Titel:
Ermittlungs- und Bewertungsdefizit eines Bebauungsplans
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 6
BauGB § 1a Abs. 2, § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 215 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 1 Abs. 5
Leitsätze:
1. Die in § 1a Abs. 1 und Abs. 2 BauGB enthaltenen sog. Bodenschutzklausel und sog. Umwidmungssperrklausel sollen als besonderes Begründungsgebote die Gemeinde dazu veranlassen, sich vor einer für den Flächenverbrauch wesentlichen Entscheidung, bislang land- oder forstwirtschaftliche genutzte Flächen im Außenbereich als neues Bauland auszuweisen, intensiver mit den Argumenten dafür oder dagegen auseinanderzusetzen. Bei einer Begründung der Inanspruchnahme dieser Flächen sollen des Weiteren Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Modifizierung der nach den Baugebietsvorschriften allgemein zulässigen Nutzungen – Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben und Geschäften zum Verkauf von Waren des Einzelhandels – nach § 1 Abs. 5 BauNVO wird von der typisierten Zulässigkeit der Baugebietsvorschriften abgewichen. Hierfür bedarf es entsprechender städtebaulicher Gründe, die die modifizierenden Festsetzungen rechtfertigen. Die städtebaulichen Gründe müssen auf die Nutzungen bezogen sein, für die die nach § 1 Abs. 5 BauNVO modifizierende Festsetzungen getroffen werden sollen. Erforderlich sind städtebauliche Gründe, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben müssen und die den Ausschluss rechtfertigen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Gewerbegebiet, Ausschluss von Einzelhandel mit Gegenausnahme (Fehlende) Prüfung vorrangiger Maßnahmen der Innenentwicklung, Bodenschutzklausel, Umwidmungssperrklausel, besonderes Begründungsgebot, Baugebietsvorschriften, Abwägungsausfall
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26797
Tenor
I. Der Bebauungsplan Nr. 8 „Gewerbegebiet am Vogelherd“ der Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung des Gerichts über den Normenkontrollantrag des Antragstellers im Verfahren 2 N 24.325 außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt die Außervollzugsetzung des im Tenor genannten Bebauungsplans, den die Antragsgegnerin am 17. Juli 2023 als Satzung beschlossen und am 4. September 2023 ortsüblich bekannt gemacht hat.
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Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. 33/3 und 33/4 der Gemarkung H.. Die Grundstücke des Antragstellers befinden sich nicht im Geltungsbereich des streitgegenständlichen Bebauungsplans. Sie grenzen unmittelbar südlich bzw. südwestlich an den Geltungsbereich des Bebauungsplans an. Der überplante Bereich war zuvor baurechtlich dem Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB zuzuordnen. Auf dem Grundstück Fl.Nr. 33/3 befindet sich der landwirtschaftliche Betrieb (Milchviehbetrieb) des Antragstellers. Auf dem Grundstück Fl.Nr. 33/4 befindet sich ein Wohngebäude. Der Bebauungsplan umfasst eine Teilfläche des bislang im Flächennutzungsplan als landwirtschaftliche Fläche dargestellten Grundstücks Fl.Nr. 33/6 der Gemarkung H. von 0,4 ha. Er setzt dort als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO fest. Einzelhandelsbetriebe und Geschäfte zum Verkauf von Waren des Einzelhandels sind nicht zulässig. Dies gilt nicht für den werkstattgebundenen Verkauf von Handwerks- und Gewerbebetrieben, soweit dieser eine deutliche Unterordnung im Verhältnis zum sonstigen Betrieb darstellt.
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Am 23. Februar 2024 erhob der Antragsteller Normenkontrollklage. Er begründet diese unter anderem damit, die Gemeinde habe bei der Aufstellung des Bebauungsplans gegen § 1a Abs. 2 BauGB verstoßen. Es drohten Nutzungskonflikte in Bezug auf seine beiden Grundstücke. Gleichzeitig beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt,
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den streitgegenständlichen Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug zu setzen.
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Zur Begründung führt er aus, ihm drohten durch die Umsetzung des rechtswidrigen Bebauungsplans nicht mehr wieder gut zu machende Schäden. Es seien Betriebsbeschränkungen und Emissionskonflikte zu befürchten.
