Titel:
Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im allgemeinen Wohngebiet
Normenketten:
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 15 Abs. 1 S. 1
BauGB § 246 Abs. 11
Leitsatz:
Eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge für 96 Personen übt eine dominierende, den Charakter eines kleinen allgemeinen Wohngebietes mit aufgelockerter Bebauung bestehend aus Einfamilienhäusern und Doppelhäusern verändernde Wirkung aus und ist deshalb unzulässig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag, ´Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Allgemeines Wohngebiet, Gebietsverträglichkeit (hier verneint), Gemeinschaftsunterkunft, allgemeines Wohngebiet, Gebietscharakter, Lärmimmissionen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 06.08.2024 – M 11 SN 24.2326
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26741
Tenor
I. In Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wird die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 9. Februar 2024 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge – in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses – auf jeweils 6.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die erteilte Baugenehmigung für eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende/Flüchtlinge auf dem Nachbargrundstück.
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Die Gemeinschaftsunterkunft soll auf den Grundstücken der Beigeladenen zu 1 FlNr. … und …3, Gemarkung B. …, errichtet werden. Als Bestand befindet sich dort ein größeres Wohngebäude, das nach Angaben der Stadt und des Landratsamts bereits als Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge genutzt wird. Diese soll mit dem Bauvorhaben in Modulbauweise für 96 Bewohner erweitert werden. Der etwa 49 m lange Baukörper ist entlang der südlichen Grundstücksgrenze situiert. Die Antragsteller sind Miteigentümer des unmittelbar daran angrenzenden Grundstückes, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
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Der Vorhabenstandort liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans mit integriertem Grünordnungsplan „I.weg“, der für das Plangebiet ein allgemeines Wohngebiet festsetzt, die nach § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sind ausgeschlossen. Das Plangebiet ist im Hinblick auf die Nutzung in zwei Bereiche aufgeteilt. Im südwestlichen Bereich, einer bisherigen Außenbereichsfläche, ist Geschosswohnungsbau vorgesehen (Baufelder A und B); im Bereich der östlichen Bestandsbebauung, in der der Vorhabenstandort liegt und die durch eine Bebauung mit Einzelhäusern in aufgelockerter Bauweise geprägt ist, soll eine gewisse Nachverdichtung möglich sein (Baufeld C) und die Erschließung durch den I.weg sowie der vorhandene Grünzug gesichert werden. Die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgte für die südwestlich im Plangebiet gelegenen Neubauflächen im beschleunigten Verfahren nach § 13b i.V.m. § 13a BauGB, für die Flächen mit Bestandsbebauung im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB. Für die östliche Bestandsbebauung (Baufeld C) wird eine maximale Grundflächenzahl von 0,4 festgesetzt, die für Anlagen gemäß § 19 Abs. 4 BauNVO überschritten werden darf. Gegen den Bebauungsplan wurde u.a. von den Antragstellern ein Normenkontrollantrag gestellt, über den der Senat noch nicht entschieden hat. Der gestellte Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wurde mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 (1 NE 22.2132) abgelehnt.
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Der Bauantrag der Beigeladenen zu 1 war Anlass für die Stadt die Art der Nutzung für den Bestandsbereich im Plangebiet im Hinblick auf die kleinteilige Bebauung mit Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Doppelhäusern mit einer erneuten Planung einzugrenzen und lärmintensivere Nutzungen, u.a. Anlagen für soziale Zwecke, auszuschließen. Für die am 25. September 2023 beschlossene Aufstellung des einfachen Bebauungsplans „An der Isarleite“ wurde eine Veränderungssperre erlassen, die am 30. September 2023 bekannt gemacht wurde. Das gemeindliche Einvernehmen zu dem Bauantrag wurde im Hinblick auf die Veränderungssperre und die Überschreitung der zulässigen Grundfläche auf den Grundstücken abgelehnt.
