Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.09.2024 – 6 CE 24.1619
Titel:

Kein Anspruch des Beamten auf Hinausschieben des Ruhestands

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BBG § 53 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Bei dem Tatbestandsmerkmal "dienstliches Interesse" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Vorliegen grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt; allerdings hat das Gericht dabei zu beachten, dass das dienstliche Interesse vom Dienstherrn in Ausübung des ihm zustehenden Organisationsrechts maßgebend durch verwaltungspolitische Entscheidungen geprägt wird, die nur beschränkt gerichtlich überprüfbar sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das dienstliche Interesse richtet sich ausschließlich nach dem gesetzlichen Auftrag der Behörde und den dort vorhandenen personalwirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten und bezeichnet das Interesse des Dienstherrn an einer sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung; die individuellen Interessen der Beamtin oder des Beamten sind in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich, wie etwaige Wünsche von Vorgesetzten oder Mitarbeitern. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Falle einer personalwirtschaftich gesicherten Nachfolgelösung ist es nicht Aufgabe einer Beamtin, eine aus ihrer Sicht "perfekte" Nachfolge für sich zu reklamieren, und – wenn diese aus ihrer Sicht nicht vorliegt – ihre Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus zu fordern; im Übrigen kommt es bei jedem Eintritt eines Beamten in den Ruhestand dazu, dass mit der Zurruhesetzung Wissen "verloren" geht und ein Nachfolger sich einarbeiten muss (ebenso OVG Münster BeckRS 2019, 25476). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bundesbeamtenrecht, Einstweilige Anordnung, Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand, Weiterbeschäftigung, Dienstliches Interesse, Ermessen, einstweilige Anordnung, dienstliches Interesse, Nachfolgeregelung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 09.09.2024 – M 21a E 24.4806
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26804

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 9. September 2024 – M 21a E 24.4806 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 38.567,34 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, eine 1958 geborene Beamtin auf Lebenszeit (Oberamtsrätin, Besoldungsgruppe A 13) im Dienst der Antragsgegnerin, begehrt das Hinausschieben ihres Eintritts in den Ruhestand.
2
Sie erreicht im September 2024 die Altersgrenze (nach § 51 Abs. 2 Satz 2 BBG). Ihr im Februar 2024 gestellter Antrag auf Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand wurde abgelehnt (Bescheid vom 26.3.2024). Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 5.8.2024). Hiergegen hat die Antragstellerin (Verpflichtungs-, hilfsweise Verbescheidungs-) Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.
3
Den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Ruhestand der Antragstellerin bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Klage vorläufig hinauszuschieben, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. September 2024 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin habe zu Recht ein dienstliches Interesse an der Fortführung der Dienstgeschäfte durch die Antragstellerin verneint.
4
Die Antragstellerin hat hiergegen Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weiterverfolgt.
II.
5
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Die mit der Beschwerde innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
6
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Derartige Anordnungen, die – wie hier – durch vorläufige Befriedigung des erhobenen Anspruchs die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorwegnehmen, setzen voraus, dass die Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, um andernfalls zu erwartende schwere und unzumutbare Nachteile oder Schäden vom Antragsteller abzuwenden (Anordnungsgrund), und dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (Anordnungsanspruch). Beides ist von der Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO).
7
2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragstellerin steht zwar ein Anordnungsgrund zur Seite, weil nach dem Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens mit Ablauf des Monats September 2024 ein rückwirkendes Hinausschieben nicht mehr in Betracht käme. Sie hat aber einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
8
a) Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 BBG kann auf Antrag der Beamtin oder des Beamten der Eintritt in den Ruhestand bis zu drei Jahre hinausgeschoben werden, wenn dies im dienstlichen Interesse liegt (Nr. 1) und die Arbeitszeit mindestens die Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beträgt (Nr. 2).
