Titel:
Im Einzelfall erfolgloser Asylfolgeantrag eines pakistanischen Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft
Normenketten:
AsylG § 3, § 3b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Beim Verfolgungsgrund der Religion iSv § 3 Abs. 1 Nr. 1 , § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG rechnen zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit eines Asylbewerbers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Dabei setzt ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nasch Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt; vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (EuGH BeckRS 2012, 81809). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Schutzsuchende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung) (BVerwG BeckRS 2019, 17299). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Die aktuelle Erkenntnislage lässt den Schluss zu, dass Ahmadis, die ihren Gauben in Pakistan in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, indem sie sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen und nach islamischen Glaubensregeln leben, ohne dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verstecken, aufgrund dessen bereits mit einem real erhöhten Verfolgungsrisiko rechnen müssen (OVG Münster BeckRS 2023, 31416). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Bloße Kenntnisse über die Glaubensinhalte der Ahmadiyya, eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, regelmäßige Moscheebesuche und die Teilnahme an jährlichen Großveranstaltungen der Ahmadiyya oder an sonstigen Aktionen der Ahmadiyya (beispielsweise Neujahrsreinigung) lassen für sich genommen nicht bereits auf eine individuelle Glaubensüberzeugung schließen. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Die Tatsache, dass ein Asylsuchender die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als derart identitätsstiftend erfährt, dass ihm ein Verzicht hierauf oder zumindest eine wesentliche Beschränkung nicht zuzumuten ist, muss der Asylbewerber zur vollen richterlichen Überzeugung nachweisen. Dabei lässt sich das religiöse Selbstverständnis nur aus seinem Vorbringen sowie durch Rückschluss von äußeren Anhaltspunkten auf seine innere Einstellung feststellen (BVerwG BeckRS 2013, 49253). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Pakistanischer Staatsangehöriger und Anhänger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, Gefahr der Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit, geänderter Maßstab aufgrund neuer Erkenntnislage, objektive und subjektive Schwere der drohenden Verfolgung, pakistanischer Asylbewerber, Ahmadiyya, religiöse Verfolgung, Gruppenverfolgung, öffentliche Religionsbetätigung, Pakistan, Verzicht auf Glaubensbetätigung, religiöses Selbstverständnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27477
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Der Kläger, pakistanischer Staatsangehöriger, dem Volk der Punjabis und der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft zugehörig, ist im Dezember 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat am 23. Dezember 2013 unter dem Aktenzeichen … beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt.
2
Der Kläger berief sich im Erstverfahren im Wesentlichen auf Gefahren, die ihm in Pakistan aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Gemeinde drohten. Der Kläger sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und habe den Glauben nicht in der gewollten und gewünschten Art aus-üben können. Darüber hinaus sei er mehrmals beleidigt und bedroht worden. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Gemeinde hätten Fahrgäste ihm (als Taxifahrer) häufig das eigentlich zu bezahlende Fahrtentgelt nicht gegeben.
3
Mit Bescheid des Bundesamts vom 14. November 2016 wurde der Asylantrag des Klägers zunächst als unzulässig abgelehnt, nachdem dieser bereits am 9. September 2013 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Ungarn) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Da das Bundesamt keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand in Ungarn hatte, wurde dieser Bescheid nachträglich aufgehoben.
4
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 20. November 2017 wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt. Dem Kläger wurden die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Abschiebungsandrohung insbesondere nach Pakistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. Februar 2020 abgewiesen (AN 11 K 17.36056). Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. August 2020 abgelehnt (6 ZB 20.31539).
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Da aufgrund der Corona-Pandemie Asylanträge nur schriftlich entgegengenommen wurden, stellte der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 29. März 2021, beim Bundesamt eingegangen am 30. März 2021 (Vorlage der Vollmacht am 9.4.2021), einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung des Folgeantrags führte der Bevollmächtigte des Klägers (schriftlich) im Wesentlichen aus, dass seit der letzten Tatsachenentscheidung in dem Asylerstverfahren des Klägers ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes vorliege, der ein neues Beweismittel darstelle. Eine sachkundige Auswertung des Lageberichts ergebe, dass die Bedrohungen und die allgemeine Hetze gegen Ahmadis in Pakistan zwischenzeitlich tatsächlich gegeben seien und darüber hinaus ein Niveau erreicht hätten, welches die Schwelle einer Pogromstimmung alsbald zu erreichen drohe. Die Hetzparolen hätten dazu geführt, dass eine explosive Stimmung in der pakistanischen Gesellschaft vorhanden sei, mit der sich jeder Ahmadi, wenn er auch nur auf die Straße oder in ein Geschäft gehe, konfrontiert sehe. Die Agitation gehe so weit, dass sogar Gräber auf den Friedhöfen der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft geschändet würden und die Grabsteine mit Slogans und Parolen überklebt würden. Es dränge sich geradezu auf, Parallelen zu der Hasspropaganda gegen die Juden während der ersten Jahre der Nazi-Herrschaft zu sehen. Durch die öffentliche Propaganda werde Ahmadis jeglicher soziale Achtungsanspruch entzogen. Weiterhin berief sich der Kläger auf eine Verschärfung der Rechtslage für die Ahmadiyya, die nun bei der Beantragung von Identitätsdokumenten eine Eidesleistung vornehmen müssten, worin sie im Grunde ihren Glauben bzw. Kernelemente ihres Glaubens verleugnen müssten. Neu sei, dass die Ahmadis nicht nur wie bislang die Selbstbezeichnung als Muslim unterlassen, sondern im Wege einer Eidesleistung den eigenen Glauben ins Gegenteil verkehren müssten. Es spreche alles dafür, dass in dieser abverlangten Eidesleistung ein Eingriff in das sog. forum internum und damit in das religiöse Existenzminimum vorliege. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürften in diesem Bereich der Religionsbetätigung zusätzliche subjektive Voraussetzungen, sollten sie denn überhaupt aufzustellen sein, bei weitem nicht so streng sein, wie sie durch das Bundesverwaltungsgericht für das Schutzgut der öffentlichkeitswirksamen Religionsfreiheit aufgestellt worden seien. Wenngleich die rechtliche Bewertung dieser neueren Entwicklungen uneinheitlich sei, zeichne sich noch stärker als bisher eine Gruppenverfolgung der Ahmadiyya ab. Weiterhin wurden beispielhaft Fotos von Bannern, Schmierereien und Protesten gegen Ahmadiyya-Gläubige in Pakistan vorgelegt.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 16. November 2021, als Einschreiben am 18. November 2021 zur Post gegeben, wurde der Antrag des Klägers auf Asylanerkennung abgelehnt und die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung insbesondere in die Islamische Republik Pakistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung oder im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt. Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien vorliegend gegeben. Jedoch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vor. Im Hinblick auf die asylrelevante Lage der Ahmadiyya in Pakistan werde weiter davon ausgegangen, dass einem nicht vorverfolgten, sich nicht in herausstechender Weise öffentlich religiös betätigenden Ahmadiyya-Gläubigen keine Gruppenverfolgung drohe und zumindest in Rabwah/Chenab Nagar interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG zur Verfügung stehe. Diese Auffassung werde auch durch neuere Rechtsprechung gestützt. Der Kläger, der im Erstverfahren Zweifel an der Glaubhaftigkeit von Teilaspekten seines Vorbringens hervorgerufen habe und den vorliegenden Antrag nicht etwa mit Veränderungen im eigenen religiösen Wesen oder mit der Art der Glaubensausübung selbst, sondern mit der allgemeinen Situation seiner Religionsgemeinde begründet habe, stelle insofern keine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Annahme dar. Es sei somit nicht festzustellen, dass ihm in Pakistan Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes sei abzulehnen, da dem Kläger in seinem Herkunftsland weder die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe noch Folter, erniedrigende oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung drohe. Der Kläger müsse auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts befürchten. Es lägen keine stichhaltigen Gründe für diese Annahme vor. Die wesentliche Situation in Pakistan, allgemein wie persönlich, sei für den Kläger seit dem Zeitpunkt der Entscheidung im Asylerstverfahren weitgehend unverändert. Die dort getroffenen Feststellungen seien weiterhin zutreffend. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Pakistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Die Lebensumstände in Pakistan hätten sich seit dem Zeitpunkt der Entscheidung im Erstverfahren für den Kläger nicht entscheidend verändert. Dass er diese grundsätzlich bewältigen könne, sei rechtskräftig bestätigt. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylG. Um eine mit der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) zu vereinbarende modifizierende Anwendung zu erreichen, erfolge die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Hierdurch beginne die Ausreisefrist nicht vor Ablauf der Klagefrist zu laufen. Auf die Begründung des Bescheids im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 1. Dezember 2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2021 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht,
weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung wurde auf den bisherigen Sachvortrag im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und ergänzend im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Aufgrund der spezifisch gegen Ahmadis in Pakistan gerichteten Gesetzgebung sowie der Rechtsanwendungspraxis und den sich daraus ergebenden Einschränkungen ihrer Religionsausübung bestünde nach übereinstimmender Auffassung unter den Oberverwaltungsgerichten für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung auch die Religionsausübung in der Öffentlichkeit gehört, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer an die Religion anknüpfenden Verfolgung. Als Beleg dafür, dass die Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jeden bekennenden Ahmadi in Pakistan treffe, wurden zahlreiche oberverwaltungsgerichtliche sowie verwaltungsgerichtliche Urteile benannt. Aufgrund einer Entscheidung des EuGH vom 5. September 2012 (NVwZ 2012, 1612), der sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 20. Februar 2013 (10 C 23.12) im Wesentlichen angeschlossen habe, dürfe nicht differenziert werden, ob die Verfolgung einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensbetätigung (forum externum) verletze. Bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung könne die Qualität einer Verfolgungshandlung erreichen. Auf die Begründung der Klage im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 3. Dezember 2021 beantragte die Beklagte unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Klageabweisung.
