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AG Erding, Endurteil v. 26.06.2024 – 116 C 11561/23
Titel:

Keine Entschädigungsansprüche nach den kanadischen Air Passenger Protection Regulations (APPR)

Normenketten:
ZPO § 29
Rom I-VO Art. 5 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Deutsche Gerichte sind international zuständig, wenn ein Passagier bei einer Flugverspätung eines Fluges nach Deutschland Rechte nach den Air Passenger Protection Regulations (APPR) geltend macht. (Rn. 17 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO ist deutsches Recht auf mögliche Ausgleichsansprüche eines Fluggastes bei einem Flug aus Kanada nach Deutschland anzuwenden, wenn der Fluggast seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland hat. (Rn. 26 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fluggastrechte, Verspätung, internationale Zuständigkeit, Vertragsverhältnis, Erfüllungsort, anwendbares Recht, gewöhnlicher Aufenthaltsort, VO (EG) 593/2008
Fundstellen:
RRa 2025, 30
NJW-RR 2025, 308
LSK 2024, 27174
BeckRS 2024, 27174

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.370,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Entschädigungsleistungen nach den Air Passenger Protection Regulations (APPR) aufgrund einer Flugverspätung in Anspruch.
2
Die Kläger schlossen über ein Reisebüro mit der Beklagten einen Beförderungsvertrag für den Flug mit der Nummer N.N. am 16.12.2022 von San José nach Toronto, planmäßiger Abflug 10:05 Uhr, planmäßige Landung 16:25 Uhr, und mit der Nummer N.N. von Toronto nach München, planmäßiger Abflug 20:00 Uhr, planmäßige Landung 09:50 Uhr am 17.12.2022.
3
Der Abflug des Fluges N.N. verzögerte sich und erfolgte letztlich um 20:05 Uhr. Aufgrund der Verspätung verpassten die Kläger den Anschlussflug von Toronto nach München.
4
Mit der angebotenen Ersatzbeförderung von Toronto über London nach München erreichten die Kläger München erst am 18.12.2022 um 07:40 Uhr. Sie hatten mithin eine Verspätung von fast 12 Stunden.
5
Die Kläger behaupten, die Verspätung sei durch die Beklagte verschuldet worden. Sie vertreten die Auffassung, dass ihnen aufgrund dieser Umstände eine Entschädigungsleistung aus den von der Canadian Transportation Agency entwickelten Air Passenger Protection Regulations (APPR) zustehe. Die Regulierungen seien nicht an die Staatsangehörigkeit der Reisenden gebunden. Stattdessen fänden sie bei allen Flügen Anwendung, die nach, in oder von Kanada aus stattfinden, vgl. § 4 APPR.
6
Mit Mail vom 05.02.2023 machten die Kläger ihre Ansprüche erfolglos gegenüber der Beklagten gelten. Die Beklagte wurde sodann durch Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 22.03.2023 unter Fristsetzung nochmals aufgefordert, die Entschädigungsleistung zu bezahlen. Eine Zahlung erfolgte nicht.
7
Die Kläger beantragen,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 1.370,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.04.2023 zu bezahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 265,61 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte rügt die internationale Zuständigkeit. Sie ist der Ansicht, dass keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestehe.
10
Zwar seien die APPR anwendbar, die Ansprüche müssten jedoch entweder bei der Canadian Transportation Agency als spezielle Schlichtungsstelle oder bei einem kanadischen Gericht geltend gemacht werden. Die Beklagte habe ihren Sitz in Quebec, Kanada, und unterliege der allgemeinen Gerichtsbarkeit kanadischer Gerichte.
11
Auch bestehe kein deutscher Gerichtsstand nach der Rom-I-VO. Diese VO sei zwar grundsätzlich anwendbar, da die Klägerin einen zivilrechtlichen Beförderungsvertrag mit der Beklagten geschlossen habe und in diesem Fall eine Verbindung sowohl zu Kanada als auch zu Deutschland bestehe. Die Verordnung regle jedoch nur die Rechtswahl bezüglich des materiellen Rechts und nicht die Zuständigkeit der Gerichte.
12
Schließlich sei aber auch ein Anspruch auf Entschädigung nach den APPR nicht gegeben. Der Flug habe aufgrund eines Sicherheitsproblems auf dem Vorflug, der mit demselben Flugzeug durchgeführt worden sei wie der streitgegenständliche Flug, aufgrund dessen das Flugzeug einer außerplanmäßigen Wartung habe unterzogen werden müssen, mit einer Verspätung durchgeführt werden müssen. Nach dem APPR handle es sich bei Sicherheitsvorfällen um ein Ereignis außerhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft, so dass kein Anspruch bestehe.
13
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2024, die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
15
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Erding international und örtlich zuständig.
16
Ein Vortrag zu einer Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien erfolgte nicht.
17
Zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit war deshalb auf die Regeln der örtlichen Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO zurückzugreifen. Eine hiernach gegebene örtliche Zuständigkeit indiziert regelmäßig die internationale Zuständigkeit, vgl. BGH, Urteil vom 18. 01. 2011 − X ZR 71/10.
18
Anzuwenden sind die Regeln des autonomen deutschen Rechts zwar nur, wenn die internationale Zuständigkeit nicht durch vorrangige Bestimmungen in internationalen Vereinbarungen oder im Unionsrecht geregelt wird. Eine solche Regelung greift im vorliegenden Fall jedoch nicht:
19
Da die Beklagte ihren Sitz i.S.v. Art. 62, 63 Abs. 1 EuGVVO in Kanada und damit einem sog. Drittstaat hat, ist insbesondere Art. 7 Nr.1 lit. a) EuGVVO nicht anwendbar.
