Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.09.2024 – 1 CS 24.1020
Titel:

Sofortige Beseitigung von Mauer und Auffüllung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Beruft sich ein betroffener Eigentümer gegenüber einer bauordnungsrechtlichen Eingriffsmaßnahme als ihm zugutekommende Einwendung auf Bestandsschutz, so trägt dieser hierfür die Darlegungslast sowie die materielle Beweislast und damit das Risiko der Nichterweislichkeit. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für sich gesehen genehmigungsfreie Teile eines Vorhabens werden von der Baugenehmigungspflicht erfasst, wenn sie unselbständige Teile eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind und mit diesem eine Einheit bilden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Sofortvollzug, Bestandsschutz, Beweislast, Baugenehmigungspflicht, Gesamtvorhaben, Hochwassersituation
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 03.06.2024 – M 1 S 23.5970
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26738

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Anordnung der Beseitigung einer Mauer sowie einer Auffüllung auf seinem Grundstück FlNr. …3, Gemarkung P. …
2
Über das Grundstück verläuft von Norden nach Süden der N. …graben, ein Gewässer dritter Ordnung. Auf dem Grundstück befindet sich an der nördlichen Grenze zu den Grundstücken FlNr. …8 und …8 quer zur Fließrichtung des N. …grabens eine aus drei Abschnitten bestehende, insgesamt ca. 26,80 m lange Mauer, die Höhen zwischen 0,52 m bis zu 1,42 m aufweist. Unmittelbar hinter der Mauer hat das Landratsamt eine Auffüllung aus unbekanntem Material festgestellt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des mehrfach geänderten Bebauungsplans Nr. 25 „H. … Straße“ aus dem Jahr 1995. Die Mauer sowie die Auffüllung liegen innerhalb des dort festgesetzten Überschwemmungsgebiets, das von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
3
Das Landratsamt verpflichtete unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit den Antragsteller zur Beseitigung der Mauer sowie der Auffüllung nach näher bestimmten Maßgaben unter Androhung von Zwangsgeldern. Für die Errichtung der Mauer werde von einem Zeitraum zwischen 1975 und 1997 ausgegangen. Sie sei formell illegal erfolgt. Es habe weder eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht bestanden noch sei sie verfahrensfrei. Die Mauer sei auch materiell baurechtswidrig, da sie im Widerspruch zum Wasserrecht errichtet worden sei. Seit 1. Mai 1966 bestehe im Regierungsbezirk Oberbayern aufgrund einer Verordnung eine Genehmigungspflicht für Anlagen in oder an Gewässern dritter Ordnung. Die Mauer liege im faktischen Überschwemmungsgebiet des N. …grabens. Bei einem 100-jährigen Hochwasserereignis würde das Grundstück sowie das östliche Nachbargrundstück größtenteils überflutet. Durch die Mauer werde das Wasser oberhalb aufgestaut und entlang der Mauer auf das Nachbargrundstück geleitet. Die Mauer sei seit ihrer Errichtung wasserrechtlich genehmigungspflichtig gewesen, sodass auch die Voraussetzungen für eine wasserrechtliche Beseitigungsanordnung erfüllt seien. Die Auffüllung, die ebenfalls den Hochwasserabfluss negativ beeinflusse, unterliege im 60 m-Bereich ebenfalls der wasserrechtlichen Genehmigungspflicht.
4
Hiergegen erhob der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden wurde, und beantragte zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die Anordnung der Beseitigung der Mauer sowie der Auffüllung sei rechtmäßig. Das Gericht gehe auf der Grundlage der Ausführungen der Beteiligten von der Errichtung der Mauer vor Mitte der 1970er Jahre aus. Sowohl nach der BayBO 1969 als auch den nachfolgenden Fassungen sei eine Baugenehmigung erforderlich gewesen. Die Mauer widerspreche dem materiellen Wasserrecht, seit Inkrafttreten des Bebauungsplans zudem dem materiellen Baurecht. Sie befinde sich im faktischen Überschwemmungsgebiet des N. …grabens und beeinträchtige das Wohl der Allgemeinheit. Bei einem 100-jährigen Hochwasserereignis werde das Wasser oberhalb der Mauer aufgestaut und es bildeten sich größere Wassertiefen auf dem Nachbargrundstück. Die auf Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG gestützte Anordnung zur Beseitigung der Auffüllung sei ebenfalls rechtmäßig. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei im Hinblick auf die Geährdungslage für das Nachbargrundstück gerechtfertigt.
5
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter. Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
6
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
7
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
8
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage gegen die Beseitigungsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben. Das für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderliche besondere Vollzugsinteresse hat das Landratsamt in der Beseitigungsanordnung begründet und die angeführten Gesichtspunkte genügen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen der Rechtsprechung. Die dargelegten Gründe rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung.
9
1. Das Beschwerdevorbringen zeigt nicht auf, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die auf Art. 76 Satz 1 BayBO gestützte Beseitigungsanordnung für die Mauer rechtswidrig ist.