12
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2023 führte der Klägerbevollmächtigte ergänzend aus, dass zwischenzeitlich eine neue obergerichtliche Entscheidung vorliege, nämlich jene des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (. Das genannte Gericht habe über nahezu zwei Jahre hinweg eine extrem gründliche Sachverhaltsaufklärung betrieben und in diesem Zusammenhang auch neue Auskünfte eingeholt. Es bestehe zwingender Anlass, die von dem Oberverwaltungsgericht herausgefundenen neuen Erkenntnisse in das hiesige Klageverfahren einzuführen. Der Kläger könne sich hierdurch auf neue Vorgänge und neue Unterlagen berufen, deren Auswertung ergebe, dass sich die Gefahrenlage für Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft in Pakistan erheblich verdichtet habe. Sie führten in ihrer Gesamtheit zu der Notwendigkeit, die Situation der Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde in Pakistan neu zu untersuchen und zu bewerten. Die Bedingungen für die Zulässigkeit eines Asylfolgeantrags seien durch eine Entscheidung des EuGH vom 9. September 2021 (C-18/20) deutlich modifiziert worden. Vorliegend würden sich zunächst neue Elemente aus dem Lagebericht Pakistan des Auswärtigen Amtes vom 21. September 2023 (Stand Juli 2023) ergeben. Im Einzelnen heiße es dort, dass es Ausschreitungen gegen die Ahmadiyya-Gemeinde zwar bereits seit Jahrzehnten gegeben habe, allerdings hätten sich diese Vorgänge in den ersten Monaten des Jahres 2023 gehäuft. Ein weiteres neues Element, welches bislang im Verfahren des Klägers nicht berücksichtigt habe werden können, sei die Tatsache, dass das OVG NRW am 21. September 2023 eine neue Grundsatzentscheidung zur Schutzbedürftigkeit der Ahmadis getroffen habe. Nach den Feststellungen des OVG NRW habe eine erhebliche Verschärfung der Situation stattgefunden und dauere auch noch weiterhin fort. Insbesondere die Erklärungspflicht zur Religion bei der Beantragung von Pässen sowie von nationalen ID-Karten habe für die Betroffenen weitreichende Folgen. Entscheiden sich Ahmadis, sich als Nicht-Muslime zu erklären, würden sie ihrem eigenen Selbstverständnis als Mitglieder einer muslimischen Religionsgemeinschaft widersprechen. Entscheiden sie sich ihrem Selbstverständnis entsprechend, sich als Muslime zu erklären, so würden sie sich gemäß Sektion 298C des pakistanischen Strafgesetzbuches strafbar machen. Das OVG NRW komme deshalb zu dem Schluss, dass für einen gläubigen Ahmadi, der die Grundsätze seiner Religion ernst nehme und für den ein „Abschwören“ von seinen religiösen Kernsätzen nicht verhandelbar sei, die Erklärungspflicht einen massiven Eingriff in den Kernbereich seines Rechts auf Religionsfreiheit bedeute. Das OVG NRW gehe davon aus, dass die Erklärungspflicht der Ahmadis eine Umsetzung und Verwirklichung einer der wesentlichen Forderungen des Urteils des Islamabad High Court vom 4. Juli 2018 darstelle. Daneben sei zu befürchten, dass auch noch weitere Forderungen des genannten Gerichts in Kürze erfüllt werden. Es gehe im Wesentlichen darum, die Erkennbarkeit von Ahmadis mit staatlichen Instrumenten zu erzwingen. Weiterhin sollten auch tatsächlich Konsequenzen eintreten, sobald Ahmadis als solche erkennbar zu ihrem muslimischen Glauben stehen und ihn leben. Das OVG NRW lege weiter dar, dass die Abgabe von Erklärungen zur Religionszugehörigkeit auch in weiteren Lebensbereichen zunehmend verbreitet werde. Weiter lege das OVG NRW auch noch die sonstigen, vielfältigen Maßnahmen dar, die als Benachteiligungen und Diskriminierungen neben den hauptsächlichen Verfolgungsmaßnahmen auch noch existieren. Das OVG NRW komme nach Auswertung einer Vielzahl an Informationsquellen zu dem Ergebnis, dass eine Verfolgung von Ahmadis nicht nur dann eintrete, wenn Mitglieder der Religionsgemeinschaft für ihren Glauben werben und in der Öffentlichkeit informieren und sich somit deutlich und klar von den strafrechtlichen Verboten distanzieren. Stattdessen habe das OVG NRW festgestellt, dass die Verfolgungsgefahr bereits dann entstehe und existent sei, wenn ein einzelner Ahmadi seinen aktiv nach den Regeln des Korans gelebten Glauben bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht verleugne oder ihn nicht ausschließlich im Geheimen auslebe. Ausreichend für eine Verfolgung sei es danach bereits, wenn es ein zentrales Element der religiösen Überzeugung eines Ahmadi sei, sich als Mitglied dieser Religionsgemeinschaft in dieser Eigenschaft zu bekennen, sowie als Muslim zu bezeichnen und/oder nach den Regeln des Korans zu leben, ohne dies verheimlichen zu wollen oder zu müssen. Insgesamt sei somit ausweislich der vom OVG NRW in den Blick gerückten neuen Informationen und Entwicklungen die Verfolgungsschwelle stark herabgesetzt. Auf die weitere Begründung der Klage im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 11. Dezember 2023 erwiderte die Beklagte, dass sich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgung des Klägers bei Rückkehr in sein Heimatland aus der Klagebegründung nach wie vor nicht herleiten lasse. Inhaltlich entspreche der Bescheid der aktuellen Weisungslage der Beklagten, sodass von einer Abhilfe abgesehen werde.
