Titel:
Keine Berücksichtigung der Alkoholisierung des Unfallopfers bei fehlender Auswirkung auf das Unfallgeschehen
Normenkette:
StGB § 46, § 222
Leitsatz:
Hat sich eine Alkoholisierung des Unfallopfers auf das Unfallgeschehen nicht ausgewirkt, so ist eine strafmildernde Berücksichtigung der Alkoholisierung des Unfallopfers beim Täter nicht veranlasst (bestätigt durch BayObLG BeckRS 2024, 27464). (Rn. 84 – 87) (Rn. 108 – 114) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafmilderung, Mitverschulden, Unfallopfer, Alkoholisierung, Unfallgeschehen, Auswirkung
Vorinstanz:
AG Freising, Urteil vom 04.04.2023 – 4 Ds 401 Js 11020/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 14.10.2024 – 206 StRR 320/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27470
Tenor
1. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts F. vom 04.04.2023 (Az. 4 Ds 401 Js 11020/22) werden jeweils als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass die Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis noch 1 Jahr 2 Monate beträgt.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Berufung und die der Nebenklägerin, Frau A. S1., hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft.
§§ 222, 315 c Abs. 1 Nr. 2 b und Abs. 3 Nr. 2, 52, 69, 69 a StGB
Entscheidungsgründe
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Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht – Strafrichter – F. mit Urteil vom 04.04.2023 (Az.: 4 Ds 401 Js 11020/22) wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein wurde eingezogen und es wurde eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 2 Jahren festgelegt. Hiergegen legte der Angeklagte am 05.04.2023 unbeschränkt Berufung ein. Am 11.04.2023 legte die Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung ein. Beide Berufungen waren form- und fristgerecht, in der Sache aber erfolglos.
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Der Angeklagte ist 63 Jahre alt. Er wurde als zweitjüngstes Kind von insgesamt vier Kindern geboren. Das Familienleben wies keine Auffälligkeiten auf. Er besuchte die Grundschule und die Hauptschule. In den Jahren 1981 bis 1989 war er bei der Bundeswehr und machte dort die sogenannte „Fachschule“, vergleichbar mit der Mittleren Reife. Bereits vor seiner Zeit bei der Bundeswehr war er als Einzelhandelskaufmann tätig. Er war ein guter Schüler, wenn er den Ehrgeiz hatte zu lernen, dann hatte er Noten zwischen 1 und 3. Er war im Freundeskreis und in Vereinen sozialisiert. Ab 1985 war er mit seiner ersten Ehefrau verheiratet. Die Ehe dauerte bis 2009, aus ihr gingen ein Sohn und eine Tochter von mittlerweile 33 und 30 Jahren hervor. Zu den Kindern besteht Kontakt, sie leben im Raum M., Enkel gibt es bislang keine. Im Jahr 2013 heiratete er seine jetzige Ehefrau. Gemeinsame Kinder gibt es keine. Gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau baute er 2016 ein Einfamilienhaus, welches finanziert wird und welches er mit ihr gemeinsam bewohnt. Derzeit bestehen noch Schulden betreffend den Hausbau in Höhe von 400.000,- EUR bis 500.000,- EUR. In seiner Zeit bei der Bundeswehr, 1986, hatte er einen Unfall, bei dem er sich einen Halswirbel stauchte. Folgen sind daraus nicht zu beklagen. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr arbeitete er durchweg als Einkaufsleiter und auch als Außendienstler. Dabei fuhr er teilweise bis zu 100.000 km im Jahr. Er wurde bei seiner Firma in P. als Einkaufsleiter gekündigt und unmittelbar darauf, seit Januar 2018, war er dann als Einkaufsleiter bei einer Firma in M. S. tätig. Sein Arbeitsweg beträgt ca. 100 km einfach.
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Seit 13 Jahren ist der Angeklagte trockener Alkoholiker. Er wurde aus eigenem Antrieb trocken, wollte ein neues Leben starten. Um die Abstinenz zu erreichen, ließ sich der Angeklagte selber einweisen und verlagerte sich vorübergehend örtlich nach Sch. Seit dieser Zeit hat es der Angeklagte durchweg geschafft, dem Alkohol zu widerstehen. Er nahm und nimmt keine Drogen. Im Januar 2022, etwa zwei Monate vor dem gegenständlichen Geschehen, wurde er an der Wirbelsäule operiert. Die aktuelle gesundheitliche Lage ist so, dass sein linkes Bein Taubheitsgefühle aufweist und schlecht belastet werden kann. Eine weitere Verschlechterung ist nicht zu erwarten, womöglich kann der Zustand beibehalten werden. Von März bis April 2023 machte der Angeklagte eine 6-wöchige Rehamaßnahme in B. G. Dies gab eine kurzfristige Verbesserung, jetzt hat sich die Situation wieder verschlechtert. Seit 23.06.2023 ist der Angeklagte arbeitsunfähig. Sein Arbeitsplatz besteht noch. Der Angeklagte hat seit dem Unfall psychische Probleme. Er wacht mehrmals in der Nacht schweißgebadet auf und geht geistig den Unfall durch. Er fragt sich, warum er so reagiert hat, wie er reagiert hat. Er denkt immer wieder an den jungen Mann, der bei dem Unfall den Tod gefunden hat. Er hat Beratungsgespräche bei der ... in Anspruch genommen.
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Seine zweite Ehefrau ist Bilanzbuchhalterin. Sie ist täglich von morgens 07.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr beruflich außer Haus und bei einer Firma in G. tätig. Sie arbeitet in Vollzeit und verdient ca. 80.000,- EUR bis 81.000,- EUR brutto im Jahr. Der Angeklagte bezog zuletzt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 3.800,- EUR. Er rechnet mit einem Renteneinkommen von etwa 1500 Euro, sollte es zur Frührente kommen. Vermögen ist neben dem Einfamilienhaus nicht vorhanden. Das Fahrzeug, ein PKW Hyundai Ioniq 5, war in voller Höhe von etwa 45. 000 Euro finanziert und noch nicht abbezahlt. Es erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden und steht nicht mehr zur Verfügung, nachdem es der Angeklagte an gewerbliche Autoaufkäufer weiterverkauft hat, wurde es ins Ausland gebracht. Der Angeklagte hat nach dem Unfall wieder ein identisches Modell in anderer Farbe erhalten, welches seine Ehefrau derzeit fährt.
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Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Im Fahreignungsregister befindet sich zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung eine Überschreitung der Prüfungsfrist (TÜV-Plakette).
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Der Angeklagte fuhr am 30.03.2022 gegen 6.05 Uhr mit seinem wenige Wochen alten Pkw Hyundai Ioniq 5 (Elektrofahrzeug) auf der Bundesstraße 13 im Bereich N./ 8. H. im Landkreis F.. Nach N. besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h, welche etwa 370 m vor der Kollisionsstelle aufgehoben ist. Ab Aufhebung ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h. Es war fast vollständig dunkel, die Straße war trocken. Er fuhr mit Licht, war angegurtet und nicht alkoholisiert. Er überholte – in dieser Reihenfolge – die drei Fahrzeuge der ..., des ... und des ..., die circa zwischen 70 und 80 km/h fuhren, wobei er sich dabei ca. 14,8 Sekunden durchweg auf der linken Fahrspur aufhielt. Die von ihm dort zurückgelegte Strecke betrug 400 bis 450 m. Schon bei Beginn des Überholvorgangs war die Sicht des Angeklagten durch die Dunkelheit eingeschränkt. Er überholte bereits das Fahrzeug des ... mit überhöhter Geschwindigkeit. Ein Einscheren zwischen den Fahrzeugen der beiden Fahrzeuglenker ... und ... wäre dem Angeklagten möglich gewesen. Dies hatte der Angeklagte aber nicht vor, sondern er wollte seinen Arbeitsweg ungehindert fortsetzen und auch noch das letzte für ihn erkennbare langsamere Fahrzeug überholen. Er überholte sodann in Annäherung an eine Kuppe mit anschließender Rechtskurve noch das dritte Fahrzeug des ..., einen PickUp Ford Ranger, obwohl – für den Angeklagten erkennbar – bereits Gegenverkehr entgegenkam und obwohl er nicht übersehen konnte, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen sein würde, was der Angeklagte bei Anwendung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt ohne Weiteres hätte erkennen können und müssen.
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Die erforderliche Sichtweite hätte 340 m betragen, wenn man von einem mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fahrenden Gegenverkehr ausgeht. Tatsächlich betrug die Sicht nur circa 135 m.
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Noch vor Beendigung des Überholvorgangs betreffend den PickUp Ford Ranger des ... kollidierte der Angeklagte im Verlauf der Rechtskurve frontal mit dem Gegenverkehr auf der Fahrspur des Gegenverkehrs. Fahrer des VW Passat, der dem Angeklagten entgegengekommen war, war .... Der Pkw Hyundai befand sich etwa zu 2/3 auf der linken Fahrbahn, die Frontalüberlappung der Fahrzeuge betrug etwa 30 bis 35 cm. Der 23 – jährige ... verstarb infolge der Kollision noch an der Unfallstelle. Der Angeklagte erlitt eine Fraktur von zwei Lendenwirbeln und wurde bereits am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen.
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Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Kollision mindestens 139 km/h gefahren, die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle betrug 100 km/h. Er hatte nicht gebremst, aber den Kurvenradius noch nach rechts verringert, indem er versucht hatte, vor dem Fahrzeug des ... einzuscheren. Bereits beim Überholen des zweiten Fahrzeuges des ... war er mindestens 120 km/h gefahren.
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Der Fahrer im Gegenverkehr war zunächst höchstens 69 bis 74 km/h gefahren und hatte seine Geschwindigkeit in den 1,6 bis 1,7 Sekunden, die ihm für eine Reaktion blieben, noch auf 49 bis 54 km/h reduziert und war leicht nach rechts ausgewichen. Auch er fuhr mit Licht und war angegurtet. Der Geschädigte war alkoholisiert. Eine um 13.40 Uhr (Todeszeitpunkt 7.30 Uhr) entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 0,83 Promille im Mittelwert. Im Urin wurden 1,06 Promille festgestellt. Dies führte jedoch zu keinem Reaktionsverzug. Für ihn war der Unfall unvermeidbar.
