Titel:
Konversion zum Christentum eines iranischen Staatsangehörigen im Ausland
Normenketten:
Anerkennungs-RL Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2d, Art. 10 Abs. 1 lit. b
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3d, § 3e, § 4, § 28, § 77 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Nach der derzeitigen asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran ist nicht davon auszugehen, dass einem Übergetretenen schon wegen eines bloß formalen Wechsels zum christlichen Glauben im Ausland oder in Deutschland oder wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland als solcher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte (im Anschluss an OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 78 f.; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 60; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 75, 79 ff.). (Rn. 51)
2. Allein der Umstand, dass sich eine Person in Deutschland (länger) aufgehalten und einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr in den Iran nach wie vor nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung aus (im Anschluss an OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 137 ff.; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 79 ff.; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 63 ff.). (Rn. 71)
Schlagworte:
Herkunftsland Iran, Konversion zum Christentum, längerer Auslandsaufenthalt nach Asylantragstellung, Regimegegner, Hinwendung zum christlichen Glauben, Strafverfolgung bei Konversion, religiöse Riten in der Öffentlichkeit, Verfolgungsgefahr, Taufe, identitätsprägende Hinwendung, Online- und Social-Media-Aktivitäten, RL 2011/95/EU
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 31.01.2022 – AN 10 K 18.30321
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26735
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der vorliegende Asylrechtstreit betrifft die Frage, ob der Kläger von der Beklagten verlangen kann, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise bei ihm (nationale) Abschiebungsverbote festzustellen.
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Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit, reiste seinen Angaben nach am 15. Dezember 2016 mit einem gefälschten iranischen Pass aus seinem Heimatland aus und am 25. Juli 2017 im Besitz eines gefälschten schwedischen Reisepasses in das Bundesgebiet ein.
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Im Rahmen der anlässlich seines am 20. Oktober 2017 gestellten Asylantrags vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durchgeführten Anhörung gemäß § 25 AsylG vom 26. Oktober 2017 gab er im Wesentlichen an, er habe im Iran als Musiker und zuletzt als Tontechniker gearbeitet. Im Jahr 2007 habe er aufgrund von Aufnahmen, auf denen er zusammen mit Frauen gesungen habe, Probleme mit dem Geheimdienst bekommen. Ihm sei vorgeworfen worden, die jungen Menschen mit seiner Musik zu verderben und gegen die religiösen Sitten zu verstoßen. Daraufhin sei er eine Woche lang inhaftiert und gefoltert worden. Er habe eingewilligt, eine Erklärung zu unterschreiben sowie Fingerabdrücke abzugeben und sei im Gegenzug freigelassen worden. Danach habe er sechs Jahre lang versucht, weniger und versteckt zu arbeiten, und Musik gemacht, die bei iranischen Behörden keine Probleme verursache. Er sei immer unter Kontrolle gewesen. Die Verhaftung sei nicht der Grund für seine Ausreise gewesen. Er habe schließlich ein Musikstudio eingerichtet und dort erfolgreich für mehrere Kunden gearbeitet. Er habe dann für Armenier, mit denen er bekannt gewesen sei, religiöse Lieder aufgenommen. Ein paar Monate später habe er von einer Freundin erfahren, dass sie Kunden für ihn habe, das sei im Winter 2016/2017 gewesen. Im Zuge der Aufnahmen habe er gemerkt, dass diese Bahai gewesen seien. Nach einigen Monaten habe ihn ein weiterer Kunde gefragt, ob er eine Arbeitserlaubnis besitze, die er aber aufgrund seiner Vorgeschichte im Gefängnis nicht bekommen habe können. Dieser Kunde habe ihm dann eine Arbeitserlaubnis besorgt, weswegen er mit dieser Person zusammenarbeiten habe müssen, dieser sei dann sein Partner geworden und habe Zugriff auf alle Informationen am PC sowie die Musikinstrumente gehabt. Daraufhin habe er legal arbeiten können und die Aufträge hätten sich gehäuft. Bei einem einwöchigen Urlaub in Isfahan habe er es seltsam gefunden, dass sein Partner ständig angerufen und gefragt habe, wo er denn sei. Dieser habe unter Hinweis auf wichtige Personen bzw. einen wichtigen Kunden um seine Rückkehr gebeten, woraufhin er zurückgefahren sei, allerdings nicht nach Hause, sondern zu seiner Freundin, wo er von seinem Bruder gewarnt worden sei, er solle nicht nach Hause fahren, sondern die Stadt verlassen. Er sei dann zurück nach Isfahan zu einem Cousin gefahren und habe sich einen Monat lang in einem Gartenhäuschen versteckt. Von seinem Bruder habe er daraufhin erfahren, dass ihr Haus gestürmt und durchsucht worden sei sowie sein Vater mitgenommen und etwa fünf bis sechs Stunden lang befragt worden sei, insbesondere dahingehend, ob er, der Kläger, Christ oder Bahai geworden sei. Man habe seinem Vater gesagt, dass er, der Kläger, für diese Religionen missioniert habe und zum Tode verurteilt werden würde, sodass der einzige Weg gewesen sei, das Land zu verlassen, wobei ihm ein Schleuser geholfen habe, den sein Cousin gefunden habe. Circa 15 Tage vor seiner Ausreise habe er noch einen Blogeintrag geschrieben und seine Erfahrungen über die Religionen Bahai und Christentum mitgeteilt, wobei er auch ein Bild von sich eingestellt habe. Dies habe ihm gefallen, obwohl es für den Artikel nicht notwendig gewesen sei. Er sei überzeugt davon, dass sein Partner für die iranischen Behörden gearbeitet und er unter Kontrolle gestanden habe und sie auf einen guten Grund gewartet hätten, ihn zu beschuldigen. Er sei mit einem gefälschten iranischen Pass mit seinem Bild, aber anderem Namen, ausgereist und habe in Zypern Asyl beantragen müssen, wo er wegen eines gefälschten italienischen Passes verhaftet worden sei und vier Monate im Gefängnis habe verbringen müssen, wo er gezwungen worden sei, Medikamente zu nehmen; die Geschichte aus dem Gefängnis sei furchtbar. Bei einer Rückkehr befürchte er wegen der Aktivitäten, die er gemacht habe und vom System sehr streng überwacht würden, die Todesstrafe.
