Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.08.2024 – M 28 E 24.3815
Titel:

Immissionsschutzrecht, einstweiliger Rechtsschutz (erfolglos), fehlendes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, kein Anspruch auf Untersagung, Genehmigungserteilung im laufenden Verfahren, fehlende Prozessführungsbefugnis, ungeteilte Erbengemeinschaft

Normenketten:
VwGO § 123
VwGO § 42 Abs. 2
BGB § 2038
BGB § 2039
Schlagworte:
Immissionsschutzrecht, einstweiliger Rechtsschutz (erfolglos), fehlendes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, kein Anspruch auf Untersagung, Genehmigungserteilung im laufenden Verfahren, fehlende Prozessführungsbefugnis, ungeteilte Erbengemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27089

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, um dem Antragsgegner die Genehmigung eines Bauvorhabens zu untersagen.
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Der Antragsteller ist Miterbe der Erbengemeinschaft „…, …, …, …, …, …“ in deren Eigentum das Grundstück FlNr. 239 (nachfolgend stets: Gemarkung …) steht.
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Mit Schreiben vom 15. Dezember 2023 hat die Infrastrukturgesellschaft … (...) beim Antragsgegner die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Heizwerkes zur Wärmeversorgung auf den benachbarten Grundstücken FlNrn. 240 und 239/4 sowie die Zulassung des vorzeitigen Baubeginns beantragt.
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Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben an den Antragsgegner vom 1. März 2024 zahlreiche Einwendungen und legte im April 2024 bei der Regierung von Oberbayern mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den Landrat sowie Mitarbeitende des Landratsamts München ein.
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Bislang wurden seitens des Antragsgegners behördliche Stellungnahmen zu dem beantragten Vorhaben eingeholt, aber noch keine Entscheidung über die (vorzeitige) Vorhabenszulassung getroffen.
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Mit Schreiben vom 22. Juni 2024, eingegangen am 26. Juni 2024, hat der Antragsteller Klage (M 28 K 24.3741) erhoben, über die bislang noch nicht entschieden wurde, und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
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Der Briefkopf der Antragsschrift weist den Antragsteller persönlich aus. Auch der Antrag wird durch den Antragsteller im eigenen Namen gestellt. Der Antragsteller gibt zu den Eigentumsverhältnissen an dem Grundstück FlNr. 239 weiter an: „Ich bin mit meinen Geschwistern Eigentümer des unmittelbar angrenzenden Grundstücks.“
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Zur Begründung des Eilantrags wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der von der … beantragte Standort untauglich sei und dass bereits Vorbereitungen für Bauarbeiten getroffen würden.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die dem Landratsamt bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt, eine Genehmigung des Bauvorhabens zu erteilen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Der Antrag ist unzulässig.
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Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die es dem Antragsgegner untersagt, die von der … beantragte Genehmigung zu erteilen.
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a) Diesbezüglich fehlt dem Antragsteller bereits das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis.
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Bislang hat der Antragsgegner nicht abschließend über die Anträge der … entschieden, sodass die vom Antragsteller begehrte Anordnung während des laufenden Genehmigungsverfahrens als Maßnahme des vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 123 VwGO Rn. 121d).
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Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie – falls erforderlich – um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80, § 80a VwGO nachzusuchen (BayVGH, B.v. 19.9.2022 – 10 CE 22.1939 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Bei der im einstweiligen Rechtsschutz einzig möglichen, aber auch hinreichenden summarischen Prüfung ist nicht ersichtlich, warum es dem Antragsteller nicht zumutbar sein sollte, die Entscheidung des Antragsgegners über den Genehmigungsantrag der … abzuwarten und anschließend Rechtsbehelfe zu ergreifen.
