Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 14.10.2024 – 206 StRR 343/24
Titel:

Strafbarkeit von Meinungsäußerungen gegenüber Polizeibeamten wegen Beleidigung

Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1
StGB § 185
Leitsätze:
1. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird. Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt. (Rn. 7 – 11) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist zudem zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt. Auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, kann er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein (im konkreten Fall bejaht). (Rn. 9 – 11) (red. LS Alexander Kalomiris)
1.  Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird. Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt. (redaktioneller Leitsatz)
2.  Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist zudem zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt. Auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, kann er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein (im konkreten Fall bejaht). (Leitsätze der Redaktion, von Alexander Kalomiris) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beleidigung, Polizeibeamte, Meinungsfreiheit, Auslegung, mehrdeutige Äußerung, generelle Kritik
Vorinstanzen:
LG Landshut, Urteil vom 27.05.2024 – 5 NBs 407 Js 30611/23
AG Landshut, Urteil vom 26.03.2024 – 11 Ds 407 Js 30611/23
Fundstellen:
BeckRS 2024, 27460
FDStrafR 2024, 027460

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 27. Mai 2024 samt den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben
1. soweit der Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt wurde; insoweit wird auch das Urteil des Amtsgerichts Landshut vom 26. März 2024 aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen, sowie
2. im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Landshut hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. März 2024 wegen Beleidigung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt und zudem eine isolierte Sperrfrist für die Fahrerlaubnis von 18 Monaten und die Einziehung des Fahrzeuges des Angeklagten ausgesprochen.
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Die Berufung des Angeklagten hiergegen hat das Landgericht Landshut mit Urteil vom 27. Mai 2024 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Einziehung des Fahrzeuges entfällt. Für das Fahren ohne Fahrerlaubnis hat es dabei eine Einzelstrafe von 6 Monaten verhängt. Hinsichtlich der Beleidigung hat es keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern auf diejenigen des Amtsgerichts verwiesen. Danach beleidigte der Angeklagte vor seinem Wohnanwesen die als Polizeibeamte erkennbaren Geschädigten mit den Worten „seids ihr no ganz dicht?“ und durch das zweimalige Zeigen des sog. Scheibenwischers.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er mit Verfahrensrügen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Stellungnahme vom 19. September 2024, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die zulässige Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge überwiegend Erfolg, nämlich soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Beleidigung und gegen die Rechtsfolgenentscheidung insgesamt richtet (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis) ist sie als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Die Überprüfung des Schuldspruchs hinsichtlich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zeigt im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insoweit wird zur näheren Begründung auf die Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 19. September 2024 Bezug genommen, die auch durch den weiteren Vortrag der Revision im Schriftsatz vom 1. Oktober 2024 nicht entkräftet werden. Für den Schuldspruch im Fall des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG ist die Feststellung ausreichend, der Angeklagte sei an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Fahrzeug wissentlich ohne Fahrerlaubnis gefahren (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 27.04.2017, 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155ff., zitiert nach juris). Vorliegend ist jedenfalls der Beginn der Fahrt am Wohnsitz des Angeklagten festgestellt.
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2. Der Schuldspruch wegen Beleidigung kann jedoch keinen Bestand haben. Das Revisionsgericht hatte seiner sachlich-rechtlichen Prüfung insoweit die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Strafbarkeit einer Äußerung nach § 185 StGB geltenden Maßstäbe zugrunde zu legen, die aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG folgen (vgl. dazu Fischer, StGB, 71. Aufl., § 193 Rdn. 17 ff. m. w. N.). Das Urteil des Landgerichts enthält zum Schuldspruch wegen Beleidigung weder eigene Feststellungen noch eine Auslegung der Äußerung und auch keine rechtliche Würdigung. Die Kammer hat offensichtlich übersehen, dass es sich vorliegend um eine mehrdeutige Äußerung handelt, bei der ein anderer – strafloser – Aussagegehalt, nämlich die Äußerung einer Kritik an polizeilichen Anordnungen und Maßnahmen ohne Herabwürdigung der handelnden Personen, zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.
