Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.09.2024 – 8 ZB 23.485
Titel:

Gemeindeklage gegen bergrechtlichen Abschlussbetriebsplan – innerprozessuale Präklusion

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 4, § 6
BBergG § 53, § 55
UIG § 2 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2
Leitsätze:
1. Gem. § 1 Abs. 4 UmwRG sind umweltbezogene Rechtsvorschriften Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen oder Faktoren iSv § 2 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 UIG beziehen. Der Begriff ist vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention, die 1:1 umgesetzt werden sollte, weit auszulegen. Entscheidend ist, ob die fragliche Bestimmung in irgendeiner Weise einen Umweltbezug hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem Kläger kann erwartet werden, dass er innerhalb der Klagebegründungsfrist zumindest das vorträgt, was ihm auch ohne weitere Sachverhaltsermittlung auf der Grundlage seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren und der Behandlung seiner Einwendungen in der Zulassungsentscheidung bekannt ist, und auf diese Weise den Prozessstoff in den Grundzügen fixiert. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens setzt nicht voraus, dass seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde; § 6 S. 2 UmwRG verweist nicht auf § 87b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwGO. Die innerprozessuale Präklusion nach § 6 UmwRG ist somit von der Verzögerungsfrage abgekoppelt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), Zulassung eines Abschlussbetriebsplans, umweltbezogene Rechtsvorschrift, Versäumnis der Klagebegründungsfrist, Aarhus-Konvention, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, innerprozessuale Präklusion
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 26.01.2023 – RO 2 K 19.42
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26815