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Nach der Anhörung beim Bundesamt legte der Kläger eine Taufurkunde der evangelisch-lutherischen Gemeinde S. in Fürth über seine Taufe am 26. November 2017 sowie eine Bestätigung des landeskirchlichen Gemeinschaftsverbands Bezirk Fürth vom 30. Januar 2018 vor, dass er regelmäßig Gottesdienste besuche.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22. Februar 2018 lehnte das Bundesamt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.), eine Asylanerkennung (2.), und eine Zuerkennung subsidiären Schutzes (3.) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (4.), drohte dem Kläger die Abschiebung an (5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (6.).
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Dagegen erhob der Kläger am 2. März 2018 Klage mit dem Ziel, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG festzustellen. Zur Begründung der Klage wurde unter anderem ausgeführt, der geschilderte Internetblog habe bereits vorher existiert, er sei wegen der Musik des Klägers entstanden. Der Kläger sei alleine gewesen, durcheinander, depressiv und habe unvernünftig gehandelt, als er aus seinem Versteck Veröffentlichungen gemacht habe. Der zwischenzeitlich getaufte Kläger habe sich Jesus Christus zugewandt, wobei er nach seinem Verständnis vor der Taufe noch kein Christ gewesen sei. Er habe seinen Glauben in Deutschland über soziale Medien mitgeteilt und deswegen über WhatsApp am 8. März 2021 Drohungen erhalten. Am 9. März 2021 habe er eine Drohung über Video erhalten. Wegen dieser Drohungen sei der Kläger mehrfach bei der Polizei gewesen, wobei das Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung gegen Unbekannt allerdings eingestellt worden sei. Am 21. Juni 2021 habe der Kläger auf Facebook einen Post geteilt, in dem er den Islam und das Christentum bzw. den Koran und die Bibel verglichen habe. Er besuche regelmäßig die Gottesdienste und Bibelstunden der landeskirchlichen Gemeinschaft in Fürth, was der dort arbeitende Prediger bestätigen könne. Auch sei der Kläger durch die Verfolgung im Iran traumatisiert und die Haft in Zypern habe retraumatisierend gewirkt, weshalb er im Juli 2018 in stationärer Behandlung gewesen sei und Suizidgedanken gehabt habe. Es bestehe die Gefahr einer Retraumatisierung und die Gefahr eines Suizids im Falle einer Abschiebung in den Iran. Der Kläger legte weitere Unterlagen vor, unter anderem einen Entlassungsbericht des Bezirksklinikums Mittelfranken vom 17. Juli 2018 sowie ärztliche Atteste eines behandelnden Neurologen vom 2. Februar 2021 und 13. Januar 2022 mit der Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ und zwei Rezepte.