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a) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (vgl. Senat, Beschluss vom 18.03.2024, 206 StRR 63/24, BeckRS 2024, 4969, dort Rdn. 15ff. m. w. N.). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Demgemäß sind weder die Aussage des Beamten, der Angeklagte habe ihn und seinen Kollegen gemeint (UA S. 11), noch die Einlassung des Angeklagten, er habe Polizeibeamten nicht beleidigt, sondern sie nur gefragt, was das soll (UA S. 6/7), jeweils allein ausschlaggebend. Bei der Auslegung ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der aber den Sinn nicht abschließend festlegt. Vielmehr sind alle sprachlichen und sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Kommen mehrere Deutungen in Betracht, darf sich das Gericht nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn es eine straflose Deutungsvariante mit überzeugenden Gründen ausschließt (vgl. Senat aaO Rdn. 16 m. w. N.). Die Auslegung einer Äußerung ist zwar Sache des Tatgerichts und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann und muss diese bei vollständigen Feststellungen jedoch selbst vornehmen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15.05.2023, 207 StRR 128/23, BeckRS 2023, 10629, m. w. N.).
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b) Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten ist zudem zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gilt (vgl. Senat aaO Rdn. 20; Regge/Pegel in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 193 Rdn. 16, je m. w. N.). Auch dann, wenn ein Vorwurf sich auf vor Ort anwesende Beamte oder selbst dann, wenn er sich auf bestimmte Beamte bezieht, kann er gleichwohl, je nach den Begleitumständen, als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei verstanden werden und von der Meinungsfreiheit gedeckt sein (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23.09.1993, 1 BvR 584/93, juris Rdn. 18: Bezeichnung von Polizeibeamten als „kassierende Bullen“; BayObLG, Beschluss vom 20.10.2004, 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291: Polizeibeamte als „Wegelagerer“; OLG München, Beschluss vom 06.11.2014, 5 OLG 13 Ss 535/14, zitiert nach juris: Bezeichnung von Polizeibeamten als „completely crazy“; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018, 2 Rv 4 Ss 193/18, zitiert nach juris: Bezeichnung von Polizeibeamten als „Flitzpiepen“: Senat, Beschluss vom 18.03.2024 aaO: Bezeichnung von Polizeibeamten als „Nervzwerge“).
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c) Der Senat vermag die ergänzende Auslegung der inkriminierten Äußerung auf der Grundlage der Gesamtheit der Urteilsgründe (vgl. UA S. 11: Angaben eines der betroffenen Polizeibeamten, die das Landgericht seiner Verurteilung zugrunde gelegt hat) selbst vorzunehmen. Er kann unter Berücksichtigung der erkennbaren Gesamtumstände sowie des konkreten Kontextes nicht ausschließen, dass ein unvoreingenommener und verständiger Zuhörer die Äußerungen des Angeklagten nicht als Geringschätzung konkreter Personen, sondern als generelle Kritik an der Vorgehensweise der Polizei vor Ort (vgl. auch UA S. 13: „Polizeieinsatz aus Sicht des Angeklagten unverständlich und überzogen“) verstehen musste. Es ist nach diesen konkreten Umständen eine Deutung möglich und nicht fernliegend, dass er (entsprechend seiner Einlassung) seinen allgemeinen Unmut über das polizeiliche Vorgehen als solches zum Ausdruck bringen, nicht aber konkrete Beamte verächtlich machen wollte. Dies gilt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen. Insoweit ist zu bedenken, dass es mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht vereinbar ist, die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung danach zu beurteilen, ob die kritisierte Maßnahme des Beamten rechtmäßig oder rechtswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 05.03.1992, 1 BvR 1770/91, NJW 1992, 2815, 2816). Das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG aaO; BayObLG, Beschluss vom 20.10.2004, 1 StRR 153/04, NJW 2005, 1291; st. Rspr.).
