Inhalt

FG München, Beschluss v. 24.07.2024 – 12 V 1200/24
Titel:

Steuerfreie Einnahme einer Zahlung im Einspruchsverfahren

Normenketten:
AO § 90 Abs. 2
EStG § 22 Nr. 3
FGO § 69
Leitsätze:
1. Eine dem Wohnungsmieter vom Vermieter für die vorzeitige Aufgabe der sich aus dem Mietvertrag ergebenden (vermögenswerten) Rechte (Besitzrecht, Mieterschutz) gezahlte Abfindung unterliegt nicht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG.
2. Macht ein Steuerpflichtiger Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende Angehörige gemäß § 33a Abs. 1 EStG steuermindernd geltend, trifft ihn nach eine erhöhte Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Sachverhalts.
3. Ist eine zweisprachige Unterhaltserklärung als Nachweis für die Bedürftigkeit der unterhaltenen Person nur unvollständig ausgefüllt, ist grundsätzlich die Bedürftigkeit der sie betreffenden Person nicht anzunehmen.
Schlagworte:
Mitwirkungspflicht, Vertragsurkunde, Abfindungszahlung, Unterhaltszahlungen, Umzugsbeihilfe
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26752

Tenor

1. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2021 vom 26. Februar 2024 wird ab Fälligkeit für die Dauer des Einspruchsverfahrens in Höhe von 32.196,00 € ausgesetzt.
2. Die Verwirkung angefallener Säumniszuschläge wird insoweit aufgehoben, als sie auf die ausgesetzten Beträge entfallen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob eine Zahlung in Höhe von 100.000 € eine steuerfreie Einnahme ist und ob Zahlungen des Antragstellers zu 1) an seine Mutter im Irak als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
2
Der Antragsteller zu 1) bewohnte zuerst zusammen mit seiner ehemaligen Ehefrau und danach mit der Antragstellerin zu 2) (seiner zweiten Ehefrau) aufgrund eines Mietvertrages aus dem Jahr 2000 eine Vierzimmerwohnung in der […] (CL-Straße). Im Oktober 2018 erwarb ein neuer Eigentümer das Haus in der CL-Straße und trat in den Mietvertrag ein. Der neue Vermieter kündigte den Antragstellern am […] 2019 wegen Eigenbedarfs zum […] 2019. Danach veräußerte der Vermieter die Wohnung weiter an eine GmbH. Mit gesonderter Vereinbarung hoben die GmbH und die Antragsteller das Mietverhältnis zum Ablauf des 30. April 2021 auf. Mit einem weiteren Vertrag vom […] 2021 vereinbarte die GmbH mit den Antragstellern eine Abfindung in Höhe von 100.000 €. In der Vertragsurkunde wurde der Betrag in Höhe von 100.000 € als Umzugsbeihilfe bezeichnet; die Worte „Abfindungsbetrag“ und „Abfindung“ wurden handschriftlich durch das Wort „Umzugsbeihilfe“ ersetzt.
3
In der Einkommensteuererklärung für 2021 […] erklärten die Antragsteller die Abfindungszahlung über 100.000 € nicht als Einkünfte. Außerdem machten Sie Unterhaltszahlungen in Höhe von 5.000 € für die im Irak lebende Mutter […] des Antragstellers zu 1) geltend. Die Antragsteller erklärten, dass dieser Betrag im Voraus von […] (SH) am […] Januar 2021 an die Mutter ausgehändigt worden sei und dieser Betrag vom Antragsteller zu 1) anschließend SH erstattet worden sei.
4
Der Antragsgegner, das Finanzamt, berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 26. Februar 2024 die Zahlung über 5.000 € an die Mutter des Antragstellers zu 1) nicht als außergewöhnliche Belastungen. Außerdem wurden jedem der beiden Antragsteller sonstige Einkünfte aus Leistungen in Höhe von jeweils 49.898 € zugerechnet. Dies begründete das Finanzamt damit, dass die Abfindungszahlung über 100.000 € eine Umzugskostenhilfe sei, die als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerbar und nur um einen Werbungskosten-Pauschbetrag in Höhe von jeweils 102 € zu mindern sei.
5
