Titel:
Widerruf eines Prozessvergleichs über das elektronische Postfach des Arbeitgeberverbands
Normenketten:
ArbGG § 46c Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 4, § 46g S. 1
BRAO § 31
Leitsätze:
1. Ein Prozessvergleich kann durch einen Syndikusrechtsanwalt formwirksam über das elektronische Postfach des Arbeitgeberverbands widerrufen werden. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nachdem weder § 46c Abs. 4 ArbGG noch § 31 BRAO ein Rangverhältnis für elektronische Zugangswege vorsehen, besteht für Syndikusrechtsanwälte hinsichtlich der Kommunikation mit dem Arbeitsgericht ein Wahlrecht zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und dem elektronischen Postfach des Arbeitgeberverbands. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozessvergleich, Widerruf, Syndikusrechtsanwalt, Übertragungsweg, Wahlrecht
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Beschluss vom 02.05.2024 – 1 Ca 85/24
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Beschluss vom 19.12.2024 – 8 AZB 22/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27340
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 13.05.2024 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Aktenzeichen: 1 Ca 85/24 vom 02.05.2024 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Der Beschwerdewert für das Beschwerdeverfahren wird auf 56.920,-- € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Der Kläger ließ durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 04.12.2023 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Nürnberg erheben. Nach Verweisung an das Arbeitsgericht Würzburg hat sich mit Schriftsatz vom 26.01.2024 der D. als Vertretungsbevollmächtigter für die Beklagte angezeigt. In der Vollmacht ist unter anderem Frau F. namentlich aufgeführt. Die Parteien haben in der Güteverhandlung vom 27.02.2024 einen widerruflichen Prozessvergleich geschlossen. Dieser wurde mit Schriftsatz vom 11.03.2024 widerrufen. Der Widerrufsschriftsatz der Beklagten wurde angefertigt von dem bevollmächtigten Unternehmensverband und unterschrieben/signiert durch Syndikusrechtsanwältin F.. Des Weiteren weist der Schriftsatz als Absender den D. aus. Der Schriftsatz wurde über das elektronische Postfach des Unternehmensverbads an das Arbeitsgericht übermittelt. Der Authentizitäts- und Integrationsnachweis vom 11.03.2024 weist als Absender aus: D. -. Eine qualifizierte elektronische Signatur wurde nicht verwendet. Stattdessen ist vermerkt: „Keine Prüfung möglich, da die Signaturdatei keiner Inhaltsdatei zugeordnet werden konnte“. Der Kläger hat am 20.03.2024 beim Arbeitsgericht Würzburg eine Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nebst Rechtskraftvermerk des Vergleichs vom 27.02.2024 beantragt und dabei die Auffassung vertreten, dass der Vergleich nicht wirksam widerrufen worden sei, da der Widerruf nicht rechtswirksam durch die Beklagtenvertreterin signiert worden sei. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle wies den Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung mit Beschluss vom 18.04.2024, zugestellt am gleichen Tag, ab und führte aus, dass ein offenbar nicht formgerecht eingegangener Widerspruch nicht festgestellt werden könne und somit die Rechtskraft des Vergleichs seitens des Urkundsbeamten im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden könne. Mit Schriftsatz vom 25.04.2024 legte der Kläger gegen den Beschluss vom 18.04.2024 das Rechtsmittel der Erinnerung ein und führte aus, dass der Vergleichswiderruf der Beklagten unwirksam gewesen sei. Mit Beschluss vom 29.04.2024 hat der Kostenbeamte der Erinnerung nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung dem Kammervorsitzenden vorgelegt. Dieser hat mit Beschluss vom 02.05.2024 die Erinnerung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Widerrufsschriftsatz vom 11.03.2024 die formalen Voraussetzungen gemäß § 46 c Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 4 ArbGG erfüllen würde. Das eBO sei anders als das beA kein personenbezogener, sondern ein organisationsbezogener Zugangsweg zum elektronischen Rechtsverkehr. Vertretungsbefugt seien nicht die einzelnen Verbandsvertreter, sondern der Verband selbst. Der Beschluss wurde am 02.05.2024 dem Kläger zugestellt. Dieser erhob mit Schriftsatz vom 14.05.2024 hiergegen sofortige Beschwerde. Zur Begründung seiner Beschwerde verweist der Kläger auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23.05.2023 – 10 AZB 18/22, demnach ein Verbandssyndikusrechtsanwalt verpflichtet sei, bei Anträgen und Erklärungen gegenüber einem Gericht am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. Für Rechtsanwälte und damit auch für Syndikusanwälte sei die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs verpflichtend vorgesehen, wie sich aus § 31 BRAO ergebe. Bei der Unterzeichnung des Widerrufsschriftsatzes durch die Syndikusanwältin sei jedoch das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das vorhanden sei, gerade nicht verwendet worden. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der jeweils angegebene Absender im Authentizitätsnachweis bzw. im Schriftsatz vom 11.03.2024 nicht identisch sei. Werde jedoch das Dokument vom Aussteller nur einfach, d.h. durch Namensabgabe signiert, könne nur er es über sein beA versenden. Soll ein anderer Rechtsanwalt die Versendung übernehmen, müsse das Dokument von der verantwortlichen Person qualifiziert elektronisch signiert werden. Dies könne dann auch ein anderer als der den Schriftsatz einfach signierenden Anwalt sein. Dieser Fall läge jedoch nicht vor.