9
Es ist bereits zweifelhaft, ob diese Vorschrift überhaupt einen Rechtsanspruch vermitteln kann, der durch eine einstweilige Anordnung mit dem beantragten Inhalt sicherungsfähig wäre. Denn selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen sollten, so stellt das Gesetz die Entscheidung über das Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand in das Ermessen des Dienstherrn („kann“). In Betracht käme mithin, wenn das Gesetz überhaupt den Beamtinnen und Beamten subjektive Rechte einräumen und nicht allein auf dienstliche Interessen abstellen sollte, in der Regel nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung. Ein solcher rechtfertigt aber nicht ohne weiteres, den Eintritt in den Ruhestand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig hinauszuschieben und damit für diesen Zeitraum vollendete Tatsachen zu Lasten des Dienstherrn zu schaffen. Ein solcher Grund läge allenfalls dann vor, wenn sich – mit hoher Wahrscheinlichkeit – das Ermessen ausnahmsweise zugunsten der Beamtin oder des Beamten so verdichtet haben sollte, dass als einzig rechtmäßige Entscheidung der Ruhestand hinauszuschieben wäre (Ermessensreduktion auf null). Hierfür sind auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes keine Anhaltspunkte ersichtlich.
10
b) Das kann jedoch dahinstehen, weil die Antragstellerin – schon auf der Tatbestandsseite des § 53 Abs. 1 Satz 1 BBG – das dienstliche Interesse an dem Hinausschieben ihres Eintritts in den Ruhestand nicht glaubhaft gemacht hat, wie das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Erwägungen ausgeführt hat.
11
(1) Bei dem Tatbestandsmerkmal „dienstliches Interesse“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Vorliegen grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Allerdings hat das Gericht dabei zu beachten, dass das dienstliche Interesse vom Dienstherrn in Ausübung des ihm zustehenden Organisationsrechts maßgebend durch verwaltungspolitische Entscheidungen geprägt wird, die nur beschränkt gerichtlich überprüfbar sind (OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.2.2017 – OVG 10 S 6.17 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 21.2.2023 – 12 B 9/23- juris Rn. 9).
12
Das dienstliche Interesse richtet sich ausschließlich nach dem gesetzlichen Auftrag der Behörde und den dort vorhandenen personalwirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten und bezeichnet das Interesse des Dienstherrn an einer sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung. Die individuellen Interessen der Beamtin oder des Beamten sind in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich, wie etwaige Wünsche von Vorgesetzten oder Mitarbeitern. Es ist in erster Linie Sache des Dienstherrn, in Ausübung seiner Personal- und Organisationsgewalt zur Umsetzung gesetzlicher und politischer Ziele die Aufgaben der Verwaltung festzulegen, ihre Prioritäten zu bestimmen, sie auf die einzelnen Umsetzungseinheiten zu verteilen und ihre Erfüllung durch bestmöglichen Einsatz von Personal sowie der zur Verfügung stehenden Sachmittel sicherzustellen. Dabei kommt dem Dienstherrn eine entsprechende Einschätzungsprärogative und Gestaltungsfreiheit zu, mit der Folge, dass die gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidung auf die Prüfung beschränkt ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Organisationsermessens überschritten sind oder dieses willkürlich gehandhabt worden ist.
13
Ein dienstliches Interesse wird danach insbesondere dann vorliegen, wenn das Hinausschieben des Ruhestandseintritts nach der Einschätzung des Dienstherrn aus konkreten besonderen Gründen für eine sachgemäße und reibungslose Aufgabenerfüllung notwendig oder zumindest sinnvoll erscheint. Dieses mag sich im Einzelfall ergeben, wenn etwa die Bearbeitung der dem betroffenen Beamten übertragenen (komplexen und schwierigen) Aufgaben gerade durch diesen auch noch zu einem nach seinem regulären Eintritt in den Ruhestand gelegenen Zeitpunkt geboten erscheint. Ferner mag die Weiterbeschäftigung im dienstlichen Interesse liegen, wenn eine effektive Einarbeitung eines Nachfolgers dies in zeitlicher Hinsicht verlangt oder wenn noch kein geeigneter Nachfolger zur Verfügung steht und zusätzlich die Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben durch die Behörde ausnahmsweise einstweilen nur durch eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Beamten sichergestellt werden kann oder dies dem Dienstherrn aus anderen Gründen sinnvoll erscheint (vgl. OVG SH, B.v. 21.2.2023 – 12 B 8/23 – juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.2.2017 – OVG 10 S 6.17 – juris Rn. 4).
