Inhalt

VG München, Urteil v. 21.06.2024 – M 15 K 22.1863
Titel:

Aufrechnung in der Insolvenz mit Gegenforderung, die dem Grunde nach angelegt ist

Normenketten:
BGB § 387, § 389 analog
InsO § 95, § 96
BayKiBiG Art. 18, Art. 19
Leitsätze:
1. Bei dem Antrag auf Endabrechnung handelt es sich um eine formale und nicht um eine materielle Voraussetzung für die Forderungen nach dem BayKiBiG, so dass die Forderungen Verfahrenseröffnung dem Grunde nach angelegt sind. (Rn. 23 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die insolvenzrechtliche Begründung einer Forderung iSd§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO voraus, dass sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Werden Hauptforderung und Gegenforderung zum gleichen Zeitpunkt fällig, ist der Ausschlusstatbestand des § 95 Abs. 1 S. 3 InsO nicht einschlägig. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
BayKiBiG, Aufrechnung im Insolvenzverfahren (hier: zulässig), Insolvenz, Aufrechnung im Insolvenzverfahren, formelle Voraussetzungen
Fundstellen:
ZInsO 2025, 466
BeckRS 2024, 27083
NZI 2024, 1018
FDInsR 2024, 027083
LSK 2024, 27083

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Aufrechnung während eines Insolvenzverfahrens.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts M* … vom ... 2015 wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GbR, die Kindertagesstätten betreibt, bestellt und das Insolvenzverfahren am ... 2015 eröffnet. Dem Träger der Kindertagesstätte hatte die Beklagte in der Vergangenheit Abschlagszahlungen nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) bewilligt.
3
Am ... 2015 stellte der Kläger Antrag auf Endabrechnung der Fördermittel für den Bewilligungszeitraum 2013/14.
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Der Insolvenzverwalter erkannte am ... 2017 eine Forderung der Beklagten gegen die insolvente GbR in Höhe von … € an (Rang 0, lfd. Nr. 44).
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Laut Endabrechnungen vom ... 2021 wurden für die Kindertagesstätte in der …straße für den Bewilligungszeitraum 2013/14 … € zu wenig Fördermittel von der Beklagten gezahlt, für die Kindertagesstätte in der …straße dagegen … € zu viel.
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Mit Schreiben vom ... 2021 erklärte die Beklagte die Aufrechnung gegen die Forderung der GbR in Höhe von … € mit einer vom Kläger am ... 2017 anerkannten Forderung in Höhe von … €. Diese Summe setzt sich aus der Restschuld einer mit Endabrechnung vom ... 2013 geltend gemachten Überzahlung von Fördermitteln nach dem BayKiBiG für den Bewilligungszeitraum 2011/12 für die Kindertagesstätte in der …straße (* … €), einen Rückzahlungsanspruch wegen Beendigung der Mittagsbetreuung aufgrund Bescheid vom ... 2015 (* …,- €) und einen Rückforderungsanspruch wegen Aufhebung der Jugendhilfe aufgrund Bescheids vom ... 2014 (* … €) nebst Nebenforderungen zusammen. Außerdem wurde mit der Forderung der Beklagten aufgrund der oben genannten Überzahlung in Höhe von … € aufgerechnet.
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Mit Schriftsatz vom ... 2021 baten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte um Zahlung der … €. Die Aufrechnung sei unzulässig, da die Beklagte als Insolvenzgläubigerin erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden sei, sodass der Aufrechnungsausschluss des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) greife. Hinzu komme, dass es sich bei den zur Aufrechnung gestellten Forderungen um Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO handele. Die streitgegenständlichen Förderansprüche der Insolvenzmasse seien „ihrem Kern nach“ erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, da der Antrag auf kindbezogene Förderung für den Bewilligungszeitraum 2013/14 hinsichtlich der Einrichtung in der …straße erst am ... 2015 gestellt worden sei.
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Dem trat die Beklagte mit Schreiben vom ... 2022 entgegen.
