Titel:
Keine Aussetzung bei Auslegung gleicher Rechtsfragen
Normenketten:
VwGO § 94
ZPO § 251
Leitsätze:
1. Nach § 94 S. 1 VwGO kann das Gericht das Verfahren zwar aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses eines anderen anhängigen Rechtsstreits abhängt. Das ist jedoch nicht der Fall bei der Auslegung von Rechtsfragen, da diese kein Rechtsverhältnis betreffen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Führt die Aussetzung zu einer unnötigen Verzögerung des Verfahrens, da nicht absehbar ist, wann das andere Verfahren entschieden wird, hat die Verfahrensbeschleunigung Vorrang vor der Prozessökonomie. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung, Prozessökonomie, Verfahrensbeschleunigung, Vorgreiflichkeit, Rechtsverhältnis, Vorfrage
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26812
Tenor
I. Die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens vom 25. Januar 2024 und 5. Juni 2024 werden abgelehnt.
II. Die Anträge vom 25. Januar 2024 und 5. Juni 2024 auf Ruhen des Verfahrens werden abgelehnt.
Gründe
1
Über die Anträge vom 25. Januar 2024 und 5. Juni 2024 auf Aussetzung bzw. Ruhen des Verfahrens entscheidet gem. § 87a Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Berichterstatterin.
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1. Die Voraussetzungen der beantragten Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO liegen nicht vor.
3
Nach § 94 Satz 1 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.
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a. Ein solch vorgreifliches Rechtsverhältnis liegt hier nicht vor. Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit bedeutet, dass die Entscheidung, die in dem auszusetzenden Verfahren ergehen soll, nicht ergehen kann, ohne dass auch über eine in beiden Verfahren gemeinsame Vorfrage entschieden wird (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2020 – 3 C 20.866 – juris Rn. 2). Vorliegend „hängt“ die Entscheidung des Senats nicht im Sinne von § 94 VwGO vom Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht im Verfahren Az. 9 B 1.24 ab. Es besteht gerade nicht die Situation, dass die Entscheidung in dem auszusetzenden Verfahren nicht ergehen kann, ohne dass über eine in dem anderen Verfahren anhängige „Vorfrage“ entschieden wird. Denn eine solche Vorfrage liegt schon nicht vor, wenn sich in dem anderen Verfahren die gleichen Rechtsfragen stellen würden. Die Auslegung von Rechtsfragen betrifft kein Rechtsverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 11.2.2009 – 2 A 7.06 – BayVBl 2009, 474 = juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 14 ZB 18.1000 – juris Rn. 4).
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b. Soweit die Klägerin auf prozessökonomische Gründe hinweist, rechtfertigen auch solche keine Aussetzung des Verfahrens in analoger Anwendung des § 94 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2021 – 6 A 11.19 – NVwZ 2021, 739 = juris Rn. 5; B.v. 19.6.2014 – 9 A 19.12 – juris Rn. 3). Die Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO kommt überhaupt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen infrage (vgl. OVG LSA, B.v. 3.6.2021 – 1 O 26/21 – juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 26.5.1998 – 14 S 812/98 – juris Rn. 3), die hier nicht gegeben sind. Vorliegend überwiegt zudem der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung gegenüber Erwägungen der Prozessökonomie (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.2000 – 3 C 3.00 – BVerwGE 112, 166 = juris Rn. 11). Im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung ist das Verfahren bereits etwa elf Monate anhängig, weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf und ist entscheidungsreif. Nach dem Grundsatz, dass eine Entscheidung zu ergehen hat, sobald die Sache entscheidungsreif ist, hält das Gericht eine Aussetzung für nicht angezeigt. Die Aussetzung würde zu einer unnötigen Verzögerung des Verfahrens führen und ist im Hinblick auf das Interesse der Beteiligten an einem zügigen Abschluss des Verfahrens nicht zu vertreten, da nicht absehbar ist, wann das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entschieden wird.
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2. Der Antrag, das Verfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO zum Ruhen zu bringen, war ebenfalls abzulehnen. Der Beklagte hat die erforderliche Zustimmung nicht erteilt.