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Für den Angeklagten hingegen war der Unfall vermeidbar. Er hätte den Unfall vermeiden können, wenn er nach dem Überholen des zweiten Fahrzeugs eine Bremsung eingeleitet hätte und nach rechts eingeschert wäre. Der Angeklagte wollte jedoch an allen drei Fahrzeugen vorbeikommen, um seinen Arbeitsweg ungehindert fortsetzen zu können. Er setzte sich aus eigensüchtigen Gründen über die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer und die Verkehrsvorschriften hinweg. Er bewertete sein zügiges Fortkommen als höherrangig.
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Im Ergebnis war an der gegenständlichen Örtlichkeit bereits der Überholvorgang der ersten beiden Fahrzeuge sehr riskant, aber noch möglich, nachdem sich vor dem Geschädigten kein anderes Fahrzeug im Gegenverkehr befunden hatte. Das Überholen des dritten Fahrzeugs war ohne jegliche ausreichende Sicht und ohne jede Aussicht auf erfolgreiche Durchführung im Falle des Auftretens von Gegenverkehr.
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Die Bundesstraße 13 verläuft in Fahrtrichtung des Angeklagten sowie der Fahrzeugführer ..., ... und ... von N. kommend in Richtung Hohenkammer im Bereich des Ortsausganges N. zunächst in einer leichten Linkskurve hin zu einer Kuppe. Anschließend folgt eine Senke mit einer weiteren Linkskurve, an welche eine zweite Kuppe mit nachfolgender Rechtskurve anschließt. Im Verlauf der Rechtskurve erfolgte die Kollision. In einiger Entfernung der Kollisionsstelle nachfolgend kommt ein Überholverbot, eine Ampelanlage und die Ortschaft Hohenkammer.
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Die Bundesstraße weist zwei Hauptfahrbahnen, jeweils eine Fahrbahn in jede Fahrtrichtung, mit unterbrochener Mittelmarkierung, auf. Rechts und links befinden sich weiße Fahrbahnbegrenzungsmarkierungen mit teilweise verbautem befestigten Bankett. An diese schließen Grünstreifen mit Begrenzungspfosten an. Teilweise befinden sich Bäume und Sträucher neben der Fahrbahn. Die Sicht ist bei Beginn des Überholvorgangs maximal bis zur Kollisionsstelle möglich. Sie wird weiter durch die Senke, die zweite Kuppe, die Böschung und die Dunkelheit eingeschränkt. Ab der Senke wird sie schlechter, danach wieder etwas besser, indem wieder maximal bis zur Kollisionsstelle gesehen werden kann. Ab der Senke hin zur späteren Kollisionsstelle befindet sich an der Gegenfahrbahn eine Metallschutzplanke. Diese spiegelt die Scheinwerfer des Gegenverkehrs. Nach der Senke befindet sich neben der Fahrbahn rechts eine ansteigende Böschung. Der Kurvenradius der Rechtskurve vor Kollisionseintritt ergibt sich mit 280 bis 300 Meter. Die beiden Richtungsfahrbahnen weisen eine Gesamtbreite von 620 cm, jeweils innen an der Begrenzungsmarkierung gemessen, auf. Folglich lag die Fahrbahnbreite pro Fahrbahnhälfte bei 310 cm. Daneben befindet sich eine 10 cm breite Markierungsstelle, im Anschluss bis zur Metallplanke ein Bankett/Grünstreifen von etwa 80 cm. Nach der Ortschaft N. ist bis hin zur ersten Kuppe die Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt. Im Anschluss daran ist die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben, es galt außerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Ein Überholverbot ist in diesem Bereich vor dem Unfall nicht festgelegt gewesen, mittlerweile herrscht dort ein Überholverbot. Weiter nach dem Kollisionsort kam bereits damals ein Überholverbot und wiederum etwas weiter eine Ampel. Die Einzelheiten zur Unfallörtlichkeit lassen sich auf den Lichtbildern im Sachverständigengutachten (230 Bilder insgesamt) und von der PI F. erkennen. Auf diese im Sachverständigengutachten befindlichen 230 Lichtbilder (Bl. 486 bis Bl. 649) und Bl. 92/97, Bilder 1 bis 6 und Bl. 234 bis 242 wird Bezug genommen (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO).
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Die Unfallstelle wurde von der VPI F. vermessen und eine entsprechende Skizze gefertigt (Band II der Akte vor Bl. 210). Auch der Sachverständige hat Skizzen gefertigt, im schriftlichen Gutachten (Bl. 526ff.) und in der Berufungsinstanz (Anlage zum Protokoll, Bl. 963ff.). Auf diese Skizzen wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO ebenso Bezug genommen.
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Der Angeklagte war am 30.03.2022 gegen 06.05 Uhr mit seinem im Februar 2022 erstzugelassnenen Pkw Hyundai Ioniq 5, amtliches Kennz.., auf dem Weg in die Arbeit nach M. S. Er befuhr die Bundesstraße 13 von N. kommend in Richtung ... H. Bereits vor N. fuhr er hinter den drei Fahrzeugen der Fahrzeuglenker ..., ... und ... her. Es war noch fast vollständig dunkel, die Straßenverhältnisse waren trocken. Der Angeklagte war angegurtet. Er fuhr mit Licht. ... fuhr einen Pkw Peugeot 207 (Fahrzeuglänge 4 m), ... einen Pkw Seat Arosa (Fahrzeuglänge 3,50 m) und Peter ... einen PickUp Ford Ranger (Fahrzeuglänge 5 m).
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Die Sicht war aufgrund der Dunkelheit deutlich eingeschränkt, die außerorts gelegene Straße war nicht beleuchtet. Weiter war die Sicht eingeschränkt aufgrund der örtlichen Bedingungen und des Straßenverlaufs. Die Sichtweite des Angeklagten betrug (als er spätestens die dritte Überholentscheidung traf am Ende des Überholvorgangs betreffend das Fahrzeug des ...) in einer Entfernung von circa 135 m bis zur Kollisionsstelle etwa 135 m (aktuelle Skizze des Sachverständigen als Anhang zum Protokoll der zweiten Instanz, Bl. 963).
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... und ... fuhren auch nach Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschräkung circa zwischen 70 km/h und 80 km/h. Alle drei Fahrzeuglenker, die vom Angeklagten überholt wurden, fahren diese Strecke seit Jahren täglich zur Arbeit. ... wurde vom Angeklagten überholt zu einem Zeitpunkt, als sie sich gerade auf der ersten Kuppe befand. Der Angeklagte überholte mit zügiger Geschwindigkeit. Gleich nachdem das Fahrzeug der ... überholt worden war, nahm diese bereits einen Lichtkegel auf der Gegenfahrbahn wahr. Der Angeklagte überholte sodann das Fahrzeug des in einem Abstand von etwa 50 m vor ihr fahrenden ..., wobei er durchgehend auf der linken Fahrspur blieb. Zum Zeitpunkt, als ... überholt wurde, nahm dieser bereits Scheinwerfer des Gegenverkehrs wahr. Zum vorausfahrenden PickUp Ford Ranger des ... bestand ein Mindestabstand von 30 bis 40 Metern. Der Angeklagte hätte zwischen die Fahrzeuge des ... und des ... rechts einscheren können, wenn er eine Bremsung eingeleitet hätte. Dafür wäre keine Vollbremsung erforderlich gewesen. ... bremste stark ab, als er die entgegenkommenden Scheinwerfer sah, zugleich wurde er vom Angeklagten überholt. Der Angeklagte blieb weiter links auf der Fahrspur und setzte seinen Überholvorgang fort. ..., der ebenfalls circa 70 bis 80 km/h gefahren war, leitete sogleich eine Bremsung ein, als er den Pkw des Angeklagten neben sich wahrnahm und von vorne den Gegenverkehr sah. Der Pkw des Angeklagten fuhr gerade noch an ihm vorbei und lenkte leicht rechts, um auf die rechte Fahrbahn zurückzukommen. Dazu kam es jedoch nicht mehr, sondern er kollidierte frontal auf der Gegenfahrbahn mit dem 20 Jahre alten Pkw VW Passat des Geschädigten P. ....
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Der Angeklagte fuhr seit dem Überholen des zweiten Fahrzeugs (Fahrzeugführer ...) mit mindestens 120 km/h. Zum Zeitpunkt der Kollision wies er eine Geschwindigkeit von 139 km/h mindestens auf. Der Überholbeginn war etwa 400 bis 450 Meter vor der späteren Kollision, die Dauer des Überholens betrug zwischen 12 und 16, wohl 14,8 Sekunden. Der Überholvorgang des Ford Ranger des ... erfolgte innerhalb der letzten 100 Meter vor der späteren Kollision.
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Beide Unfallfahrzeuge waren in technisch einwandfreiem Zustand. Der TÜV des Fahrzeugs des Geschädigten ... war um etwa zwei Monate abgelaufen, was keinen negativen Einfluss auf den Zustand des Fahrzeugs hatte.
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Die Kollision erfolgte frontal. Beide Fahrzeuge weisen im Frontbereich eine Überdeckung von etwa 30 bis 40 cm auf.
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Die Kollision erfolgte auf der Fahrbahn des Geschädigten ..., also auf der linken Fahrspur aus Sicht des Angeklagten. Die Kollision trat etwa 134 Meter vom Abschnittsschild entfernt bei km 2.134 ein.
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Der Pkw des Geschädigten kollidierte durch den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Angeklagten auch mit der Schutzplanke. Nach der Schutzplankenkollision bewegte sich das Fahrzeug noch ca. 0,7 Meter in den späteren Endstand.