9
Die Prozessbevollmächtigten erhoben am ... 2022 Klage und beantragten,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger … € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO einschlägig sei, wonach eine Aufrechnung unzulässig sei, wenn der Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Maßgeblich sei, wann der materiell-rechtliche Tatbestand, der zum Entstehen der Hauptforderung der Insolvenzmasse führe, verwirklicht sei. Demgegenüber greife das Aufrechnungsverbot nicht, wenn die Hauptforderung der Masse, gegen die die Aufrechnung erklärt werde, „ihrem Kern nach“ vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Es komme im vorliegenden Fall somit darauf an, wann alle tatbestandlichen Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Anspruchs der Insolvenzmasse verwirklicht worden seien. Die Fördervoraussetzungen für Kindertageseinrichtungen seien in Art. 19 BayKiBiG geregelt. Für den hier betroffenen Bewilligungszeitraum 2013/14 sei damit ein Förderanspruch erst mit der entsprechenden Antragstellung des Klägers am ... 2015 – und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – tatbestandlich entstanden (vgl. Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG). Bei dem fristgemäßen Antrag handele es sich um eine tatbestandliche Voraussetzung der materiellen Anspruchsgrundlage und nicht nur um eine allgemeine oder spezialgesetzliche Formvorschrift.
11
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Vorsorglich werde erneut die Aufrechnung erklärt. Die Gegenforderung der zeitlich ersten Aufrechnung (* … €) sei bereits (nachträglich) anerkannt worden, womit die Feststellungswirkung des § 178 Abs. 3 InsO eingetreten sei, und die den beiden Gegenforderungen zugrundliegenden Bescheide seien nicht angegriffen worden.
13
Die Aufrechnungen seien auch insolvenzrechtlich zulässig, wovon auch der Kläger ursprünglich ausgegangen sei. In der Anmeldung von Gegenforderungen zur Insolvenztabelle liege kein Verzicht auf das Aufrechnungsrecht. §§ 87 und 89 InsO hinderten nicht die Aufrechnung, sofern die §§ 94 ff. InsO eingehalten würden. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung habe sich nicht daran gestört, dass insofern noch ein Bescheid (als ein Element der rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs) zu erlassen gewesen wäre. Dies gelte auch für einen noch ausstehenden Antrag des Insolvenzschuldners gemäß Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG. Hilfsweise sei „etwas zur Insolvenzmasse schuldig werden“ als insolvenzrechtliche Begründung der Hauptforderung auszulegen. Die § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 140 Abs. 3 InsO seien nicht einschlägig, da die betroffenen Zeiträume jeweils vor der kritischen Zeit gelegen hätten. Der Kläger überdehne den Anwendungsbereich des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Finanzgerichte hätten diese Formel in Bezug auf Anträge und Mitwirkungshandlungen, welche der Abgabe bzw. der Berichtigung einer Steueranmeldung vergleichbar seien, generell eingeschränkt und auch der Bayrische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) habe einen späteren erforderlichen Gesamtverwendungsnachweis/Zwischennachweis als unschädlich für die Aufrechnung angesehen. Auf das Urteil des BayVGH vom 14. September 2009 (12 B 08.1016 – juris) werde verwiesen. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO beziehe sich nicht allein auf die Gegenforderung. Anders als der Wortlaut nahelege, ändere diese Vorschrift nichts daran, dass die Hauptforderung entsprechend den allgemeinen Regelungen nur erfüllbar werden müsse. Werde aber die Hauptforderung vor der Gegenforderung fällig, greife der Ausschluss des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO. Seien Haupt- und/oder Gegenforderung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufschiebend bedingt, sei eine Aufrechnung nach Bedingungseintritt möglich. Hintergrund sei, dass die Befugnis des Gläubigers zur