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Mit Beschluss vom 20. Februar 2024 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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Mit Schreiben vom 2. April 2024 übersandte der Klägerbevollmächtigte dem Gericht eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat (vom 27.3.2024) sowie Fotos über die religiösen Aktivitäten des Klägers. Mit weiterem Schriftsatz vom 8. April 2024 reichte der Klägerbevollmächtigte eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln (vom 3.4.2024; 23 L 558/24.A) zur Gerichtsakte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im Verfahren AN 11 K 17.36056 sowie auf die Gerichts- und Behördenakten im hiesigen Verfahren Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die zulässige Klage auf Verpflichtung zur Flüchtlingszuerkennung nach § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise auf Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG sowie des § 60 Abs. 7 AufenthG, unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 16. November 2021, ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid – ausgehend von der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) – rechtmäßig ist und insgesamt dem Kläger keine solchen Ansprüche zukommen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind gerichtlich nicht zu beanstanden.
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Auf Basis der gesetzlichen Ermächtigung in § 77 Abs. 3 AsylG sieht das Gericht hier von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen sowie der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 16. November 2021 folgt.
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Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Gericht ist auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sowie der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nach den zur Beurteilung heranzuziehenden rechtlichen Maßstäben (im Folgenden unter a.) und unter Berücksichtigung der herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisse über flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen (unter b.) nicht zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft bei seiner Rückkehr nach Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde bzw. der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen würde (unter c.).
a. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG ist einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat gemäß § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Frage, ob Schutzsuchenden eine Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr der Schutzsuchenden in ihr Herkunftsland zum Gegenstand hat. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die in Rede stehende Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 19). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände größeres Gewicht besitzen als die gegen eine Verfolgung sprechenden Tatsachen, sodass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der individuellen Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris Rn. 15). Zu berücksichtigen sind dabei alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen und die Schwere des befürchteten Eingriffs (vgl. BVerwG, U.v. 4.7. 2019 – 1 C 33/18 – juris Rn. 15). Der der Prognose zugrunde zu legende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bleibt auch dann unverändert, wenn Antragstellende bereits Vorverfolgung erlitten haben (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – C-175/08 – juris Rn. 84 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22). Allerdings ist nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) die Tatsache, dass die schutzsuchende Person bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. sie tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass sie erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23). Die Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
Aufgrund der ihnen obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG) sind Antragstellende gehalten, von sich aus die in ihre eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu ihrem Vorbringen in ihren früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen. Ihr Vortrag muss danach insgesamt geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68.81 – juris Rn. 5).
Zu dem Verfolgungsgrund der Religion i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgeführt, dass zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit (i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Qualifikationsrichtlinie) darstellen können, nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, gehören, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung der Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Dabei setzt ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. (vgl. EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 – juris Rn. 69 ff.; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 26)
Denn andernfalls blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (vgl. OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 44 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. U.v. 5.9.2012 – C-71/11 – juris Rn. 69 ff.) hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (vgl. OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 45 m.w.N.). Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Europäische Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist; denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (vgl. U.v. 5.9.2012 – C-71/11 – juris Rn. 71). Dies setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste; jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein; maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten (vgl. OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 47). Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (vgl. BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – juris Rn. 43; OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 47).
Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Schutzsuchende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung) (st.Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 22.5.2019 ‒ 1 C 11.18 ‒ juris Rn. 24 f., U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 33, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13 ff., jeweils m.w.N.). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Hängt die Verfolgungsgefahr von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen – etwa der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit – ab, so ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in gefahrdrohender Weise – regelmäßig in der Öffentlichkeit – praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Besteht für die – möglicherweise zahlenmäßig nicht große – Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe derer, für die diese gefahrauslösenden Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist (vgl. hierzu auch OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – juris Rn. 63 m.w.N.).
b. Die für die rechtliche Beurteilung zu berücksichtigenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisse über flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aus religiösen Gründen bezogen auf Ahmadis in Pakistan stellen sich nach Auswertung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel wie folgt dar (vgl. hierzu ausführlich auch: OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 75 ff. m.w.N.):
Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Durch eine – von einigen Enthaltungen abgesehen – einstimmig beschlossene Verfassungsänderung aus dem Jahr 1974 sind Ahmadis in Pakistan unter dem öffentlichen Druck der islamischen Mehrheitsbewegung zu Nicht-Muslimen erklärt worden, weil Muslim nur sein könne, wer an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamts Mohammeds glaubt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 91; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 1).