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Bei seiner verwaltungsgerichtlichen informatorischen Anhörung am 20. Januar 2022 ergänzte der Kläger sein Vorbringen unter anderem auf Nachfrage dahingehend, seine Probleme hätten im Jahr 2007 begonnen, im Jahr 2009 habe dann die Verhaftung stattgefunden. Er habe die acht Monate vor seiner Ausreise beim iranischen Fernsehen gearbeitet, nachdem ihn sein Partner, der dorthin Beziehungen gehabt habe und zu ihm wegen religiöser Liedtexte gekommen sei, unterstützt habe. Diese Person sei religiös orientiert gewesen und habe dann eines Tages die Texte, die er mit den Armeniern und den Bahai im März 2016 aufgenommen und zu löschen vergessen habe, entdeckt; diese Texte hätten diese mitgebracht und er habe sie mit Musik versehen. Beim Bundesamt habe er nicht über seine beginnende Konversion geredet, da er noch nicht getauft gewesen sei. Zum christlichen Glauben habe er in der Haft in Zypern dadurch gefunden, dass seine Schwester ihn davon überzeugt habe, seine Probleme Jesus Christus zu überlassen und an ihn zu glauben. Sie habe ihn in der Haft besucht und eine persische Bibel mitgebracht, in der er gelesen habe. Dort werde von Liebe gesprochen und es sei ihm wie ein Wunder vorgekommen, dass er statt der üblichen zwei Jahre nur vier Monate Haft bekommen habe; er sei sich dann sicher gewesen, dass Jesus, zu dem er um Beistand gebetet habe, ihm geholfen habe. Seitdem bete er jeden Abend zu Jesus, er denke ständig an ihn und glaube fest an ihn. Durch seine Schwester habe er auch Kontakt zur Kirchengemeinde gefunden, wo Rücksicht und Achtsamkeit herrschten, wogegen er im Iran Folter erleiden habe müssen, und zwar trotz seiner Bitte, es im Namen Allahs zu unterlassen. Sein Glaube sei fester geworden und nun wolle er auch anderen Menschen weiterhelfen und auf Facebook und YouTube Werbung für den Glauben machen. Dadurch habe er jedenfalls mehr als drei Mal Drohungen über die sozialen Netzwerke erhalten. Das Wichtigste am Christentum sei für ihn die Liebe, die Rücksichtnahme und die Ehrlichkeit. Gott habe seinen Sohn geopfert, um den Menschen die Schulden abzunehmen, in keiner anderen Religion sei eine Neugeburt wie durch Jesus Christus oder ewiges Leben möglich. In anderen Religionen, auch im Islam, gebe es nur ausweichende Antworten oder überhaupt keine.
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Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2022 ab.
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Im vom Senat zugelassenen Berufungsverfahren stellt der Kläger den Antrag,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Januar 2022 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 22. Februar 2018 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären internationalen Schutz zuzuerkennen, wiederum hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hinblick auf den Iran besteht.
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Zur Begründung der Berufung wurde – neben einer umfassenden Kritik an der Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts bzw. am verwaltungsgerichtlichen Urteil – mit Schriftsatz vom 20. März 2023 ergänzend vorgetragen, der Kläger nehme weiter regelmäßig an den Sonntagsgottesdiensten der landeskirchlichen Gemeinschaft in Fürth teil, aktuell vorwiegend online. Der ursprüngliche Priester habe die Gemeinschaft vor ca. vier Monaten verlassen und es gebe aktuell noch keinen neuen Prediger. Da der Kläger werktags sehr oft arbeite, könne er Bibelstunden zurzeit in der Regel nicht besuchen. Der Kläger übe seit Kurzem mit großer Freude das Amt eines Taufpaten für seine Nichte A., die Tochter seiner Schwester, aus. A. sei 2020 geboren und im Januar 2023 in Fürth getauft worden. Er lese ihr unter anderem regelmäßig aus der Kinderbibel vor, um sie auf kindgerechte Weise mit den biblischen Grundlagen des christlichen Glaubens vertraut zu machen. Hinsichtlich der abgelehnten Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wird eingewandt, dass sich die Diagnosen des Bezirksklinikums und des Neurologen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht widersprächen, sondern sich ergänzten. Nach dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2022 – C-69/21 – (BeckRS 2022, 32383) seien § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass, wenn die Forderung eines fachärztlichen Attests überhaupt noch unionsrechtskonform sei, die Anforderungen an ärztliche Atteste jedenfalls nicht hoch sein dürften. Die fachärztliche Diagnose PTBS müsse ausreichen, weil damit der Gesundheitszustand fachärztlich bezeichnet sei. Zusätzliche Anforderungen an ein solches Attest widersprächen der Auslegung der RL 2008/115 i.V.m. Art. 1, 4, 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta durch den Europäischen Gerichtshof, der allein auf den Gesundheitszustand abstelle.
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Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2023 wurde die neue Anschrift des Klägers in Düsseldorf mitgeteilt.
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Neben den bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Attesten eines Neurologen legte der Kläger im Berufungsverfahren eine weitere ärztliche Bescheinigung dieses Neurologen vom 27. Mai 2024 sowie ein fachärztliches neurologisches Attest vom 7. Juni 2024 eines weiteren Arztes vor, jeweils mit den Diagnosen „posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS, F43.1 G)“ sowie „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2 G)“.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und weist auf die höchstrichterlich geklärten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 – 10 C 17.07 – (juris) hin. Soweit der Europäische Gerichtshof darlege, dass eine Rückkehrentscheidung jedenfalls dann nicht erlassen werden dürfe, wenn die Rückkehr in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 4 der Grundrechte-Charta führen würde, könne dies im Rahmen der Regelung des § 60 Abs. 5 AufenthG geprüft werden.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde der Kläger informatorisch gehört. Der Senat hat insgesamt sieben Beweisanträge des Klägers durch Beschluss abgelehnt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
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Die zulässige, von vorneherein nicht auf Asylanerkennung gerichtete Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 22. Februar 2018 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (I.) noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (II.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (III.). Die Abschiebungsandrohung (IV.) und die Bestimmung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot (V.) sind rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 ff. AsylG liegen nicht vor.