Aufrechnung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht erschwert werden solle. Aufschiebende Bedingung sei in diesem Zusammenhang weit zu verstehen. Die Forderungen müssten dem Grunde nach und im Kern schon angelegt sein, insbesondere müsse demnach der Gläubiger der Gegenforderung bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO sein. Im vorliegenden Fall sei die jeweilige Gegenforderung erst nach Verfahrenseröffnung verwaltungsrechtlich entstanden. Hierauf komme es aber für die Anwendbarkeit des § 95 InsO, der insofern nicht zwischen Haupt- und Gegenforderung unterscheide, nicht an, sondern nur auf die insolvenzrechtliche Begründung. An der insolvenzrechtlichen Unbeachtlichkeit eines noch zu erlassenen Bescheides habe sich auch durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juli 2012 (VII R 29/11 – juris) nichts geändert. Zwar habe der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 29. Juni 2004 (IX ZR CXLVII/03 – juris Rn. 13 und 15) die Aufrechenbarkeit einer Forderung zusätzlich davon abhängig gemacht, dass sie fällig werde, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedürfe. Dies sei aber allein an zivilrechtlichen Gegebenheiten orientiert und bereits im Urteil vom 3. März 2016 (IX ZR 132/15 – juris) aufgeweicht worden. Außerdem sei ein Widerrufs- oder Rücknahmebescheid keine rechtsgeschäftliche Erklärung in diesem zivilrechtlichen Sinne. Für eine Endabrechnung bei der Betriebskostenförderung nach dem BayKiBiG müsse dies erst recht gelten. Aufgrund des fehlenden Vertrauensschutzes sowie des Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit komme es in solchen Situationen quasi automatisch zu den negativen Endabrechnungsbescheiden. Es könne daher in der vorliegenden Situation nicht davon die Rede sein, dass mit der Bedingung aus Gründen der Insolvenz „künstlich“ eine Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen würde. Die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die Finanzgerichtsbarkeit hätten die Zusatzvoraussetzung des BGH nicht übernommen. Es liege auch kein Ausschluss gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO vor. Das Vertrauen in das Entstehen der Aufrechnungslage werden nur geschützt, wenn die Gegenforderung vor oder zumindest gleichzeitig mit der Hauptforderung durchsetzbar, d.h. unbedingt und fällig werde. Die Gegenforderung müsse also nicht vor der Hauptforderung fällig sein. § 95 Abs. 1 InsO gehe dem § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Letzterer greife also nur dann, wenn bei Eröffnung noch gar kein Substrat der Hauptforderung vorhanden sei. Im vorliegenden Fall lägen die betreffenden Zeiträume, in denen auch bereits Abschlagszahlungen geleistet worden seien, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Allein der Antrag und der Endabrechnungsbescheid in Bezug auf die Hauptforderung lägen nach Insolvenzverfahrenseröffnung. Das von Klägerseite angeführte Urteil des BFH vom 25. Juli 2012 (VII R 29/11 – juris) entferne sich, sofern zudem darauf abgestellt werde, wann die in § 17 Abs. 2 UStG aufgeführten „Tatbestandsvoraussetzungen“ eintreten, von der bisher übernommenen Formulierung des Bundesgerichtshofs, der auch die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit gefolgt sei. Sofern man dieser definitorischen Besonderheit der neueren finanzgerichtlichen Rechtsprechung, die auf eigenständige (Berichtigungs-)Tatbestände abziele, folgen wollte, wäre auch im vorliegenden Fall § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht einschlägig. Es sei nämlich nicht der Fall, dass es insoweit darauf ankommen würde, wann „alle tatbestandlichen Voraussetzungen“ verwirklicht seien. Unberücksichtigt blieben das Ende des betreffenden Voranmeldung- oder Besteuerungszeitraums, die Steuerentstehung, die Abgabe einer Steueranmeldung sowie der Erlass des Steuerbescheides. In dem Beschluss des BFH vom 21. März 2014 (VII B 214/12 – juris) sei zudem entschieden worden, dass es nicht entscheidend sei, wann der