Die von den Ahmadis nicht akzeptierte Qualifizierung als Nicht-Muslime hat zunächst Konsequenzen im strafrechtlichen Bereich. Namentlich drei im Jahr 1984 eingeführte Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuchs befassen sich speziell mit den Ahmadis und machen es ihnen praktisch unmöglich, ihren Glauben frei auszuüben (vgl. hierzu BAMF, Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 2 ff.). Nach Section (Sec.) 298c des pakistanischen Strafgesetzbuches (Pakistan Penal Code – PPC) ist es spezifisch Ahmadis verboten, sich selbst als Muslime und ihren Glauben als Islam zu bezeichnen, ihren Glauben zu predigen, zu propagieren, andere dazu aufzufordern, ihren Glauben anzunehmen, oder in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime zu verletzen. Bei Zuwiderhandlung drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und Geldstrafe. Sec. 298b PPC verbietet zusätzliche Aspekte der religiösen Betätigung, etwa die eigene Gebetsstätte als Moschee zu bezeichnen oder zum Gebet zu rufen. Ebenfalls – wenn auch nicht ausschließlich – gegen Ahmadis richtet sich die Vorschrift der Sec. 295c PPC, wonach mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und mit Geldstrafe bestraft wird, wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft. Zwar ist in Pakistan die Freiheit der Religionsausübung nach Art. 20 der Verfassung garantiert, steht allerdings unter dem Vorbehalt des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung und der Moral. Es würden (bestätigt durch eine Entscheidung des Supreme Court) nur solche religiösen Praktiken von Art. 20 der Verfassung geschützt, die integraler und wesentlicher Teil der Religion seien. Dazu gehöre die öffentliche oder öffentlich wahrnehmbare Glaubensausübung der Ahmadis nicht, während sie nicht gehindert seien, ihren Glauben privat auszuüben (vgl. OVG Münster, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 122 f. m.w.N.). Die genannten Strafvorschriften kommen in Pakistan auch tatsächlich zur Anwendung. Nach einer Statistik der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) (vgl. Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 3.8.2022, S. 80) wurden bislang (von April 1984 bis 31.12.2021) gegen Ahmadis insgesamt 765 Verfahren wegen der Darstellung des muslimischen Grußes (Kalima), 47 Verfahren wegen des Rufes zum Gebet (Adhan), 484 Verfahren wegen des Anspruchs ein Muslim zu sein, 161 Verfahren wegen des Missbrauchs islamischer Beinamen, 93 Verfahren wegen Darbringung eines Gebets, 856 Verfahren wegen Predigens, 148 Verfahren wegen der Verteilung eines Pamphlets mit der Aufforderung einer sog. Mubahalla (Gebetsduell) sowie 74 Verfahren wegen vermeintlicher Schändung des heiligen Korans registriert. Daneben wurden insgesamt 333 Ahmadis wegen Blasphemie nach Sec. 295c PPC angeklagt und 1262 Verfahren gegen Ahmadis wegen anderer religiöser Gründe geführt. Es bestehe auch immer die Gefahr, dass ein gegen Ahmadis gerichtetes Verfahren um den Vorwurf der Blasphemie nach Sec. 295c PPC erweitert werde; in der Regel brächten islamistische Gruppierungen Strafverfahren gegen Ahmadis in Gang (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 11; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 92). Ahmadis sind im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung überproportional häufig Opfer von Blasphemievorwürfen: Allein 75 der 171 Vorwürfe im Jahr 2022 richteten sich gegen sie (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 11).
Die Qualifizierung der Ahmadi als Nicht-Muslime hat zudem unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidliche Erklärung zur Finalität des Prophetentums Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 91; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 11; AMJ, Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 3.8.2022, S. 58). Ein als Erleichterung der Wahlteilnahme für Ahmadis empfundener Gesetzesentwurf wurde 2017 durch islamistische Gruppen verhindert. Im Nachgang zu diesem gescheiterten Gesetzesvorhaben forderte der Islamabad High Court in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2018, um eine Nationale ID-Karte, einen Pass, eine Geburtsurkunde und einen Eintrag in eine Wählerliste zu erhalten sowie in staatliche oder halbstaatliche Institutionen eingestellt zu werden, müsse jeder Antragsteller einen Eid auf der Grundlage der Verfassungsbestimmung abgeben, wonach Ahmadis keine Moslems seien, die National Database and Registration Authority (NADRA) müsse eine Zeit festlegen, innerhalb derer Bürger ihre Personenstandsangaben, namentlich zur Religion, korrigieren oder ändern könnten. Dem Parlament und der Regierung gab der High Court auf, gesetzliche Korrekturen vorzunehmen bzw. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um gesetzlich und auch tatsächlich sicherzustellen, dass für den Islam und für Muslime verwendete Begriffe von Minderheiten nicht mehr verwendet würden, um ihre Identität zu verschleiern oder zu anderen Zwecken. Es dürfe auch nicht mehr möglich sein, seine Identität durch falsche Personenstandsangaben zu verstecken (vgl. zu dem Urteil des Islamabad High Court: OVG Münster, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 132 ff. m.w.N.). Wenngleich die Regierung der Forderung einer eindeutigen Identifizierung aller Bürger hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit bislang nicht nachgekommen zu sein scheint (vgl. AA, Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 20.2.2023, S. 8), führte die NADRA im Dezember 2018 eine neue Praxis ein (vgl. hierzu: BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 91; BAMF, Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft. Stand: 11/2023, S. 6; AMJ, Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 3.8.2022, S. 14), um sicherzustellen, dass alle Antragsteller ihre religiöse Identität erklären, wenn sie neue Ausweisdokumente beantragen. Wer bei der NADRA eine nationale Identitätskarte beantragt, muss fortan eine Erklärung zu seiner Religionszugehörigkeit abgeben, die sich hinsichtlich der Muslime und Nicht-Muslime unterscheidet. Ein Muslim erklärt und unterschreibt, dass er Muslim sei und an die vollständige und bedingungslose Finalität des Prophetentums des Propheten Mohammed glaube sowie, dass er Mirza Ghulam Ahmed Qadiani als einen falschen Propheten und seine der Lahorj- oder der Qadiani-Gruppe zugehörigen Anhänger als Nicht-Muslime betrachte. Ein Nicht-Muslim hat unter Eid zu erklären und unterschreiben, er sei kein Muslim und gehöre der Qadiani/Ahmadiyya-Religion an. Die nationale Identitätskarte wird üblicherweise benötigt, um einen Pass zu beantragen, einen Führerschein zu erwerben, eine Steuernummer zu erhalten, für Wahlen registriert zu werden, sich um eine Arbeitsstelle zu bewerben, ein Bankkonto zu eröffnen, eine SIM-Karte zu bekommen, Wasser-, Strom- oder Gasverträge zu schließen, Landbesitz oder Fahrzeuge zu erwerben, Wohnungsmietverträge abzuschließen sowie um Zugang zu Bildungsorganisationen sowie zum Gesundheitssystem zu erlangen (vg. AMJ, Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 3.8.2022, S. 50, 70). Die Abgabe von Erklärungen zur Religionszugehörigkeit ist auch in weiteren Lebensbereichen verbreitet. So müssen etwa Schülerinnen und Schüler staatlicher Schulen sowie Studentinnen und Studenten staatlicher Universitäten bei Eintritt eine Erklärung abgeben, wonach sie als Muslime an die Finalität des Prophetentums Mohammeds glauben, Ahmadis können nur zugelassen werden, wenn sie nicht beanspruchen, Muslime zu sein. Nicht-Muslime müssen sich ihre Religion zusätzlich von dem lokalen Leiter ihrer religiösen Gemeinschaft bestätigen lassen (vgl. BAMF, Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 6; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 92). Die seit 2021/2022 bei Eheschließung zwischen Muslimen von der Provinzregierung des Punjab eingeforderte Erklärung zur Finalität des Prophetentums macht Ahmadis die nach ihren Glaubensgrundsätzen nach islamischem Recht durchzuführende Eheschließung de facto unmöglich (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 11; BAMF, Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 6). Andere Provinzen erwägen, ebenfalls eine solche Erklärung einzuführen (vgl. BAMF, Länderreport Pakistan: Fact Finding Mission, Stand: 12/2023, S. 22).
Diese rechtlichen Vorgaben und der praktische Stellenwert, der ihnen verbreitet zukommt, haben erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben der Ahmadis in Pakistan, die sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen. Die repressiven und diskriminierenden Gesetze fördern gemeinsam mit staatlich sanktionierten diskriminierenden Praktiken eine Kultur der religiösen Intoleranz und Straflosigkeit. Der überwiegende Teil der pakistanischen Gesellschaft unterstützt die Blasphemiegesetzgebung; eine Änderung ist seitens der pakistanischen Regierung nicht angedacht (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 10). Blasphemievorwürfe werden immer wieder auch zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt, Mordanschläge, Zerstörung von Gotteshäusern und Friedhöfen der Ahmadis oder zum Ausfechten persönlicher Fehden genommen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: Juli 2023, S. 10 f.; BAMF Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 3). Es kommt immer wieder zu Anti-Ahmadi-Demonstrationen. Auch in den Nachrichten und Meinungsbeiträgen werden häufig Hassreden abgedruckt, von denen einige als Aufforderung zur Gewalt gegen Ahmadis angesehen werden können; Anti-Ahmadi-Rhetorik ist auch online in den sozialen Medien verbreitet (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 93). Auch auf Anti-Ahmadi-Plakaten wird gegen Ahmadis gerichtete Rhetorik verbreitet. Außerdem werden wirtschaftliche Ausgrenzungskampagnen von einigen muslimischen Klerikern forciert, die dazu aufrufen, Geschäfte von Ahmadis zu boykottieren (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Pakistan, Datum der Veröffentlichung: 1.2.2024, S. 93). Manche Ladeninhaber verbieten Ahmadis das Einkaufen in ihren Läden (vgl. BAMF, Länderkurzinformation Pakistan; Lage der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Stand: 11/2023, S. 10). Die Lage der bekennenden Ahmadis verschärft sich seit Jahren (auch) durch eine immer vehementer zu vernehmende menschenverachtende Rhetorik (Eine Statistik zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Ahmadis in Pakistan liefert AMJ, Beantwortung der Beweisfragen des OVG NRW vom 3.8.2022, S. 81.)
