.VB-1 – juris Rn. 3).
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Auch der gemäß Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG erforderliche Nachweis der Erschöpfung des Rechtswegs muss in entsprechend substanziierter und nachvollziehbarer Weise erfolgen. Auch insoweit muss der Vortrag vollständig, nachvollziehbar und aus sich heraus verständlich sein und der Verfassungsgerichtshof zu einer Nachprüfung ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens in die Lage versetzt werden. Grundsätzlich müssen daher auch die Schriftsätze aus dem Ausgangsverfahren vorgelegt werden, ohne deren Kenntnis das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht dahingehend überprüft werden kann, ob dem Gebot der Rechtswegerschöpfung und dem Subsidiaritätserfordernis Genüge getan worden ist (VerfGH vom 4.1.2023 BayVBl 2023, 192 Rn. 22 m. w. N.).
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2. Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
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a) Das gilt bereits insofern, als in keinem der drei Schreiben des Beschwerdeführers eine bestimmte Handlung oder Unterlassung eines Gerichts im Sinn des Art. 51 Abs. 1 VfGHG bezeichnet wird, gegen die sich die Verfassungsbeschwerde richten soll. Insbesondere ergibt sich aus den an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Schreiben des Beschwerdeführers nicht, dass er eine Untätigkeit des Amtsgerichts Freyung mit Blick auf seinen am 15. März 2023 zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellten Antrag rügen will.
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b) Nähme man zugunsten des Beschwerdeführers an, er habe den Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 23. Februar 2023 als Angriffsgegenstand seiner Verfassungsbeschwerde bezeichnet, indem er allein diese gerichtliche Entscheidung seiner Verfassungsbeschwerde beigefügt hat, so wäre ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens nicht ersichtlich, ob er den Rechtsweg im Sinn des Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG erschöpft hat.
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Gemäß § 372 Satz 1, § 311 Abs. 2 StPO stand dem Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 23. Februar 2023 die binnen einer Woche ab Bekanntmachung einzulegende sofortige Beschwerde offen. Der Verfassungsbeschwerde lässt sich nicht entnehmen, ob der Beschwerdeführer von diesem Rechtsbehelf überhaupt Gebrauch gemacht hat, geschweige denn, dass dies fristgerecht geschehen wäre. Folgt man der Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz ‒ die freilich nicht dazu geeignet ist, den Vortrag des Beschwerdeführers aus sich heraus verständlich zu machen ‒, ergibt sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens im Gegenteil, dass der Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 23. Februar 2023 erst mit Schreiben vom 11. März 2023 und damit nicht innerhalb der einwöchigen Frist sofortige Beschwerde eingelegt hat, sodass der Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft wurde (vgl. VerfGH vom 17. Juli 2014 BayVBl 2015, 16 Rn. 15 m. w. N.).
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Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).