Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.09.2024 – 7 CE 24.1593
Titel:

Vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz gegen Metalldetektorkontrollen bei Erster Juristischer Staatsprüfung – erfolglose Beschwerde

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
JAPO § 7 Abs. 4 S. 1, § 8, § 11
Leitsatz:
Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des der Exekutive zugewiesenen Handlungsfelds grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet; vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur bei Vorliegen eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses ausnahmsweise möglich. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erste Juristische, Staatsprüfung 2024/2, anlasslose Kontrollen von Prüfungsteilnehmern nach dem Zufallsprinzip mittels Metalldetektoren nach Ausgabe der noch nicht aufgeschlagenen Prüfungsaufgaben, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz, Unterlassen derartiger Kontrollen (abgelehnt), Vorläufiges Verbot der Bewertung einer Prüfungsarbeit mit null Punkten allein wegen der Weigerung des Prüfungsteilnehmers, die Kontrolle mittels Metalldetektoren hinzunehmen (abgelehnt)., Erste Juristische Staatsprüfung, Metalldetektoren-Kontrolle, Metalldetektor, Unterlassen, Abtasten des Körpers, qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, Unterschleif
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.09.2024 – M 4 E 24.5533
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26806

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz gegen die befürchtete Durchführung von Kontrollen mittels Metalldetektoren und Abtasten des Körpers im Rahmen der derzeit laufenden Ersten Juristischen Staatsprüfung und gegen mögliche nachteilige Folgen bei einer Weigerung, sich derartigen Kontrollen zu unterziehen.
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Der Antragsteller nimmt gegenwärtig an den im Zeitraum vom 10. bis 17. September 2024 stattfindenden Aufsichtsarbeiten der Ersten Juristischen Staatsprüfung teil. Am Prüfungstag des 11. September 2024 wurde vor Beginn der schriftlichen Prüfung im Prüfungsraum eine Kontrolle mittels Metalldetektoren durchgeführt. Der Antragsteller befand sich nicht unter den für die Kontrolle zufällig ausgewählten Prüflingen. Er richtete am selben Tag eine Anfrage zu den Kontrollen an die Pressestelle des Antragsgegners. Mit Schreiben vom 12. September 2024 teilte die Pressestelle u.a. mit, dass gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 JAPO Anordnungen über den ordnungsgemäßen Ablauf der Staatsprüfung getroffen werden könnten und diese Art der Kontrollen seit 2013 durchgeführt würden.
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Den Antrag des Antragstellers vom 12. September 2024, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragsteller von der Teilnahme an den schriftlichen Prüfungen nicht auszuschließen, wenn er sich weigert, sich einer anlasslosen Durchsuchung, insbesondere am Körper, zu unterziehen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. September 2024 ab. Vorliegend fehle es an einem qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für den begehrten vorläufigen Rechtsschutz. Abgesehen davon, dass der Antragsteller einen entsprechenden Antrag bereits nach Erhalt des Merkblatts, das die Prüflinge auf die Kontrollen hinweise, bei der Behörde hätte stellen können, sei ihm die Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes zumutbar, da mit dem Eintritt irreversibler Folgen vorliegend nicht zu rechnen sei. Der Antragsgegner habe gegenüber der Vorsitzenden der erkennenden Kammer telefonisch mitgeteilt, dass der Antragsteller in dem genannten Fall die Prüfungsarbeit erstellen und abgeben dürfe und erst im Nachgang entschieden würde, ob prüfungsrechtliche Konsequenzen gezogen würden. Diese Zusicherung hätte der Antragstelle bereits vor Beginn der Prüfung nach Erhalt des vorab ausgehändigten Merkblatts durch Nachfrage bei dem Landesjustizprüfungsamt erlangen können. Dies sei nicht erfolgt, insbesondere stelle die Anfrage, die der Antragsteller an die Pressestelle des Antragsgegners gerichtet habe, keinen solchen Antrag dar.