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1. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchst. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (sog. Verfolgungsgründe, vgl. zu deren Definition § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
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Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nummer 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne von § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
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Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 AsylG und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
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Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftsstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
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Die Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist begründet, wenn dem Ausländer bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 11.12.2019 -1 B 79.19 – juris Rn. 15; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 19, 32).
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Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Maßgebend ist letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; ein drohender ernsthafter Schaden ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 11.12.2019 – 1 B 79.19 – juris Rn. 15; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 32 m.w.N.).
28
Wurde der Ausländer bereits vor der Ausreise in seinem Herkunftsland verfolgt bzw. war er von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht, ist dies nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; das heißt, es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere (unmittelbar drohende) Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33.18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 16; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – BVerwGE 162, 44 Rn. 15; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 Rn. 23).
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Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Nach Entstehungsgeschichte und (Binnen-)Systematik des § 28 AsylG, der Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 der RL 2011/95/EU (früher: RL 2004/83/EG) umsetzt (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 216 f.), wobei er allerdings von der Regelungstechnik der Richtlinie abweicht (vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2024, § 28 AsylG Rn. 28), sind selbst geschaffene Nachfluchttatbestände, die bis zur Unanfechtbarkeit des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, trotz der irreführenden Formulierung uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.2009 – 10 C 25.08 – BVerwGE 135, 49 Rn. 20 zu § 28 Abs. 1a AsylVfG und Art. 5 der RL 2004/83/EG; NdsOVG, U.v. 14.3.2022 – 4 LB 20/19 – AuAS 2022, 132 Rn. 52 f.; OVG MV, U.v. 21.3.2018 – 2 L 238/13 – juris Rn. 33 f.; VGH BW, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – InfAuslR 2018, 158 Rn. 41; Hailbronner, Ausländerrecht, § 28 AsylG Rn. 28 ff. m. w. N.).
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht weder zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger bereits vor seiner Ausreise (unmittelbar drohende) Verfolgung erlitten hat (a)), noch ist davon auszugehen, dass nach seiner Ausreise aus dem Iran Gründe eingetreten sind, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von begründeter Furcht vor Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Iran auszugehen (b)).
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a) Eine (unmittelbar drohende) relevante Verfolgung ergibt sich nicht aus dem Vorbringen des Klägers, er sei schon vor seiner Ausreise einer Verfolgung durch Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen, weil bei ihm Aufnahmen über religiöse Inhalte von Christen und Bahai entdeckt worden seien und er zudem vor seiner Ausreise aus seinem Versteck heraus einen Internet-Blog mit regimekritischen Inhalten zusammen mit einem Bild von sich veröffentlicht habe. Hinsichtlich seines diesbezüglichen Vorbringens verbleiben durchgreifende, einer Überzeugungsbildung entgegenstehende Zweifel. Wie schon das Bundesamt und das Verwaltungsgericht – deren Begründungen im Bescheid vom 22. Februar 2018 bzw. im Urteil vom 31. Januar 2022 der Senat insoweit folgt und auf die er Bezug nimmt (§ 77 Abs. 3 AsylG) – hält auch der Senat den bisherigen Vortrag des Klägers hierzu für unglaubhaft. Dem Kläger ist es auch durch seine Schilderung des Vorfluchtgeschehens in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht gelungen, den Senat von einer bereits im Iran erlittenen flüchtlingsrelevanten Verfolgung zu überzeugen. Vielmehr stehen der Glaubhaftigkeit auch seiner ergänzenden Angaben hierzu Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten gerade in den zentralen Punkten entgegen, für die der Kläger keine nachvollziehbare Erklärung hat abgeben können.