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Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Bebauungsplan und beantragt,
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Der Senat wies die Beteiligten mit Schreiben vom 6. August 2024 darauf hin, dass zusätzlich zu den von ihnen bislang thematisierten rechtlichen Fragen sich das Problem stellen dürfte, ob der Ausschluss von im Gewerbegebiet allgemein zulässigen Nutzungen (§ 3.1.1 der Satzung) auf entsprechende städtebauliche Gründe gestützt werden kann und ob diese Gründe im Rahmen der Abwägung tatsächlich berücksichtigt wurden.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2020 – 2 NE 20.620; BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 CN 1.02 – juris Rn. 53 = BVerwGE 117, 209). Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet, kann die Antragsbefugnis verneint werden (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2022 – 2 NE 22 .1132 – juris Rn. 12). Bei Planbetroffenen außerhalb des eigentlichen Plangebiets liegt eine die Befugnis zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens begründende Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann vor, wenn ein Antragsteller negativ, d. h. verletzend, in einem Interesse betroffen wird oder in absehbarer Zeit betroffen werden kann, das bei der Entscheidung über den Erlass oder den Inhalt dieser Rechtsvorschrift als privates Interesse des Antragstellers im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB berücksichtigt werden musste (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – juris Rn.12; BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1.78, 4 N 2.79, 4 N 3.79, 4 N 4.79 – BVerwGE 59,87).
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Danach ist hier von der Antragsbefugnis des Antragstellers auszugehen. Er hat hinreichend substantiiert die Gefahr von möglichen immissionsschutzrechtlichen Beschränkungen für seinen landwirtschaftlichen Betrieb für den Fall der Realisierung des Baugebiets dargelegt. Gleiches gilt für möglicherweise eintretende nicht hinreichend berücksichtigte Emissionen in Bezug auf sein mit einem Wohngebäude bebautes Grundstück. Dem steht nicht entgegen, dass auf Grundlage des Bebauungsplans bereits eine Baugenehmigung erteilt wurde. Nach dem bisherigen Vortrag der Beteiligten ist nicht davon auszugehen, dass diese Baugenehmigung bereits bestandskräftig ist und von ihr Gebrauch gemacht wurde. Unabhängig hiervon räumt die Antragsgegnerin selbst ein, dass zukünftig die Genehmigung einer Betriebsleiterwohnung denkbar wäre, die die immissionsschutzrechtliche Problematik im Hinblick auf etwaige Betriebsbeschränkungen für den landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers deutlich verschärfen würde.
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2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass dessen Vollzug suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der Vollzug des Bebauungsplans vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten in der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 4; B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – juris Rn. 12).
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In Ansehung dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend dringend geboten.
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2.1. Der vom Antragsteller im Hauptsacheverfahren fristgerecht innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO angegriffene Bebauungsplan erweist sich nach der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig.
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Er leidet an nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit im Sinne von § 1a Abs. 2 und § 2 Abs. 3 BauGB und genügt auch nicht den an eine ordnungsgemäße Abwägung im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB zu stellenden Anforderungen.