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Der Angeklagte hat vor Kollisionseintritt nicht gebremst. Er schleuderte durch die Kollision im Gegenuhrzeigersinn, wodurch er zweimal gegen die in seiner Fahrtrichtung links befindliche Leitplanke stieß. Das Fahrzeug des Angeklagten kam etwa 87-88 m vom Kollisionsort entfernt auf der Fahrbahn zum Stillstand. Trümmerteile flogen.
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Der Geschädigte ... war angegurtet und fuhr mit Licht. Eine Leichenblutentnahme um 13.40 Uhr aus der Oberschenkelvene ergab eine BAK im Mittelwert von 0,83 Promille, im Urin wurden 1,06 Promille festgestellt. Trotz der Alkoholisierung lag kein Reaktionsverzug vor. Der Geschädigte fuhr mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von höchstens 69 bis 74 km/h.
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Die Reaktionsaufforderung lag für den Geschädigten ... vor, als sich der Pkw des Angeklagten für ihn erkennbar auf der Gegenfahrbahn überholend annäherte. Aus einer Entfernung von etwa 35 bis 40 Meter hin zur Kollisionsstelle hatte er eine Sichtweite von etwa 100 Meter. Die Sichtweite veränderte sich bei der weiteren Annäherung nicht. Damit war für den Geschädigten der Pkw des Angeklagten etwa 1,6 bis 1,7 Sekunden vor der Kollision erkennbar. Die Kollisionsgeschwindigkeit des PKW ... betrug 49 bis 54 km/h. Der Geschädigte leitete vor der Kollision noch eine leichte Ausweichbewegung nach rechts ein. Das Unfallgeschehen war für den Geschädigten aus technisch-physikalischer Sicht nicht zu vermeiden.
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Die Scheinwerfer des Fahrzeugs des Geschädigten wurden durch die Leitplanke oben an der Kuppe gespiegelt, so dass sie – während er sich annäherte – weithin für den Gegenverkehr sichtbar waren. Für den Angeklagten war der Lichtkegel des Fahrzeugs des Geschädigten bereits während des Überholens des Fahrzeugs des ... zu sehen gewesen.
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Der Unfall wäre für den Angeklagten vermeidbar gewesen, wenn er vom Überholen des dritten Fahrzeugs Abstand genommen hätte. Der Angeklagte hätte durch eine starke Bremsung, die keine Vollbremsung hätte sein müssen, zwischen den Fahrzeugen des Zeugen ... und des Zeugen ... einscheren können.
a) Schäden an Leib und Leben
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Wie für den Angeklagten vorhersehbar und vermeidbar verstarb ... um 7.30 Uhr, nachdem er aus dem Fahrzeug geschnitten und über einen Zeitraum von knapp 30 Minuten notärztlich behandelt worden war. Die Reanimation war nicht erfolgreich. Die unfallbedingten Verletzungen waren schwer und mit dem Leben nicht vereinbar. Er starb letztlich an den Folgen eines schweren stumpfen Polytraumas. Er erlitt schwere Verletzungen im Brustbereich und im Bauchraum beidseits und verstarb letztendlich an einem Atemversagen infolge der bei dem Unfall erlittenen Zwerchfellruptur und der Lungenkontusionen in Kombination mit einem erheblichen Blutverlust. Vorerkrankungen lagen nicht vor. Konkret waren sein Brustbein quer gebrochen, sein linker Oberarm gebrochen, sein linker Oberschenkel gebrochen, er wies eine klaffende Hautaufreißung an der linken Oberschenkelaußenseite auf, linksseitig war die Haut an der Stirn 10 cm lang aufgeplatzt und teilskalpiert, linksseitig war die 4.-10. Rippe gebrochen mit massiven Einblutungen im Rippenfell durch Durchspießungen und der Zwischenrippenmuskel gerissen, die Milz zerfetzt, es gab massive Einblutungen rund um die Leber im Bauchraum und der Atemmuskel war gerissen. Durch den gerissenen Atemmuskel traten der Magen und Teile des linken Leberlappens in die Brusthöhle ein und es war keine Atmung mehr möglich. Zudem gab es Einblutungen im Unterhautfettgewebe durch den Gurt. Diese Verletzungen waren durch den Unfall hervorgerufen worden und todesursächlich.
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Der Angeklagte konnte über die Beifahrerseite das Fahrzeug selbst verlassen, er wurde von einem Rettungsteam erstversorgt und zur näheren Abklärung insbesondere der Rückenschmerzen ins Krankenhaus gefahren. Er hatte zwei gebrochene Lendenwirbel. Erst im Januar 2022, etwa zwei Monate vor dem gegenständlichen Unfall, hatte er eine Operation an der Lendenwirbelsäule gehabt, der Unfall wirkte sich auf das Operationsergebniis negativ aus. Der Angeklagte nahm am 06.04.2022 und 29.11.2022 Beratungsgespräche beim Sozialpsychiatrischen Dienst des ... wahr. Er machte im März/April 2023 eine sechswöchige Reha Maßnahme in B. G. Dies brachte nur eine kurzfristige Verbesserung. Er ist seit 23.6.2023 arbeitsunfähig. Ob dies langfristig so bleibt, steht noch nicht fest. Der Angeklagte selbst sieht das so. Nach dem Verlaufsbericht vom 6.9.2023 möchte er einen Schwerbehindertenausweis beantragen, ebenfalls Reha. Er absolviert Krankengymnastik. Ab 9.1. 2024 war eine Reha -maßnahme in B. G. geplant, deren Antritt wegen der gegenständlichen Verhandlung nicht möglich war. Er ist bei einem Arzt ambulant in Behandlung. Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall, bei der der Angeklagte versichert ist, hat mit Schreiben vom 20.12.2023 bis zu fünf Sitzungen betreffend psychotherapeutische Leistungen bewilligt. Im Verlaufsbericht vom 6.9.2023 waren dem Angeklagten keine Hinweise auf psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen attestiert worden. Nach Angaben des Angeklagten in der Berufungsverhandlung gibt es Streitigkeiten mit der BGHM hinsichtlich der Übernahme dieser Leistungen. Wie sich aus dem Schreiben vom 20.12.2023 erkennen lässt, wurden letztlich fünf Sitzungen für psychotherapeutische Leistungen von Seiten der BGHM akzeptiert.
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Der Unfall führte für den Angeklagten vorhersehbar und vermeidbar zu einem Totalschaden am PKW des Getöteten in Höhe von 6.000 Euro, am Fahrzeug des Angeklagten entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden in Höhe von circa 30.000 Euro. Die Leitplanke war an drei Stellen verbogen. Der Schaden an der Leitplanke war mit 2.000 Euro zu beziffern.
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Beide Kraftfahrzeuge wiesen ansonsten keine technischen Mängel auf. Das Fahrzeug des Angeklagten wurde im Februar 2022 erstzugelassen, das Fahrzeug des Geschädigten war zwanzig Jahre alt. Die Hauptuntersuchung war im Januar 2022 fällig gewesen.
c) Belastung der weiteren Fahrzeuglenker ..., ... und ...
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Die Lenker der überholten Fahrzeuge sind selbst knapp zwei Jahre nach dem gegenständlichen Unfall noch durch das Unfallgeschehen belastet. Sie fahren den Weg weiterhin regelmäßig zur Arbeit und sind so immer wieder mit den Erinnerungen konfrontiert, welche zu besseren und schlechteren Tagen führen.
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1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und den den Angeklagten betreffenden Unfallfolgen beruhen auf den Angaben des Angeklagten und seiner Ehefrau, die in zweiter Instanz als Zeugin zu den Unfallfolgen beim Angeklagten vernommen wurde. Sie war bei dem Unfall selbst nicht zugegen gewesen. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister und dem Fahreignungsregister ist ohne Eintrag. Dies wurde vom Angeklagten als zutreffend bestätigt. Der Zustand des Angeklagten und die Folgen des Unfalls für den Angeklagten ergeben sich aus seinen Schilderungen und Urkunden, nämlich dem forensisch – toxikologischen Gutachten bezüglich des Angeklagten, dem Protokoll und Antrag auf Blutuntersuchung betreffend den Angeklagten, dem ärztlichen Bericht und dem Verlaufsbericht.
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2. Die Kammer hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit der Darstellungen der vernommenen Zeugen. Insbesondere haben diese, obgleich sie merklich durch den Unfall weiterhin betroffen waren, keinen Belastungseifer gegenüber dem Angeklagten gezeigt. Die Angaben waren in sich stimmig, ohne abgesprochen zu wirken. Wesentliche Abweichungen gegenüber den Zeugenangaben im Ermittlungsverfahren und in der ersten Instanz haben sich nicht ergeben. Alle drei haben den Weg als nicht geeignet zum Überholen beschrieben. Sie waren sich mit ihrer Fahrweise untereinander einig. Die Kammer ist auch von der Glaubwürdigkeit des ... und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben überzeugt. Er hat sich zwar von der Unfallstelle entfernt und ist weiter in die Arbeit gefahren, allerdings erst nachdem er den Notruf abgesetzt hatte und sich vergewisserte, dass auch der ... angehalten und versucht hat, sich um den Verletzten zu kümmern. Er hat nachvollziehbar für das Gericht geschildert, dass er davon ausgegangen sei, dass die Polizei seine Daten am Telefon aufgenommen hatte. Man habe ihm gesagt, er könne weiterfahren, sowie jemand vor Ort sei. ... hat sodann auf einen Anruf der Polizei gewartet und sich gewundert, dass ihn tagsüber niemand angerufen hat. Er ist dann selbst tätig geworden und hat festgestellt, dass er über einen Presseaufruf der Polizei als Zeuge gesucht wurde. Daraufhin hat er sich gemeldet und durchweg in sich stimmige und mit den Angaben der anderen beiden Fahrzeuglenker in Einklang zu bringende Angaben gemacht. In Anbetracht des schweren Unfalls ist es für die Kammer verständlich, dass die Personalienaufnahme am Notfalltelefon schiefgegangen ist oder ein Missverständnis vorlag. Die Kammer ist davon überzeugt, dass ... sich nicht deshalb vom Unfall entfernt hat, um ein eigenes Fehlverhalten zu verschleiern. Denn ein Fehlverhalten liegt auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen nicht vor. Außerdem hat sich ... bei der Polizei gemeldet und zwar sofort nach dem Unfall und dann nochmal am selben Tag.