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d) Da auszuschließen ist, dass eine neue Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen zu erbringen vermag, die eine Aufrechterhaltung der Verurteilung wegen Beleidigung begründen könnten, sind das angefochtene Urteil sowie das Ersturteil aufzuheben und der Angeklagte freizusprechen (§ 353 Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO).
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3. Weiterhin mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 StPO) war auch der gesamte Rechtsfolgenausspruch.
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a) Hinsichtlich der wegen Beleidigung festgesetzten Einzelstrafe folgt dies bereits aus der Aufhebung des zugrundeliegenden Schuldspruchs und dem Freispruch.
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b) Jedoch kann auch die wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängte Einzelstrafe nicht bestehen bleiben.
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aa) Zum einen begründet das Fehlen von jeglichen Feststellungen zu Beweggründen und Gegebenheiten der gegenständlichen Fahrt (Fahrstrecke, Verkehrsverhältnisse) in der Regel einen durchgreifenden Darstellungsmangel des Rechtsfolgenausspruches, weil es sich hierbei um für Delikte nach § 21 StVG bestimmende Strafzumessungsgründe handelt (vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 30.07.2020, 206 StRR 281/20, und vom 10.10.2022, 207 StRR 272/22, jeweils n. v.; BGH vom 27.04.2017 aaO, zitiert nach juris, dort Rdn. 22). Sind solche Feststellungen nicht möglich (UA S. 12), hätte das Landgericht die dem Angeklagten günstigste Variante, insbesondere eine sehr kurze Fahrstrecke annehmen und zu seinen Gunsten berücksichtigen müssen. Dies ist in den Strafzumessungsgründen zwar angedeutet (UA S. 12), jedoch bleibt unklar, welche Fahrstrecke die Strafkammer „zugunsten des Angeklagten nicht außer Acht gelassen“ hat.
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bb) Zum anderen betrug der Strafrahmen für diese Tat nach § 21 StVG Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe, so dass die verhängte Freiheitsstrafe von 6 Monaten sich bereits im oberen Bereich des Strafrahmens befindet, obwohl zu seinen Gunsten von einer sehr kurzen Fahrstrecke auszugehen gewesen wäre und der Angeklagte auch nicht einschlägig vorbestraft ist. Wird eine auffällig hohe Strafe verhängt, löst dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedoch besondere Begründungsanforderungen aus, die Gründe für das Abweichen vom Üblichen müssen deutlich gemacht werden (vgl. etwa Urteile des BGH vom 20.10.2021, 1 StR 136/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 8 m. w. N., und vom 05.09.2023, 3 StR 217/23, zitiert nach juris). Allein der Verweis auf (nicht einschlägige) Vorstrafen reicht dazu nicht aus.
17
c) Der Wegfall sämtlicher Einzelstrafen entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
18
d) Die ausgesprochene isolierte Sperrfrist von 18 Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) hält der rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand, da sie vom Landgericht nicht in ausreichender Weise begründet wurde.
19
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu überhaupt keine Begründung, auch keine (im Berufungsurteil im Einzelfall zulässige) Bezugnahme auf die diesbezüglichen (allerdings ebenfalls unzureichenden) Ausführungen des Amtsgerichts. Die Annahme einer stillschweigenden Bezugnahme ist schon deshalb nicht möglich, weil eine Bezugnahme im Berufungsurteil stets die genaue Beschreibung ihres Gegenstandes voraussetzt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 267 Rdn. 2a m. w. N.).
20
Der Senat kann angesichts der vollständig fehlenden Begründung auch nicht ausschließen, dass die anzustellenden Erwägungen (vgl. dazu Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 69a StGB Rdn. 1) zu einer kürzeren Sperrfrist oder ihrem Wegfall geführt hätten.
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4. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).