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Das Landratsamt genehmigte das Bauvorhaben mit Bescheid vom 9. Februar 2024 befristet auf 12 Jahre ab Nutzungsaufnahme des Vorhabens; das gemeindliche Einvernehmen wurde ersetzt und die von der Beigeladenen zu 1 beantragte Ausnahme von der Veränderungssperre wurde auf der Grundlage von § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB erteilt. Dagegen erhoben sowohl die Antragsteller als auch die Stadt Anfechtungsklage, über die noch nicht entschieden ist. Die Antragsteller stellten zudem einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. August 2024 abgelehnt hat. Die angefochtene Baugenehmigung verletze keine nachbarschützenden Vorschriften. Bei Annahme eines zumindest faktischen allgemeinen Wohngebiets werde der Gebietserhaltungsanspruch nicht verletzt. Anlagen für soziale Zwecke seien dort nach § 4 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig. Das Vorhaben sei auch aller Voraussicht nach (noch) gebietsverträglich. Ein bodenrechtlich beachtliches Störpotenzial, das sich mit der Zweckbestimmung eines (faktischen) allgemeinen Wohngebiets nicht vertrage, sei mit dem Vorhaben der Beigeladenen zu 1 auch unter Berücksichtigung einer etwaigen bereits stattfindenden Asylbewerberunterbringung auf den Vorhabengrundstücken nicht verbunden, da es die einem allgemeinen Wohngebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung, nämlich die des Wohnens, wahre. Auch ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch der Antragsteller scheide hinsichtlich der Unterbringungskapazitäten nach summarischer Prüfung aus. Es handele sich hier insbesondere in Richtung Norden eher um eine heterogene Bebauungsstruktur. Soweit im Bebauungsplan eine offene Bauweise festgesetzt werde, komme dieser bereits keine drittschützende Wirkung zu. Das Vorhaben verletze voraussichtlich auch nicht das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Es habe keine „abriegelnde“ Wirkung auf das Anwesen der Antragsteller und zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze lägen keine besonders schützenswerten Grundstücks- bzw. Gebäudeteile der Antragsteller. Bei der im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots vorzunehmenden Interessenabwägung sei auch das öffentliche Interesse an der Schaffung von Flüchtlingsunterkünften und die damit verbundene gesetzgeberische Wertung in die Gesamtbetrachtung einzustellen. Der gestellte Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten habe aus den genannten Gründen ebenfalls keinen Erfolg.
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Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Zwar entfalte die Veränderungssperre grundsätzlich keinen unmittelbaren Drittschutz. Im konkreten Fall ergebe sich daraus jedoch im Zusammenhang mit dem in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerten Rücksichtnahmegebot ein Abwehranspruch der Antragsteller. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Vorhaben noch gebietsverträglich sei. Es sei nicht nur darauf abzustellen, dass soziale Einrichtungen in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig seien, sondern wie sich eine solche Einrichtung nach ihrem Maß präsentiere. Das „kasernenartige“ Vorhaben entwickle hinsichtlich Kubatur wie auch der Anzahl nutzender Personen eine Dominanz, hinter der die vorhandene Bebauung vollständig zurücktrete. Die Festsetzung einer offenen Bauweise werde überwiegend als drittschützend angesehen, eine Länge von 50 m werde mit der anschließenden Garage überschritten. Das Vorhaben habe aufgrund seiner Länge und des relativ geringen Abstands zur Grundstücksgrenze der Antragsteller eine einmauernde Wirkung für deren Anwesen.
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Der Antragsgegner tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und macht darüber hinaus geltend, dass den ganz überwiegend errichtungsbezogenen Einwendungen gegen die Baugenehmigung bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber mittlerweile weitgehend fertiggestellt worden sei. Die Antragsteller haben sich hierzu mit Schriftsatz vom 30. September 2024 geäußert, auf den verwiesen wird.
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Die Stadt wurde auf ihren Antrag mit Beschluss vom 27. September 2024 beigeladen (Beigeladene zu 2).
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren, die vorgelegte elektronische Behördenakte sowie die Gerichtsakte mit Planaufstellungsunterlagen im anhängigen Normenkontrollverfahren (1 N 22.2131) Bezug genommen.
