Titel:
Erfolglose Asylklage einer ivorischen Staatsangehörigen (Dublin-Verfahren)
Normenketten:
Dublin III-VO Art. 22
AsylG § 29 Abs. 1a, § 34
Leitsätze:
1. Die Fiktion der Stattgabe des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuchs zieht die Verpflichtung des ersuchten Mitgliedsstaates nach sich, die betreffende Person wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Vorliegen systemischer Mängel des spanischen Asylsystems gibt es im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine Anhaltspunkte. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin, Spanien, Zuständigkeitsübergang aufgrund Fristablauf, keine systemischen Mängel, Asylklage, Elfenbeinküste, Dublin III Verfahren, Übernahmeersuchen, Zuständigkeitsübergang, Spanienüberstellung, erfolgreiche Rückführung, erneute Einreise, Abschiebungsanordnung, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 27053
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und die Abschiebungsanordnung nach Spanien im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
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1. Die Klägerin ist nach eigenen Angaben ivorische Staatsangehörige vom Volk der Djola und islamischen Glaubens. Sie reiste erstmals am 14. Mai 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. Juni 2023 einen förmlichen Asylantrag. Ausweislich eines EURODAC-Treffers wurde die Klägerin am 16. Februar 2023 in Puerto del Rosario, Spanien aufgegriffen und hat dort Fingerabdrücke abgegeben. Ihr Asylantrag wurde daraufhin mit Bescheid vom 11. September 2023 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Spanien wurde angeordnet.
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Eine hiergegen gerichtete Klage sowie ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung wurden wegen Versäumnis der Klage- bzw. Antragsfrist jeweils als unzulässig abgewiesen bzw. abgelehnt (VG Würzburg, GB.v. 24.10.2023 – W 6 K 23.50377; B.v. 27.9.2023 – W 6 S 23.50378).
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Am 26. März 2024 wurde die Klägerin erfolgreich nach Spanien überstellt. Am 1. April 2024 reiste sie erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. April 2024 wiederum einen Asylantrag.
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Bei ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des erneuten Asylantrags gab sie an, sie sei mit anderen abgeschobenen Asylbewerbern in Spanien am Flughafen angekommen, wo man sie gefragt habe, ob sie vorhabe, erneut nach Deutschland einzureisen. Sie habe gesagt, ja, da sie in Spanien niemanden kenne. Sie habe vier Tage in Spanien verbracht und sei dann zurückgekehrt. Einen Asylantrag habe sie in dieser Zeit nicht gestellt. Sie habe in Spanien Angst davor, vergewaltigt zu werden, da sexuelle Übergriffe dort häufig vorkämen. In Spanien kümmere sich außerdem niemand um sie und sie sei auf sich allein gestellt. Während ihres ersten Aufenthalts in Spanien hätten marokkanische junge Männer versucht, sie und Freundinnen zu vergewaltigen. Sie leide an Rheuma und Knochenschmerzen.
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Am 11. Juni 2024 wurde ein Übernahmeersuchen an Spanien gerichtet, welches unbeantwortet blieb.
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Mit Bescheid vom 16. August 2024 – zugestellt am 21. August 2024 – lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Spanien (Nr. 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4) wurden angeordnet.
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2. Am 23. August 2024 erhob die Klägerin Klage und beantragte,
- 1.
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Der Bescheid der Beklagten (Gesch.Z.: ...) vom 16. August 2024, zugestellt am 21. August 2024, wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, ein Asylverfahren nach nationalem Recht durchzuführen.
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Hilfsweise, dass die Beklagte verpflichtet wird, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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Zur Begründung verweist die Klägerin auf die Anhörung beim Bundesamt.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragt für die Beklagte,
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Zur Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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3. Mit Beschluss vom 25. September 2024 übertrug die Kammer den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung.
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Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 26. September 2024 – der Klägerin zugestellt am 27. September 2024 – zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 8. Oktober 2024 mit, sie wünsche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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4. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte (jeweils einschließlich des Erstverfahrens) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) ist das Klagebegehren der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin dahingehend auszulegen, dass sie die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. August 2024 begehrt sowie hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Spanien. Der weitere Antrag, die Beklagte zur Durchführung eines Asylverfahrens nach nationalem Recht zu verpflichten, hat keine eigenständige Bedeutung, da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Beklagte dem im Falle eines Obsiegens der Klägerin nicht nachkommen würde.