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2.1.1. Nach § 1a Abs. 1 und Abs. 2 BauGB soll mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden. Diese Grundsätze sind in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können. Die in den vorgenannten Vorschriften enthaltene sog. Bodenschutzklausel und sog. Umwidmungssperrklausel entfalten kein Verbot der Neuausweisung von Bauland in einem bisher unbebauten Bereich und zwar selbst dann nicht, wenn dadurch erstmals Natur und Landschaft oder landwirtschaftliche oder Waldflächen in Anspruch genommen werden (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 153. EL Januar 2024, § 1a BauGB, Rn. 54). Von der planenden Gemeinde wird aber im Rahmen der gebotenen Begründung des Bauleitplans zusätzlich eine besondere Begründung der Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen verlangt. Dieses besondere Begründungsgebot soll die Gemeinde dazu veranlassen, sich vor einer für den Flächenverbrauch wesentlichen Entscheidung, bislang land- oder forstwirtschaftliche genutzte Flächen im Außenbereich als neues Bauland auszuweisen, intensiver mit den Argumenten dafür oder dagegen auseinanderzusetzen. Bei einer Begründung der Inanspruchnahme dieser Flächen sollen des Weiteren Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden. Verlangt wird durch dieses ergänzende Ermittlungsgebot, dass die Gemeinde besonders prüft, wie es mit den noch vorhandenen Bebauungsmöglichkeiten im Innenbereich und damit mit den Möglichkeiten der Innenentwicklung bei ihr steht. Die Vorschrift konkretisiert die vorzunehmenden Ermittlungen, indem sie „insbesondere“ auf „Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten“ hinweist. Der Gesetzgeber erwartet sich durch diese Anordnung einen Beitrag der Gemeinden zum Schutz des Bodens und zu weniger Flächenverbrauch (Begründung des Regierungsentwurfs, BR-Drs. 474/12, S. 10). Eine unvollständige Begründung im Sinne des § 1a Abs. 2 Satz 4 BauGB führt gem. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB mittlerer Teilsatz daher nicht zu einer Rechtsunwirksamkeit des Flächennutzungsplans oder Bebauungsplans nach dem BauGB. Voraussetzung ist allerdings, dass die Begründung die Planungsabsichten der Gemeinde und deren Motive zur Inanspruchnahme der land- oder forstwirtschaftlichen Flächen sowie die Auseinandersetzung mit einer möglichen Innenentwicklung noch erkennen lässt und damit für Dritte nachvollziehbar bleibt. Eine gänzlich fehlende oder eine in ihren wesentlichen Bestandteilen nicht mehr nachvollziehbare Begründung ist hingegen beachtlich für die Rechtsunwirksamkeit und rechtfertigt keine Planerhaltung mehr. Wird durch die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den geschützten Belangen indes zugleich die Planung in wesentlichen Punkten materiell fehlerhaft, kann der Plan ebenfalls nicht aufrechterhalten werden, es kommt dann verschärfend § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zur Anwendung (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 153. EL Januar 2024, BauGB § 1a Rn. 62).
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So liegt der Fall hier. Obwohl die Gemeinde bereits mit der Stellungnahme des Landratsamtes O. , Städtebau, vom 15. April 2020 zur ursprünglichen Planung darauf hingewiesen wurde, dass diese im Hinblick auf § 1a Abs. 2 BauGB Bedenken begegne, hat sie bis zum Satzungsbeschluss des hier streitgegenständlichen Bebauungsplans im Rahmen des Parallelverfahrens zur Änderung des Flächennutzungsplanes, auf das sie in der Begründung des Bebauungsplans unter Nr. 5.1 Bezug nimmt, ausschließlich alternative Flächen für eine Überplanung angrenzend an die Ortslage, nicht aber Möglichkeiten der Innenentwicklung untersucht. Auch in der Stellungnahme der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2024 wird ausschließlich auf eine Untersuchung von Flächen in den vorhandenen Gewerbegebieten „an der Großwiese“ und „am Schorendorf“ Bezug genommen, die ausweislich der „Alternativprüfung der Siedlungsflächenpotenziale im Gemeindebereich in der Fassung vom 15. März 2021“ im Außenbereich liegen. In der Begründung des Bebauungsplans heißt es deshalb auch nur, die Gemeinde verfüge derzeit über keine weiteren ausreichend großen Flächen für die Aussiedlung eines Gewerbebetriebes an den Ortsrand. Vor diesem Hintergrund fehlt es sowohl an einer Begründung überhaupt betreffend nicht vorhandener Möglichkeiten der Innenentwicklung als auch an einer Ermittlung selbst, ob solche Flächen grundsätzlich zur Verfügung stünden.
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Dieser Mangel ist auch im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Er ist offensichtlich, da er sich unmittelbar aus den Bebauungsplanakten ergibt. Zudem ist er auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, weil nach den Umständen des vorliegenden Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel im Abwägungsvorgang anders ausgefallen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan bei einer hinreichenden Ermittlung und Bewertung der der Möglichkeiten der Innenentwicklung in jedem Fall mit demselben Inhalt beschlossen hätte.
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Der festgestellte Mangel ist auch nicht im Nachhinein gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er vom Antragsteller rechtzeitig gerügt wurde.