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und dem Antragsgegner aufzugeben, dass er den Antragsteller im Hinblick auf die Bewertung der Aufsichtsarbeiten notenmäßig nicht benachteiligen, insbesondere keine Punktabzüge vornehmen oder die Arbeit(en) mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) als nicht bestanden bewerten darf, wenn sich der Antragsteller weigert, sich im Rahmen der derzeit stattfindenden Ersten Juristischen Staatsprüfung einer anlasslosen Durchsuchung, insbesondere am Körper, zu unterziehen.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers hätte aus verständiger Sicht so ausgelegt werden müssen, dass dem Antragsteller keinerlei negative Konsequenzen drohten, wenn er sich der Kontrolle verweigere. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass er in eine Situation kommen könne, in der er sich entscheiden müsse, ob er die Kontrolle über sich ergehen lasse oder einen Ausschluss von der Prüfung und eine Bewertung mit „0 Punkten“ in Kauf nehme. Es habe schon kein vorab ausgehändigtes Merkblatt gegeben. Auf der Rückseite der Ladung habe sich lediglich die Bitte befunden, sich auf der Webseite des Landesjustizprüfungsamts Dokumente herunterzuladen, die u.a. Hinweise zum Ablauf der Prüfungen, insbesondere auch zu den Hilfsmittelkontrollen enthalten würden. Darin befinde sich nur der allgemein gehaltene Hinweis: „Unerfreuliche Vorkommnisse machen spezielle Kontrollen in Bezug auf nicht zugelassene technische Hilfsmittel, insbesondere Smartphones oder andere Speichermedien (z.B. Smartwatches und MP3-Player), erforderlich. Es ist daher mit Kontrollen mittels Metalldetektoren zu rechnen.“ Dies habe nur so verstanden werden können, dass entweder bei einem konkreten Verdachtsfall der Prüfling einer entsprechenden Kontrolle unterzogen werde oder alle Prüflinge vor Betreten des Prüfungsraums mit Metalldetektoren untersucht würden. Dass Kontrollen mittels Metalldetektor anlasslos und vor den Augen aller Mitprüflinge stattfinden würden, sei derart überraschend gewesen, dass der Antragsteller nicht damit habe rechnen müssen. Vom Grundsatz, dass vor Ersuchung gerichtlichen Rechtsschutzes zuvor ein Antrag bei der Behörde zu stellen sei, müsse zur Gewährleistung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Ausnahme gemacht werden, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit vorliege und offensichtlich sei, dass die Behörde den Antrag ablehnen würde, sodass es sich bei dem Antrag um eine bloße „Förmelei“ handeln würde. Auch wenn der Antragsgegner nunmehr klargestellt habe, dass der Antragsteller trotz Verweigerung entsprechender Kontrollen die Prüfungsarbeit erstellen und abgeben dürfe und im Nachgang entschieden würde, ob prüfungsrechtliche Konsequenzen gezogen würden, bestehe das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers fort. Denn es sei ihm nicht zumutbar, bei einer Verweigerung der Kontrolle etwaige Notenabzüge zu riskieren. Zudem habe der Antragsteller einen Anordnungsanspruch. Ihm stehe ein Unterlassungsanspruch zu, da die Kontrollen in der aktuellen Form mangels Vorliegens einer tauglichen Rechtsgrundlage offensichtlich rechtswidrig und darüber hinaus auch unverhältnismäßig seien.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Dem Antragsteller fehle schon das Rechtsschutzbedürfnis, da eine Weigerung, eine Kontrolle mittels Metalldetektor zu dulden, zwar einen Unterschleif begründen könne, aber eine sofortige Ahndung durch Ausschluss von der Prüfung, dem durch vorbeugenden Rechtsschutz begegnet werden müsse, nicht erfolge. Dem Prüfungsteilnehmer werde das Anfertigen der Prüfungsaufgabe ermöglicht, erst im weiteren Verlauf entscheide der zuständige Prüfungsausschuss, ob das Verhalten des Prüfungsteilnehmers einen Unterschleif begründe. Gegen einen möglichen Unterschleifbescheid stünde dem Antragsteller der Weg des nachträglichen Rechtsschutzes offen. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, da § 7 Abs. 4 Satz 1 JAPO eine ausreichende Rechtsgrundlage darstelle und die Maßnahme verhältnismäßig sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie auf die Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde, bei der der Senat nur die fristgerecht dargelegten Gründe zu prüfen hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgelehnt. Auch unter Berücksichtigung des nunmehr anwaltlich konkretisierten Antrags fehlt dem Antragsteller ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten vorbeugenden Eilrechtsschutz.