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Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. August 2024 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Spanien (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht aufgrund der Zuständigkeit Spaniens als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Spanien angeordnet. Auch die übrigen im Bescheid getroffenen Entscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Das Vorbringen der Klägerin führt zu keiner abweichenden Sichtweise. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Lediglich ergänzend ist auszuführen:
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1. Über die Klage konnte gemäß § 84 Abs. 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
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Einer Einwilligung der Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid bedarf es nicht (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 84 Rn. 18).
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2. Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. August 2024 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Spanien (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
24
Das Gericht verweist zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist auszuführen:
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a.) Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Spanien ist gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin zuständig. Es kann dabei dahinstehen, ob der von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid genannte Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO im vorliegenden Fall tatsächlich die Zuständigkeit Spaniens begründet, was schon aufgrund der Tatsache, dass nach Aktenlage nicht erkennbar ist, dass die Klägerin in Spanien einen Asylantrag gestellt hat (vgl. auch EURODAC-Treffer der Kategorie 2; Bl. 32 der Behördenakte), fraglich erscheint. Im Übrigen begründet Art. 18 Dublin III-VO für sich genommen keine Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates, sondern setzt diese vielmehr voraus (vgl. Vollrath in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, 19. Edition Stand: 1.7.2024, Art. 18 Dublin III-VO, Rn. 1), was sich auch aus dessen systematischer Stellung im Kapitel V. „Pflichten des zuständigen Mitgliedsstaates“ und dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO („Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedsstaat…“) ergibt.
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Die Zuständigkeit Spaniens folgt hier jedenfalls aus Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO, da die spanischen Behörden auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes nicht innerhalb von zwei Monaten geantwortet haben und damit die Zuständigkeit auf Spanien übergegangen ist. Der Zuständigkeitsübergang tritt dabei unabhängig von der materiellen Rechtslage allein aufgrund des Fristablaufs ein (so auch: VGH BW, B.v. 19.1.2015 – 11 S 2508/14 – juris Rn. 8; VG Bayreuth, B.v. 12.8.2022 – B 9 S 22.50143 – juris Rn. 15; Vollrath in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, 19. Edition Stand: 1.7.2024, Art. 22 Dublin III-VO, Rn. 3; Nuckelt in BeckOK, Ausländerrecht, 42. Edition Stand: 1.7.2024, § 29 AsylG Rn. 15; a.A. VG München, B.v. 13.6.2017 – M 8 S 17.51442 – juris Rn. 14; VG Düsseldorf, B.v. 22.4.2015 – 22 L 246/15.A – juris Rn. 14).
28
Bei den in der Dublin III-VO enthaltenen Regelungen zum Zuständigkeitsübergang im Falle des Fristablaufs handelt es sich um echte Zuständigkeitsvorschriften und nicht um einen normativ fingierten Selbsteintritt (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2015 – 13a ZB 15.50001 – juris Rn. 3). Es ist nicht erforderlich, dass eine Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedsstaates nach den übrigen Normen der Dublin III-VO gegeben ist, zumal die Regelungen zum Zuständigkeitsübergang nach Fristablauf bei diesem Normverständnis überflüssig wären, da die Zuständigkeit bereits anderweitig geklärt ist. Hierfür sprechen auch der Wortlaut von Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO bzw. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO, wonach die Fiktion der Stattgabe des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuchs die Verpflichtung des ersuchten Mitgliedsstaates nach sich zieht, die betreffende Person wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen sowie das Ziel der Dublin III-VO, die Frage der Zuständigkeit möglichst schnell zu klären (vgl. 5. Erwägungsgrund der Dublin III-VO). Ferner spricht sowohl Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO als auch Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO vom ersuchten und nicht vom zuständigen Mitgliedsstaat.
29
Da der Asylantrag der Klägerin demnach auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig ist, kann dahinstehen, ob – wie die Beklagte offenbar meint – auch eine Unzulässigkeit auf Grund von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 Abs. 1 AsylG gegeben ist, oder ob in Fällen, in denen – wie hier – bislang nur eine rechtskräftige Zuständigkeitsentscheidung im Dublin-System getroffen wurde, der Anwendungsbereich von § 71 AsylG nicht eröffnet ist (vgl. zum Meinungsstand: Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 71 AsylG Rn. 11 m.N. zur Rechtsprechung; siehe zu Letzterem: VG München, B.v. 15.4.2019 – M 9 E 19.50335 – juris Rn. 20). Die Beklagte hat in dem Bescheid zudem unabhängig vom Vorliegen neuer Erkenntnisse oder Elemente erkennbar in der Sache geprüft, ob Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin anhand der Kriterien der Dublin III-VO zuständig ist, und ob das spanische Asyl- und Aufnahmesystem an systemischen Mängeln leidet (S. 2 ff. des Bescheides).