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Der Sachverständige DiplomIngenieur (FH) ... ist ein erfahrener Unfallanalytiker und technischer Sachverständiger. Er ist seit 2002 als Sachverständiger selbständig, vorher war er 13 Jahre bei der DEKRA tätig. Derartige Gutachten gehören zu seinem täglichen Geschäft. Anhaltspunkte dafür, dass die Gutachtenerstattung nicht tragfähig wäre, haben sich nicht ergeben. Insbesondere hat der Sachverständige in zweiter Instanz im Rahmen der Hauptverhandlung noch einmal eine Skizze angefertigt. Die Kammer hat die gutachterlichen Feststellungen kritisch gewürdigt und gelangt ebenso zu den getroffenen Feststellungen. Sie sind durch beide Instanzen stringent und passen mit den Zeugenaussagen und den an den Fahrzeugen, der Leitplanke und der Fahrbahn festgestellten Spuren zusammen.
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a) Der Einlassung des Angeklagten konnte nur teilweise Glauben geschenkt werden. Der unter Ziffer III. dargestellte Sachverhalt beruht daher nur teilweise auf den Angaben des Angeklagten.
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In zweiter Instanz verlas der Angeklagte eine schriftliche Erklärung, die er verfasst hatte. Darin führte er aus, er sei ohne Zeitdruck gewesen, er habe spätestens um 09.00 Uhr im Büro sein müssen. Er sei kurz vor der Ortschaft N. schon mehrere Kilometer hinter diesen Fahrzeugen hergefahren. Auf der Kuppe habe er freie Sicht gehabt und da das Fahrzeug vor ihm nicht beschleunigt habe, habe er sich entschlossen, dieses zu überholen. Als er das letzte Fahrzeug überholt hatte (gemeint wohl erstes Fahrzeug) und kein Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn zu sehen war, habe er sich entschlossen, auch noch das nächste Fahrzeug zu überholen, da auch dieses nicht beschleunigte. Nachdem er am zweiten Fahrzeug vorbei gewesen sei, bemerkte er, dass der Abstand zwischen dem gerade überholten Fahrzeug und dem Fahrzeug vor diesem sehr gering sei. Auf der Gegenfahrbahn sei kein entgegenkommendes Fahrzeug zu sehen gewesen. Er habe sich dann entschlossen, auch noch das vorderste Fahrzeug zu überholen und vor diesem einzuscheren. Auf Höhe des Fahrzeugs habe er dann bemerkt, dass der Fahrer ebenfalls beschleunigte. Der Fahrer habe nach links geblickt und als er ihn gesehen habe, habe er leicht abgebremst, so dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als zu versuchen, vor diesem Fahrzeug einzuscheren. Er sei davon ausgegangen, dass der Platz zwischen dem zweiten und dem dritten Fahrzeug nicht ausreichen würde, um ohne eine Gefährdung der beiden Fahrzeuge sicher auf die rechte Fahrbahn zu wechseln.
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Diese Einlassung ist mit den Angaben der überholten Fahrzeuglenker und den gutachterlichen Feststellungen zum Teil nicht in Einklang zu bringen.
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Dass ..., als er vom Angeklagten überholt wurde, beschleunigt haben soll, ist durch ... selbst und die Feststellungen des Sachverständigen widerlegt.
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Der ausreichende Abstand zwischen den Fahrzeugen des ... und des ..., so dass ein Einscheren für den Angeklagten und ein Unterlassen des dritten Überholvorgangs möglich war, ist durch die Angaben des ... und die Feststellungen des Sachverständigen bestätigt.
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b) ... hat im Wesentlichen ausgesagt wie vor dem Amtsgericht. Anders als beim Amtsgericht hat sie angegeben, sie habe Lichter auf der Gegenfahrbahn erkennen können, gleich nachdem ihr Fahrzeug überholt worden war. In erster Instanz ergibt sich aus dem Protokoll, dass sie es nicht mehr gewusst habe. Dies tut ihrer Glaubwürdigkeit keinen Abbruch. Auch in ihrer Vernehmung bei der Polizeiinspektion F. hatte sie angegeben, „der dunkle Pkw hatte dann den silbernen Seat vor mir überholt, als ich Lichter auf der Gegenfahrbahn kommen hab sehen“. Die Angabe vor dem Berufungsgericht passt mit der im Ermittlungsverfahren grundsätzlich zusammen. Die Zeugin ... hat darüber hinaus angegeben, es sei dunkel gewesen und der Angeklagte habe zügig überholt. Sie selber sei ungefähr 70 km/h gefahren. Die Stelle sei sehr unübersichtlich. Den eigentlichen Unfall habe sie nicht gesehen, da er zu einem Zeitpunkt stattfand, als das dritte Fahrzeug für sie nicht zu sehen war. Sie sei durch den Unfall nachdrücklich beeinträchtigt, sie habe selbst eine Tochter im Alter des Verstorbenen. Sie fahre die Strecke nicht mehr gerne, die Erinnerungen seien eindrücklich. Sie könne nicht verstehen, warum man dort überhaupt überholt habe, es sei zu gefährlich und lohne sich auch gar nicht.
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Der Polizeibeamte POM Sh. gab an, es sei von Anfang an klar gewesen, dass es sich um einen schweren Unfall handle. Der Geschädigte sei im Fahrzeug eingeklemmt gewesen. Man habe das Dach abschneiden müssen, um ihn aus dem Auto zu befreien. Er sei über einige Zeit versucht worden zu reanimieren, dann aber verstorben. Man habe von vornherein aufgrund dessen, dass es sich um einen schweren Unfall handelt, auch einen Polizeihubschrauber hinzugezogen, um Luftbilder aufzunehmen. Man habe gut erkennbare Spuren des Unfalles. Es handle sich um eine sehr unübersichtliche Strecke, man habe nur eine minimale Sicht. Er erläuterte die Lichtbilder, Verkehrsunfallskizzen und Unfallfolgen.
44
... gab den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug mit mindestens 30 bis 40 Meter an. Er gehe davon aus, dass der vor ihm Fahrende konstant die gleiche Geschwindigkeit gefahren sei. Es mache keinen Sinn dort schnell zu fahren oder gar zu überholen, es komme später eine Ampel. Die Strecke sei sehr unübersichtlich wegen der Kurvenlage und weil es bergab gehe. Auf der rechten Seite sei dann noch eine Böschung, über die man nicht drüber sehe. Er hätte dort nicht überholt. Nach seiner Einschätzung hätte der Angeklagte hinter dem PickUp und vor ihm einscheren können. Er konnte keine Angaben zur konkreten Geschwindigkeit des Angeklagten machen, gab jedoch an, dieser sei schneller gewesen als er. Er sei etwa 80 km/h gefahren, wie auch das Fahrzeug vor ihm. Als er die entgegenkommenden Scheinwerfer gesehen habe, zum Zeitpunkt als er überholt worden sei, habe er selber stark abgebremst. Ihm sei klar gewesen „dass das in die Hose geht“. Ein Zusammenstoß war ihm klar, in welcher Art auch immer. Er kam letztlich aufgrund seiner Bremsung neben dem Fahrzeug des Geschädigten nach der Kollision zum Stehen. Er selber habe seit dem Unfall bessere und schlechtere Tage. Dadurch, dass er weiter die Strecke fahren müsse, sei das Geschehen ständig präsent.
45
Der zuletzt überholte ... gab an, es mache keinen Sinn dort schnell zu fahren. Allein schon wegen der Ampel, die dann komme und weil es eine sehr unübersichtliche Strecke sei. Er habe den Angeklagten erst wahrgenommen, als er auf seiner Höhe neben ihm gewesen sei. Da habe er zeitgleich den Gegenverkehr gesehen und ihm sei klar gewesen, das schaffe der nie. Er habe normal gebremst, keine Vollbremsung. Beschleunigt habe er nicht. Er hätte es sonst gar nicht geschafft, vor dem Überholer stehen zu bleiben. Er selber habe sich nicht nach hinten orientiert und konnte den Abstand zum Fahrzeug des ... nicht angeben. Nach der Kollision seien noch Teile rumgeflogen, auch in seine Richtung. An seinem Fahrzeug sei letztlich nichts beschädigt worden. Dass der Zeuge ... nicht beschleunigt hat, hat auch der Sachverständige so bestätigt. Eine relevante Beschleunigung bei diesem schweren Fahrzeug, einem Ford PickUp Ranger, sei innerhalb der kurzen Zeit gar nicht machbar gewesen.
46
c) Das Gutachten des Sachverständigen basiert auf einer Besichtigung und Vermessung der Unfallörtlichkeit durch den Sachverständigen unmittelbar nach dem Unfallgeschehen und einer Nachbesichtigung der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge am 06.04.2022. Dem Sachverständigen standen folgende weitere Unterlagen zur Verfügung: Verkehrsunfallanzeige der PI F. mit Sachverhaltsschilderung, Auszug aus den Fahrzeugdaten der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge, polizeiliche Zeugenangaben sowie eine Skizze der PI F. Der Sachverständige fertigte eigene Skizzen und Lichtbilder und eine Dokumentation der Spuren im Rahmen der Bearbeitung. Der Sachverständige hat für seine mündliche Gutachtenerstattung in zweiter Instanz extra eine neue und anschauliche Skizze angefertigt. Die Skizze diente der Verdeutlichung, insbesondere auch der geringen Sichtweite für den Angeklagten und der konkreten Situation beim Überholen des PickUp Ranger. Die Skizze fußt also auf der im Gutachten enthaltenen, ist aber noch genauer.
47
d) Vor diesem Hintergrund konnte die Kammer die unter III. getroffenen Feststellungen basierend auf den Ausführungen des Sachverständigen und der Zeugen selbst treffen.