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Die Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg, soweit sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die erteilte Baugenehmigung für eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende/Flüchtlinge begehren. Im Hinblick auf den weiterhin verfolgten Antrag auf (vorläufiges) bauaufsichtliches Einschreiten war ihr Rechtsschutzbegehren zurückzuweisen.
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1. Die Gemeinschaftsunterkunft ist nach den Angaben des Antragsgegners und den vorgelegten Bildaufnahmen mittlerweile im Wesentlichen fertiggestellt. Eine Belegung mit zunächst wenigen Personen soll aktuell bereits erfolgen. Für Einwendungen gegen die Errichtung des Baukörpers (Ausmaße und Standort der baulichen Anlage, keine offene Bauweise) fehlt den Antragstellern daher zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis, das als Prozessvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen ist. Das mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen in Bezug auf den Baukörper und seine Auswirkungen zu verhindern, kann hier nicht mehr erreicht werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2022 – 1 CS 22.851 – juris Rn. 8 m.w.N.). Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, der Beigeladenen zu 1 einstweilen aufzugeben, die Bauarbeiten sofort einzustellen und fortan alle Maßnahmen zur Ausführung des genehmigten Vorhabens zu unterlassen, ist daher unzulässig; insoweit war die Beschwerde zurückzuweisen. Eine abschließende Prüfung der errichtungsbezogenen Einwendungen bleibt dem anhängigen Klageverfahren vorbehalten.
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2. Mit der Baugenehmigung wird aber nicht nur die Errichtung des Baukörpers gestattet, sondern auch die beantragte Nutzung. Nutzungsbezogene Einwendungen können weiterhin geltend gemacht werden, mit der Aufnahme der Nutzung wurde nach den Angaben des Antragsgegners zudem erst vereinzelt begonnen. Die Einwendungen der Antragsteller gegen den vom Verwaltungsgericht abgelehnten Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch sind daher Prüfungsgegenstand im vorliegenden Verfahren und führen zu der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung für die Gemeinschaftsunterkunft. Die Klage der Antragsteller wird nach der im Beschwerdeverfahren gebotenen summarischen Prüfung insoweit erfolgreich sein.
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2.1. Auszugehen ist dabei von dem Bebauungsplan mit integriertem Grünordnungsplan „I.weg“, der für den Bereich der östlichen Bestandsbebauung (Baufeld C) nach Überprüfung im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (B.v. 20.12.2022 – 1 NE 22.2132 – juris) wirksam ist. Zwar ist für die Neubaubereiche im südwestlichen Teil des Plangebiets zwischenzeitlich die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu berücksichtigen, nach der der Bebauungsplan in diesem Bereich nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 i.V.m. § 13a BauGB hätte erlassen werden dürfen, da die Vorschrift nicht im Einklang mit Europarecht steht (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.2023 – 4 CN 3.22 – BVerwGE 179, 348). Dieser Teil des Bebauungsplans, mit dem das Wohnungsangebot im Gemeindegebiet durch eine verdichtete Bauweise verbessert werden sollte, ist bis zu einer ergänzenden oder neuen Planung durch die Gemeinde unwirksam und kann bei der Gebietsabgrenzung nicht berücksichtigt werden. Der Senat geht dabei vorläufig davon aus, dass die Antragsteller im Normenkontrollverfahren insoweit eine fristgerechte Rüge erhoben haben. Die Unwirksamkeit des Teilbereichs Neubebauung (Baufelder A und B) führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Gesamtplanung, da die Planbereiche klar abgegrenzt sind, der Bebauungsplan insoweit teilbar ist (vgl. B.v. 20.12.2022 a.a.O. Rn. 20) und auch von einem Willen der Gemeinde ggf. nur den Bestandsbereich zu überplanen, auszugehen ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.2007 – 4 BN 44.07 – juris Rn. 3). Dies wird auch durch die derzeitigen Planungen der Gemeinde unterstrichen, die aktuell eine Änderungsplanung für die Bestandsbebauung erstellen (Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan „An der Isarleite“) und den Teilbereich Neubebauung in einem gesonderten Verfahren neu überplanen wollen (geplanter Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan „I.weg Südwest“). Für die Frage, ob die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist, ist daher nur auf den Bereich der Bestandsbebauung abzustellen. Es handelt sich hier nach den Darstellungen im Bebauungsplan um 8 Grundstücke, die im Bestand eine lockere Bebauung mit Einfamilienhäusern und Doppelhäusern aufweisen; das auf dem Grundstück des Beigeladenen befindliche Gebäude, das bereits als Unterkunft für Flüchtlinge genutzt wird, stellt dabei das größte Gebäude dar. Das Verwaltungsgericht ist mit der Annahme eines zumindest faktischen allgemeinen Wohngebiets, für das es den Blick auch über das Plangebiet hinaus nach Norden genommen hat, von einem unrichtigen Bezugsrahmen ausgegangen.
