Titel:
Verwirkung des Rechtsschutzinteresses und der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags nach langem Zeitablauf
Normenkette:
StVollzG § 109, § 112, § 113
Leitsätze:
1. Im Strafvollzugsgesetz ist bereits die Grundaussage des Gesetzgebers angelegt, dass Rechtsschutz insgesamt in Strafvollzugsangelegenheiten nicht unbegrenzt bestehen soll und jedenfalls zeitlich begrenzt ist. Das gilt auch dann, wenn eine Maßnahme nicht schriftlich bekannt gegeben wurde. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Anlehnung an die Jahresfrist in § 113 Abs. 3 StVollzG ist bei deutlichem Verstreichenlassen einer solchen Zeitspanne von einer Verwirkung der Rechtsmittelmöglichkeiten auszugehen (hier fast 1 1/2 Jahre nach Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt und Einbringung der Habe die Beanstandung der Anwesenheit von Mitgefangenen). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafvollzug, Strafgefangener, Aufnahme in JVA, Einbringung der Habe, Anwesenheit Mitgefangener, Rechtswidrigkeit, Rechtsschutzinteresse, Verwirkung, Feststellungsantrag, Feststellungsinteresse
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 10.09.2024 – 204 StObWs 371/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26854
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29.04.2024 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … wird zurückgewiesen.
3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 100 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt S...
2
Mit Schreiben vom 29.04.2024, hier eingegangen am 02.05.2024, hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragt. Konkret beantragt er festzustellen, dass die Anwesenheit anderer Gefangener während des Aufnahmeverfahrens am 18.01.2023 in der Effektenkammer der JVA S... rechtswidrig gewesen sei. Zudem beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt … Konkret seien die in der Effektenkammer der JVA tätigen Gefangenen anwesend gewesen. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr. Es sei nicht ausschließbar, dass auch künftig andere Gefangene zugegen seien, wenn er z.B. seine Habe sichte. Auf strebe er eine Schadenersatz- und Amtshaftungsklage an.
3
Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 12.06.2024 Stellung genommen und sah den Antrag als unzulässig, da verwirkt, jedenfalls aber als unbegründet an. Der Antragsteller sei am 18.01.2023 von einer anderen JVA zugeführt worden. Das Aufnahmeverfahren i.S.d. Art. 7, 8, 9 BayStVollzG betreffe lediglich die belastende erste Phase des Vollzugs. Die Aufnahme im tatsächlichen Sinne, also der Vorgang der Abgabe der eingebrachten Habe, sei gesetzlich nicht geregelt. Bislang seien geeignete Mitgefangene für Hilfstätigkeiten herangezogen worden. Die Registrierung der Habe, die Sichtung und die Durchsuchung der Effekte sei ausschließlich von Vollzugsbediensteten durchgeführt worden. Vorsorglich werde jedoch die hiesige Handhabung umgestellt, dass bei der Aufnahme im tatsächlichen Sinne Mitgefangene künftig nur dann anwesend seien, wenn der betroffene Gefangene ausdrücklich dazu seine Zustimmung erkläre.
4
Der Antragsteller erhielt Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
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Er hat dies mit Schreiben vom 26.06.2024 getan. Zum Zeitpunkt der Antragstellung führte der Antragsteller aus, ihm sei vorher nicht bekannt gewesen, dass die Anwesenheit anderer bei der Aufnahme rechtswidrig sei.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schriftstücke verwiesen und Bezug genommen.
7
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig und war deshalb zurückzuweisen.
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Der Antrag erweist sich als unzulässig, da dem Antragsteller ein Rechtsschutzinteresse fehlt. Die Aufnahme in die JVA S... liegt ca. 1, 5 Jahre zurück.
9
Rechtsschutz wird zeitlich nicht unbegrenzt gewährt. Zwar sieht das Gesetz explizit, wenn eine Maßnahme nicht schriftlich bekannt gegeben wurde, keine zeitliche Begrenzung wie etwa in § 112 StVollzG vor. Allerdings ist im Gesetz bereits die Grundaussage des Gesetzgebers, dass Rechtsschutz insgesamt in Strafvollzugsangelegenheiten nicht unbegrenzt bestehen soll, angelegt. Dies ergibt sich zum einen aus der Existenz des § 112 StVollzG und § 113 Abs. 3 StVollzG. Die Existenz dieser Vorschriften besagt nämlich gerade nicht, dass lediglich für die dort genannten Antragsarten in der dort genannten Form eine zeitliche Begrenzung für den Rechtsschutz besteht. Vielmehr ist diesen Normen eine allgemeine Grundentscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass Rechtsschutz nicht zeitlich unbegrenzt möglich sein soll. Eine solche unbegrenzte zeitliche Rechtsschutzmöglichkeit wäre auch nicht praxistauglich, da nach langen Zeitspannen die Beweiswürdigung erheblich erschwert sein kann.