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Als Grund für seine Ausreise gibt der Kläger durchgehend das Auffinden von (musikalischen) Aufnahmen von Texten von Armeniern (Christen) und Bahai durch einen früheren Kunden und späteren Geschäftspartner an, was zu Durchsuchungen im Haus seines Vaters, bei dem er gewohnt habe, sowie dessen anschließender Verhörung mit Beschuldigung des Klägers als Christen oder Bahai geführt habe, zusammen mit der Veröffentlichung eines Internet-Blogs mit regimekritischen Inhalten mit einem Bild aus seinem (einmonatigen) Versteck heraus. Dabei hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, er habe nach seiner Verhaftung im Jahr 2007 – bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht konkretisiert auf das Jahr 2009 – verdeckt im Iran gearbeitet. Er sei schon damals „immer unter Kontrolle“ gewesen. Er habe dann ein Studio gegründet, in dem er zunächst – die später entdeckten – Aufnahmen mit Armeniern und einige Monate später im Winter 1395 (Winter 2016/2017) die Aufnahmen mit den Bahai gemacht habe; dorthin sei wieder ein paar Monate später ein neuer Kunde – sein späterer Partner, den er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit „Hussein“ bezeichnet hat – gekommen, der ihn nach einer Arbeitserlaubnis gefragt, ihm dann eine solche besorgt habe und mit dem er schließlich zusammenarbeiten habe müssen (Niederschrift über die Anhörung gem. § 25 AsylG vom 26.10.2017 – im Folgenden: BAMF-Niederschrift – S. 5). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er ergänzt, mit der Unterstützung dieses Partners habe er vor seiner Ausreise acht Monate beim iranischen Fernsehen arbeiten können (VG-Protokoll S. 3 f.); die Aufnahmen mit den Armeniern beziehungsweise Bahai seien im März 2016 gewesen, er habe schon fertige Texte nur tontechnisch mit Musik unterlegt (VG-Protokoll S. 4). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er ebenso wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgesagt, die Aufnahmen mit den Armeniern und den Bahai seien einmalig und gleichzeitig im März 2016 gemacht worden, und zwar in dem – jetzt erstmals nach Nachfrage zu seiner verdeckten Arbeit erwähnten – Studio, das er nach seiner Entlassung aus der Haft im Haus seines Vaters, wo er gewohnt habe, betrieben habe (VGH-Protokoll S. 3). Seinen späteren Partner habe er ein bis zwei Monate später nach den Aufnahmen bei seinem Freund Hassan, einem Freund von Hussein, kennen gelernt und dieser habe ihm angeboten, ihm eine Arbeitserlaubnis für das staatliche Fernsehen zu besorgen, wo er acht Monate lang gearbeitet habe (VGH-Protokoll S. 3). Hussein sei danach auch noch in das Studio bei seinem Vater gekommen (VGH-Protokoll S. 3) und das neue Studio sei erst nach dem Kennenlernen des Hussein zusammen mit diesem in einem anderen Haus seines Vaters gegründet worden (VGH-Protokoll S. 4).
33
Diese Aussagen widersprechen sich zum einen hinsichtlich der Abfolge der Ereignisse – einerseits sollen die Aufnahmen mit den Armeniern (Christen) und den Bahai in einem Zeitabstand von einigen Monaten stattgefunden haben, andererseits etwa gleichzeitig im März 2016, und außerdem soll das Kennenlernen des Hussein einerseits erst nach Gründung des Studios in einem anderen Haus seines Vaters in diesem stattgefunden haben, andererseits bei einem zunächst nicht erwähnten Freund Hassan, wogegen das Studio zusammen mit Hussein in dem anderen Haus des Vaters erst nach Kennenlernen des Hussein gegründet worden sein soll. Zum anderen passt der geschilderte Zeitablauf der Ereignisse in keiner Weise zu der Ausreise des Klägers am 15. Dezember 2016. Denn selbst wenn die Aufnahmen mit den Texten der Christen und Bahai tatsächlich nicht (wie zunächst geschildert) zeitlich um einige Monate versetzt, sondern insgesamt erst im März 2016 gewesen wären und der Kläger Hussein ca. ein bis zwei Monate danach kennen gelernt und dieser ihm wiederum danach eine Arbeitserlaubnis für das iranische Fernsehen besorgt hätte (somit ca. Mai 2016), hätte er bis zu seiner Ausreise am 15. Dezember 2016 nicht annähernd acht Monate beim Fernsehen arbeiten können (dies wäre Januar 2017) und sich, wie bei allen Anhörungen wiederholt, einen Monat vor seiner Ausreise verstecken können (ergäbe eine Ausreise im Februar 2017). Auf Vorhalt hat der Kläger diesbezüglich die Erklärung gegeben, die Angabe von acht Monaten sei nur eine ca.-Angabe gewesen (VGH-Protokoll S. 3), was angesichts dessen, dass die Angaben insgesamt betrachtet um mehrere Monate divergieren, unschlüssig ist. Auch die Angabe des Klägers, er habe aus dem Versteck heraus noch einen Blog abgesetzt, in dem er seinen Unmut über die Verfolgung der Religionen und hinsichtlich der fehlenden Meinungs- und Religionsfreiheit geäußert habe, und diesen zusammen mit einem Bild von ihm veröffentlicht, ist völlig unglaubhaft, zumal er vorher von der Durchsuchung des Hauses seines Vaters und dessen Verhörung sowie des Verdachts der iranischen Behörden, er, der Kläger, sei Christ oder Bahai und habe für diese Religionen missioniert, weshalb er zum Tode verurteilt werde, erfahren haben will, und ab diesem Zeitpunkt wegen seiner Angst vor Verfolgung – Todesangst, wie er es wiederholt genannt hat – illegal ausreisen wollte (BAMF-Niederschrift S. 5, 8). Die Begründungen, die er hierfür gegeben hat, nämlich dass ihm die Veröffentlichung des Bildes gefallen habe und er seine Ausreise schon organisiert gehabt und unter Druck gestanden habe (BAMF-Niederschrift S. 6) bzw. dass er Angst und Depressionen gehabt habe und die Leute im Iran mitbekommen hätten sollen, dass es ihn gebe und was mit ihm geschehen sei (VG-Protokoll S. 3), sind angesichts seiner immer wieder geäußerten Angst vor dem Tod im Falle seiner Entdeckung widersprüchlich und nicht glaubhaft. Insgesamt ist seine Schilderung des Vorfluchtgeschehens wenig plausibel, auch was seine Verhaftung im Jahr 2007/2009 mit Folterung betrifft, die nach seinen Angaben nicht der Grund für seine Ausreise gewesen sei (BAMF-Niederschrift S. 4). Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der sich „immer unter Kontrolle“ gesehen hat (BAMF-Niederschrift S. 4), zwar einerseits nach seiner Entlassung entsprechend der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärung (VGH-Protokoll S. 8 f.) zunächst immer unproblematische Lieder aufgenommen haben will, dann aber Aufnahmen gemacht haben will mit verbotenen religiösen Texten, obwohl er zu diesen Religionen keinen besonderen Bezug hatte. Auch hat der Kläger nicht nachvollziehbar darlegen können, weshalb er, wenn er in erster Linie nach seiner Verhaftung unbedenkliche Aufnahmen in seinem Studio bei seinem Vater gemacht haben will, verdeckt hätte arbeiten müssen, da dies ja der abgegebenen Verpflichtungserklärung entsprochen hätte (VGH-Protokoll S. 8 f.). Angesichts all dieser Ungereimtheiten sieht der Senat auch seine angebliche Verhaftung mit Folterung im Jahr 2007/2009 als unglaubhaft an.
