Inhalt

VG München, Beschluss v. 05.03.2024 – M 8 SN 24.242
Titel:

Nachbarklage gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung

Normenketten:
WEG § 13
BayBO Art. 6, Art. 63
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3
BauGB § 34, § 212a
Leitsätze:
1. Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der einzelne Sondereigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Hs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums infrage steht, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liegt oder das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, wobei es für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, ankommt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden; vielmehr ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag (Sondereigentümer), Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (verneint), Verschattung, Abweichung von Vorgaben des Abstandsflächenrechts, Tiefgaragenabfahrt, Drittschutz, Nachbarklage, Anfechtungsklage, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Rücksichtnahmegebot, Sondereigentum, Innenbereich, Abstandsgebot, Abstandsflächenvorschriften, Wohnnutzung, öffentliche Belange, Abwägung, Einfügensgebot, Zumutbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27105

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 14. Dezember 2023 gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für das Grundstück …straße 1a, Fl.Nr.12842/47, Gem. Sektion VII (im Folgenden: Baugrundstück).
2
Nördlich an das Baugrundstück grenzt das Grundstück …straße 3, Fl.Nr. 12842/36, Gem. Sektion VII (im Folgenden: Nachbargrundstück) an. Der Antragsteller ist Miteigentümer des nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilten Nachbargrundstücks, verbunden mit dem Sondereigentum an Wohnung und Kellerabteil Nr. 8 (Wohnungsgrundbuch von G* …, Bd. 743, Bl. 22315). Das Gebäude …straße 3 ist zweigeschossig mit ausgebauten Satteldach, welches nach Süden vier Dachgauben aufweist. Zudem befinden sich an der Südfassade drei Balkone. Soweit nach öffentlich zugänglichen Luftbildern erkennbar, ist der im Süden liegende Hausgarten, welcher an das Baugrundstück angrenzt, parzellenartig unterteilt und wohl jeweils einzelnen Sondereigentumseinheiten zugeteilt. In der Südostecke des Nachbargrundstücks befindet sich eine eingehauste Tiefgaragenabfahrt.
3
Mit rechtskräftigem Urteil vom 19. September 2022 (M 8 K 21.2311) wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, für das Baugrundstück einen positiven Vorbescheid hinsichtlich des Einfügens eines im Wesentlichen dreigeschossigen Baukörpers (mit 30 Grad geneigtem Walmdach, einer Firsthöhe von 12,45 m und den Abmessungen 21,29 m x 16 m x 8,6 m) dem Maß der baulichen Nutzung nach zu erteilen. Der Vorbescheid (PlanNr. 2021-2926) wurde am … Januar 2023 erteilt. Eine förmliche Zustellung an den Antragsteller kann den Behördenakten nicht entnommen werden, allerdings eine Übermittlung per einfachem Brief und E-Mail vom … Januar 2023.
4
An … November 2023 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die bauaufsichtliche Erlaubnis zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage. Vorgesehen ist ein dreigeschossiger Baukörper (mit gartenseitig zweigeschossigem Anbau) mit ausgebautem Walmdach (Dachneigung 30° bzw. 45°) mit den Abmessungen (Hauptbaukörper) von etwa 16 m x 21,19 m bei einer Oberkante der Traufe von +7,99 m bis +8,60 m und einer Firsthöhe von +12,45 m. Die Baugenehmigung enthält unter anderem Befreiungen wegen Überschreitung der straßenseitigen Baugrenze durch die Tiefgarage, den Müllstandort und Fahrradabstellplätze. Überdies wurde eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen zum Nachbargrundstück durch die Tiefgaragenzufahrt erteilt. Bei Einhaltung von 15% Rampensteigung könnten die zulässigen 9 m Grenzbebauung nicht eingehalten werden. An der Nordseite des Grundstücks befinde sich zum Nachbargrundstück eine ca. 1,85 m hohe Tiefgaragenzufahrt, welche nach 5,51 m auf 1,05 m abgesenkt würde und 6,31 m weiter grenzständig verlaufe. Die zulässige Grenzbebauung werde somit um 2,82 m überschritten. Die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts seien aber nicht oder allenfalls geringfügig verletzt, weil die Einbuße an Belichtung und Belüftung des benachbarten Grundstücks wegen der geringen Höhe der Grenzbebauung zu vernachlässigen sei.