48
aa) Die Feststellungen zur Unfallörtlichkeit ergeben sich aus dem Gutachten des Sachverständigen, der bereits unmittelbar nach der Unfallzeit zum Unfallort gerufen wurde und den Unfallort besichtigte und vermaß. Er erläuterte in seinem Gutachten die Unfallörtlichkeit, in zweiter Instanz veranschaulichte er diese unter Zuhilfenahme eines Beamers. Die vom Sachverständigen und der Polizei zur Unfallörtlichkeit gefertigten Lichtbilder und Skizzen wurden in Augenschein genommen. Auch die Zeugen schilderten die Unfallstelle untereinander übereinstimmend und im Einklang mit dem Sachverständigen.
49
bb) Der Angeklagte hat eingeräumt, zur Unfallzeit an der Unfallörtlichkeit mit seinem im Februar 2022 erstzugelassenen Fahrzeug auf dem Weg in die Arbeit gewesen und hinter den drei Fahrzeugen der Zeugen hergefahren zu sein.
50
Die Feststellungen zu den Licht- und Straßenverhältnissen, insbesondere auch zur fast vollständigen Dunkelheit zur Unfallzeit, wodurch das Überholen bereits beeinträchtigt war, basieren auf dem Sachverständigengutachten, ebenso die Feststellungen zu allen beteiligten Fahrzeugen.
51
Hinsichtlich der Dunkelheit wird auf die Lichtbilder 11 und 12 auf Bl. 251 hingewiesen. Diese Bilder entstanden maximal eine Stunde nach dem Unfall. Die Unfallstelle wird darauf mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet, damit die Helfer tätig sein können. Auf Bild 11 ist das Dach des Geschädigtenfahrzeugs noch nicht entfernt worden, so dass der Geschädigte noch nicht befreit ist. Daran erkennt man, dass es sich um eines der frühen Bilder handelt.
52
Die Feststellungen zu den Sichtverhältnissen vor Ort ergeben sich aus den Wahrnehmungen und Vermessungen des Sachverständigen vor Ort und den in Augenschein genommenen Lichtbildern und Skizzen. Die Sicht für den Angeklagten ist auf den Lichtbildern 3 bis 5, Seite 11 bis 13 des Sachverständigengutachtens, Bl. 491 bis 493 d.A., zu erkennen. Insbesondere Lichtbild 4 (Bl. 492) zeigt die unzureichende Sicht eindeutig auf. Auch Bl. 588, Bild Nr. 107 zeigt eindrücklich die unzureichende Sicht.
53
Die Fahrweise und die Reihenfolge der drei überholten Fahrzeuge ergeben sich aus den Angaben der jeweiligen Fahrzeugführer. Auch der Angeklagte hat bestätigt, dass die beiden ersten Fahrzeuge nach Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht beschleunigt haben. Allerdings folgt die Kammer nicht der Behauptung des Angeklagten, der Zeuge ... habe während des ihn betreffenden Überholvorgangs beschleunigt. Vielmehr hat der Zeuge ... glaubhaft angegeben, er habe gebremst, als er den ihn betreffenden Überholvorgang des Angeklagten bemerkt habe.
54
cc) Die Geschwindigkeiten der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge und der Überholvorgang ergeben sich aus den folgenden Berechnungen des Sachverständigen, anknüpfend an die vorhandenen Spuren und ergänzt durch die Aussagen der Zeugen. Er berechnete eine Geschwindigkeit des Angeklagten beim dritten Überholvorgang von mindestens 139 km/h.
55
(1) Aus der Aussage der ..., die den ersten Überholvorgang im Bereich der ersten Kuppe schilderte, konnte der Sachverständige entnehmen, dass der Überholbeginn etwa 400 bis 450 m vor der Kollisionsstelle erfolgte. Aus den Angaben der ... und des ... war für den Sachverständigen zu entnehmen, dass der Angeklagte den PKW ... zwischen 300 bis 400 m und den PKW ... etwa zwischen 135 bis 160 m vor der Kollision überholte, was der Sachverständige insbesondere in der Berufungshauptverhandlung erläuterte. Der Überholvorgang des letzten Fahrzeugs erfolgte innerhalb der letzten 100 m vor der Kollisionsstelle.
56
(2) Die relative Kollisionsposition der beiden zusammengestoßenen Fahrzeuge ergibt sich aus den Beschädigungen dieser Fahrzeuge, woraus insbesondere die frontale Kollision und die Überdeckung im Frontbereich hervorgingen. Die Kollisionspositionen stellte der Sachverständige im Rahmen der Nachbesichtigung mit den Originalfahrzeugen nach.
57
(3) Anhand der auf der Fahrbahn feststellbaren Schlagmarke, die einen Abstand von ca. 1 Meter zur Fahrbahnmitte hatte und von einem Bauteil des Pkw Hyundai stammte, und den unmittelbar danach folgenden Kratz- und Schleuderspuren konnte der Sachverständige die fahrbahnbezogene Kollisionsposition auf der Fahrbahn des Geschädigten rekonstruieren. Anhand dieser Spuren, insbesondere der Schleuderspuren, dem Trümmerfeld, der Flüssigkeitsspur und den Anprallspuren an der Leitplanke konnte der Sachverständige die nachkollisionäre Phase dokumentieren.
58
(4) Aus den Auslaufbedingungen der Fahrzeuge nach der Kollision berechnete der Sachverständige auf Basis der Rückwärtsanalysemethode die Kollisionsgeschwindigkeiten. Nach Berechnung der Kollisionsgeschwindigkeiten erfolgte eine Eingrenzung der Annäherungsgeschwindigkeiten durch Auswertung der Spurenlage unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen.
59
Der Pkw des Angeklagten legte während der nachkollisionären Phase bis hin zum Endstand eine Wegstrecke von etwa 87 bis 88 Meter zurück. Die Wegstrecke war in unterschiedliche Abschnitte zu unterteilen. Im letzten Abschnitt legte er 27,5 Meter mit einer Verzögerung von 3,0 bis 3,5 m/s² zurück. Das linke Vorderrad fehlte, das rechte Vorderrad war drucklos. Zudem wirkten die Elektromotoren des Fahrzeuges bremsend. Der Streckenabschnitt zwischen dem Heckanprall gegen die Schutzplanke (zweiter Leitplankenanprall) und dem Eindrehen in Längsrichtung ergibt sich zu 5,5 bis 6,0 Meter. Hier wird eine Verzögerung von 5,5 bis 6,5 m/s² angesetzt. Der Anprall des Hecks gegen die Schutzplanke wird mit einem Geschwindigkeitsabbau von 8 bis 10 km/h angesetzt. Die Schwerpunktbahn zwischen dem ersten und zweiten Leitplankenanprall ergibt sich mit etwa 5,0 Meter. Es war eine Verzögerungsbandbreite von 5,0 bis 5,5 m/s² zu berücksichtigen. Davor bewegte sich das Fahrzeug querrutschend während des ersten Leitplankenanpralls. Hier wurde eine Verzögerung von 5,5 bis 6,0 m/s² angesetzt. Der Schutzplankenanprall erfolgte mit der Fahrzeugfront. Es kam zum deutlichen Abbremsen des Fahrzeuges, der Geschwindigkeitsabbau wurde mit 15 bis 20 km/h festgesetzt. Zwischen der Frontalkollision links des Pkw des Angeklagten und dem ersten Leitplankenanprall legte der Pkw schwerpunktbezogen etwa 43 Meter zurück. Hierbei war eine Verzögerungsbandbreite von 5,0 bis 5,5 m/s² anzusetzen. Das Fahrzeug drehte sich um etwa 90° entgegen den Uhrzeigersinn. Damit ergab sich eine Lösegeschwindigkeit nach der Kollision für den Pkw Hyundai von 115 bis 126 km/h.
60
Unter Berücksichtigung der eingetretenen Beschädigungen am Fahrzeug ergibt sich ein Geschwindigkeitsabbau durch die Kollision von 24 bis 26 km/h, so dass die Kollisionsgeschwindigkeit 139 – 152 km/h betrug.
61
Eine höhere Annäherungsgeschwindigkeit als diese war nicht festzustellen. Eine Bremsung hatte der Angeklagte selbst nicht angegeben, Spuren fehlten insoweit. Der Sachverständige erläuterte in der Berufungshauptverhandlung, dass der Angeklagte die Kurve im Bereich der Kurvengrenzgeschwindigkeit durchfuhr, so dass deshalb davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte vor Eintritt der Kollision keine Abwehrbremshandlung mehr einleitete.
62
Der Pkw des Geschädigten drehte sich nach der Kollision entgegen dem Uhrzeigersinn in ursprünglicher Fahrtrichtung weiter und kollidierte dabei ca. 3 Meter nach der Kollision mit der rechten Seite hinten gegen die Schutzplanke. Diese wurde deutlich durchgedrückt. Es kam zu einem deutlichen Geschwindigkeitsabbau. Der Anprall erfolgte mit der unteren Zone der Karosserie sowie dem rechten Hinterrad. Zum Zeitpunkt der Kollision mit der Schutzplanke war die Heckzone des geschädigten Fahrzeugs angehoben. Nach der Schutzplankenkollision wurde das Fahrzeug wieder zurückgelenkt und bewegte sich noch ca. 0,7 Meter in den späteren Endstand. Für die Drehbewegung und den Auslauf war eine Verzögerungsbandbreite von 2,0 bis 3,0 m/s² festzusetzen. Der Schutzplankenanprall wurde mit einem Geschwindigkeitsabbau von 12 bis 15 km/h angesetzt. Nach der Kollision ergab sich für den Pkw VW eine Geschwindigkeit von 22 bis 26 km/h.
63
Für den Pkw des Geschädigten berechnete sich die Kollisionsgeschwindigkeit innerhalb einer Bandbreite von 49 bis 54 km/h. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Auslaufschleuderdrehbewegung nach der Kollision durch den Schutzplankenanprall eingegrenzt wurde und die tatsächliche Drehung des Fahrzeugs nach der Kollision deutlich größer gewesen wäre, als aus der Spurenlage vorgegeben. Die Drehung wurde also durch die Schutzplanke limitiert.