Antrag auf Gewährung der Investitionszulage gestellt werde. Denn dieser Antrag sei keine materiell-rechtliche, sondern eine eigenständige formelle Voraussetzung des Investitionszulageanspruchs. Für die insolvenzrechtliche Begründung eine Forderung komme es nicht auf die Abgabe bzw. die Berichtigung einer Steueranmeldung an. Dies müsse für den Antrag auf Gewährung von Investitionszulage entsprechend gelten. Demnach müsse gleiches für die Antragstellung gemäß Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG gelten. Das Computerprogramm baykibig.web generiere den noch schriftlich zu versendenden Antrag automatisch und es bestehe zudem ein gesetzlicher Anspruch auf mindestens vier Abschlagszahlungen. Bei deren Gewährung handele es sich um einen sogenannten vorläufigen Verwaltungsakt, in Bezug auf den bei einer Überzahlung ein ausdrücklicher Aufhebungsbescheid nicht erforderlich sei. Ein nicht oder nicht fristgerecht gestellter Antrag habe also nicht die Folge, dass die Endabrechnung nicht ergehe, sondern nur, dass sie nicht so positiv ausfalle, wie dies aus Sicht des Trägers optimalerweise sein könnte. Die Aufrechnung solle zwar erst zugelassen werden, wenn die Aufrechnungslage entstanden sei. Darüber hinaus solle jedoch die Aufrechnung durch den Gläubiger, der auf den Eintritt der Aufrechnungslage habe vertrauen dürfen, nicht erschwert werden. Auch in diesem Zusammenhang werde auf das Urteil des BayVGH vom 14. September 2009 verwiesen. Man könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausscheiden würde, weil die Hauptforderung erst nach Verfahrenseröffnung durch Schreiben der Beklagten vom ... 2021 entstanden sei. Dies berücksichtige unabhängig von der fehlenden Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht, dass „etwas zu Insolvenzmasse schuldig werden“ als insolvenzrechtliche Begründung (vgl. § 38 InsO) der Hauptforderung auszulegen sei. Die Lage unterscheide sich auch deutlich vom Hauptanwendungsfall des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass eine Aufrechnung ausgeschlossen sein solle, wenn der Verwalter Massegegenstände an Insolvenzgläubiger verkaufe.
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Die Klägerseite führte hierzu im Wesentlichen aus, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO einen eigenständigen Anwendungsbereich entfalte, wenn ein Insolvenzgläubiger (hier die Beklagte) erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden sei. Der Vorrang des § 95 Abs. 1 InsO komme nur zum Tragen, wenn die Hauptforderung der Insolvenzmasse im Kern schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angelegt worden sei und es sich um aufschiebend bedingte oder nicht fällige Rechte handele. Dies sei aber schon deshalb nicht der Fall, weil die Voraussetzungen des Förderanspruchs nach Art. 19 BayKiBiG erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht gewesen seien. Sofern die Beklagte eine Parallele zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage ziehe, gehe dies im vorliegenden Fall fehl, da sich die Ausführungen nicht auf die hier einschlägige Förderung nach dem BayKiBiG übertragen ließen. Dass eine Steuerverbindlichkeit auch ohne die Abgabe einer Steuererklärung bzw. einer Berichtigung der Steueranmeldung entstehe, verstehe sich von selbst. Ähnlich verhalte es sich mit dem Antrag auf eine Investitionszulage. In Art. 19 BayKiBiG seien aber von der Gewichtung her gleichrangige Anspruchsvoraussetzungen aufgestellt. Ein solcher Förderanspruch entstehe daher „materiell-rechtlich“ erst, wenn alle zehn Voraussetzungen kumulativ vorlägen. Der Tatbestand der materiell-rechtlichen Anspruchsnorm sei daher erst erfüllt, wenn ein vollständiger Förderantrag gestellt worden sei. Die Hauptforderung der Insolvenzmasse sei also erst mit dieser Antragstellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihren Kern nach angelegt bzw. sei nach insolvenzrechtliche Grundsätzen der Rechtsgrund für diesen Erstattungsanspruch gelegt worden.