10
Der Antragsteller beschränkt sich im Wesentlichen auf den Vortrag, dass die Mauer ausweislich der zwischenzeitlich vorliegenden Luftbilder der Bayerischen Vermessungsverwaltung aus den Jahren 1961 und 1970 bereits vor dem Jahr 1961 errichtet worden sei und somit genehmigungsfrei gewesen sei. Auf dem vom Antragsteller vorgelegten Luftbild aus dem Jahr 1961 ist für den Senat die streitgegenständliche Mauer nicht zu erkennen. Selbiges gilt für das Luftbild von 1970. Es erscheint auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass anhand dieser Luftbilder, die nur eine eingeschränkte Schärfe aufweisen, durch das vom Antragsteller im Hauptsacheverfahren angebotene Sachverständigengutachten zweifelsfrei bestätigt werden könnte, dass es sich hierbei um die streitgegenständliche Mauer handelt. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Frage des genauen Zeitpunkts der Errichtung der Mauer klären lässt. Für die Frage, ob die Mauer im Zeitpunkt ihrer Errichtung genehmigungsfrei bzw. materiell rechtmäßig war, trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Beruft sich ein betroffener Eigentümer gegenüber einer bauordnungsrechtlichen Eingriffsmaßnahme als ihm zugutekommende Einwendung auf Bestandsschutz so trägt dieser hierfür die Darlegungslast sowie die materielle Beweislast und damit das Risiko der Nichterweislichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 19.2.1988 – 4 B 33.88 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.11.2021 – 15 ZB 21.1329 – juris Rn. 10; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Januar 2024, Art. 76 Rn. 86, 130 m.w.N.), sodass eine Nichterweislichkeit des Zeitpunkts der Errichtung der Mauer und damit ihrer Rechtskonformität zu Lasten des Antragstellers geht.
11
Soweit das Beschwerdevorbringen darauf abstellt, dass auch nach der BayBO 1969 keine Baurechtswidrigkeit bestanden hätte, da nur eine der drei Mauern an einzelnen Stellen geringfügig die zulässige Höhe von 1,30 m überschreite und dies nicht zur Unzulässigkeit der anderen beiden Mauern führe, lässt es unberücksichtigt, dass bei der Beurteilung der Genehmigungsfreiheit die bauliche Anlage in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen ist. Für sich gesehen genehmigungsfreie Teile eines Vorhabens werden von der Baugenehmigungspflicht erfasst, wenn sie unselbständige Teile eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind und mit diesem eine Einheit bilden (BayVGH, 10.11.2021 – 15 ZB 21.1329 – juris Rn. 9; B.v. 24.4.2018 – 1 CS 18.308 – juris Rn. 9), sodass hier die Mauer, die aus drei Teilabschnitten besteht, insgesamt der Genehmigungspflicht unterlag und nicht in genehmigungspflichtige und genehmigungsfreie Teile aufgespalten werden kann.
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2. Die auf Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG gestützte Anordnung zur Beseitigung der Geländeauffüllung begegnet im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich insoweit in dem Vorbringen, dass die Auffüllung zum selben Zeitpunkt wie die Mauer errichtet worden sei und zum damaligen Zeitpunkt kein wasserrechtlicher Genehmigungsvorbehalt bestanden habe. Eine Aufschüttung lässt sich den vom Antragsteller vorgelegten Bildern nicht entnehmen. Die fehlende Erweislichkeit des Zeitpunkts der Vornahme der Aufschüttung geht zu Lasten des Antragstellers. Insoweit geltend die vorstehenden Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast entsprechend.
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3. Das Beschwerdevorbringen zeigt auch nicht auf, dass die Anordnung des Sofortvollzugs zu Unrecht erfolgt ist. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden. Bei Beseitigungsanordnungen ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil dadurch die Entscheidung in der Hauptsache im Kern vorweggenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – BayVBl 2019, 391).
14
Diesen Maßstab hat das Verwaltungsgericht dem angegriffenen Beschluss zugrunde gelegt und zutreffend darauf abgestellt, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung besteht. Soweit der Antragsteller anführt, das Landratsamt verhalte sich widersprüchlich, wenn es auf dem Nachbargrundstück in Kenntnis der Überschwemmungssituation ein Wohngebäude genehmige, ist schon nicht ersichtlich, dass dem Landratsamt die Errichtung der Mauer sowie die Vornahme der Auffüllung und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Hochwassersituation im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung für das Wohngebäude überhaupt bekannt war. Dass die Mauer sowie die Aufschüttung bei Hochwasser bzw. Überschwemmungen negative Auswirkungen auf das Gebäude auf dem Nachbargrundstück haben, wird vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen. Hingegen bietet die Mauer nach den Ausführungen im angegriffenen Bescheid keinen relevanten Hochwasserschutz für das auf dem Grundstück des Antragstellers gelegene Hauptgebäude, sondern lediglich für dessen Nebenanlagen. Der Umstand, dass nach dem Beschwerdevorbringen die gewässerunterhaltspflichtige Gemeinde untätig geblieben sein soll, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Gemeinde den Handlungsbedarf erkannt und mit der Ausarbeitung eines Konzepts begonnen habe, dies jedoch nichts am Vorliegen des überwiegenden öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug der Beseitigungsanordnung ändere. Durch die Beseitigung der Mauer und der Aufschüttung kann kurzfristig eine Verbesserung der Hochwassersituation für das Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück erreicht werden, ohne dass sich hierdurch eine kritische Situation für das Hauptgebäude auf dem Grundstück des Antragstellers ergibt. Im Hinblick auf das Zeitmoment begegnet die Anordnung des Sofortvollzugs ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Auch wenn seit Errichtung der Mauer bzw. der Vornahme der Aufschüttung mehrere Jahrzehnte vergangen sein sollten, steht dies der Anordnung des Sofortvollzugs nicht entgegen. Die Hochwassersituation aus dem Jahr 2021, die das Landratsamt erkennbar seinem Einschreiten zugrunde gelegt hat und die sich jederzeit wiederholen kann, bot ausreichend Anlass für ein zeitnahes Tätigkeitwerden sowie die Beseitigung einer Gefahrenlage für die Nachbarbebauung.
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. 1.5 und 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).