64
Die Reaktionsaufforderung lag für den Geschädigten ... vor, als sich der Pkw des Angeklagten für ihn erkennbar auf der Gegenfahrbahn überholend annäherte. Zum Unfallzeitpunkt war es nahezu dunkel. Auch für den Geschädigten war die Sicht auf entgegenkommende Fahrzeuge eingeschränkt. Aus einer Entfernung von etwa 35 bis 40 Meter hin zur Kollision hatte er eine Sichtweite von etwa 100 Meter. Die Sichtweite veränderte sich bei der weiteren Annäherung nicht. Der Angeklagte näherte sich, die errechnete Geschwindigkeitsbandbreite von 139 bis 152 km/h zugrunde gelegt, mit 38,6 bis 42 m/s. Damit war für den Geschädigten der Pkw des Angeklagten etwa 1,6 bis 1,7 Sekunden vor der Kollision erkennbar. Setzt man die Reaktionseinleitung des Geschädigten ... mit einer Reaktionsdauer von 0,8 Sekunden und eine Bremsschwellphase von 0,2 Sekunden an und berücksichtigt eine Bremsverzögerung von 7,0 bis 7,5 m/s², so errechnet sich die Annäherungsgeschwindigkeit für den Pkw ... höchstens zwischen 69 bis 74 km/h. Möglicherweise war die Annäherungsgeschwindigkeit aber auch geringer. Bremsspuren lagen bezüglich beider Fahrzeuge nicht vor.
65
(5) Ausgehend vom Ort des Überholbeginns und der Geschwindigkeiten des Angeklagten und der überholten Fahrzeuge und unter Zuhilfenahme der Angaben der ... und des ... zu den Fahrzeugabständen und zu ihrer Sicht auf die Unfallstelle rekonstruierte der Sachverständige den Überholvorgang.
66
Er stellte dabei eine Aufholwegstrecke des Fahrzeugs des Angeklagten von mindestens 140 bis 143 m fest, welche der PKW Hyundai mehr zurücklegte als die anderen überholten Fahrzeuge.
67
Aus den Fahrzeugdaten des PKWs des Angeklagten ersah der Sachverständige, dass der Angeklagte nicht durchgehend voll beschleunigte, da der Angeklagte ansonsten eine höhere Maximalgeschwindigkeit erreicht hätte. Der Sachverständige legte eine mittlere maximale Beschleunigung zwischen 1, 3 bis 1, 7 m/s² zugrunde. Im Rahmen einer Weg – Zeit – Betrachtung bestimmte der Sachverständige die Dauer des Überholvorgangs auf 12 bis 16 Sekunden, in der Berufungshauptverhandlung wurde sie vom Sachverständigen auf 14,8 Sekunden konkretisiert.
68
Im Rahmen der Weg – Zeit – Betrachtung konnte der Sachverständige auch ersehen, dass sich der Angeklagte während des Überholvorgangs betreffend das Fahrzeug des ... noch 135 bis 160 m von der Kollisionsstelle entfernt befand und dabei mit einer Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h fuhr. Dies erläuterte der Sachverständige ergänzend zu seiner Skizze in der Berufungshauptverhandlung. Am Ende des Überholvorgangs des ..., somit circa 135 m vor der späteren Kollisionsstelle, musste der Angeklagte sich somit spätestens entscheiden, ob er seinen Überholvorgang auf der linken Fahrbahn fortsetzt oder wieder nach rechts einschert. Aus dieser Entfernung hatte der Angeklagte laut Sachverständigem eine Sicht von ebenfalls circa 135 m, was der Sachverständige aufgrund seiner Kenntnis von der Unfallstelle darlegte. Aus der Weg – Zeit – Betrachtung des Sachverständigen unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit des Fahrzeugs ... und bei Annahme eines mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fahrenden Gegenverkehrs, ergibt sich, dass für den Überholvorgang des Fahrzeugs ... eine Sicht bei Überholbeginn von mindestens 340 m erforderlich gewesen wäre.
69
Aus den Aussagen der überholten Zeugen ergibt sich, dass der Angeklagte während des gesamten Überholvorgangs durchgehend auf der linken Spur blieb. Aus der relativen und der fahrbahnbezogenen Kollisionsposition ist ersichtlich, dass der Angeklagte kurz vor der Kollision noch versuchte auf seine Fahrbahn zurück zu lenken.
70
(6) Die Vermeidbarkeit des Unfalls für den Angeklagten ergibt sich daraus, dass für den Angeklagten bereits beim Überholen des Fahrzeugs des ... ohne Weiteres ersichtlich war, dass er das davor fahrende Fahrzeug des ... nicht ohne Behinderung des Gegenverkehrs würde überholen können. Vielmehr hätte der Angeklagte zwischen den Fahrzeugen ... und ... einscheren können, wozu nach den Ausführungen des Sachverständigen eine starke Bremsung, die keine Vollbremsung sein musste, ausgereicht hätte. Die Kammer folgt nicht den Angaben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung, dass zwischen den Fahrzeugen ... und ... ein sehr geringer Abstand bestanden habe. Vielmehr ergibt sich aus den Angaben des Zeugen ..., dass der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug mindestens 30 bis 40 m betragen hat.
71
(7) Die Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Getöteten ergibt sich basierend auf den Angaben des Sachverständigen bereits aus der sehr kurzen Reaktionszeit von 1,6 bis 1,7 Sekunden, von der noch die Reaktionsdauer von 0,8 Sekunden und die Bremsschwellphase von 0,2 Sekunden abzuziehen sind. Nachdem der Getötete trotz dieser äußerst kurzen verbleibenden Zeit noch mit einer leichten Ausweichbewegung nach rechts reagierte, lag kein Reaktionsverzug vor. Die leichte Ausweichbewegung des ... ergibt sich aus der relativen und fahrbahnbezogenen Kollisionsposition und den Beschädigungen an den Fahrzeugen und wurde vom Sachverständigen anschaulich insbesondere in der Skizze Bl. 529 der Akte dargestellt, auf welche gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird. Die Möglichkeit eines irgendwie gearteten „Hindurchschlüpfens“, wie von der Verteidigung erstmals in der Berufungshauptverhandlung ins Feld geführt, ist für die Kammer vor dem Hintergrund der kurzen Reaktionszeit ausgeschlossen.
72
Die Alkoholisierung des Geschädigten ergibt sich aus dem Gutachten der Rechtsmedizin vom 31.03.2022 und der Alkoholbestimmung vom 07.04.2022.
73
Der Angeklagte war gemäß der Blutuntersuchung nicht alkoholisiert.
74
dd) Die Beleuchtungen beider Fahrzeuge stehen aufgrund der Zeugenangaben fest. Der Gutachter konnte dazu keine sicheren Angaben treffen. Er hat letztlich festgestellt, dass der Schalter beim Fahrzeug des Angeklagten auf automatisch Abblendlicht/Fernlicht gestellt war und schloss daher grundsätzlich auf die Funktion der Scheinwerfer, beim Geschädigtenfahrzeug war keine Aussage mehr möglich. Alle drei Überholten haben jedoch die Scheinwerfer des Geschädigtenfahrzeugs wahrgenommen und die Kammer geht davon aus, dass auch der Angeklagte mit Licht gefahren ist. Der Schalter war entsprechend eingestellt und die Zeugen haben auch nichts anderes berichtet.
75
Die Sichtbarkeit der Scheinwerfer des Fahrzeugs des Getöteten durch Spiegelung in der Leitplanke auf seiner Fahrbahnseite und die daraus folgende Erkennbarkeit des Gegenverkehrs erläuterte der Sachverständige in der Berufungshauptverhandlung.
76
... bestätigte, dass das Licht der Scheinwerfer des Fahrzeugs des ... bereits ersichtlich war, gleich nachdem sie überholt worden war. Auch ... bestätigte die Sichtbarkeit des Lichts während des ihn betreffenden Überholvorgangs.
77
ee) Die Tatsache, dass sowohl der Angeklagte als auch der Geschädigte zur Unfallzeit angeschnallt waren, ergibt sich aus den laut Obduktionsgutachten festgestellten Gurtmarken des Geschädigten sowie aus den Untersuchungen der Gurte bei der Nachbesichtigung der Fahrzeuge.
78
ff) Die Kammer ist wegen der geringen Sicht, die der Angeklagte aufgrund der Dunkelheit und der örtlichen Gegebenheiten hatte, davon überzeugt, dass er ohne Weiteres hätte erkennen können und müssen, dass er nicht übersehen konnte, dass während des ganzen Überholvorgangs des dritten überholten Fahrzeugs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Auch die deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.
79
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte selbst angab, auf seinem Arbeitsweg schon mehrere Kilometer hinter den drei später überholten Fahrzeuge hergefahren zu sein und aus der Tatsache, dass derart offensichtlich war, dass die vorhandene Sicht für ein gefahrloses Überholen des letzten Fahrzeugs nicht ausreichen würde, gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Angeklagte sein zügiges Fortkommen als höherrangig bewertete als die Sicherheit des Gegenverkehrs und die Einhaltung der Verkehrsvorschriften. Gerade an diesem Überholen des dritten Fahrzeugs zeigt sich, dass sich der Angeklagte nicht mit dem Überholen der ersten beiden Fahrzeuge zufrieden geben wollte, da ihm dies aufgrund der vergleichsweise langsamen Geschwindigkeit des ... keinen wesentlichen Vorteil erbracht hätte. Hieraus folgt für die Kammer auch, dass der Angeklagte gar nicht vorhatte, nach dem zweiten überholten Fahrzeug einzuscheren.
80
Für die Kammer spielt es dabei keine Rolle, dass der Angeklagte keinen festen Termin für den Arbeitsbeginn gehabt haben will. Dennoch überholte der Angeklagte in der beschriebenen Art und Weise.