15
Dem trat die Beklagte mit Schreiben vom ... 2024 entgegen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am ... 2024 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der – unstrittige – Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nach Art. 18 Abs. 1, Art. 19 BayKiBiG auf Zahlung von … € ist durch Aufrechnung analog § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen (zur analogen Anwendung im Verwaltungsrecht vgl. z.B. BVerwG, U.v. 12.2.1987 – 3 C 22/86 – juris Rn. 31). Damit besteht auch kein Anspruch auf Prozesszinsen entsprechend § 291 BGB.
18
1. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB (analog), d.h. insbesondere Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen, Erfüllbarkeit der Hauptforderung und Fälligkeit der Gegenforderungen sowie die Aufrechnungserklärung, liegen hier vor. Dies wird von den Parteien auch nicht bestritten.
19
2. Der Aufrechnung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass am ... 2015 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kindertagesstätte eröffnet wurde.
20
2.1 Gemäß § 95 Abs. 1 Sätze 1 und 3 InsO kann, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet sind, die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann.
21
Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
22
Durch § 95 InsO soll der Insolvenzgläubiger in seinem Vertrauen auf eine später entstehende Aufrechnungslage geschützt werden. Wenn bei Verfahrenseröffnung bereits eine Forderung bestand, durfte er darauf vertrauen, dass er sich nach Fälligkeit bzw. nach Eintritt der Bedingung durch Aufrechnung befriedigen kann. Kein Vertrauensschutz besteht dagegen, wenn die Hauptforderung vor der Gegenforderung des Insolvenzgläubigers fällig und unbedingt wird. § 95 Abs. 1 InsO ist dabei in Abgrenzung zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO weit auszulegen. Entscheidend ist, ob die Bedingung dazu führt, dass aus Gründen der Insolvenz „künstlich“ eine Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen wird. § 95 Abs. 1 InsO erfasst auch Fälle, in denen nur eine vertragliche Bedingung oder eine gesetzliche Voraussetzung für das Entstehen der einen oder anderen Forderung fehlt oder lediglich ein Element der rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs noch nicht erfüllt ist. Die Forderungen müssen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarung dem Grunde nach und im Kern schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angelegt sein. Dies ist bezüglich der Gegenforderung des Gläubigers nicht der Fall, wenn die Entstehung des Anspruchs noch von einer Rechtshandlung des Anspruchsinhabers nach Eröffnung des Verfahrens abhängt. Ist die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, aufschiebend bedingt, fehlt es am schutzwürdigen Vertrauen des Gläubigers, wenn der Bedingungseintritt bei Verfahrenseröffnung ungewiss ist und von einer Rechtshandlung des Anspruchsinhabers oder eines Dritten abhängt. Ein dem Anwartschaftsrecht gleichkommender Vertrauensschutz auf die Aufrechnungslage besteht mangels gesicherter Rechtsposition für den Gläubiger in diesen Fällen nicht. § 95 InsO lässt die Aufrechnung zu, wenn Haupt- und Gegenforderung von derselben rechtsgeschäftlichen Erklärung nach Insolvenzeröffnung abhängen. Begründet wird dies mit der Vergleichbarkeit zur Verrechnung gegenseitiger Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis als Rechnungsposten bei der Ermittlung des Ersatzanspruchs aufgrund der synallagmatischen Verbundenheit der Ansprüche. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH setzt allerdings die insolvenzrechtliche Begründung einer Forderung im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO voraus, dass sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. (BGH, U.v. 3.3.2016 – IX ZR 132/15 – juris Rn.16, 23; BFH, B.v. 21.03.2014 – VII B 214/12 – juris Rn. 10; BFH, U.v. 25.7.2012 – VII R 29/11 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 14.9.2009 – 12 B 08.1016 – juris Rn. 41; BeckOK InsR/Liefke, 35 Ed. 15.4.2024, InsO, § 95 Rn. 1; Römermann, InsO, Stand Mai 2023, § 95 InsO Rn. 2 ff. m.w.N..