Mit ihrem fristgemäßen Einspruch wenden sich die Antragsteller gegen die Behandlung der Abfindungszahlung als sonstige Einkünfte und gegen die Nichtberücksichtigung der Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung. Zur Begründung tragen sie vor, dass erst bei der Vertragsunterzeichnung von der GmbH ohne Erläuterung im Text der Abfindungsvereinbarung das Wort „Abfindungsbetrag“ durch das Wort „Umzugsbeihilfe“ geändert worden sei. Auf dem Kontoauszug der Antragsteller sei bei dem Zahlungseingang am […] Mai 2021 der Text „Abfindungsbetrag“ angegeben. Die Antragsteller seien über die Bedeutung dieser Textänderung nicht informiert worden. Im Übrigen hätten die Antragsteller den Umzug in eigene Regie durchgeführt und der Umzug habe nur Kosten von ca. 1.000 € ausgelöst; einen höheren Betrag als Umzugsbeihilfe zu betrachten sei unrealistisch. Die Mutter des Antragstellers zu 1) sei 85 Jahre alt und erhalte keine Rente. Im Irak werde keine Negativbescheinigung für die Mutter ausgestellt. Im Klageverfahren (Az. 12 K 4220/05) wegen der Einkommensteuer 2003 sei vom Finanzamt in der mündlichen Verhandlung am […] 2006 der Rechtsstreit in der Hauptsache dadurch erledigt worden, dass das Finanzamt die Unterhaltszahlungen an die Mutter im Irak als außergewöhnliche Belastungen anerkannt habe.
6
Mit Bescheid vom 21. März 2024 hat das Finanzamt die von den Antragstellern beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) für die Dauer des Einspruchsverfahrens abgelehnt. Zur Begründung ihres AdV-Antrages beim Finanzgericht (FG) bedienen sich die Antragsteller der im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente.
7
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2021 vom 26. Februar 2024 in Höhe von 32.196,00 € wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit für die Dauer des Einspruchsverfahrens auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
9
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
10
Der Antrag ist begründet.
11
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 10. Dezember 2019 I B 35/19, BFHE 267, 199, BStBl II 2020, 517). Die Gewährung der AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947; vom 15. Februar 2022 I B 55, 56/21 (AdV), BFH/NV 2022, 801). Hinsichtlich des zu berücksichtigenden Prozessstoffs ist das AdV-Verfahren wegen dessen Eilbedürftigkeit auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere die Akten der Finanzbehörde und auf präsente Beweismittel beschränkt (BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855).
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der beschließende Senat der Auffassung, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2021 insoweit bestehen, als die Abfindungszahlung als sonstige Einkünfte behandelt wurde.
13
Denn eine dem Wohnungsmieter vom Vermieter für die vorzeitige Aufgabe der sich aus dem Mietvertrag ergebenden (vermögenswerten) Rechte (Besitzrecht, Mieterschutz) gezahlte Abfindung unterliegt nicht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG. Um eine nichtsteuerbare Entschädigung für die Aufgabe eines Vermögenswerts im Bereich der Vermögensumschichtung handelt es sich, wenn die wirtschaftliche Gesamtbeurteilung ergibt, dass der Vorgang dem Bild des Ausgleichs für eine Minderung des Vermögenswerts in seiner Substanz entspricht (BFH-Urteil vom 14. September 1999 IX R 89/95, BFH/NV 2000, 423; Fischer in Kirchhof/ Seer, EStG, 23. Aufl. 2024, § 22 Rz. 72). Entscheidend ist dabei nicht, wie die Parteien diese Leistungen benannt, sondern was sie nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse wirklich gewollt und tatsächlich bewirkt haben (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 IX R 96/97, BFHE 194, 178, BStBl II 2001, 391).
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Da die Antragsteller den Umzug aus der Wohnung in der CL-Straße in eigener Regie durchgeführt haben, kann bei summarischer Prüfung vom wirtschaftlichen Gehalt aus betrachtet, eine Zahlung über 100.000 € gar keine Umzugsbeihilfe darstellen. Angesichts der in den letzten 20 Jahren gestiegenen Wohnungsmieten in L-Stadt […] spricht die wirtschaftliche Gesamtbeurteilung dafür, dass mit dem Betrag von 100.000 € die Antragsteller von der GmbH dafür abgefunden werden sollten, dass sie ihre Wohnrechte als Mieter aus dem Altvertrag mit einem günstigen Mietzins für die Vierzimmerwohnung aufgeben und sich an einem anderen Ort um eine Wohnung mit einem neuen Mietvertrag bemühen. Da nach der Eigenbedarfskündigung vom Vermieter die Wohnung verkauft wurde, ist für den beschließenden Senat auch offensichtlich, dass die Kündigung wegen des nur vorgeschobenen Eigenbedarfs (vgl. dazu Tiedemann in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl. 2023, § 573 BGB Rz. 191 ff. m.w.N.) unwirksam gewesen wäre und die Antragsteller nur durch einen Aufhebungsvertrag in Verbindung mit einer Abfindungszahlung zur Aufgabe ihrer Mieterrechte an der Vierzimmerwohnung bewegt werden konnten. Die Änderung der Formulierung in der Abfindungsvereinbarung von „Abfindungsbetrag“ auf „Umzugsbeihilfe“ (zur Terminologie im Zivilrecht vgl. Schneider, ZAP 2022, 521-530) spielt demgegenüber keine Rolle und macht die Zahlung nicht zu einem Entgelt für eine Tätigkeit (Umzug als Tätigkeit) und damit zu Einkünften aus einer Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG.