14
(2) Ein derartiges dienstliches Interesse hat die Antragstellerin auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerde ist nichts Stichhaltiges dafür zu entnehmen, dass das Hinausschieben des Ruhestandseintritts aus dem Blickwinkel des Dienstherrn aus konkreten besonderen Gründen für eine sachgemäße und reibungslose Aufgabenerfüllung notwendig oder zumindest sinnvoll erscheint.
15
Nicht überzeugen kann schon im Ausgangspunkt die Rüge, entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin und der Annahme des Verwaltungsgerichts fehle es an einer nachhaltigen und adäquaten Nachfolgeregelung für die Antragstellerin. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang die Qualifikation und Einstufung von Frau L. in den Blick nimmt und kritisiert, ist entgegenzuhalten, dass es Aufgabe des Dienstherrn ist, die Leistung und Eignung der jeweiligen Mitarbeiterin einzuschätzen und hiernach eine Nachfolgeregelung zu treffen. Es ist nicht Aufgabe der Antragstellerin, eine aus ihrer Sicht „perfekte“ Nachfolge für sich zu reklamieren, und – wenn diese aus ihrer Sicht nicht vorliegt – ihre Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus zu fordern. Im Übrigen kommt es bei jedem Eintritt eines Beamten in den Ruhestand dazu, dass mit der Zurruhesetzung Wissen „verloren“ geht und ein Nachfolger sich einarbeiten muss (OVG NW, B.v. 9.10.2019 – 1 B 1058/19 – juris Rn. 14, 32). Abgesehen davon hat der Dienstherr im Rahmen seiner Personal- und Organisationsgewalt entschieden, die derzeit mit der Antragstellerin besetzte Planstelle künftig einer anderen Organisationseinheit zuzuteilen; damit ist den Erwägungen der Beschwerde zur Nachfolgefrage personalwirtschaftlich von vornherein die Grundlage entzogen.
16
Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen unter den Gesichtspunkten Geschlechterdiskriminierung und Ungleichbehandlung. Soweit die Antragstellerin dazu männliche Kollegen nennt, bei denen die aktive Dienstzeit verlängert worden sei, fehlt schon jeglicher Vortrag dazu, ob diese Fälle (beispielsweise frühere Vorsitzende der Agentur für Arbeit) dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 BBG unterfielen und inwieweit sie mit dem Fall der Antragstellerin vergleichbar sind. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass zum einen der Status von Beamten und arbeitsvertraglich Beschäftigten ein zulässiges Differenzierungskriterium darstellt und zum anderen aus der Verwaltungspraxis anderer Dienstherren für die Antragsgegnerin keine Bindungswirkung folgen kann (BA S. 10). Insoweit sind auch die Beispielsfälle für die Weiterbeschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin nach Erreichen der Altersgrenze bei anderen Dienstherren ohnehin unbeachtlich.
17
Auch der Hinweis auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen kann kein dienstliches Interesse i.S.v. § 53 Abs. 1 BBG begründen. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die konkrete Verwendung des Beamten vor dem Eintritt in den Ruhestand (OVG SH, B.v. 24.01.2018 – 2 MB 35/17 – juris Rn. 9). Allgemeine Erwägungen etwa zum „Fachkräftemangel“ müssen deshalb von vorneherein außen vor bleiben.
18
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
19
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG und entspricht der insoweit nicht in Frage gestellten erstinstanzlichen Entscheidung.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).