23
2.2 Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nur die Hauptforderung in Höhe von … € (Bewilligungszeitraum 2013/14, Einrichtung …straße 43), sondern zumindest auch die Gegenforderungen der Beklagten in Höhe von … € (Bewilligungszeitraum 2011/12, Einrichtung …straße 43, Restbetrag; im Folgenden: Gegenforderung I), in Höhe von … € (Bewilligungszeitraum 2013/14, Einrichtung … Straße 24; im Folgenden: Gegenforderung II) und in Höhe von … € (Bescheid v. …2014; im Folgenden: Gegenforderung III) dem Grunde nach und im rechtlichen Kern im Sinne der oben genannten Rechtsprechung angelegt.
24
a) Hinsichtlich der Gegenforderung I erfolgte die Endabrechnung bereits am ... 2013 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sodass insoweit keine Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit der Aufrechnung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen. Der Anspruch bestand bereits unbedingt. Gleiches gilt für die Rückforderung aus dem – nicht angefochtenen – Bescheid vom ... 2014 (Jugendhilfe – Gegenforderung III), da dieser ebenfalls vor der Verfahrenseröffnung erlassen wurde.
25
b) Hinsichtlich der Hauptforderung und der Gegenforderung II beantragte der Kläger dagegen erst am ... 2015 die Endabrechnung, die dann am ... 2021 erfolgte. Diese Forderungen waren aber im Kern bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angelegt, sodass die Beklagte auf ihr Entstehen vertrauen durfte und in diesem Vertrauen geschützt ist. Denn nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei dem Antrag auf Endabrechnung um eine formale und nicht um eine materielle Voraussetzung für die Forderungen. Zwar ist der Klägerseite zuzugeben, dass der Antrag in Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG gleichberechtigt mit den sonstigen Fördervoraussetzungen genannt wird, die im Übrigen materieller Natur sind. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass nach Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG der Förderantrag bis spätestens 30. April des auf den Bewilligungszeitraum folgenden Jahres zu stellen ist und es sich dabei um eine materielle Ausschlussfrist handelt. Dies erklärt die Aufzählung des Antragserfordernisses gemeinsam mit den sonstigen Voraussetzungen, ändert aber nichts daran, dass der Antrag als solcher, wie in anderen Antragsverfahren auch, formeller Natur ist. Bestätigt wird dies letztendlich durch die Rechtsprechung, wonach z.B. der Antrag auf Gewährung von Investitionszulage als eigenständige formelle Voraussetzung des Investitionszulageanspruchs gewertet wird (BFH, B.v. 21.03.2014 – VII B 214/12 – juris Rn. 11).
26
Dieser insoweit rein formale Antrag ist auch nicht gleichzusetzen mit einer Rechtshandlung im Sinne der oben genannten BGH-Rechtsprechung. Vielmehr entfällt der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Abschlagszahlungen automatisch, wenn kein fristgerechter Antrag gestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2011 – 12 ZB 10.1363 – juris Rn. 10, 19). Die gegenseitigen Ansprüche entstehen nicht durch eine Rechtshandlung, sondern kraft Gesetzes (vgl. BFH, U.v. 17.4.2007 – VII R 27/06 – juris Rn. 15). Zudem hängen Haupt- und Gegenforderung hier letztendlich von derselben Bedingung (Antragstellung durch den Kläger) ab, was nach der Rechtsprechung für eine Aufrechnung unschädlich ist (BGH, U.v. 3.3.2016 – IX ZR 132/15 – juris Rn. 22).