34
b) Unter Würdigung aller Gegebenheiten des Einzelfalls sind auch nach Verlassen des Herkunftslandes Iran keine Umstände eingetreten, die es rechtfertigen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer begründeten Furcht des Klägers vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG im Falle seiner Rückkehr in den Iran auszugehen. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr ergibt sich weder aufgrund der von ihm geltend gemachten Konversion zum Christentum (aa)) noch aufgrund seiner Aktivität in sozialen Medien und der von ihm behaupteten diesbezüglichen Bedrohungen (bb)) sowie auch nicht wegen seines mehrjährigen Auslandsaufenthalts bzw. seiner Asylantragstellung in Deutschland und den bei einer Rückkehr in den Iran voraussichtlichen Befragungen (cc)).
35
aa) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seiner Religion im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte Konversion zum Christentum.
36
(1) Der Verfolgungsgrund „Religion“ wird in § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG näher umschrieben und umfasst – nahezu wörtlich übereinstimmend mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU – insbesondere theistische, nichttheistische oder atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder in Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Vom Schutzbereich der Religionsfreiheit i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist demnach nicht nur die Freiheit des Schutzsuchenden umfasst, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (forum externum) (vgl. EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 u.a. – NVwZ 2012, 1612 Rn. 62, 71; BVerwG, U.v. 20.2.2013 -10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 24).
37
Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in die so verstandene Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG dar. Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um einem der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden zu können, hängt in Fällen wie Iran (s. (2)), in denen nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als solche die Gefahr einer Verfolgung begründet, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab.
38
(2) Nach Auswertung der aktuellen Erkenntnislage haben zum Christentum konvertierte (ehemalige) Muslime im Iran (nur) dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schutzrelevante Konsequenzen zu befürchten, wenn sie ihren Glauben aktiv und nach außen erkennbar ausleben. Im Gegensatz dazu sind bei unerkannt bleibender Konversion zum Christentum und bei anonymem bzw. jedenfalls unauffälligem und insbesondere nicht mit Missionierung verbundenem Ausleben der Religion schutzrelevante Konsequenzen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Insbesondere der bloß formale Glaubenswechsel im Wege der Taufe oder eine bisherige religiöse Betätigung im Ausland oder in Deutschland als solche begründen für sich genommen keine beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen (vgl. zur bisherigen Beurteilung BayVGH, U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris Rn. 22; U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 25; vgl. zur aktuellen Beurteilung auch OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 78 f. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 55 m.w.N.; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 69).
39
Diese Einschätzung der derzeitigen Situation im Iran beruht auf den folgenden Erkenntnissen:
40
(aa) Die iranische Verfassung ist rechtlicher Ausgangspunkt der Rahmenbedingungen für die Ausübung von und den Umgang mit Religion im Iran. Danach ist der Islam schiitischer Prägung offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf „islamischen Kriterien“ und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand 18.11.2022, vom 30.11.2022 – im Folgenden AA, Lagebericht 2022 –, S. 15; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – im Folgenden: BFA –, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 79).
41
Allerdings dürfen Angehörige der in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren jeweiligen Gemeinden relativ frei ausüben, genießen in Fragen des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtliche Autonomie sowie gewisse rechtlich garantierte (politische) Minderheitenrechte, auch wenn sie in verschiedener Hinsicht faktisch und rechtlich diskriminiert werden. Als Christen in diesem Sinne anerkennt das iranische Regime jedoch nur Mitglieder der historisch im Iran ansässigen christlichen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) sowie ausschließlich solche Staatsbürger, die schon vor der islamischen Revolution im Jahr 1979 nachweislich Christen waren (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 15 f.; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 79 ff. und 84 ff.; Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade – im Folgenden: DFAT –, Country Information Report Iran, 24.7.2023, S. 18, 20; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 6).