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2.1.2. Mit der Modifizierung der nach den Baugebietsvorschriften allgemein zulässigen Nutzungen – Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben und Geschäften zum Verkauf von Waren des Einzelhandels – nach § 1 Abs. 5 BauNVO wird von der typisierten Zulässigkeit der Baugebietsvorschriften abgewichen. Hierfür bedarf es entsprechender städtebaulicher Gründe, die die modifizierenden Festsetzungen rechtfertigen. Die städtebaulichen Gründe müssen auf die Nutzungen bezogen sein, für die die nach § 1 Abs. 5 BauNVO modifizierende Festsetzungen getroffen werden sollen. Erforderlich sind städtebauliche Gründe, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben müssen und die den Ausschluss rechtfertigen; der Ausschluss muss durch hinreichend gewichtige städtebauliche Allgemeinwohlbelange in nachvollziehbarer Weise gerechtfertigt sein (vgl. BVerwG, B.v. 3.5.1993 – 4 NB 13.93 – juris Rn. 6). Dabei sind die Anforderungen des Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB zu beachten (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 153. EL Januar 2024, § 1 BauNVO Rn. 64c). Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – BVerwGE 133, 310) geklärt, dass der vollständige Ausschluss einer Nutzungsart durch Gegenausnahmen für bestimmte Arten von Anlagen der betreffenden Nutzungsart wieder ein Stück zurückgenommen werden kann. Insoweit muss die Gemeinde aber darlegen, warum das von ihr gewählte Abgrenzungskriterium marktüblichen Gegebenheiten entspricht und die Feindifferenzierung durch besondere städtebauliche Gründe gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG a.a.O.). Weder in den textlichen Festsetzungen noch in der Begründung des Bebauungsplans finden sich Erwägungen zu der Frage, aus welchen Gründen der Einzelhandelsausschluss sowie die Gegenausnahme erfolgten und ob sie unter sonstigen, in der Abwägung zu berücksichtigenden Gründen gerechtfertigt sind. Erst in der Stellungnahme der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2024 werden solche Gründe angeführt, was aber nicht ausreicht, um transparent zu machen, dass überhaupt eine Abwägung stattgefunden hat, was in diese eingestellt wurde und aus welchen Gründen sie zu dem im Bebauungsplan niedergelegten Ergebnis geführt hat. Denn für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgeblich (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Vor diesem Hintergrund ist das Abwägungsgebot in dem Sinne verletzt, dass eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat, insoweit mithin ein vollständiger Abwägungsausfall vorliegt.
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Auch ein vollständiger Abwägungsausfall ist ein Mangel im Abwägungsvorgang i.S.d. §§ 214, 215 BauGB. Einen allgemeinen Grundsatz, dass ein vollständiger Abwägungsausfall unabhängig von den Planerhaltungsvorschriften stets zur Unwirksamkeit der Satzung führt, gibt es nicht. Ein Abwägungsausfall muss auch nicht dazu führen, dass zugleich das Abwägungsergebnis mit einem Mangel behaftet ist. Das Abwägungsergebnis ist nicht schon dann fehlerhaft, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung nach der erforderlichen Abwägung anders ausgefallen wäre und der Abwägungsausfall damit im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BauGB auf das Abwägungsergebnis „von Einfluss” gewesen ist. Es ist vielmehr erst dann zu beanstanden, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil anderenfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (vgl. BTDrucks 15/2250 S. 65). Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit müssen überschritten sein (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.1997 – 4 NB 40.96 – Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 9 S. 23). Ob dies der Fall ist, kann der Senat nicht entscheiden, nachdem nicht nur in den textlichen Festsetzungen sowie in der Begründung des Bebauungsplans, sondern im gesamten Bebauungsplanverfahren keine Aussagen bzw. Feststellungen zu der Frage getroffen wurden, ob der Einzelhandelsausschluss mit der Ausnahme des werkstattgebundenen Verkaufs von Handwerks- und Gewerbebetrieben, soweit dieser eine deutliche Unterordnung im Verhältnis zum sonstigen Betrieb darstellt, als Abgrenzungskriterium marktüblichen Gegebenheiten entspricht und die Feindifferenzierung durch besondere städtebauliche Gründe gerechtfertigt ist. Als Planungsziel wird allein die Notwendigkeit zur Bereitstellung von Gewerbebauflächen für die Ansiedlung örtlicher Betriebe angegeben. Für Betriebe im Gemeindegebiet stünden kaum geeignete Erweiterungsflächen zur Verfügung. Zur Verlagerung eines Betriebes würden Bauflächen benötigt, da an ihren bisherigen Standorten eine Betriebserweiterung aus Flächenmangel und wegen möglicher immissionsrechtlicher Konflikte eine andere Möglichkeit nicht gegeben sei. Hieraus lässt sich für die gerade genannten Kriterien nichts ableiten. Diese non-liquet-Situation muss aus Gründen der materiellen Beweislast zu Ungunsten der Antragsgegnerin gewertet werden.