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In Anlehnung an die Jahresfrist in § 113 Abs. 3 StVollzG ist bei deutlichem Verstreichenlassen einer solchen Zeitspanne von einer Verwirkung der Rechtsschutzmöglichkeiten auszugehen. Der Antragsteller hatte bereits bei der Aufnahme Kenntnis, dass Mitgefangene zugegen waren. Insofern hätte er bereits zeitnah, wenn er sich dagegen hätte wenden wollen, Rechtsschutz suchen können. Soweit der Antragsteller nunmehr vorträgt, ihm sei erst später bekannt geworden, dass die Anwesenheit anderer Gefangener bei der Aufnahme rechtswidrig sei, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Würdigung. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Anwesenheit anderer Gefangenen zu Hilfstätigkeiten rechtswidrig ist oder nicht. Die Tatsachen, die einer etwaigen Überprüfung zugrunde liegen, waren dem Antragsteller bereits bei Aufnahme bekannt. Erst jetzt fühlt er sich jedoch in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Sofern ihn die Anwesenheit anderer bei der Aufnahme seiner Ansicht nach in Rechten verletzt, hätte er mithin zeitnah dies rechtlich überprüfen lassen können. Überdies ist nicht ersichtlich, wann und woher der Antragsteller etwaige Kenntnis erlangt haben soll, dass das Vorgehen bei der JVA bei der Aufnahme in seinem Fall rechtswidrig gewesen sein soll. Dies wurde im Antrag nicht dargelegt. Der Antragsteller weiß jedoch aus der Stellungnahme der JVA, dass konkrete Daten für die Frage, wann ein Antrag zulässig ist, für das Gericht von Relevanz ist. Insofern ist der Antrag nicht substantiiert.
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Überdies ist ein Feststellungsinteresse nicht gegeben. Eine Wiederholungsgefahr ist nicht gegeben. Die JVA hat glaubhaft dargelegt, dass künftig die Praxis bei der Aufnahme geändert wird. Sofern der Antragsteller darlegt, dass andere Gefangene bei der Sichtung seiner Habe zugegen sein könnten, belegt dies keine konkrete Wiederholungsgefahr. Gegenstand im vorliegenden Verfahren ist nicht die Sichtung der Habe nach Aufnahme. Ob im Nachgang bei Sichtung der Habe überhaupt schon einmal ein anderer Gefangener zugegen war, ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht vorgetragen.
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Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff ist nicht gegeben. Die Anwesenheit der Mitgefangenen betraf die Einbringung der Habe. Sensible Daten oder Schriftstücke konnten von Mitgefangenen nicht eingesehen werden.
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Eine Feststellung zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses kommt nicht in Betracht. Ein solches Feststellungsinteresse ist nur dann anzunehmen, wenn der beabsichtigte Prozess nicht von vorneherein offensichtlich aussichtslos erscheint. Vorliegend ist nicht erkennbar, welchen Schaden der Antragsteller überhaupt erlitten haben soll. Es ist nicht ersichtlich, welche Gegenstände genau und welche Dokumente genau etwaig Mitgefangenen zur Kenntnis gelangt sind bei der Aufnahme. Eine nähere Bezeichnung erfolgt ist. Überdies ist eine Rechtswidrigkeit der Maßnahme nicht zu erkennen ist, so dass Amtshaftungsansprüche somit im Ergebnis nicht vorliegen.
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In Übereinstimmung mit den Ausführungen der JVA in der Stellungnahme vom 12.06.2024 betrifft das Aufnahmeverfahren i.S.d. Art. 7, 8, 9 BayStVollzG lediglich die belastende erste Phase des Vollzugs. Die Aufnahme im tatsächlichen Sinne, also der Vorgang der Abgabe der eingebrachten Habe, ist gesetzlich nicht geregelt. Die Registrierung der Habe, die Sichtung und die Durchsuchung der Effekte wurde ausschließlich von Vollzugsbediensteten durchgeführt worden. Auch der Antragsteller trägt im Antrag lediglich vor, dass die Mitgefangenen zugegen waren und Kenntnis von Sachen erlangt haben. Ein Vortrag dahingehend, dass mehr als sog. Hilfstätigkeiten von Mitgefangenen verrichtet wurden, ist nicht erfolgt.
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Auch wenn der Antragsteller in seiner Stellungnahme vom 26.06.2024 wünscht, dass bei Erwägung der Kammer den Antrag zurückzuweisen eine richterliche Einvernahme von ihm erfolgt, war diesem Begehren nicht zu entsprechen. Das Gericht ist nicht verpflichtet eine vorläufige rechtliche Würdigung bekannt zu geben vor der Entscheidung. Es ist auch nicht ersichtlich, welchen weiteren Vortrag der Antragsteller vorbringen will.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 StVollzG.
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Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 60, 52 Absatz 1 bis 3 GKG.