42
Insbesondere zum Christentum konvertierte Muslime sind nicht in dieser (beschränkten) Weise anerkannt. Das iranische Regime, das seine Legitimität von der islamischen Revolution von 1979 ableitet, begreift die Konversion und das Bekenntnis zum Christentum durch (ehemalige) Muslime vielmehr als Akt des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruchs mit der Islamischen Republik (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe – im Folgenden: SFH –, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 7; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 89). Die Konversion zum Christentum ist damit aus der Sicht der Machthaber automatisch ein politischer Akt; sie stellt sich ihnen als Bedrohung der nationalen Sicherheit des Staates dar und macht die Betreffenden zum – zu bekämpfenden – Regimegegner (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 7; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 89).
43
Zum Christentum konvertierte Muslime, die ihren Glauben ausleben, sind vor diesem Hintergrund im Iran in verschiedener Weise von Verfolgung bedroht. Es ist bereits möglich und kommt vor, dass die Konversion zum Christentum strafrechtlich verfolgt wird. Zwar wird sie als solche durch das iranische Strafgesetzbuch nicht erfasst (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 8), die Konversion kann allerdings zunächst den islamrechtlichen Tatbestand der Apostasie (Abfall vom Islam, persisch „ertedad“) erfüllen und insoweit eine Verurteilung durch staatliche Gerichte zur Folge haben. Dies basiert darauf, dass bei Angelegenheiten, welche nicht im kodifizierten Gesetz geregelt sind, nach Art. 167 der iranischen Verfassung islamisch-religiöses Recht Anwendung findet. Gemäß der insoweit maßgeblichen Meinung der Rechtsgelehrten im Iran kann Apostasie mit der Todesstrafe (Männer) bzw. einer lebenslangen Haftstrafe (Frauen) bestraft werden. Ein solches Vorgehen ist jedoch sehr selten. Die Todesstrafe wurde in den letzten 33 Jahren „nur“ dreimal verhängt und einmal – im Jahr 1990 – vollzogen (vgl. AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 10 Frage 26; AA, Lagebericht 2022, S. 15; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 88). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet allerdings davon, dass im Januar 2023 ein Mann, der an einer Demonstration teilgenommen habe, bei der ein Koran verbrannt worden sei, aufgrund mehrerer Artikel des Strafgesetzbuchs, aber auch aufgrund von Apostasie zum Tode verurteilt worden sei (SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 8 f. m.w.N., 15).
44
In aller Regel erfolgt eine Strafverfolgung bei Konversion unter Heranziehung anderer Straftatbestände. Am häufigsten werden insoweit Art. 498 (Gründung oder Leitung einer illegalen Organisation), Art. 499 (Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation) und Art. 500 (Propaganda gegen die Islamische Republik) des iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) gegen Konvertiten zur Anwendung gebracht, wobei die Handhabung willkürlich und uneinheitlich ist (vgl. AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 10 Frage 26; AA, Lagebericht 2022, S. 15; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 88 f.; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 9 f. m.w.N.). Im Zuge einer Novelle dieser Vorschriften im Jahr 2021 wurden die Tatbestände der Art. 499 und 500 IStGB verschärft. Dabei zielt die Ergänzung des Art. 500 IStGB um den Begriff „Sekte“ als staatsschädigende Gruppe insbesondere auf die als schädlich für die nationale Sicherheit angesehenen christlichen Hauskirchen (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 12 m.w.N.).
45
Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof des Iran in einem Richterspruch vom November 2021 zu dem Ergebnis gekommen ist, die Ausübung christlicher Mission und die Gründung von Hauskirchen erfüllten die Straftatbestände der Art. 498, 499 IStGB nicht (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 16), ändert die Bewertung nicht maßgeblich. Zwar mag von der Entscheidung eine gewisse Signalwirkung ausgehen, die sich jüngst in einem Freispruch von nach dem Besuch einer Hauskirche inhaftierten Konvertiten mit der Begründung gezeigt hat, dass die Förderung des Christentums und die Gründung von Hauskirchen keine Verbrechen seien und keine Handlungen gegen die nationale Sicherheit darstellten (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 91). Generell kommt dieser Entscheidung jedoch mangels Bindungswirkung für die erstinstanzlichen Gerichte keine Präzedenzwirkung zu und sie hat nicht zur Beendigung der Verhaftung konvertierter Christen im Zusammenhang mit Hauskirchen geführt. Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Erkenntnissen des Österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vielmehr weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen ausgesetzt (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 89).