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Soweit die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme vom 17. Mai 2024 letztlich darauf abheben, der streitgegenständliche Bebauungsplan ginge auf den Verlagerungswunsch eines bestimmten örtlichen Kfz-Betriebes zurück, den die Gemeinde sich zu eigen gemacht habe und ermöglichen wolle, sodass der Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben – mit der untergeordneten Gegenausnahme – in jedem Fall gewollt sei, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Zum Repertoire eines Kfz-Betriebes gehört üblicherweise – und auch in diesem konkreten Fall, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen wie der Homepage des Betriebes ergibt – der Einzelhandel mit Neu- und Gebrauchtwagen. Ein solcher ist jedoch nach den Festsetzungen des Bebauungsplans gerade nicht zulässig. Die Gegenausnahme bezieht sich auf einen untergeordneten und werkstattgebundenen Verkauf, was in diesem Zusammenhang nur als ein solcher von Kfz-Zubehör, -teilen und -reifen verstanden werden kann. Eine Verlagerung setzt begriffsnotwendig die Aufgabe des bisherigen Betriebsstandortes voraus. Es kann nicht angenommen werden, dass die Gemeinde dem konkreten Kfz-Betrieb zukünftig den Einzelhandel mit Neu- und Gebrauchtwagen untersagen wollte. Im Übrigen muss sich die Gemeinde an dem Planungsziel festhalten lassen, das sie in der Begründung des Bebauungsplans angegeben hat. Aus dieser geht nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass es tatsächlich ausschließlich um die Verlagerung eines konkreten Kfz-Betriebes geht, nachdem dort auch allgemein die Rede von Ansiedlung und Erweiterung einer Mehrzahl von Gewerbebetrieben ist und das Kraftfahrzeuggewerbe bzw. -handwerk nicht ausdrücklich erwähnt wird. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, würde das Planungsziel der Ermöglichung einer Verlagerung eines konkreten örtlichen Kfz-Betriebs nicht dazu führen, dass die fragliche Gegenausnahme so ausgelegt werden müsste, dass sie entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut den Einzelhandel mit Neuund Gebrauchtwagen einschließen würde.
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Der festgestellte Mangel ist auch nicht im Nachhinein gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er vom Antragsteller rechtzeitig gerügt wurde.
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2.1.3. Auf die weiteren vom Antragsteller geltend gemachten Mängel kommt es daher nicht mehr an.
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2.2. Der Umstand, dass der Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird, ist bereits ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zur Hauptsachenentscheidung suspendiert werden muss. Der weitere Vollzug des Bebauungsplans ist zudem mit gewichtigen Nachteilen für den Antragsteller verbunden. Durch die Ausweisung eines Gewerbegebiets in der unmittelbaren Umgebung der Grundstücke des Antragstellers muss dieser bei einer vorläufigen Weitergeltung des Bebauungsplans bereits vor Entscheidung in der Hauptsache eine heranrückende Gewerbebebauung befürchten, durch die – jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließende – Betriebsbeschränkungen bzw. Immissionskonflikte drohen können. Dies stellt einen Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dar, dem hier nach Lage der Dinge angesichts der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans mit dessen vorläufiger Außervollzugsetzung zu begegnen ist.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die Nr. I. der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss von der Antragsgegnerin in derselben Weise veröffentlicht werden wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).