20
Da die Kläger keinen konkreten Verspätungsschaden geltend machen, sondern eine pauschale und einheitliche Ausgleichszahlung nach dem APPR, kann auch nicht auf Art. 33 MÜ zurückgegriffen werden.
21
Im Streitfall ist daher auf §§ 12 ff ZPO zurückzugreifen und hier der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts gem. § 29 Abs. 1 ZPO begründet.
22
Der von den Klägern geltend gemachte Ausgleichsanspruch aus dem APPR ist aus einem Vertragsverhältnis i. S. von § 29 Abs. 1 ZPO entstanden. Das Erfordernis „aus einem Vertragsverhältnis“ ist weit auszulegen und schon dann erfüllt, wenn die Streitigkeit im Zusammenhang mit einem Vertrag steht und aus dem Vertragsverhältnis herrührt, vgl. BGH a. a. O..
23
Bei den von den Klägern geltend gemachten Entschädigungsleistungen im Falle der Verspätung eines Flugs handelt es sich zwar um gesetzliche Ansprüche. Dennoch handelt es sich um einen Anspruch auf vertraglicher Grundlage, denn Voraussetzung für die Anwendung der Regelungen ist der abgeschlossene Beförderungsvertrag. Der Erfüllungsort für diesen Vertrag liegt auch am Flughafen München. Im Falle einer Flugbeförderung ist die vertragscharakteristische Leistung die Beförderung des Fluggastes. Diese wird sowohl am Flughafen des Abflugortes und der Landung erbracht. Die Kläger haben insoweit die Wahl, ob sie die Klage bei dem für den Abflug- oder den Landeflughafen zuständigen Gericht erheben möchten.
24
Vorliegend startete der Flug in San José. Nach einer Zwischenlandung in Toronto war der Flughafen in München das Endziel der Flugbeförderung. Auch wenn sich die streitgegenständliche Verspätung ausschließlich auf der ersten Teilstrecke von San José nach Toronto ereignet hat, können die Kläger die Klage bei dem für den Flughafen München zuständigen Amtsgericht Erding erheben. Denn bei einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt am Umsteigeflughafen sind der Abflugort der ersten Teilstrecke und der Ankunftsort am endgültigen Zielflughafen die maßgeblichen Orte, an denen die vertraglichen Hauptleistungen zu erbringen sind. Die an einem Umsteigeflughafen zu erbringenden Leistungen sind für den Fluggast von geringer Bedeutung und vermögen den ersten Abflugort und den Ankunftsort am Zielflughafen als maßgebliche Erfüllungsorte nicht zu verdrängen, vgl. BGH, Beschluss vom 09.04.2013 – X ZR 105/12, NJW-RR 2013, 1068.
II.
25
Die Klage erweist sich aber als unbegründet.
26
1. Die Kläger können keinen Anspruch aus den APPR herleiten, da die APPR im Streitfall nicht anzuwenden sind. Vielmehr ist gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 Rom-I VO deutsches Recht anzuwenden.
27
Die Verordnung findet unabhängig davon Anwendung, ob die Beklagte in einem Staat ihren Sitz hat, welcher Mitglied der Europäischen Union ist. Es ist lediglich die Verbindung zu dem Recht verschiedener Staaten erforderlich. Aufgrund der in Art. 2 normierten universellen Anwendbarkeit gilt dies auch dann, wenn die Verordnung auf das Recht von Drittstaaten verweist (beck-online.GROSSKOMMENTAR/Paulus, Stand: 01.12.2023, Art. 2 Rn. 10 f.).
28
Ausgleichsansprüche aus einer Regelung über die Rechte von Fluggästen entsprechen nach Auffassung des Gerichts einem vertraglichen Verhältnis im Sinne von Art. 1 Rom-I VO.
29
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei Ausgleichszahlungsansprüchen aus der Verordnung (EG) 261/2004 um vertragliche Ansprüche auf gesetzlicher Grundlage. Der Anspruch selbst folge zwar nicht unmittelbar aus dem mit einem Luftfahrtunternehmen abgeschlossenen Beförderungsvertrag, setze aber voraus, dass der Anspruchsteller über eine bestätigte Buchung verfüge, was wiederum regelmäßig vom Bestehen eines Beförderungsvertrags abhängig sei (BGH, Beschluss vom 18.08.2015 – X ZR 2/15 – juris Rn. 9).
30
Diese Ansicht ist auf die APPR zu übertragen, jedenfalls wenn, wie vorliegend, ein Beförderungsvertrag mit dem in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmen besteht.
31
Die Parteien haben keine Rechtswahlvereinbarung getroffen, jedenfalls erfolgte hierzu kein Vortrag.
32
Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) 593/2008 (Rom-I-VO) ist dann das Recht des Staates auf einen Personenbeförderungsvertrag anzuwenden, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befinden. Vorliegend haben die Kläger als zu befördernde Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Bestimmungsort ihrer Rückreise liegt auch am Flughafen München und damit ebenfalls im Bundesgebiet. Maßgeblich ist hier, wie auch bei der Bestimmung des vertraglichen Erfüllungsortes für die Begründung der internationalen Zuständigkeit, der Bestimmungsort für die gebuchte Gesamtstrecke der Personenbeförderung.
33
2. Der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass auch kein Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichs aus der Verordnung (EG) 261/2004 besteht, denn der Anwendungsbereich dieser Verordnung ist nicht eröffnet. Der Flug wurde nicht im Gemeinschaftsgebiet angetreten. Die Beklagte ist kein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) und b) der Verordnung (EG) 261/2004 ist die europäische Fluggastrechteverordnung deshalb nicht anwendbar.
34
3. Die Ansprüche auf Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten teilen als Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung und sind daher unbegründet.
III.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
IV.
36
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.