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Vergleiche zur baulichen Situation auf dem Baugrundstück sowie zur Umgebungsbebauung folgenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000 (durch das Einscannen eventuell nicht mehr maßstabsgetreu), der eine Darstellung des streitgegenständliche Vorhabens enthält:
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In den vorgelegten Behördenakten findet sich kein Nachweis der Zustellung der Baugenehmigung an den Antragsteller.
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Mit Schreiben vom … Dezember 2023, bei Gericht eingegangen am darauffolgenden Tag, erhob der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Ziel, die Baugenehmigung vom … November 2023 aufzuheben. Über die Klage, die unter dem Aktenzeichen M 8 K 23.5971 geführt wird, ist noch nicht entschieden worden.
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Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2024 beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers:
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Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Verfahren M 8 K 23.5971 gegen die Baugenehmigung auf FlNr.: 12842/47 Gemarkung Sektion VII …straße 1 a wird angeordnet.
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Mit der angefochtenen Baugenehmigung seien fehlerhafte Abweichungen von den abstandsflächenrechtlichen Regelungen für die Tiefgaragenzufahrt bewilligt worden. Eine Atypik liege nicht vor. Es gehe dem Bauherrn ausschließlich um Gewinnmaximierung, ein besonderer Fall sei nicht erkennbar. Die angefochtene Baugenehmigung bewillige darüber hinaus ein Maß der Bebauung, das in der maßgeblichen Umgebung nicht zu finden sei. Grundsätzlich vermittle zwar das Maß der Bebauung nicht unbedingt einen Drittschutz für den Nachbarn, dies sei jedoch anders, wenn die Quantität in Qualität umschlage. Nachdem hier die Tür zum Geschoßwohnungsbau aufgestoßen worden sei, würde sich der Gesamtcharakter des Viertels ändern. Der genehmigte Neubau sei für den Antragsteller auch deshalb unzumutbar, weil die Verschattung des Grundstücks des Antragstellers in unzumutbarem Umfang zunehme.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
13
Die Antragsgegnerin sei vom Bayerischen Verwaltungsgericht München zur Erteilung des der Baugenehmigung zugrundeliegenden Vorbescheids verpflichtet worden. Die Klage werde daher in der Hauptsache nicht erfolgreich sein.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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den Antrag abzulehnen.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 8 K 23.5971, sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
17
Der zulässige Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom … Dezember 2023 (M 8 K 23.5971), ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg sein wird.
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1. Nach § 212a BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Gericht daher gem. § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag des Nachbarn auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung und dem öffentlichen Vollzugsinteresse zu treffen. Wesentliches Element der Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80a Rn. 25 f.).
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2. Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
20
Der einzelne Sondereigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte zudem aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris; BayVGH, B.v. 24.11.2016 – 1 CS 16.2011 – juris Rn. 4; B.v. 1.3.2018 – 1 CS 17.2539 – juris Rn. 3). Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liegt oder das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 23; B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 6).
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3. Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist eine für den Erfolg der Anfechtungsklage erforderliche Verletzung von Rechten des Antragstellers als Sondereigentümer, die zum Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens gehören, nicht ersichtlich (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 BayBO), so dass das Interesse (der Beigeladenen) an der Vollziehung der Baugenehmigung vom … November 2023 gegenüber dem Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt.
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3.1. Weder die vorgelegten Behördenakten noch die Ausführungen des Antragstellers lassen darauf schließen, welche Teile des Nachbargrundstücks bzw. des Nachbargebäudes dem Sondereigentum des Antragstellers unterfallen. Zwar führt der Antragsteller an, dass er Sondereigentümer einer Wohnung sei, die dem Bauvorhaben gegenüberliege und einen Balkon besitze. Das Sondereigentum soll nach Angaben des Antragstellers allerdings auch „unmittelbar an das Baugrundstück angrenzen“. Zudem wird zur Begründung des Antrags ausgeführt, dass der „gesamte Terrassen- und Gartenbereich“ durch das Bauvorhaben verschattet werde. Letzteres spricht grundsätzlich dafür, dass zum Sondereigentum zusätzlich auch ein Gartenanteil gehört. Ein Bau- oder Aufteilungsplan, dem sich Umfang und Lage des Sondereigentums exakt entnehmen lassen, fehlt jedoch.