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2.2. Die Antragsteller bestreiten nicht, dass die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge als Anlage für soziale Zwecke (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 14.2.2018 – 9 BV 16.1694 – BauR 2018, 943 und § 246 Abs. 11 BauGB) nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sein kann. Die Festsetzungen im Bebauungsplan „I.weg“ enthalten insoweit keine Einschränkung, die ursprüngliche Absicht der Stadt, nur kleinere Anlagen für soziale Zwecke zuzulassen, wurde im Hinblick auf den Einwand des Landratsamts zur Bestimmtheit des Größenbegriffs aufgegeben. Sie halten die Gemeinschaftsunterkunft aber im Hinblick auf ihrer Größe bzw. Dominanz im zu beurteilenden Baugebiet für nicht zulässig.
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind (soziale) Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Die Vorschrift ermöglicht es, solche Vorhaben zu versagen, die zwar nach Art, Größe und störenden Auswirkungen (typischerweise) den Gebietscharakter nicht gefährden, jedoch nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung angesichts der konkreten Verhältnisse an Ort und Stelle der Eigenart des Baugebiets widersprechen (vgl. BVerwG, B.v. 28.2.2008 – 4 B 60.07 – NVwZ 2008, 786); sie dient der einzelfallbezogenen „Feinabstimmung“ (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 7 C 7.92 – NVwZ 1993, 987). Soweit § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bestimmt, dass ein Vorhaben im Einzelfall auch unzulässig ist, wenn es wegen seines Umfangs der Eigenart eines bestimmten Baugebiets widerspricht, so geht die Vorschrift davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899).
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Das bejaht der Senat im vorliegenden Fall. Die genehmigte Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge für 96 Personen übt eine dominierende, den Charakter des Gebietes verändernde Wirkung aus (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.1991 – 4 B 40.91 – NVwZ 1991, 1078). Das kleine Baugebiet weist neben den Grundstücken der Beigeladenen zu 1 eine aufgelockerte Bebauung mit Einfamilienhäusern und Doppelhäusern auf, auch im Hinblick auf das festgesetzte zulässige Maß der baulichen Nutzung sind hier größere Veränderungen auf den Wohngrundstücken nicht zu erwarten, ggf. kann auf dem Grundstück FlNr. …2 ein zusätzliches Gebäude errichtet werden. Bei der genehmigten Gemeinschaftsunterkunft handelt es sich hingegen sowohl nach der Kubatur als auch nach der Belegungszahl um eine größere Anlage. Zudem dürfte das nach den Angaben der Beteiligten bereits als Gemeinschaftsunterkunft genutzte Gebäude auf dem Grundstück FlNr. …2 mit zu berücksichtigen sein, gegen eine Mitberücksichtigung werden im Beschwerdeverfahren keine Einwände geltend gemacht. Konkretere Angaben hierzu werden im Klageverfahren zu ermitteln sein. Mit der Größe der Unterkunft bzw. deren Belegungszahl erhöhen sich erfahrungsgemäß die Lärmimmissionen. So wird auch in der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme zum Bauvorhaben darauf hingewiesen, dass es bei Bauvorhaben dieser Größenordnung zu Lärmkonflikten mit der Nachbarschaft kommen kann. Die bestehende räumliche Enge in der Flüchtlingsunterkunft (sehr kleine Zimmer und begrenzte Aufenthaltsmöglichkeiten in den Gemeinschaftsräumen) wird dazu führen, dass sich die Bewohner in größerer Zahl im Freien vor der Unterkunft aufhalten, sei