81
gg) Die Unfallfolgen ergeben sich aus den Angaben des Polizeibeamten POM Sh., der selbst kurz nach dem Unfall an der Unfallstelle war. Die Sachschäden werden durch das Sachverständigengutachten und die Lichtbilder konkretisiert.
82
Der Zustand des Geschädigten und die Folgen des Unfalls für ihn lassen sich den Urkunden und den Lichtbildern 1 und 2 im Sonderheft entnehmen, insbesondere ergeben sie sich aus dem Protokoll über die gerichtliche Leichenöffnung und dem Befund über die Alkoholbestimmung im Sonderheft Obduktion, dem forensisch – toxikologischen Gutachten, dem Protokoll und Antrag auf Blutuntersuchung, dem ärztlichen Bericht, dem Notarztprotokoll und dem ärztlichen Bericht des Instituts für Rechtsmedizin.
83
Die Belastungen für die überholten Fahrzeuglenker ergeben sich aus deren Angaben.
84
hh) Die Alkoholisierung des Getöteten hat sich im Unfallgeschehen nicht ausgewirkt, unabhängig davon, wie hoch im Zeitpunkt des Unfalls die BAK gewesen ist.
85
Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass spätestens ab dem Zeitpunkt des Versterbens um 07.30 Uhr kein Abbau der BAK mehr möglich war. Das Blut war der Leiche des Herrn ... aus einer Oberschenkelvene entnommen worden. Dies ist zweckmäßig, um eine Verunreinigung der Blutprobe etwa durch Trinkalkohol aus dem Magen oder Fäulniserscheinungen aus dem Darm auszuschließen (BGH, Urteil vom 3.7.2002, Az.: IV ZR 205/01 m.w.N.).
86
Im Rahmen der forensisch – toxikologischen Untersuchung wurden zudem noch 22,3 Microgramm/l Midazolam, eine Spur Fentanyl, 64 Microgramm/l Ketamin sowie Rocuronium und Tranexamsäure festgestellt. Bei all diesen Stoffen handelt es sich um Arzneien, welche im Rahmen einer notärztlichen/intensivmedizinischen Behandlung zum Einsatz kommen. Verschiedene Medikamente wurden intravenös durch den Notarzt verabreicht, wie es sich aus dem Notarzteinsatzprotokoll ergibt. Dies ist mit dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin vom 27.09.2022 in Einklang zu bringen. Aus diesem Gutachten ergibt sich weiterhin, dass die Stoffwechselprodukte von Midazolam, Fentanyl und Ketamin beim Getöteten nicht aufgefunden wurden, was eine zeitnahe Gabe dieser Stoffe zum Ableben belegt. Rocuronium ist ein Muskelrelaxanz, Tranexamsäure wird zur Behandlung von Blutungen angewandt.
87
Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass der Geschädigte vor der Kollision keine Medikamente aufgenommen hatte. Im Übrigen lag ein Reaktionsverzug ohnehin nicht vor, so dass sich auch eine etwaige Medikamentenaufnahme auf den Unfall nicht ausgewirkt hätte.
88
Der Angeklagte hat sich wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs strafbar gemacht, §§ 222, 315 c Abs. 1 Nr. 2 b und Abs. 3 Nr. 2, 52 StGB. Der Angeklagte hat unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Tod eines anderen Menschen verursacht und sich damit der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Der Angeklagte hat zugleich im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib und Leben eines anderen Menschen und fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Dabei hat er fahrlässig gehandelt und die Gefahr fahrlässig verursacht.
89
1. Er hat falsch überholt im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b Alt. 1 StGB.
90
Diese Vorschrift meint vor allem eine Verletzung des § 5 StVO, aber auch jeden sonstigen mit dem Überholvorgang im inneren Zusammenhang stehenden Verkehrsverstoß beim Überholen (Fischer, StVG, 24. Aufl., § 315c Rdnr. 6 m.w.N.).
91
Der Angeklagte hat gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO verstoßen, indem er den Überholvorgang des Fahrzeugs ... durchgeführt hat. Er hätte zuvor abbremsen und nach rechts einscheren und damit den Überholvorgang beenden müssen.
92
Der Angeklagte hat hiergegen verstoßen, da er gerade keine ausreichende Sicht hatte, um jede Behinderung des Gegenverkehrs auszuschließen. Die erforderliche Sicht hätte 340 m betragen, er hatte jedoch nur eine Sicht von circa 135 m.
93
2. In objektiver Hinsicht muss grobe Verkehrswidrigkeit vorliegen. Dies meint einen besonders schweren Verstoß gegen zumindest eine Verkehrsvorschrift. Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO liegt vor. Ob die Voraussetzung der groben Verkehrswidrigkeit erfüllt ist, lässt sich anhand der konkreten Verkehrssituation einschließlich der Straßen- und Sichtverhältnisse beurteilen. Alleine aus der schweren Folge darf dies nicht hergeleitet werden (Hecker in Schönke/..., Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 315c Rdnr. 27 m.w.N.). Es muss geprüft werden, ob die Verkehrssicherheit bei generalisierender Betrachtung im besonders schweren Maße beeinträchtigt wurde. Dies ist in der Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits bei sehr eingeschränkten Sichtverhältnissen angenommen worden und auch bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen.
94
Es liegt grobe Verkehrswidrigkeit vor.
95
Dies folgt schon daraus, dass der Verstoß gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO in besonders gravierender Weise erfolgte. Der Angeklagte hat nicht etwa die erforderliche Sicht von 340 m knapp verfehlt, sondern hatte nicht einmal die Hälfte der erforderlichen Sicht zur Verfügung. Damit hat der Angeklagte in besonders grobem Maße die Anforderungen an einen Überholvorgang nicht eingehalten.
96
Hinzu kommt, dass der Angeklagte auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Maße überschritten hat. Statt der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fuhr er im Kollisionszeitpunkt mindestens 139 km/h, bereits zuvor, beim Überholen des zweiten Fahrzeugs fuhr er mindestens 120 km/h. Damit hat der Angeklagte gegen § 3 Abs. 3 Nr. 2c StVO verstoßen. Dieser Geschwindigkeitsverstoß erhöht maßgeblich die vom falschen Überholvorgang ausgehende Gefahr und unterstreicht das objektiv grobe Fehlverhalten des Angeklagten. Auch beim Überholen darf die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden.
97
Schließlich wäre für den Angeklagten gut erkennbar gewesen, dass sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung, auch das dritte Fahrzeug zu überholen, bereits Gegenverkehr näherte. Schließlich haben ... und ... angegeben und der Sachverständige bestätigt, dass bereits während des zweiten Überholvorgangs das Licht des Gegenverkehrs sichtbar war. Auch deshalb war es bei objektiver Betrachtung völlig verfehlt, in dieser Situation das dritte Auto zu überholen.
98
3. Kumulativ hierzu muss die subjektive Komponente, nämlich Rücksichtslosigkeit vorliegen.
99
Rücksichtslos handelt im Sinne dieses Gesetzes, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde. Rücksichtslosigkeit verlangt also kein vorsätzliches Handeln, sondern unbewusste oder bewusste Fahrlässigkeit reichen aus. Gleichgültigkeit ist ein Beispiel für Rücksichtslosigkeit, braucht aber nicht zwingend für Rücksichtslosigkeit vorzuliegen. Es gibt auch andere Formen der Rücksichtslosigkeit.
100
Entscheidend ist immer, dass es um eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit des Täterverhaltens geht (Hecker in Schönke/ ..., Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 315c Rdnr. 28 m.w.N.). Nicht ausreichend wäre eine reine Fehleinschätzung, ein Irrtum, ein Augenblicksversagen.
101
Derartiges liegt aber nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Der Angeklagte hat nicht lediglich mit einem neuen Fahrzeug unbeholfen reagiert. Dies hat er selbst auch gar nicht vorgebracht. Er hat rücksichtslos im Sinne des § 315 c StGB gehandelt. Der Angeklagte kennt die Strecke. Er fährt täglich in die Arbeit. Für die Kammer spielt es keine Rolle, dass er keinen fixen Arbeitsbeginn oder einen Termin an diesem Tag gehabt haben will. Er wollte schlichtweg zügig in die Arbeit kommen. Er hat sein ungehindertes Fortkommen über die Straßenverkehrsordnung und die Interessen Dritter gestellt. Er wollte schlicht nicht länger hinter den langsamer fahrenden Fahrzeugen hinterherfahren, wusste, dass ein Überholverbot, eine Ampel und die nächste Ortschaft kommt, wo er wieder nicht vorbeikommen wird und hat sich entschlossen, die aus seiner Sicht zu langsame Kolonne zu überholen. Dass die drei Fahrer ..., ... und ... aus seiner Sicht zu langsam waren, ergibt sich schon aus dem Überholen an sich. Der Erstrichter hat dies mit „Ärgern“ bezeichnet. Ein „Ärgern“ braucht es für die Tatbestandsvoraussetzung gar nicht.
102
Der Angeklagte wollte es so schlicht nicht und hat sein Interesse am zügigen Fortkommen vor die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer gestellt. Ab dem zweiten Fahrzeug war er zu schnell. Er entschied sich auch noch zum Überholen des dritten Fahrzeugs in einer Situation, in der er letztlich kaum noch Sicht hatte. Dies war zumindest gegenüber dem Gegenverkehr rücksichtslos. Ein Einscheren nach dem Fahrzeug ... hatte der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer gar nicht vor. Er wollte seinen Weg ungehindert fortsetzen und zu diesem Zweck musste er alle drei Fahrzeuge passieren.
103
4. Es ist ein Mensch gestorben und es ist ein vergleichsweise hoher Sachschaden entstanden, sowohl an der Unfallstelle selber (Leitplanken), als auch an dem Fahrzeug des Geschädigten.
104
Hierdurch hat sich kausal die Gefahr des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB verwirklicht.
105
5. Auch das Eintreten der Folgen hätte der Angeklagte erkennen können und müssen.
106
6. Tateinheitlich liegt fahrlässige Tötung vor.
107
Es ist vom Strafrahmen des § 222 StGB auszugehen. Anlass zu Strafrahmenverschiebungen gibt es nicht.