23
Im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sind die Angaben zum Sondereigentum jedoch genügend, um die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage summarisch zu prüfen. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt nach summarischer Prüfung weder das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf das Nachbargrundstück im Ganzen (3.2.) noch verstößt die erteilte Baugenehmigung zulasten des Nachbargrundstücks gegen das Abstandsflächenrecht (3.4.). Damit scheidet auch eine Rechtsverletzung des Antragstellers als Sondereigentümer in diesen Punkten aus. Den ebenfalls gerügten Gebiets(prägungs) erhaltungsanspruch kann der Antragsteller als Sondereigentümer schon nicht geltend machen (3.3.)
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3.2. Verstöße gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts, welche auch der Sondereigentümer geltend machen kann und die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich. Das Vorhaben verstößt insbesondere nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO i.V.m. § 34 BauGB).
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Daher kann vorliegend offenbleiben, ob bereits der Vorbescheid vom … Januar 2023 der Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte des Antragstellers entgegensteht (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 13.5.1997 – 20 B 96.3446 – BeckRS 1997, 24692; VG München, U.v. 27.11.2023 – M 8 K 22.2857 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.).
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3.2.1. Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz ist hier, da sich die Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach § 30 Abs. 3, § 34 BauGB beurteilt, aus § 34 BauGB herzuleiten. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (st. Rspr, BVerwG, U.v. 5.12. 2013 – 4 C 5.12 – ZfBR 2014, 257, m.w.N.). Darauf, ob sich das Bauvorhaben objektiv in die maßgebliche Umgebung einfügt, kommt es darüber hinaus nicht an.
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Zur Bestimmung dessen, was dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, ist insbesondere die nähere Umgebung als (städte-)baulicher Rahmen, in den das Vorhaben- und Nachbargrundstück eingebettet sind, sowie die jeweilige besondere bauliche Situation der betroffenen Grundstücke in den Blick zu nehmen (VG München, U.v. 22.3.2022 – M 8 K 20.3855 – juris Rn. 29; U.v. 14.6.2021 – M 8 K 19.2266 – juris Rn. 41).
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3.2.2. Eine unzumutbare Beeinträchtigung zulasten des Nachbargrundstücks ist nicht ansatzweise ersichtlich. Im Gegenteil wird der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots notwendige Interessenausgleich zwischen hinzutretender und vorhandener Bebauung durch das Vorhaben gewahrt. Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn insbesondere keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6).
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Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich des vorgesehenen Maßes des Vorhabens. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots insbesondere dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens aufgrund seiner Höhe bzw. seines Volumens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Für die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes besteht jedoch grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30).
30
Vorliegend ist bereits aufgrund der Höhenverhältnisse – das Bauvorhaben ist mit drei Geschossen zuzüglich ausgebauten Walmdach nur um ein Geschoss höher als das zweigeschossige Nachbargebäude mit ausgebauten Satteldach – und der Stellung der Gebäude zueinander – der Abstand zwischen den Gebäuden beträgt ca. 16 m (abgegriffen) bei einer Firsthöhe des Vorhabens von nur +12,45 m (Bezugspunkte bei -0,10 und -0,19, vgl. „Ansicht Nord“) – eine unzumutbare einmauernde oder erdrückende Wirkung hinsichtlich des Nachbargebäudes ausgeschlossen.
31
Auf den weiteren Vortrag, dass sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht einfüge sowie auf die hierzu angestellten Berechnungen kommt es nicht an. Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass in seiner Nachbarschaft nur bodenrechtlich objektiv zulässige Vorhaben entstehen. Er ist auf den Schutz eigener Rechte (hinsichtlich des „Einfügens“ im Rahmen des § 34 BauGB also auf das Gebot der Rücksichtnahme, soweit sein Sondereigentum betroffen ist) beschränkt und kann sich nicht zum Sachwalter der Allgemeinheit machen.