30
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für eine Verpflichtung zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO bzw. für ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich.
31
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwenigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. NdsOVG, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
32
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
33
Für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel des spanischen Asylsystems gibt es im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) keine Anhaltspunkte (so zuletzt auch: VG Würzburg, U.v. 1.7.2024 – W 4 K 24.50166 – n.v.; VG Düsseldorf, B.v. 23.4.2024 – 22 L 298/24.A; VG Ansbach, B.v. 17.1.2024 – AN 17 S 23.50864; VG München, B.v. 27.11.2023 – M 10 S 23.51016 – alle juris), zumal die Klägerin diesbezüglich nichts substantiiert vorgetragen hat.
34
Nach der Erkenntnismittellage verfügt Spanien über ein rechtsstaatliches Asylsystem mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Ein Asylverfahren kann, je nach Nationalität des Antragstellers, zwischen drei Monaten und zwei Jahren dauern, in Sonderfällen auch bis zu drei Jahren (vgl. BFA, LIS – Spanien, 8.11.2022, S. 5 und 6).
35
Bei Ankunft der Dublin-Rückkehrer koordiniert sich die Asylbehörde (OAR) mit dem Sozialministerium, das für die Unterbringung zuständig ist. Dublin-Rückkehrer haben keine Probleme beim neuerlichen Zugang zum Asylverfahren (vgl. EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Spain, 11.5.2023, S. 5). Ihre Interviews werden priorisiert behandelt, sofern sie einen Asylantrag stellen wollen. Wenn ihr voriges Verfahren abgebrochen wurde („discontinued“), müssen sie einen neuerlichen Asylantrag einbringen, der jedoch nicht als Folgeantrag gilt (vgl. aida, Country Report: Spain, 2023 Update, 30.5.2024, S. 69).
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Dublin-Rückkehrer haben ein Recht auf Unterbringung und soziale Dienste zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse. Die materiellen Bedingungen sind für alle Antragsteller dieselben, egal in welcher Art des Verfahrens sie sich befinden. Die Unterstützungsleistungen werden über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten gewährt und können in Fällen besonderer Schutzbedürftigkeit auf maximale 24 Monate verlängert werden (vgl. aida, Country Report: Spain, 2022 Update, 1.4.2023, S. 65). Asylbewerber erhalten eine monatliche finanzielle Zuwendung, ein zusätzliches Taschengeld sowie sonstige Bedarfsgüter, die ihnen zur Verfügung gestellt werden (vgl. aida, Country Report: Spain, 2023 Update, 30.5.2024, S. 107). Ferner sind Asylwerber gesetzlich berechtigt, sechs Monate nach der Einbringung ihres Asylantrags eine Arbeit aufzunehmen (vgl. BFA, LIS – Spanien, 8.11.2022, S. 16).
37
Generell ist das Unterbringungssystem in Spanien bemüht, Asylwerber in einer Aufnahmeeinrichtung unterzubringen, die ihrem Profil und ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Zwischen der Asylbehörde und der für die Unterkunft zuständigen NGO wird eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die geeignetste Unterkunft für die jeweilige Person ausgesucht. Es gibt diesbezüglich auch einen fortlaufenden Überwachungsmechanismus. Vulnerable können bis zu 24 Monate untergebracht werden anstatt der üblichen 18 Monate. Die Aufnahmezentren für Asylwerber bieten zudem Jobtraining und Sprachkurse an (vgl. BFA, LIS – Spanien, 8.11.2022, S. 9 und 16).
38
Asylbewerber haben, wie spanische Bürger, vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem (vgl. aida, Country Report: Spain, 2023 Update, 30.5.2024, S. 124). Für Asylbewerber, die sich im spanischen Aufnahmesystem befinden, ist die allgemeine Gesundheitsversorgung im ganzen Land verfügbar. Die jeweiligen Sozialdienste und NGOs, die für das spanische Aufnahmesystem zuständig sind, bieten darüber hinaus Beratung und Hilfestellung bei grundlegenden Verfahren, wie dem Erhalt einer Gesundheitskarte oder der Registrierung im örtlichen Rathaus an. Sobald Asylwerber eine Gesundheitskarte erhalten haben, können sie einen Hausarzt wählen, der für die Überweisung zu medizinischen Tests und Fachärzten erforderlich ist (vgl. BFA, LIS – Spanien, 8.11.2022, S. 18).