es noch auf den Vorhabengrundstücken, die bereits relativ dicht bebaut sind oder den benachbarten Straßen- oder Grünflächen im Plangebiet. Dies ist ebenfalls geeignet, eine Unruhe in das Gebiet zu bringen (vgl. OVG Hamburg, B.v. 28.5.2015 – 2 Bs 23/15 – ZfBR 2016, 61), die mit dem Wohncharakter in dem kleinen Gebiet nicht mehr vereinbar ist. Da es auf das Maß der baulichen Nutzung nicht ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899), weist der Senat hier nur darauf hin, dass das Landratsamt bei der Genehmigung der Gemeinschaftsunterkunft zu Unrecht von einem zulässigen Maß der baulichen Nutzung ausgegangen ist. Die auf dem Grundstück FlNr. …2 festgesetzte private Grünfläche stellt kein Bauland dar und kann bei der Ermittlung der zulässigen Grundfläche nicht berücksichtigt werden, weiter kann nur die innerhalb des Plangebiets liegende Grundstücksfläche berücksichtigt werden. Soweit der Antragsgegner geltend macht, dass die Unterbringung von Asylbewerbern zu den Nutzungen gehört, die dem Wohnen ähnlich sind, ist dies zwar grundsätzlich richtig, es gibt aber auch hier unterschiedliche Unterbringungsformen (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1998 – 4 C 16.97 – BVerwGE 108, 190). Es handelt sich bei der genehmigten Gemeinschaftsunterkunft nicht um eine Unterbringung in einem bestehenden Wohngebäude oder in einzelnen, kleineren Wohncontainern, sondern um eine Unterbringung in einem größeren, lang gestreckten Gebäude in Modulbauweise, bei der die Unterbringung einer möglichst großen Zahl von Flüchtlingen im Vordergrund steht. Eine einzelfallbezogene Prüfung im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird auch durch die gesetzgeberische Wertung in § 246 Abs. 11 BauGB, auf die sich der Antragsgegner bezogen hat, nicht obsolet. Ob eine Befristung der Nutzung im Rahmen des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB berücksichtigt werden kann, kann vorliegend dahingestellt bleiben, da jedenfalls eine Befristung auf 12 Jahre nicht geeignet ist, die Schutzwürdigkeit des Wohngebiets zu relativieren.
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3. Soweit die Antragsteller geltend machen, dass sie eine Rechtswidrigkeit der erteilten Ausnahme von der Veränderungssperre rügen können, hat der Antragsgegner zurecht darauf hingewiesen, dass die Veränderungssperre nur die Planungshoheit der Gemeinde schützt und keine nachbarschützende Funktion hat. Dies gilt auch dann, wenn der spätere Bebauungsplan zugunsten der Antragsteller nachbarschützende Festsetzungen enthalten soll (vgl. BVerwG, B.v. 5.12.1988 – 4 B 182.88 – NVwZ 1989, 453). Die Rechtmäßigkeit der erteilten Ausnahme von der Veränderungssperre wird daher nur im Klageverfahren der Beigeladenen zu 2 zu prüfen sein. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass hier erhebliche rechtliche Bedenken im Hinblick auf die genehmigte Befristung der baulichen Anlage bestehen (vgl. für eine auf 3 Jahre befristete Baugenehmigung BayVGH, B.v. 24.6.2024 – 9 CS 24.458 – juris).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie sich zur Sache nicht eingelassen haben bzw. keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 GKG. Das nachbarliche Interesse ist anhand der geltend gemachten Auswirkungen der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge auf ihr Grundstück bzw. das Wohngebiet mit einem Streitwert im Bereich des oberen Rahmens zu berücksichtigen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).