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Die Beklagte lässt sich zu der Beschwerde dahingehend ein, dass zwar Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte gemäß § 46 S. 1 g ArbGG dazu verpflichtet seien, Schriftsätze elektronisch einzureichen. Sowohl diese Norm als auch das Bundesarbeitsgericht würden jedoch nicht vorgeben, auf welchem Zugangsweg das elektronische Dokument einzureichen sei. Weder § 46 c ArbGG noch der § 4 Abs. 1 S. 2 ERVV gäben vor, mit welchem Postfach Schriftsätze zu übermitteln seien. Daher hätte die Syndikusanwältin auch das dem Verband zugeordnete eBO nutzen können. Der Widerruf des Vergleiches vom 11.03.2024 sei daher wirksam signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22.05.2024 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft (§§ 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 793 ZPO), sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 78 S. 1 ArbGG, 569 ZPO).
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2. Die Beschwerde ist jedoch sachlich nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag des Klägers auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zurückgewiesen, da der Vergleich der Parteien vom 27.02.2024 rechtswirksam innerhalb der vereinbarten Widerrufsfrist am 12.03.2024 widerrufen wurde. Zutreffend hat daher der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle festgestellt, dass ein wirksamer Titel, der die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung rechtfertigen würde, nicht vorliegt.
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Zutreffend hat das Arbeitsgericht dahingehend erkannt, dass zwar richtig sei, dass Rechtsanwälte gemäß § 46 g S. 1 ArbGG i.V.m. § 31 BRAO verpflichtet sind, vorbereitende Schriftsätze etc. als elektronisches Dokument einzureichen. Diese Verpflichtung gilt auch für einen Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 und 5, S. 3 ArbGG erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt (§ 46 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BRAO), und gegenüber einem Gericht Erklärungen abgibt (siehe hierzu Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23.05.2023 – 10 AZB 18/22). § 46 g S. 1 ArbGG enthält jedoch keine Vorgabe dazu, auf welchem Zugangsweg das elektronische Dokument einzureichen ist. § 46 c Abs. 3 S. 1 ArbGG eröffnet dem Einreicher mehrere Möglichkeiten zur elektronischen Übermittlung. Das elektronische Dokument kann von der verantwortenden Person unter Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur an das EGVP des Gerichts gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV oder mit einer einfachen Signatur versehen auf einen der in § 46 c Abs. 4 ArbGG aufgeführten sicheren Übermittlungswege gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV eingereicht werden. Eine einfache Signatur genügt den Anforderungen des § 46 c ArbGG, sofern das elektronische Dokument dann von der verantwortenden Person auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 46 c Abs. 3 2. Alternative ArbGG). Die einfache elektronische Signatur wiederum ist der maschinenschriftliche Name oder die eingescannte Unterschrift, also das, was der Unterzeichner zum Unterzeichnen verwendet (definiert in Artikel 3 Nr. 10 elDAS-VO). Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat die Syndikusanwältin ihren Widerrufsschriftsatz mit Angabe der vollen Namensnennung versehen, so dass die notwendigen Voraussetzungen für die Abgabe einer einfachen elektronischen Signatur erfüllt sind. Weiter wurde der Widerrufsschriftsatz vom 11.03.2024 mittels eBO übermittelt (§ 46 c Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 4 ArbGG). Bei dem eBO handelt es sich nicht um einen personenbezogenen sondern um einen organisationsbezogenen Zugangsweg zum elektronischen Rechtsverkehr. Dabei korrespondiert das eBO bei den Verbänden des Arbeitslebens mit der Rechtslage, wonach vertretungsbefugt nicht der einzelne Verbandsvertreter, sondern der Verband selbst ist (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ArbGG).
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Der § 46 c Abs. 4 ArbGG als auch der § 46 g S. 1 ArbGG wie auch der § 31 BRAO regeln kein Rangverhältnis der elektronischen Zugangswege. Deshalb darf der für einen Verband tätige Syndikusrechtsanwalt sowohl das ihm zugeordnete RechtsanwaltsbeA als auch das dem Verband zugeordnete eBO nutzen, um seine Verpflichtung zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs zu erfüllen. Verfügen Unternehmen oder Verbände über ein eBO und handeln für sie angestellte Syndikusrechtsanwälte besteht ein Wahlrecht dahingehend, ob das eBO oder das SyndikusbeA bei der Kommunikation mit den Arbeitsgerichten benutzt wird (siehe auch Tiedemann in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtskommentar, 11. Auflage 2024 Rn. 41 zu § 46 g ArbGG). Entscheidend ist, dass die Identität des Signierenden der bei Gericht eingereichten Schriftsätze von einem Dritten geprüft werden kann. Dies ist nach der gesetzgeberischen Vorgabe in § 46 c Abs. 1 Nr. 4 ArbGG erfüllt, da eine vorherige Identitätsprüfung der verantwortlichen Absender erfolgt. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der beim Verband angestellte Syndikusanwalt gezwungen wäre, sein persönliches Anwaltspostfach zu nutzen und nicht das vom Arbeitgeber vorgehaltene eBO, insbesondere wenn der Verband als Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit auftritt.
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Die sofortige Beschwerde war damit zurückzuweisen. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter (§ 78 S. 3 ArbGG).
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3. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
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4. Die Festsetzung des Gegenstandswertes orientiert sich an dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers und entspricht der vereinbarten Zahlungsverpflichtung im widerrufenen Vergleich.