108
1. Zu Gunsten des Angeklagten sprach, dass er keine strafrechtlichen Vorahndungen aufweist und auch das FAER ohne Eintrag ist, da die abgelaufene TÜV-Plakette nicht ins Gewicht fällt. Der Sachschaden und Auslagen wurden gegenüber den Angehörigen beglichen.
109
Zu Gunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er in zweiter Instanz mitteilen ließ, die Verantwortung übernehmen zu wollen. Teilweise war der Angeklagte auch geständig. Zu seinen Gunsten ist zu werten, dass er eigene Verletzungen erlitt. Außerdem hat er einen Schaden an seinem Fahrzeug erlitten; das Fahrzeug war neu und noch nicht abbezahlt.
110
Zu Gunsten wurden auch psychische Folgen des Angeklagten berücksichtigt und die deswegen durchgeführten Beratungsgespräche bei der Caritas. Weiterhin wurden zu Gunsten berücksichtigt die körperlichen Folgeerscheinungen mit Auswirkungen auf Arbeit und Leben. Der Angeklagte ist aktuell arbeitsunfähig, wie sich die Zukunft gestaltet, steht arbeitstechnisch noch nicht fest. Das Haus, welches 2016 gebaut wurde, ist noch nicht abbezahlt, so dass ein etwaiger Wegfall des Verdienstes des Angeklagten auch einen erheblichen finanziellen Einschnitt für das Ehepaar bedeutet.
111
Positiv wirken sich auch die erfolgten Führerscheinmaßnahmen aus. Der Führerschein wurde vom Angeklagten am 07.06.2022 an die Polizei übergeben infolge eines Beschlusses gemäß § 111a StPO vom 23.05.2022.
112
Der Angeklagte bereut den Unfall sehr. Zugunsten war auch zu würdigen, dass der Angeklagte nach der erstinstanzlichen Verhandlung einen Brief an die Mutter des getöteten ... geschrieben hat und ihn in der Sitzung vorlas. Wenn auch die Nebenklägerin dies nicht annehmen konnte, so sah die Kammer dennoch die Bemühungen des Angeklagten.
113
Die Kammer wertet den Umstand, dass der Unfall bereits im März 2022 stattfand, ebenfalls zugunsten des Angeklagten.
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2. Zu Lasten des Angeklagten spricht sein besonders hohes Maß an Pflichtwidrigkeit, da er eine fahrlässige Tötung dadurch begangen hat, dass er einen weiteren Straftatbestand, nämlich den der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung begangen hat, indem er grob verkehrswidrig und rücksichtslos nicht nur falsch überholt hat, sondern auch noch in erheblichem Maße zu schnell gefahren ist und dadurch noch drei weitere Personen einer abstrakten Gefahr ausgesetzt hat. Die Kollision führte zu umherfliegenden Trümmerteilen, das Fahrzeug des Angeklagten legte nach dem Zusammenstoß unkontrolliert etwa 87 – 88 m zurück und kam dann auf der Fahrbahn zum Stehen. Dies stellte eine erhebliche Gefahr für die Überholten dar und für etwaigen weiteren Gegenverkehr, zumal es nahezu vollständig dunkel war. Das Fahrverhalten des Angeklagten war als besonders grob zu werten. Bereits ab dem Überholen des ersten Fahrzeugs war aufgrund der konkreten Örtlichkeit und der Sichtverhältnisse ein hohes Risiko dem Überholen immanent, ab dem Überholen des zweiten Fahrzeugs war der Gegenverkehr für den Angeklagten bereits wahrnehmbar und er befuhr dennoch weiter die linke Fahrspur mit überhöhter Geschwindigkeit.
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3. Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hält die Kammer eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten für tat- und schuldangemessen.
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4. Die Freiheitsstrafe war nicht zur Bewährung auszusetzen.
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a) Die Sozialprognose ist zwar günstig im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte ist Ersttäter, teilgeständig und lebt in geregelten Verhältnissen. Er ist weiter im Besitz seines Arbeitsplatzes oder wird, selbst wenn er künftig Frührente erhalten sollte, auch weiterhin monatliche Zahlungen erhalten.
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b) Allerdings liegen schon die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB nicht vor.
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Nach der Gesamtbetrachtung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten liegen keine besonderen Umstände vor, die eine Strafaussetzung möglich machen. Der Angeklagte ist teilweise geständig und hat zudem angegeben, die Verantwortung für den Unfall übernehmen zu wollen. Die Sozialprognose ist günstig, er ist vorstrafenlos und weist keine relevanten Eintragungen im FAER auf, lebt in geregelten Verhältnissen mit Ehefrau und Beruf, hat selbst Unfallfolgen erlitten in Form von psychischen und physischen Schäden und Sachschaden, die Fahrerlaubnis wurde vorläufig entzogen und er hat die Schäden beglichen. Der Unfall liegt darüberhinaus nahezu zwei Jahre zurück und der Angeklagte hat finanzielle Einbußen zu gewärtigen.
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Unter Einbeziehung der oben bereits aufgeführten positiven Umstände können jedoch keine besonderen Umstände festgestellt werden, die eine Strafaussetzung gemäß § 56 Abs. 2 StGB bewirken würden.
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Die Pflichtwidrigkeit war sehr erheblich. Der Angeklagte hat aus eigensüchtigen Motiven sich über die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer hinweggesetzt und einen Überholvorgang durchgeführt, der völlig verfehlt war. Er hat nicht nur grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt, sondern war auch noch in erheblichem Maße zu schnell. Dabei hat er weitere Personen einer erheblichen abstrakten Gefahr ausgesetzt. Dieses grobe Fehlverhalten im Straßenverkehr, schließt das Vorliegen besonderer Umstände aus.
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c) Zudem gebietet auch die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung (§ 56 Abs. 3 StGB).
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Ein Strafausspruch ohne Vollstreckung würde angesichts der schwerwiegenden Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Eingriffen erschüttern (BGHSt 24, 40, 46; BayObLG St 1977, 196, 198). Die Fälle des § 56 Abs. 3 StGB im Straßenverkehr sind nicht nur auf alkoholisierte Straftäter beschränkt. Auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr im Straßenverkehr ist nicht davon abhängig, dass der Angeklagte alkoholisiert war (BayObLG, Urteil vom 18.08.2003, Az.: 1 St RR 67/2003). Dies lässt sich schon daran erkennen, dass § 315c StGB nur in Abs. 1 Nr. 1a StGB die Alkoholisierung aufführt, danach aber noch in Ziffer b und Abs. 2 Ziffern a bis g weitere Fälle beschreibt, die keine Alkoholisierung beinhalten und dennoch unter den Straftatbestand mit einheitlichem Strafrahmen fallen.
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Maßgeblich ist, ob die rechtstreue Bevölkerung in Kenntnis aller für und gegen den Täter sprechenden Umstände eine Strafaussetzung verstehen und billigen oder durch eine solche Entscheidung in ihrem Rechtsgefühl verletzt und in ihrer Rechtstreue ernstlich beeinträchtigt würde. Die Möglichkeit der Strafaussetzung darf nicht schlechthin für bestimmte Gruppen von Straftaten ausgeschlossen werden. Es kommt immer auf den Einzelfall an.
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Vorliegend fällt bei der insoweit vorgenommenen Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend gewürdigt worden sind, maßgeblich ins Gewicht, dass der Geschädigte, der selbst im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung fuhr, keine Chance hatte, dem Frontalzusammenstoß zu entgehen. Er hatte nur 1,6 bis 1,7 Sekunden überhaupt Zeit zu reagieren und ist noch etwas nach rechts ausgewichen. Dennoch konnte er den Frontalzusammenstoß auf seiner Fahrbahn nicht vermeiden. Der Angeklagte hat ein sehr gefährliches Fahrverhalten an den Tag gelegt mit absehbaren tödlichen Folgen für den Gegenverkehr. Auch wenn der Angeklagte auf einen glücklichen Ausgang des Überholens vertraute, ging er aus eigensüchtigen Gründen dieses besonders hohe Risiko für den Gegenverkehr ein und brachte auch die weiteren Verkehrsteilnehmer dort in erhebliche abstrakte Gefahr.
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Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kam eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht. Die rechtstreue Bevölkerung würde in Kenntnis aller für und gegen den Angeklagten sprechenden dargestellten Umstände eine Strafaussetzung nicht verstehen und billigen und wäre durch eine solche Entscheidung in ihrem Rechtsgefühl verletzt und in ihrer Rechtstreue ernstlich beeinträchtigt.
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5. Der Angeklagte hat sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Fahrerlaubnis war zu entziehen, der Führerschein einzuziehen und dem Angeklagten vor Ablauf von noch 1 Jahr und 2 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Es handelt sich um einen Regelfall gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Die Indizwirkung des Regelfalls ist nicht aufgehoben, zumal hier neben der Gefährdung des Straßenverkehrs auch noch fahrlässige Tötung im Straßenverkehr verwirklicht ist. Die Kammer erachtete unter Berücksichtigung der gesamten Persönlichkeit, der Tatumstände und der bereits genannten Strafzumessungsgesichtspunkte eine Sperre von insgesamt 2 Jahren 9 Monaten für erforderlich aber auch ausreichend, um dem Angeklagten sein Fehlverhalten aufzuzeigen und als Warnung zu dienen. Der Führerschein ist bereits seit dem 07.06.2022 entzogen. Der seither vergangene Zeitraum wurde berücksichtigt, weswegen die Sperre letztlich noch 1 Jahr und zwei Monate beträgt. Dass die Sperre kürzer ist als die ausgeurteilte Strafe, bekümmert nicht, da die Fahrerlaubnis nicht von selbst wieder erteilt werden wird, sondern der Angeklagte sich um diese wird redlich bemühen müssen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO.
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Der Angeklagte hat auch die Auslagen der Nebenklägerin zu tragen. Nachdem die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen wurde, trägt diese die Kosten ihrer Berufung.