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Dass dem Antragsteller hierdurch ein irreversibler Schaden entstünde, ist nicht vorgetragen worden. Insbesondere kann das Gericht nicht erkennen, dass – wie vom Antragsteller behauptet – vollendete Tatsachen durch einen verfrühten Baubeginn geschaffen würden. Denn der Behördenakte (Blatt 353c) lässt sich – insoweit vom Antragsteller auch nicht substantiiert bestritten – entnehmen, dass die … bislang lediglich Leitungsarbeiten im öffentlichen Straßengrund sowie nicht genehmigungspflichtige Abtragungsarbeiten des Oberbodens der betreffenden Grundstücke vorgenommen hat. Im Übrigen bliebe es dem Antragsteller für den Fall eines verfrühten Baubeginns unbenommen, den Antragsgegner insoweit auf (bau-) aufsichtliches Einschreiten in Anspruch zu nehmen. Ein Anspruch auf Unterlassen der Genehmigung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Auch ist nicht ersichtlich, dass durch den Fortgang des Genehmigungsverfahrens absolute Verfahrensrechte des Antragstellers verletzt würden (vgl. hierzu VG München, U.v. 17.5.2023 – M 28 K 21.6525 – juris Rn. 38 ff.).
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b) Überdies fehlt dem Antragsteller die aktive Prozessführungsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog.
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Während eine eigene Antragsbefugnis des Antragstellers als Nachbar ausscheidet, da er außerhalb des Landkreises München wohnhaft ist und damit nicht im immissionsschutzrechtlichen Sinne von der streitgegenständlichen Anlage betroffen sein kann, erscheint es zwar möglich, dass er als Miterbe des – landwirtschaftlich genutzten – Grundstücks FlNr. 239 in eigenen Rechten verletzt sein könnte, insoweit mangelt es dem Antragsteller aber an der Prozessführungsbefugnis, d.h. der Berechtigung, den prozessualen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen, § 42 Abs. 2 VwGO analog (vgl. zu dieser Unterscheidung BayVGH, U.v. 24.8.2007 – 22 B 05.2870 – juris Rn. 19). Denn insoweit gehört der Antragsteller einer ungeteilten Erbengemeinschaft an, deren Mitglieder ihre Rechte nach Maßgabe der §§ 2032 ff. BGB nur gemeinschaftlich geltend machen können (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2020 – 8 ZB 18.2397 – juris Rn. 11 ff.; BayVGH, B.v. 7.4.2019 – 2 ZB 12.2332; B.v. 19.3.2012 – 2 ZB 10.2436; U.v. 2.2.2012 – 1 N 09/368 – alle juris).
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Gemäß § 2038 Abs. 1 BGB steht die Verwaltung des Nachlasses den Erben bis zur Auseinandersetzung nur gemeinschaftlich zu. Der Antragsteller hat jedoch weder eine Vollmacht der übrigen Erben vorgelegt noch hat er das Verfahren im Namen der Erbengemeinschaft betrieben.
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Die in den § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB und § 2039 Satz 1 BGB enthaltenen Ausnahmen, die einen Miterben unter den dort genannten Voraussetzungen berechtigen, in eigenem Namen und aus eigenem Recht ohne Mitwirkung der anderen Miterben zugunsten der Gesamthandsgemeinschaft zum Nachlass gehörende, auch öffentlich-rechtliche Ansprüche, geltend zu machen und zu diesem Zweck auch Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen, liegen nicht vor.
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Ein Fall der Notgeschäftsführung nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB, die einer zur Erhaltung des Nachlasses notwendige Maßregel bzw. besondere Dringlichkeit voraussetzen würde (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 15/93 – juris; U.v. 23.2.2005 – 4 A 1/04 – juris), liegt nicht vor. Notwendig im Sinne dieser Bestimmung sind Maßnahmen, die der Abwehr des (staatlichen) Zugriffs auf einzelne Nachlassgegenstände dienen. Dies schließt den Gebrauch von Rechtsbehelfen ein, wenn nur auf diese Weise das zum Nachlass gehörende Recht erhalten werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 23.02.2005 – 4 A 1/04 – juris; VGH München, B.v. 07.04.2014 – 2 ZB 12.2332 – juris).
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Wie zuvor bereits dargelegt wurde, wurde eine solche Dringlichkeit weder vorgetragen noch ist sie sonst ersichtlich, da es dem Antragsteller zumutbar ist, den etwaigen Erlass eines Genehmigungsbescheides abzuwarten und hiergegen – unter Mitwirkung der übrigen Miterben – Rechtsschutz zu suchen.
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Auch liegen die Voraussetzungen des § 2039 BGB nicht vor.
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Gemäß § 2039 Satz 1 BGB ist jeder Miterbe bei einem zum Nachlass gehörenden Anspruch befugt, die Leistung an alle Erben zu fordern, auch wenn den Erben die Verwaltung des Nachlasses nach § 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB gemeinschaftlich zusteht.
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Der Antragsteller macht vorliegend jedoch keinen Anspruch des Nachlasses gegen einen Nachlassschuldner geltend, bei dem der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an alle Erben fordern kann; der Antragsteller begehrt vielmehr vom Antragsgegner die Unterlassung eines Verwaltungsaktes.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. Nummern 1.5, 19.2, 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai bzw. 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.