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 60.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger, eine Marktgemeinde, wendet sich gegen die Zulassung eines bergrechtlichen Abschlussbetriebsplans der Beigeladenen.
2
Die Beigeladene legte der Regierung von Oberfranken – Bergamt N. – mit Schreiben vom 25. November 2015 einen Abschlussbetriebsplan für das ehemalige Bl.-Erkundungsbergwerk Fr. vor. Das Bergamt ließ diesen mit Zulassungsbescheid vom 5. Dezember 2018 unter diversen Nebenbestimmungen zu.
3
Gegen den Zulassungsbescheid hat der Kläger am 8. Januar 2019 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen. Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2019, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 4. Oktober 2019, begründet.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Januar 2023 abgewiesen. Der Kläger sei mit seinem Klagevortrag nach § 6 UmwRG präkludiert.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtschutzbegehren weiter. Sein Klagevorbringen sei nicht präkludiert. Die Zulassung sei nicht unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften erteilt worden; lediglich der technische Umfang und der Ablauf der Sanierungsmaßnahme seien geregelt worden. Der Sachverhalt hätte mit geringem Aufwand ohne Klagebegründung ermittelt werden können. Die verspätete Klagebegründung beruhe darauf, dass der entscheidungserhebliche Prozessstoff erst aufwendig hätte gesammelt werden müssen. Das Verwaltungsgericht hätte vor Ablauf der 10-Wochen-Frist einen Hinweis erteilen müssen.
II.
6
A. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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I. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
8
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Bei der Beurteilung ist nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
9
Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei mit seinem gesamten Klagevorbringen nach § 6 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 UmwRG präkludiert, nicht ernstlich in Zweifel gezogen.
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1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt (vgl. UA S. 15 ff.), dass es sich bei dem angefochtenen Zulassungsbescheid um einen Verwaltungsakt handelt, der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 UmwRG unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts (§ 53 Abs. 1 i.V.m. § 55 BBergG) zugelassen wurde.
11
Gemäß § 1 Abs. 4 UmwRG sind umweltbezogene Rechtsvorschriften Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen oder Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 UIG beziehen. Der Begriff ist vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention, die 1:1 umgesetzt werden sollte (vgl. BT-Drs. 18/9526 S. 32, 36), weit auszulegen. Entscheidend ist, ob die fragliche Bestimmung in irgendeiner Weise einen Umweltbezug hat (vgl. BVerwG, U.v. 28.9.2023 – 4 C 6.21 – NVwZ 2024, 343 = juris Rn. 41; EuGH, U.v. 8.11.2022 – C-873/19 – NJW 2022, 3769 = juris Rn. 56). Der Bescheid vom 5. Dezember 2018, mit dem der Abschlussbetriebsplan der Beigeladenen zugelassen wurde, regelt entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht nur den technischen Umfang und den Ablauf der Sanierungsmaßnahme. Er enthält insbesondere naturschutz- und wasserrechtliche Nebenbestimmungen (vgl. Nr. I.1.2 [Beseitigung von Wald], Nr. II.7 [wassergefährdende Stoffe], Nr. II.16 [naturschutzfachliche Bestandsaufnahme und Bewertung nebst artenschutzrechtlicher Prüfung; landschaftspflegerischer Begleitplan] und Nr. II.18 [Vermeidung der Verunreinigung der Gewässer bzw. Vorfluter]) und bezieht sich deshalb auf den Zustand von Umweltbestandteilen nach § 2 Abs. 3 UIG (vgl. auch BVerwG, U.v. 6.10.2022 – 7 C 5.21 – NuR 2023, 256 = juris Rn. 13; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Juni 2024, § 1 UmwRG Rn. 159 ff.). Im Übrigen geht der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags nicht substantiiert darauf ein, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts durch die zugelassenen Maßnahmen in besonderer Weise die Umweltbestandteile Boden und Wasser betroffen sind (UA S. 16).
12
Die vom Kläger angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach umweltbezogene Rechtsvorschriften auf der Ebene der Bauleitplanung und nicht auf der Ebene der Zulassungsentscheidung eines einzelnen Bauvorhabens zu prüfen seien (so BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198 – NuR 2019, 483 = juris Rn. 9; a.A. BayVGH, U.v. 25.9.2023 – 9 BV 22.481 – BayVBl 2024, 167 = juris Rn. 41 m.w.N.), ist auf die hier vorliegende bergrechtliche Zulassungsentscheidung nicht übertragbar.
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2. Der Vorhalt, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b UmwRG lägen mangels Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht vor, geht ins Leere. Das Ersturteil stellt darauf zutreffend nicht ab. Denn gegenüber § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, der einen Auffangtatbestand darstellt, besteht ein Exklusivitätsverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2023 – 10 C 4.23 – BVerwGE 179, 256 = juris Rn. 14; U.v. 26.9.2019 – 7 C 5.18 – BVerwGE 166, 321 = juris Rn. 25).
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3. Der Zulassungsantrag zeigt auch nicht schlüssig auf, dass die nach Ablauf der zehnwöchigen Klagebegründungsfrist angegebenen Erklärungen und Beweismittel zuzulassen gewesen wären, weil der Kläger die Verspätung genügend entschuldigt hätte (§ 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
15
Die pauschale Behauptung der Klägerseite, die Verzögerung der Klagebegründung habe hauptsächlich darauf beruht, dass erst aufwendig durch weitere Ermittlungen über das Landratsamt und das Wasserwirtschaftsamt entscheidungserheblicher Prozessstoff hätte gesammelt werden müssen, lässt keinen berechtigten Entschuldigungsgrund erkennen. Im Übrigen kann von einem Kläger erwartet werden, dass er innerhalb der Klagebegründungsfrist zumindest das vorträgt, was ihm auch ohne weitere Sachverhaltsermittlung auf der Grundlage seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren und der Behandlung seiner Einwendungen in der Zulassungsentscheidung bekannt ist, und auf diese Weise den Prozessstoff in den Grundzügen fixiert, anstatt das Gericht und die übrigen Beteiligten über die Klagegründe vollständig im Unklaren zu lassen (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 = juris Rn. 9; U.v. 30.9.1993 – 7 A 14.93 – NVwZ 1994, 371 = juris Rn. 50 zu § 5 Abs. 3 VerkPBG).
16
4. Die Wertung des Ausgangsgerichts, es sei nicht mit geringem Aufwand möglich gewesen, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln (vgl. UA S. 19 f.), zieht der Zulassungsantrag ebenfalls nicht ernsthaft in Zweifel.
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Ausgehend von seinem Normzweck, den Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar zu halten (vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16), ist der Ausnahmetatbestand in § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO eng auszulegen. Die Vorschrift des § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und betrifft den Fall, dass die gesetzlich normierte Mitwirkungspflicht des Klägers im Einzelfall ihre Bedeutung verliert, weil sich der Sachverhalt so einfach darstellt, dass er ohne nennenswerten Aufwand von Amts wegen ermittelt werden kann. Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung des Klägers fehl, es sei von einem geringen Ermittlungsaufwand für das Gericht auszugehen, weil sich aus dem Zulassungsbescheid (vgl. dort S. 24 ff.) ergebe, aus welchen tatsächlichen Gründen die Entscheidung angegriffen werde. Die vom Kläger nach § 6 Satz 1 UmwRG geforderte Klagebegründung kann sich nicht auf die pauschale Bezugnahme auf die im Zulassungsverfahren erhobenen Einwände oder deren wörtliche Wiederholung beschränken, sondern muss sich mit dem Inhalt der Zulassungsentscheidung auseinandersetzen. Hierüber Spekulationen anzustellen, ist nicht Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Sachverhaltsermittlung (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 = juris Rn. 17; U.v. 3.11.2020 – 9 A 7.19 – BVerwGE 170, 138 = juris Rn. 17).
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5. Das Vorbringen des Klägers, die erstinstanzliche Verfahrensdauer von vier Jahren hätte sich auch bei Einhaltung der Klagebegründungsfrist nach § 6 Satz 1 UmwRG nicht wesentlich verkürzt, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens setzt nicht voraus, dass seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde; § 6 Satz 2 UmwRG verweist nicht auf § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Die innerprozessuale Präklusion nach § 6 UmwRG ist somit von der Verzögerungsfrage abgekoppelt (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 – 9 A 8.20 – BVerwGE 171, 346 = juris Rn. 19; Rennert, DVBl 2017, 69/75 f.).
19
6. Entgegen der Auffassung der Klägerseite war das Verwaltungsgericht auch nicht gehalten, den Kläger auf die gesetzliche Frist nach § 6 Satz 1 UmwRG hinzuweisen (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 15; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 UmwRG, Rn. 45; Franzius in Schink/Reidt/Mitschang, UVPG/UmwRG, 2. Aufl. 2023, § 6 UmwRG Rn. 2).
20
II. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
21
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 8.1.2024 – 4 BN 15.23 – UPR 2024, 192 = juris Rn. 1; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20). Der Zulassungsantrag versäumt es bereits, eine solche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im Übrigen sind Sinn und Zweck der Klagebegründungsfrist des § 6 Satz 1 UmwRG (und der vergleichbaren Fristvorschriften in weiteren Fachgesetzen) sowie die daraus resultierenden Anforderungen an Inhalt und Substantiierung der Klagebegründung in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 = juris Rn. 26).
22
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO (zur Nichterstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen im Zulassungsverfahren vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 8 ZB 15.2664 – ZfB 2018, 33 = juris Rn. 24).
23
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 11.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie folgt der Festsetzung durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
24
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).