39
Soweit die Klägerin vorträgt, sie fürchte in Spanien Opfer sexueller Gewalt zu werden, stellt dies keinen dem spanischen Asylsystem innewohnenden systemischen Mangel, sondern ggf. kriminelles Unrecht dar. Die Klägerin ist diesbezüglich gehalten, sich an die spanische Polizei und Sicherheitsbehörden zu wenden.
40
Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass ein Asylbewerber nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Dublin-Regelungen insbesondere kein Wahlrecht hat, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft oder nach Ablehnung eines Asylantrags in einem Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat weiterzureisen, um eine weitere Prüfung seines Asylantrags mit einem für ihn günstigen Ergebnis zu erreichen. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO.
41
Vorstehende Ausführungen zu Schutzsuchenden gelten auch im Falle einer zu berücksichtigenden eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Spanien (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris). Zur Abschätzung der Gefahrenprognose ist eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne Weiteres zu unterstellen (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
42
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte in Spanien allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK darstellen würden (vgl. auch: VG Düsseldorf, B.v. 19.1.2024 – 22 L 3100/23.A – juris).
43
Personen mit Schutzstatus genießen in ganz Spanien Freizügigkeit. Sie haben einen Anspruch nach Zuerkennung des Schutzstatus sechs Monate in Aufnahmeeinrichtungen zu verbleiben und grundsätzlich denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie spanische Bürger. Personen im Integrationsprozess erhalten individuelle Unterstützungsprogramme, etwa für Ausbildung oder die Anerkennung von Qualifikationen. Zwar wird der Zugang zu Arbeitsmarkt aufgrund der generell hohen Arbeitslosigkeit in Spanien erschwert, jedoch besteht Zugang zu Sozialhilfe unter denselben Bedingungen wie für spanische Bürger und in der Praxis besteht dieser ohne besondere Hindernisse. Hinsichtlich medizinischer Versorgung gelten dieselben Bedingungen für Asylbewerber. Auch wenn die Situation auf dem freien Wohnungsmarkt für anerkannt Schutzberechtigte gewissen Schwierigkeiten unterliegt, wird hierdurch nicht die oben näher ausgeführte hohe Schwelle für die Annahme einer generellen Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh erreicht (vgl. zu alledem: BFA, a.a.O., S. 18; aida, Country Report Spain, 2023 Update, S. 155 ff.).
44
Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten.
45
b.) Die Feststellung der Beklagten, dass im Falle der Klägerin keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Spanien bestehen, ist zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) ebenfalls nicht zu beanstanden. Auf die vorstehenden Ausführungen wird im Einzelnen verwiesen.
46
Insbesondere hat die Klägerin individuell nichts vorgetragen, was das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Spanien nahelegen könnte. Insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheids Bezug (§ 77 Abs. 3 AsylG) und macht sich diese zu Eigen. Ebenso wird auf die vorstehenden Ausführungen vollumfänglich verwiesen. Die Klägerin ist bezüglich ihrer Befürchtung, Opfer sexueller Gewalt zu werden, auf die spanischen Sicherheitsbehörden zu verweisen. Vorstehendes gilt auch hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wegen der unspezifischen nicht durch ärztliche Atteste glaubhaft gemachten gesundheitlichen Beschwerden, welche die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung vorgetragen hat, muss sie sich auf das spanische Gesundheitssystem verweisen lassen, zu dem sie nach obigen Ausführungen Zugang hat.
47
Es ist aufgrund fehlender ärztlicher Atteste zudem nicht erkennbar, dass sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung der Klägerin im Falle einer Überstellung nach Spanien unmittelbar wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
48
c.) Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG beruhende Abschiebungsanordnung nach Spanien begegnet nach obigen Ausführungen keinen rechtlichen Bedenken.
49
Das in Nr. 4 des Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG und ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind hinsichtlich der Befristung, die sich innerhalb des gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG zulässigen Rahmen bewegt, keine Ermessensfehler ersichtlich (§ 114 VwGO), zumal diesbezüglich keine schützenswerten Belange (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 13) vorgetragen wurden.
50
Die im Vergleich zum Erstverfahren (dort 21 Monate) auf 30 Monate verlängerte Befristung des Einreiseverbotes ist – wie die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausführt – vor dem Hintergrund, dass die Klägerin während der Gültigkeit des ihr gegenüber ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbots erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, gerechtfertigt und ermessensgerecht.
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3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.