Titel:
Beginn der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs wegen Kfz-Mangel (Dieselskandal)
Normenkette:
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Kenntnis iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt dabei nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die erforderliche Kenntnis ist bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbes. hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kenntnis, Verjährung, Schadensersatzanspruch, Kfz
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Endurteil vom 27.04.2023 – 31 O 13/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2740
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Deggendorf vom 27.04.2023, Az. 31 O 13/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat beabsichtigt ferner, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 6.598,50 EUR festzusetzen.
3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme zu Ziffern 1. und 2. binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Endurteil des Landgerichts Deggendorf vom 27.04.2023 hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klagepartei konnte nicht aufzeigen, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO beruht oder dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
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Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass etwaige deliktische Schadensersatzansprüche des Klägers verjährt sind.
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1. Zwar kommt bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags ein Anspruch des Klägers aus vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB (vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 – ZR 252/19, Rn. 12 ff) oder auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. .m §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht.
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2. Dies kann jedoch offen bleiben, denn der Anspruch ist jedenfalls dauerhaft nicht durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB), weil die dreijährige Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB abgelaufen ist, ohne dass verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung auch erhoben (S. 3 der Klageerwiderung vom 14.03.2021 = Bl. 17 d.A.).
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a) Bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags war der Schadensersatzanspruch des Klägers mit Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug am 15.07.2015 entstanden (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
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b) Die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB lagen spätestens im Jahr 2018 vor.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt dabei nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – ZR 294/08, Rn. 9; Urteil vom 17.12.2020 – ZR 739/20, Rn. 8 m.w.N.). Die erforderliche Kenntnis ist bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen (BGH NJW 2008, 2576, 2579 Rn. 28; BGH, Urteil vom 17.12.2020 – ZR 739/20, Rn. 8 m.w.N.).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Klagepartei die Erhebung einer Schadensersatzklage spätestens im Jahr 2018 zumutbar.
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Der Kläger hat den Beklagtenvortrag nicht substantiiert bestritten, wonach er spätestens bis zum Ende des Jahres 2018 positive Kenntnis von der generellen V-TDI-Thematik und der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs erlangte (S. 13 der Klageerwiderung = Bl. 27 d.A.).
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Die Beklagte trug vor, sie habe den Kläger in der 8. Kalenderwoche 2018 postalisch über das Erfordernis eines Sofware-Updates für das streitgegenständliche Fahrzeug informiert, weil die Stickoxidwerte durch die verbaute Motorsteuergeräte-Software im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert würden (S. 18 ff. der Klageerwiderung = Bl. 32 ff. d.A.).
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Der Kläger hat bestritten, dass er seit März 2018 positive Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt habe. Die Beklagte habe nicht mitgeteilt, wann sie den Kläger hierüber informiert habe (S. 1 des Schriftsatzes des Klägers vom 18.04.2023). Damit hat der Kläger den Zugang des Schreibens der Beklagten vom Februar 2018 nicht subtantiiert bestritten.
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Hinzu kommt, dass sich die Beklagte als Beleg für die positive Kenntnis des Klägers darauf berief, auch im Mai und Juni 2018 sei über die Beanstandungen des KBA an V-TDI-Motoren verschiedener Fahrzeugmodelle und Fahrzeugmarken landesweit berichtet worden (S. 26 f. des Schriftsatzes vom 14.03.2023 = Bl. 40 f. d. A.). Dies wurde vom Kläger nicht bestritten.
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Damit hatte der Kläger spätestens im Jahr 2018 Kenntnis davon, dass das von ihm erworbene Fahrzeug wie mehrere Millionen andere Dieselfahrzeuge aus dem Konzern der Beklagten mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet war, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden, und dass das KBA der Beklagten deshalb einen Rückruf und eine Nachbesserung der betroffenen Fahrzeuge aufgegeben hatte (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 – ZR 739/20, Rn. 21).
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Naturgemäß war dem Kläger weiter bekannt, ob er beim Kauf des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben als selbstverständlich vorausgesetzt hatte und ob er das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit möglicherweise verbundenen (rechtlichen) Konsequenzen gewusst hätte (BGH a.a.O., Rn. 21). Kenntnis von der abstrakten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung, die aufgrund der der Klagepartei im Jahr 2018 bekannten Funktionsweise der Software bestand, war nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erforderlich; dem Bundesgerichtshof zufolge handelt es sich hierbei nicht um einen tatsächlichen Umstand im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung (BGH a.a.O.).
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Die dem Kläger bekannten Umstände reichten aus, den Schluss nahezulegen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte, dass eine solche Strategieentscheidung von einer Person getroffen oder zumindest gebilligt wurde, deren Verhalten der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen ist, und dass dieser Person die Unzulässigkeit der verwendeten Abschalteinrichtung ebenso bewusst war wie der Umstand, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen Risiken niemand ein solches Fahrzeug – zumindest nicht ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis – erwerben würde (BGH a.a.O., Rn. 22).
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Der eng begrenzte Ausnahmefall, dass die Erhebung einer (Feststellungs-) Klage wegen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage unzumutbar war und der Verjährungsbeginn daher hinausgeschoben wurde, liegt ebenfalls nicht vor (BGH a.a.O., Rn. 26 ff.). Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob ein rechtsunkundiger Käufer im Hinblick auf das angekündigte Software-Update am Vorliegen eines Schadens zweifelte (BGH a.a.O., Rn. 27).
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Damit war Verjährungsbeginn spätestens am 01.01.2019.
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c) Die Regelverjährung aus § 195 BGB endete spätestens mit Ablauf des Jahres 2021 (§ 188 Abs. 2 BGB), ohne dass verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen worden wären.
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Die Klageerhebung im hiesigen Verfahren erfolgte erst am 30.12.2022.
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d) Dass die Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beklagte ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich zu werten wäre (§ 242 BGB), ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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Ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB steht der Klagepartei ebenfalls nicht zu.
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1. Die Prüfung des § 852 S. 1 BGB setzt jedenfalls Vortrag des Klägers dazu voraus, dass und in welcher Höhe die Beklagte etwas aus dem Fahrzeugverkauf an den Kläger erlangt haben soll (BGH, Urteil vom 17.12.2020 – ZR 739/20, Rn. 29).
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2. Zum „Erlangten“ im Sinne des § 852 S. 1 BGB hat der Kläger weder in erster noch in zweiter Instanz Vortrag geleistet.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, regt der Senat aus Kostengründen eine Rücknahme des Rechtsmittels an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 KV GKG).
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Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 6.598,50 € festzusetzen.