Eine Anzahl der Ahmadis, die ihren Glauben in Pakistan in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, lässt sich wegen ihrer Kriminalisierung und allgemeinen Bedrohung nicht einmal ansatzweise bestimmen (vgl. detaillierte Ausführungen hierzu: OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 193 ff. m.w.N.). Dennoch lässt bereits die erfolgte Auswertung der aktuellen Erkenntnislage den Schluss zu, dass Ahmadis, die ihren Glauben in Pakistan in strafrechtlich verbotener Weise praktizieren, indem sie sich ihrem Glaubensverständnis entsprechend als Muslime verstehen und nach islamischen Glaubensregeln leben, ohne dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verstecken, aufgrund der bereits mit einem real erhöhten Verfolgungsrisiko rechnen müssen (vgl. OVG NRW, U.v. 21.9.2023 – 4 A 2467/15.A – juris Rn. 199). Zur Überzeugung des Gerichts kann davon ausgegangen werden, dass die Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung sowie die gesamtgesellschaftlich verbreitete feindliche Grundstimmung gegenüber Ahmadis mittlerweile nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden Konsequenzen für diejenigen Ahmadis führen kann, die sich offen als Ahmadis bekennen und erkennbar als Muslime bezeichnen und deren Verhalten nach den Regeln des Korans öffentlich insbesondere auch Vertretern einer der religiösen Gruppen bekannt wird, die offensiv für die Finalität des Prophetentums und die Reinheit des islamischen Glaubens eintreten. Die Summe der hier nur auszugsweise wiedergegebenen Eingriffe kann – nach den konkreten Umständen des Einzelfalls – die Annahme einer vergleichbar schweren Rechtsverletzung bei den Betroffenen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG. rechtfertigen, auch wenn diese einzeln betrachtet teilweise nicht die Schwelle einer Menschenrechtsverletzung überschreiten.
c. Ausgehend von den unter a. aufgeführten rechtlichen Maßstäben und unter Berücksichtigung der unter b. zusammengefassten Informationen über die allgemeine Lage der Ahmadis in Pakistan droht dem Kläger – basierend auf einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – bei Rückkehr nach Pakistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit religiös motivierte Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft.
Der Kläger hat eine Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale nicht glaubhaft gemacht. Zwar ist nach dem glaubhaften Vorbringen des Klägers – und in Ermangelung dem widersprechender Anhaltspunkte – davon auszugehen, dass der Kläger gebürtiges Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde ist (vgl. hierzu auch die Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 27.3.2024). Das Vorbringen des Klägers sowohl in seinem (schriftlichen) Asylfolgeantrag, der gegenüber dem Bundesamt in erster Linie mit der allgemeinen, verschärften Situation seiner Religionsgemeinde begründet wurde, als auch in der mündlichen Verhandlung ist allgemein und vage gehalten sowie von Detailarmut geprägt. Zudem enthält es wesentliche Unstimmigkeiten, die trotz ausführlicher Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar ausgeräumt werden konnten. So hat der Kläger in seinem Erstverfahren gegenüber dem Bundesamt (i.R.d. ergänzenden Anhörung am 15.3.2017) noch angegeben, aufgrund seines Glaubens mehrfach beleidigt und bedroht worden zu sein. In der mündlichen Verhandlung äußerte er hingegen auch auf wiederholte Frage des Gerichts, ob es in Pakistan bereits eine Bedrohungssituation aufgrund seiner Religionszugehörigkeit ihm gegenüber gegeben habe, dass er sich versteckt habe aufhalten müssen. Wenn bekannt geworden wäre, dass er der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehöre, hätte er in Pakistan Probleme bekommen.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Pakistan auch keine (Gruppen-)Verfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit. Denn für die Anerkennung einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen religiöser Betätigung ist eine besondere Schwere der zu erwartenden Verfolgung zu begründen, die sowohl objektive wie auch subjektive Elemente enthält (siehe hierzu bereits unter b.). Erforderlich ist damit eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand aller vorliegenden Gesichtspunkte. Bloße Kenntnisse über die Glaubensinhalte der Ahmadiyya, eine Mitgliedsbescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, regelmäßige Moscheebesuche und die Teilnahme an jährlichen Großveranstaltungen der Ahmadiyya oder an sonstigen Aktionen der Ahmadiyya (beispielsweise Neujahrsreinigung) lassen daher für sich genommen nicht bereits auf eine individuelle Glaubensüberzeugung schließen. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität – und damit für die Frage, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung darstellt – ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass der Asylsuchende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als derart identitätsstiftend erfährt, dass ihm ein Verzicht hierauf oder eine zumindest wesentliche Beschränkung nicht zuzumuten ist, muss der Asylbewerber zur vollen richterlichen Überzeugung nachweisen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30 m.w.N.). Dabei lässt sich das religiöse Selbstverständnis nur aus dem klägerischen Vorbringen sowie durch Rückschluss von äußeren Anhaltspunkten auf seine innere Einstellung feststellen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 31). Zur Ermittlung und Einschätzung dieser inneren Tatsachen ist daher eine Gesamtwürdigung des klägerischen Vortrags und der vorgelegten Unterlagen vorzunehmen.