27
Überdies ist zu berücksichtigen, dass ein gesetzlicher Anspruch des Trägers der Kindertagesstätte gegen die Beklagte auf die Fördermittel besteht (Art. 18 Abs. 1 BayKiBiG) und die Abschlagszahlungen für den hier maßgeblichen Bewilligungszeiträume 2013/14 bereits 2013, also vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bewilligt worden waren. Es handelt sich dabei um sogenannte vorläufige Verwaltungsakte, die gegenstandslos werden, sobald die endgültige Entscheidung ergeht; ein ausdrücklicher Aufhebungsbescheid ist nicht erforderlich (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.6.2011 – 12 ZB 10.1363 – juris Rn. 7; VG München, U.v. 10.11.2016 – M 17 K 15.4663 – juris Rn. 52 m.w.N.). Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Beklagte eine Aufrechnungsmöglichkeit künstlich geschaffen hat, was ihren Vertrauensschutz und damit auch die Aufrechnungsmöglichkeit ausschließen würde. Vielmehr entstehen die Forderungen hier quasi automatisch (vgl. a. BFH, U.v. 25.7.2012 – VII R 29/11 – juris Rn. 12), so dass sie vor Verfahrenseröffnung dem Grunde nach angelegt waren. Bestätigt wird dies letztendlich auch durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH), wonach es für eine Aufrechnung sogar unschädlich ist, wenn noch nicht einmal der Verwendungsnachweis des Anspruchsinhabers vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegt wurde (vgl. BayVGH, U.v. 14.9.2009 – 12 B 081016 – juris Rn. 44). Dies muss entsprechend bzw. erst recht gelten, wenn lediglich der Antrag noch fehlt, da in beiden Fällen die Höhe der Forderungen erst danach abschließend berechnet wird.
28
Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Antrag auf Endabrechnung nach Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG zwar bis 30. April des Folgejahres gestellt werden muss, es dem Berechtigten aber unbenommen ist, diesen Antrag auch zu einem früheren Zeitpunkt zu stellen, dafür, dass die jeweiligen Forderungen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits im Kern bestanden. Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht sachgerecht, die Frage der Aufrechnungsmöglichkeit unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob der Betreffende den Antrag (zufällig) vor oder nach der Insolvenzeröffnung gestellt hat.
29
In der Gesamtschau waren daher auch die Hauptforderung und die Gegenforderung II vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Grunde nach und im Kern schon im Sinne der Rechtsprechung des BGH angelegt, so dass die Voraussetzungen des – weit auszulegenden – § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt sind.
30
Eine andere Beurteilung ergibt sich Übrigen auch nicht, wenn man der neueren Rechtsprechung des BFH (zu § 96 InsO) folgt, wonach erforderlich ist, dass sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Auch dies ist hier der Fall, da zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich die (formelle) Antragstellung gefehlt hat.
31
2.3 Die Aufrechnung ist hier auch nicht nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Hauptforderung unbedingt und fällig wird, bevor die Gegenforderung durchsetzbar ist. Die Gegenforderung I und die Gegenforderung III wurden aber bereits vor der Hauptforderung durchsetzbar. Die Gegenforderung II wurde gleichzeitig mit der Hauptforderung durchsetzbar, da der Antrag auf Endabrechnung (und die Endabrechnung selbst) jeweils vom gleichen Tag datieren. Eine derartige Konstellation wird von der Ausschlussnorm des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nach dessen eindeutigem Wortlaut nicht erfasst.
32
2.4 Schließlich ist die Aufrechnung auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig, da § 95 Abs. 1 InsO nach seinem Normzweck Vorrang vor dieser Vorschrift hat, wenn die Hauptforderung, wie hier, bereits vor Verfahrenseröffnung im Kern gesichert war (s. z.B. BGH, U.v. 3.3.2016 – IX ZR 132/15 – juris Rn. 26; BFH, U.v. 25.7.2012 – VII R 29/11 – juris Rn.12; BeckOK InsR/Liefke, 35 Ed. 15.4.2024, InsO, § 95 Rn. 3). Wenn die Aufrechnungslage gemäß § 95 InsO anerkannt ist, kann diese nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig sein (Windel in: Jaeger, InsO, 1. AUfl. 2007, § 96 Rn. 14).
33
Da die Beklagte somit mit den Gegenforderungen I bis III (insgesamt … €) gegen die Forderung des Klägers (* … €) aufrechnen konnte, kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der §§ 95, 96 InsO auch hinsichtlich der weiteren Gegenforderung in Höhe von … € erfüllt sind, die erst mit Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom ... 2015 von der Beklagten geltend gemacht wurde.
34
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
35
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).