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3. Macht ein Steuerpflichtiger Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende Angehörige gemäß § 33a Abs. 1 EStG steuermindernd geltend, trifft ihn nach § 90 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) eine erhöhte Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Sachverhalts sowie zur Vorsorge und Beschaffung von Beweismitteln. Zur Erleichterung und Vereinheitlichung der insoweit vorzunehmenden Sachverhaltsaufklärung und zur erleichterten Beweisführung werden zweisprachige Unterhaltserklärungen in den gängigsten Sprachen aufgelegt und im Formular-Management-System (FMS) der Bundesfinanzverwaltung (http://www.formulare-bfinv.de) zum Download bereitgestellt (BMF-Schreiben vom 6. April 2022, IV C 8-S 2285/19/10002:001, BStBl I 2022, 623, Rn. 7). Ist eine solche Unterhaltserklärung als Nachweis für die Bedürftigkeit der unterhaltenen Person nur unvollständig ausgefüllt, ist grundsätzlich die Bedürftigkeit der sie betreffenden Person nicht anzunehmen. Da die Erfüllung dieser Mitwirkungspflichten erforderlich, möglich, zumutbar und verhältnismäßig sein muss, können aber hinsichtlich der Beschaffung amtlicher Bescheinigungen aus Krisengebieten Beweiserleichterungen in Betracht kommen (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der beschließende Senat nach summarischer Prüfung der Auffassung, dass die Nichtberücksichtigung der Zahlungen an die Mutter des Antragstellers nach § 33a Abs. 1 EStG keinen ernstlichen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit begegnet. Zwar dürfte der Irak auch für das Streitjahr als Krisengebiet einzustufen sein, für das Beweiserleichterungen in Betracht kommen. Ein Abzug der geltend gemachten Unterhaltszahlungen in der gesetzlichen Höhe nach § 33a Abs. 1 EStG (für den Veranlagungszeitraum 2021 ist der Irak in die Ländergruppe 3 eingruppiert; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. November 2020, IV C 8-S 2285/19/10001:002, BStBl I 2020, 1212) scheidet aber im vorliegenden AdV-Verfahren (anders als im Klageverfahren Az. 12 K 4220/05) aus. Denn die Berücksichtigung von für die Antragsteller günstigen Tatsachen ist daran gebunden, dass diese glaubhaft gemacht werden, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung des Gerichts als feststehend anzusehen sind. Dabei hängen die Anforderungen von der für das Hauptverfahren geltenden objektiven Beweislast ab (Seer in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 123 [Feb. 2021]). Das bedeutet für den Streitfall, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 EStG vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden muss. Im Streitfall wurde aber schon die Barzahlung an die Mutter im Irak durch den Mittelsmann SH nicht nach Maßgabe der § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 294 Zivilprozessordnung (z.B. eidesstattliche Versicherung) glaubhaft gemacht.
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4. Für Zwecke der AdV ist deshalb von einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 34.235 € auszugehen […]. Da bei Steuerbescheiden gemäß § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge beschränkt ist, ist im Streitfall nur der beantragte Nachzahlungsbetrag in Höhe von 32.196 € von der Vollziehung auszusetzen.
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5. Ein Antrag auf AdV schließt, sofern er nicht im Einzelfall erkennbar auf eine in die Zukunft wirkende Maßnahme beschränkt wird, das Begehren nach einer Aufhebung der Vollziehung (insbesondere der Säumniszuschläge) ein (BFH-Beschluss vom 19. März 2014 III S 22/13, BFH/NV 2014, 856). Deshalb war hinsichtlich der verwirkten Säumniszuschläge auch die Aufhebung der Vollziehung auszusprechen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.