32
Die durch das Vorhaben zu erwartenden Auswirkungen auf die Belichtung des Nachbargrundstücks erreichen – auch bei Berücksichtigung der vom Antragsteller vorgelegten Berechnungen in Bezug auf eine befürchtete Verschattung – nicht ansatzweise ein unzumutbares Ausmaß. Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze in der Regel nicht rücksichtslos und daher hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 – 1 B 19/15 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 – 1 B 56/14 – juris Rn. 19). Dass die Unzumutbarkeitsgrenze bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung aufgrund einer besonderen Belastungswirkung im konkreten Fall überschritten sein könnte, ist im Rahmen der vorgegebenen städtebaulichen Situation nicht denkbar. Eine ausreichende Belichtung des Nachbargebäudes ist weiterhin gegeben, insbesondere wird der Belichtungswinkel von 45° in Höhe der Fensterbrüstung von Fenstern von Aufenthaltsräumen bei einem Abstand der Gebäude von 16 m zueinander offensichtlich eingehalten (vgl. zum Belichtungswinkel: BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 9.6.2011 – 2 ZB 10.2289 – juris Rn. 5; U.v. 20.9.2011 – 2 B 11.761 – juris Rn. 26). Eine mögliche (zeitweise) Verschattung des Hausgartens und von Terrassen ist hinzunehmen. Das Rücksichtnahmegebot gewährleistet weder eine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der natürlichen Belichtung noch die unveränderte Beibehaltung einer insoweit zuvor gegebenen Situation (OVG Hamburg, B.v. 26.9.2007 – 2 Bs 188/07 – ZfBR 2008, 283).
33
Stößt eine Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung, dann kommt unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (BayVGH, B.v. 15.11.2010 – 2 ZB 09.2191 – juris Rn. 7). Solche sind vorliegend nicht erkennbar.
34
3.2.3. Auch hinsichtlich der erteilten Befreiungen von der straßenseitigen Baugrenze kann sich der Antragsteller nicht auf weiterreichende drittschützender Rechte berufen. Der hier betroffenen Festsetzung (§ 30 Abs. 3 BauGB) kommt keine nachbarschützende, sondern eine bloß städtebauliche Funktion zu. Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen haben – anders als die Festsetzung von Baugebieten – grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 18.12.2017 – 9 CS 17.345 – juris Rn. 16 m.w.N). Bei der Befreiung von einer Festsetzung, die – wie hier – nicht auch den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern „nur“ dem Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nur nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Falle verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten oder unterbliebenen Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris Rn. 17; B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 6, BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595, BeckRS 2019, 32500). Auf die objektive Rechtmäßigkeit der Befreiung kommt es nicht an.
35
3.3. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass vorliegend „Quantität in Qualität“ umschlage, die Tür zum Geschosswohnungsbau aufgestoßen werde und sich der gesamte Wohncharakter der Umgebung verändern würde, ist dem entgegenzuhalten, dass der Sondereigentümer den auf die Art der Nutzung bezogenen Gebietserhaltungsanspruch nicht geltend machen kann (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22, 23, bestätigt durch BVerwG; B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.; VG München, U.v. 3.5.2021 – M 8 K 19.470 – n.V.). Gleiches gilt für einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruch, vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – juris), soweit letzterer überhaupt anzuerkennen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris; B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 16; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris, Ls u. Rn. 9 ff.). Die Wahrnehmung dieser Rechte ist der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehalten (OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.10.2023 – OVG 10 S 25/23 – BeckRS 2023, 28472, Rn. 6).
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3.4. Das Bauvorhaben verstößt – nach summarischer Prüfung – auch nicht gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, Art. 59 Satz 1 Nr. 1b) BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO.
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3.4.1. Ein Abstandsflächenverstoß in Bezug auf den Hauptbaukörper ist nicht gerügt und nicht ersichtlich.
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3.4.2. Auch die gewährte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften ist nicht zu beanstanden. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO soll die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind (vgl. grundsätzlich zu den Voraussetzungen einer Abweichung: BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 8 ff). Wegen der aufgenommenen Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen bedarf es nach dem Gesetz einer Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 30.11.2023 – 2 ZB 21.2099 – BeckRS 2023, 37961 Rn. 18). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 20).