Der Kläger hat im Klageverfahren (teils unter Vorlage von Fotos bzw. der Kopie eines Helferausweises, der ihm bei der Jalsa Salana im Jahr 2023 ausgehändigt worden war) ausgeführt, seinen Glauben in Deutschland aktiv zu praktizieren. So gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, in Deutschland regelmäßig die Moschee, nämlich das Gebetszentrum in …, zu besuchen sowie an Veranstaltungen der Gemeinde und an Aktivitäten des Sozialdienstes … (insb. Reinigungsaktionen in den Innenstädten zum 1. Januar des Jahres) teilzunehmen. Weiter führte der Kläger an, dass er in Deutschland auch missioniere, indem er beispielsweise während seiner Tätigkeit als Taxifahrer die Gelegenheit nutze, über seinen Glauben zu sprechen. Auch im Rahmen der Veranstaltungen seiner Gemeinde werde er missionarisch tätig. Neben der Aufgabe, die der Kläger bei der jährlich stattfindenden Jalsa Salana erfülle, habe der Kläger aktuell (und seit etwa zwei Jahren) die Funktion, bei Versammlungen und Veranstaltungen Essen auszugeben. Davor sei er insbesondere für die Neujahrsreinigung zuständig gewesen. Wenn auch dem Kläger somit ein Engagement in seiner deutschen Glaubensgemeinde nicht abgesprochen werden kann, konnte das Gericht – auch unter Berücksichtigung der Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den dieser gemacht hat – nicht die Überzeugung erlangen, dass die in Deutschland praktizierte Form der Glaubensausübung ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für den Kläger unverzichtbar ist. Zwar kann der Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland seinen Glauben nur unter äußerst eingeschränkten Möglichkeiten ausleben. Jedoch geht das Gericht unter Gesamtwürdigung der Umstände nicht davon aus, dass der Kläger hierdurch in einen schweren inneren Konflikt geraten wird.
Der Kläger konnte insgesamt nicht authentisch den Eindruck vermitteln, dass ein – in Pakistan verbotenes – Ausleben des Ahmadiyya-Glaubens für ihn unverzichtbar ist. So gab der Kläger auf die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, an welchen Veranstaltungen der Ahmadiyya-Gemeinschaft er teilnehme, an, dass er an sämtlichen Versammlungen und Missionierungsprogrammen seiner Gemeinde teilnehme. Auch die gerichtliche Bitte, dies zu konkretisieren, beantwortete er pauschal mit der Aussage, es handele sich um alle möglichen Veranstaltungen. Dass dem Kläger gerade die Missionierung ein tiefes inneres Anliegen ist, konnte der Kläger ebenfalls nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Zwar gab der Kläger an, er nehme an den Veranstaltungen seiner Gemeinde teil, um die Gelegenheit zu nutzen, zu missionieren. Inwiefern er dies auf einer von der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft organisierten Veranstaltung tatsächlich auslebt, blieb jedoch letztlich offen. Auch die Aussage in der mündlichen Verhandlung, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Taxifahrer die Gelegenheit nutze, mit seinen Fahrgästen über seinen Glauben zu sprechen, blieb äußerst vage. Selbst auf gerichtliche Nachfrage, was der Kläger beispielsweise seinen Fahrgästen erzähle, gab der Kläger lediglich an, dass er in erster Linie Flyer verteile und die Fahrgäste bitte, bei Interesse die Telefonnummer oder Webseite an- bzw. aufzurufen. Dass der Kläger es nach eigener Aussage genießt, seine Religionsfreiheit in Deutschland ausleben zu können (beispielsweise im Gebet mit anderen Gläubigen), kann ihm geglaubt werden. Jedoch wurde nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass ihm die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und er – sollte er aufgrund der Gefahren in Pakistan auf ein Ausleben seines Glaubens letztlich verzichten – dies als besonders belastend empfinden würde. Hieran vermag auch weder die Einlassung des Klägers, wonach seine Freude bei dem ersten persönlichen Treffen mit dem Kalifen – im Rahmen der Eröffnung einer Moschee in … – so groß gewesen sei, dass er dies nicht einmal in Worte fassen könne, noch seine Aussage, er könne gar nicht beschreiben, wie schön seine erste Teilnahme an einer Jalsa Salana gewesen sei, nichts zu ändern, da diese Aussagen zum einen pauschal geblieben sind und der Inhalt der Worte zum anderen nicht mit dem persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, in Übereinstimmung gebracht werden kann. Selbst auf die Bitte des Klägerbevollmächtigten, sich vorzustellen, dass der pakistanische Staat den Kläger auffordere, sich als Ahmadi zu kennzeichnen, jedoch anzugeben, dass er kein Moslem sei, beispielsweise um einen Pass zu beantragen, und hierbei auch einen Schwur leisten müsse, erklärte der Kläger pauschal, distanziert und ruhig, dass er sich dies überhaupt nicht vorstellen könne. Insgesamt konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger in besonders herausragender Weise religiös geprägt ist und das Bekenntnis als Ahmadi sowie als Muslim für ihn ein zentrales Element seiner religiösen Identität ist. Seine Einlassungen hierzu („es handle sich um ein Gefühl“) wirkten – auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der Oberflächlichkeit der Ausführungen – asyltaktisch motiviert.
2. Ein Anspruch des Klägers auf die (hilfsweise geltend gemachte) Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Anhaltspunkte für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben (vgl. ausführlich hierzu VG Lüneburg, U.v. 6.9.2022 – 11 LB 198/20 – juris Rn. 168 ff.; VG München, U.v. 11.10.2022 – M 10 K 17.41229 – juris Rn. 18 ff.). Auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr nach Pakistan vermag das Gericht nicht zu erkennen.
3. Auch gegen die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen keine Bedenken. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Die Kosten des Verfahrens hat nach § 154 Abs. 1 VwGO der Kläger als Unterliegender zu tragen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.