Titel:
Baugenehmigung für Einfamilienhaus – Abgrenzung Innenbereich und Außenbereich
Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 3
BauNVO § 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Grundstücksflächen mit auf das Hauptgebäude bezogenen Nebenanlagen können als bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile noch dem Innenbereich zuzurechnen sein. Dies gilt aber nur für hausnahe, typische Hausgärten; bei der Abgrenzung gilt ein restriktiver Maßstab. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinaus ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich, Bebauungszusammenhang, Abgrenzung Innenbereich - Außenbereich, bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile, Hausgarten, Zersiedelung, Vorbildwirkung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 10.05.2023 – M 9 K 21.2333
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26745
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem – nach Teilung des ursprünglichen Grundstücks FlNr. 59, Gemarkung P. … – neu gebildeten Grundstück FlNr. 59/3.
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Die östlich an das unbebaute Vorhabengrundstück angrenzenden (neu gebildeten) Grundstücke FlNrn. 59/2 und 59 sind mit einem Doppelhaus mit Garagen bebaut. Im Westen und Norden schließen unmittelbar landwirtschaftlich genutzte Flächen an, südlich entlang des Grundstücks verläuft die P. …straße.
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Die gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortseinsicht abgewiesen. Das unbebaute Vorhabengrundstück befinde sich im bauplanungsmäßigen Außenbereich. Nach dem im Rahmen der Ortseinsicht gewonnenen Eindruck nehme der Vorhabenstandort nicht am Bebauungszusammenhang teil. Der Vorhabenstandort sowie die Bebauung westlich auf dem Grundstück FlNr. 61 sowie östlich beginnend mit dem Grundstück FlNr. 59/2 und daran anschließend nördlich der P. …straße vermittelten nicht den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit. Es handle sich nicht um eine Baulücke. Der Bebauungszusammenhang ende entlang der westlichen Außenwand des Hauptbaukörpers auf dem Grundstück FlNr. 59/2. Als sonstiges Bauvorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige es öffentliche Belange.
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Mit dem Zulassungsantrag verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Bei den zur Bebauung vorgesehenen Grundstücksflächen handle es sich um eine Baulücke. Aufgrund der gewachsenen Siedlungsstruktur und der Lage des Vorhabengrundstücks mitten in dieser Siedlung sei eine Zuordnung zum Außenbereich fernliegend. Der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit stünden im Übrigen keine öffentlichen Belange entgegen.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen. die Beigeladene schließt sich – ohne einen Antrag zu stellen – dem angegriffenen Urteil an.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Vorhabengrundstück im bauplanungsrechtlichen Außenbereich liegt und das geplante Wohnbauvorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 2 BauGB).
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Dabei ist das Verwaltungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der für eine Innenbereichslage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB notwendige Bebauungszusammenhang fehlt.
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Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Graben, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Eine unbebaute Fläche ist – als Baulücke – Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint.
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Gemessen an diesen Maßstäben kommt es auf die Entfernung zwischen der Bebauung westlich des Vorhabengrundstücks und dem Wohngebäude östlich des Vorhabengrundstücks, die die Klägerin mit 74 m bis 111 m angibt (Grundstücksgrenze des unbebauten Grundstücks FlNr. 59/3 bzw. westliche Gebäudekante der bestehenden Doppelhaushälfte auf FlNr. 59/2), nicht entscheidend an, da diese geografisch-mathematischen Größen alleine keine Aussagekraft haben. Das Verwaltungsgericht hat das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs von West nach Ost entlang der P. …straße auf Grund einer Ortseinsicht anhand der vorstehend dargestellten Maßstäbe beurteilt. Es hat dabei zu Recht maßgebend darauf abgestellt, dass sich das Vorhabengrundstück im Westen und Norden zur freien Landschaft hin öffnet und als Teil dieser Freiflächen erscheint, die bereits aufgrund der Größe und Ausdehnung dem Außenbereich zuzurechnen sind. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil endet an der westlichen Hauswand des Wohnhauses auf dem Grundstück FlNr. 59/2 und östlich der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 61; die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, wird nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt. Zwar können Grundstücksflächen mit auf das Hauptgebäude bezogenen Nebenanlagen als bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile noch dem Innenbereich zuzurechnen sein. Dies gilt aber nur für hausnahe, typische Hausgärten; bei der Abgrenzung gilt ein restriktiver Maßstab (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2023 – 1 ZB 23.140 – juris Rn. 11; B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 6). Die sog. bauakzessorische Nutzung soll es dem Bauherrn ermöglichen, unmittelbar angrenzend an das Hauptgebäude in angemessenem Umfang untergeordnete Nebenanlagen im Sinn von § 14 Abs. 1 BauNVO, wie z.B. Terrassen, unterzubringen. Dagegen ist nicht bezweckt, dass dort ein weiteres Hauptgebäude bzw. Wohnhaus errichtet wird; ein größerer Umgriff verbietet sich deshalb (vgl. BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 20). Das eigenständige Vorhabengrundstück als Hausgarten zu dem östlich angrenzenden Wohngebäude anzusehen, liegt fern, da die Gartenflächen des Doppelhauses nach der Ansicht in BayernAtlas nach Süden ausgerichtet sind. Weshalb eine bauakzessorische Nutzung aufgrund der Darstellung der Fläche des Vorhabengrundstücks im Flächennutzungsplan als Siedlungsfläche bestätigt werden soll, legt die Zulassungsbegründung nicht ansatzweise dar und ist auch nicht erkennbar. Auch die Einzäunung und Bepflanzung des Grundstücks können einen Bebauungszusammenhang nicht begründen. Auf die Vornutzung des ursprünglich ungeteilten Grundstücks kommt es nicht an, da (nur) die tatsächlich vorhandene Bebauung maßgeblich ist. Örtliche Besonderheiten, die ausnahmsweise eine Ausdehnung des Bebauungszusammenhangs nach Norden bzw. Westen rechtfertigen könnten, sind weder substantiiert dargelegt noch sind sie ersichtlich. Es kann daher dahinstehen, ob (nur) zwei bis drei Bauvorhaben in der unbebauten Fläche zwischen der im Osten und Westen angrenzenden Bebauung verwirklicht werden könnten. Ebenso kommt es nicht auf die Auflistung von (offensichtlichen) Baulücken in dem Bereich nördlich und südlich entlang der P. …straße nach Osten (Grundstücke FlNrn. 58/3, 79/5 und 79/6) an. Weshalb diese Baulücken auch ihr Vorhabengrundstück „mitprägen“ könnten, erläutert die Klägerin nicht. Erteilte Genehmigungen sind nicht Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Hinweis darauf, dass die Schließung von Baulücken entlang der P. …straße eine „zwanglose Fortsetzung der Bebauung innerhalb einer gewachsenen Siedlungsstruktur darstelle“, genügt nicht.
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Die Ausweitung des Ortsteils über den Bebauungszusammenhang hinaus in den Außenbereich beeinträchtigt hier als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) öffentliche Belange. Es ist Aufgabe der Bauleitplanung oder einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747; BayVGH, U.v. 16.5.2021 – 1 B 19.221 – juris Rn. 18).
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Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinaus ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten (BVerwG, B.v. 11.10.1999 a.a.O). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Bebauung auf dem Vorhabengrundstück Vorbildwirkung für weitere Bauwünsche auf den unmittelbar an das Vorhabengrundstück angrenzenden (Außen-)Bereich, insbesondere den Bereich zwischen dem Grundstück FlNr. 59/2 bzw. dem Vorhabengrundstück und der bestehenden Bebauung im Westen hätte. Soweit in dem Zulassungsvorbringen ein Abgrenzungskriterium darin gesehen wird, dass der Flächennutzungsplan den Bereich des Vorhabengrundstücks als Siedlungsfläche darstellt, die weiteren Flächen jedoch als Flächen für die Landwirtschaft, kommt es nicht darauf an, ob als Folge der Zulassung des Vorhabens ein Genehmigungsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben besteht oder weiteren Vorhaben ein zusätzlicher öffentlicher Belang entgegengehalten werden könnte (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2019 – 1 B 17.2077 – juris Rn. 22). Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 8.10.2020 – 1 ZB 17.2319 – juris Rn 14). Insofern ist die Gefahr einer weiteren Zersiedlung hier hinreichend konkret zu befürchten (BayVGH, B.v. 12.5.2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 39).
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Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kann dahinstehen, ob das Vorhaben auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
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Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angegriffene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angegriffenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 18.5.1993 – 4 B 65.93 – NVwZ 1993, 1101).
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Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Es fehlt sowohl an der Darlegung des Rechtssatzes der in Bezug genommenen obergerichtlichen Entscheidungen als auch des hiervon abweichenden Rechtssatzes in der angegriffenen Entscheidung. Im Ergebnis wendet sich die Klägerin vor allem gegen eine ihrer Auffassung nach fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung. Hierauf kann eine Divergenz nicht gestützt werden.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).