39
Es kann offenbleiben, ob die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO nach Einfügung von Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch eine atypische Situation voraussetzt (Bayer. Landtag Drucksache 17/21474, zu Nr. 5 (Art. 6); vgl. zu den Voraussetzungen einer Atypik: BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris, Rn. 34 m.w.N., vgl. ferner zur neuesten Rechtsprechung des BayVGH zum Erfordernis der Atypik: B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – BeckRS 2023, 10147, ablehnend; U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Ls und Rn. 26; B.v. 19.9.2023 – 15 CS 23.1208 – juris Rn. 22, jeweils bejahend), denn eine solche liegt hier zweifelsohne vor.
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Diese ist hier nicht – wie der Antragsteller meint – deswegen zu verneinen, weil es sich bei dem Baugrundstück um ein rechteckiges Grundstück mit gewöhnlichem Zuschnitt handelt. Die erforderliche Atypik ergibt sich vielmehr aus der Art und den Auswirkungen des betroffenen Bauteils selbst.
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Vorliegend kann die beantragte Tiefgaragenabfahrt die nach Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayBO erforderliche Abstandsfläche nicht auf eigenem Grund einhalten, da sie direkt an der Grenze errichtet wird. Zwar sind in den Abstandsflächen, sowie ohne eigene Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO überdachte Tiefgaragenzufahrten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig, allerdings ist die beantragte Tiefgaragenabfahrt vorliegend ca. 11,8 m lang (abgegriffen) und unterfällt damit nicht mehr dem Anwendungsbereich. Jedoch sind die Auswirkungen der Tiefgaragenabfahrt hier bei einer Höhe von + 1,85 m und +1,05 m (Bezugspunkt -0,10 und -0,19, vgl. „Ansicht Nord“) gegenüber dem Nachbargrundstück geringer als bei einer geschlossenen Einfriedung, welche bis zu einer Höhe von 2 m ohne eigene Abstandsflächen zulässig errichtet werden dürfte, Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3, 2. Alt BayBO.
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Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ermöglicht im Einzelfall eine Korrektur von materiell-rechtlichen Anforderungen, die die BayBO an Vorhaben stellt (Dhom/Simon in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Oktober 2023, Art. 63 Rn. 14). Gerade bei überdachten Zufahrten zu Tiefgaragen kann die höchstzulässige Länge von 9 m im Einzelfall, unter Berücksichtigung der planungsrechtlichen Vorgaben und Beachtung der zulässigen Rampenneigung von 15% (§ 3 Abs. 1 S. 1 GaV) u. U. nicht ausreichen und nicht eingehalten werden. Überschreitungen können in diesen und anderen Fällen durch Zulassung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO in Betracht kommen, wenn sie unter Würdigung aller Belange, insbesondere der nachbarlichen Interessen, etwa wegen der meist nur geringen Höhe der Rampenwände, vertretbar sind (Kühner in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Oktober 2023, Art. 63 Rn. 524).
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Genauso liegt der Fall hier. Die Abweichung wurde von der Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise erteilt, da bei einer Einhaltung von 15 Grad Rampensteigung die zulässigen 9 m Grenzbebauung nicht eingehalten werden können. Gemessen am Schutzzweck der Abstandsvorschriften, wonach sogar eine 2 m hohe geschlossene Einfriedung zu dulden wäre, werden die schützenswerten Belange des Nachbargrundstücks (im Wesentlichen Belichtung, Besonnung und Belüftung) durch die Erteilung der Abweichung durch das ca. 1,20 m hohe und ca. 2,80 m breite Bauteil nicht unzumutbar beeinträchtigt, zumal sich an der Südseite des Nachbargrundstücks ebenfalls eine eingehauste Tiefgaragenabfahrt befindet. Bei Berücksichtigung der Gesamtsituation ist deshalb ein die Belange des Nachbarn überwiegendes Bauherreninteresse gegeben.
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Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen der Prüfung der Abweichung mit der vorgegebenen Situation in sachgerechter Weise unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts auseinandergesetzt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält, da sie einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.