12
Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des der Exekutive zugewiesenen Handlungsfelds grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet. Die den Verwaltungsgerichten übertragene Kontrollfunktion gegen staatliche Maßnahmen setzt grundsätzlich erst nachgelagert ein. Die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, die dann Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein kann. Vorbeugender Rechtsschutz gegen erwartete oder befürchtete staatliche Maßnahmen ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise möglich (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7.13 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5 m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist auf Zulässigkeitsebene insbesondere, dass der Antragsteller über ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis verfügt. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 – 10 CE 22.68 − juris Rn. 17 m.w.N.).
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Gemessen hieran besteht für das im Eilverfahren geltend gemachte vorbeugende Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse.
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1. Soweit der Antragsteller vorbringt, es träten irreversible Schäden durch psychische Belastungen ein, sollte er die streitgegenständliche Kontrolle über sich ergehen lassen müssen, ist ihm entgegen zu halten, dass der Antragsgegner nunmehr auch schriftlich klargestellt hat, dass der Antragsteller die Kontrolle verweigern kann und dennoch nicht von der Prüfung ausgeschlossen wird. Ein Ausschluss komme allenfalls dann in Betracht, wenn der Prüfungsteilnehmer Störungen des Prüfungsablaufs verursache, die die übrigen Teilnehmer bei der Anfertigung der Prüfungsarbeiten beeinträchtigten. In diesen Fällen ermögliche § 8 Abs. 2 Nr. 1 JAPO einen ganz oder teilweisen Ausschluss des störenden Prüfungsteilnehmers von der Prüfung auf Grundlage einer Entscheidung der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses (§ 8 Abs. 3 JAPO). Eine unterlassene Mitwirkung an den inmitten stehenden Kontrollmaßnahmen falle dagegen nicht unter § 8 Abs. 2 JAPO. Da somit für den Antragsteller die Möglichkeit besteht, die Kontrolle nicht „über sich ergehen lassen zu müssen“, er sie also verweigern und dennoch die Prüfungsaufgabe anfertigen zu können, bedarf es insoweit keines vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutzes. Denn insoweit fehlt dem Antragsteller bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da er durch die Klarstellung des Antragsgegners klaglos gestellt ist. Auf die Frage, ob es dem Antragsteller zumutbar gewesen wäre, vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes einen entsprechenden Antrag beim Landesjustizprüfungsamt zu stellen, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
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2. Auch soweit der Antragsteller vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf das Unterlassen der Bewertung der Prüfungsaufgabe mit „0 Punkten“ durch einen möglichen Unterschleifbescheid begehrt und insoweit auf seinen nunmehr erweiterten konkretisierten Antrag verweist, werden bei einer Verweigerung der Kontrolle keine Tatsachen geschaffen, die durch nachträglichen Rechtsschutz nicht wieder beseitigt werden könnten. Gegen die nicht auszuschließende, aber noch nicht endgültig feststehende Entscheidung des hierfür nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 JAPO zuständigen Prüfungsausschusses, dass ein derartiges Verhalten des Antragstellers einen Unterschleif nach § 11 Abs. 1 Satz 1 JAPO begründet bzw. gegen den daraufhin noch zu erlassenden – ggf. mit einer Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO versehenen – Bescheid stünde dem Antragsteller der Klageweg offen, verbunden mit der Möglichkeit, nach § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beantragen. Im Rahmen dieses nachträglichen Rechtsschutzes wäre auch die Rechtmäßigkeit anlassloser Kontrollen mittels Metalldetektoren zu prüfen. Worin ein nicht mehr wiedergutzumachender, nur durch die Gewährung vorbeugenden Rechtschutzes zu begegnenden Schaden liegen könnte, ist nicht ersichtlich, zumal nicht feststeht, dass sich der Antragsteller überhaupt einer anlasslosen Kontrolle unterziehen muss. Die vom Antragsteller zudem behauptete Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit durch die Unsicherheit während des Abfassens der Prüfungsaufgabe, sie könne ohnehin mit „0 Punkten“ bewertet werden, ist insoweit nicht ausreichend, einen irreversiblen Schaden zu begründen, da sie auf einer hypothetischen Annahme beruht.
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Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).