46
Unabhängig von strafrechtlichen Sanktionen kann die Konversion zu Überwachung, Verhaftung oder anderweitiger Schikanierung führen, wenn der Übertritt zum christlichen Glauben nach außen erkennbar wird. Dies gilt insbesondere für die Missionierung, die Unterweisung von Personen im Glauben und die Verbreitung von Informationen über das Christentum. Auch in Hauskirchen – insbesondere solchen, die missionieren oder nach neuen Mitgliedern suchen – werden weiterhin Razzien durchgeführt, die mit willkürlichen Verhaftungen verbunden sein können. So gibt es Berichte, wonach es im Sommer 2023 eine Welle von Verhaftungen von Christen gegeben hat (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 18, 20).
47
Dabei hängt es von der Rolle des Einzelnen innerhalb der Hauskirche ab, ob er mit Strafverfolgung oder sonstigen Sanktionen zu rechnen hat. Die Behörden gehen hauptsächlich gegen Pastore und Konvertiten vor, die Hauskirchen leiten, organisieren oder dort als Gastgeber fungieren, während das Risiko für nicht in solche Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder geringer ausfällt, wenngleich Repressionen auch gegen diese nicht ausgeschlossen sind (vgl. DFAT, Country Information Report Iran, 24.7.2023, S. 20 f.; AA, Lagebericht 2022, S. 16; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 19).
48
Die geschilderten negativen Konsequenzen sind jedoch nur beachtlich wahrscheinlich, wenn zum Christentum konvertierte (ehemalige) Muslime ihren Glauben aktiv und nach außen erkennbar ausleben. Dem Regime geht es nicht maßgeblich um den inneren Akt des Religionswechsels als solchen, sondern vordringlich darum, die (weitere) Ausbreitung religiöser Alternativen zum (schiitischen) Islam in der iranischen Gesellschaft zu verhindern. Denn durch diese droht die Islamische Republik langfristig ihre in der Verfassung postulierte und auf dem religiösen Bekenntnis ruhende gesellschaftliche Verankerung zu verlieren, was ihre Existenz, die Legitimität des Regimes und damit – aus dessen Sicht – die nationale Sicherheit bedroht (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 89; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 7, 19).
49
Insofern wird das Verfolgungsinteresse des Regimes bei einer nach außen erkennbaren Abwendung vom (schiitischen) Islam etwa durch Missionierung, Gemeindeleitung und Gottesdienstbesuch angesprochen (vgl. etwa BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 91; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 7, 27; ebenso OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 112; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 57 f.) und fürchtet und verfolgt das Regime besonders Religionen wie das evangelikale Christentum, welches die aktive Ausübung des christlichen Glaubens z.B. im Rahmen von Hauskirchen und missionarischen Aktivitäten einfordert (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 19).
50
(bb) Im Ergebnis gibt es nach wie vor keine hinreichenden Erkenntnisse dafür, dass bereits der bloß formale Glaubenswechsel im Wege der Taufe für sich genommen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr begründet (ebenso OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 116; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 60; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 75 ff.).
51
Nach alledem ist im Ergebnis an der Rechtsprechung des Senats und anderer Gerichte festzuhalten, wonach zum Christentum konvertierten ehemaligen Muslimen bei einer Rückkehr in den Iran nicht schon bei formaler Konversion, sondern (allein) im Falle eines ernst gemeinten, der inneren Überzeugung folgenden Glaubenswechsels eine rechtserhebliche Verfolgung droht. Denn nur in diesem Fall ist davon auszugehen, dass sie auch nach einer Rückkehr in den Iran entsprechend ihren identitätsprägenden Glaubensvorstellungen leben und sich dadurch – nach den Umständen des Einzelfalls – einer Verfolgung durch staatliche oder dem Staat zurechenbare Akteure aussetzen, respektive unter dem Druck der Verfolgungsgefahr auf die Glaubensbetätigung im Herkunftsland erzwungenermaßen verzichten (vgl. etwa EGMR, U.v. 19.12.2017 – 60342/16 – NLMR 6/2017-EGMR, S. 1; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 21 m.w.N.; OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 78 f.; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 60; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 75, 79 ff.).
52
(3) Damit hängt im Fall Iran die Verfolgungsgefahr über die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft hinaus von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (s. (1)). Dabei ist in einem ersten Schritt in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere in objektiver Hinsicht kann insbesondere erreicht sein, wenn dem Betroffenen etwa durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an; denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr. Allerdings kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung im Herkunftsland die Qualität einer Verfolgung erreichen. In subjektiver Hinsicht ist sodann maßgebend, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis für die Wahrung seiner religiösen Identität unverzichtbar ist. Es kommt dabei auf die Bedeutung der religiösen Praxis für den einzelnen Gläubigen an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 Rn. 28; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – NVwZ 2015, 1678 Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 69 f. m.w.N.).
53
Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Gerichte (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Schutzsuchende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, sind die Gerichte nicht auf eine Plausibilitätsprüfung der hinreichend substantiiert dargelegten Umstände beschränkt, sondern haben das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950 Rn. 34; BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – NVwZ 2015, 1678 Rn. 13 m.w.N.). Eine Bindung an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde, besteht dabei nicht (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 a.a.O. Rn. 29 f., 34; BVerwG, B.v. 25.8.2015 a.a.O. Rn. 11; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 20 m.w.N.).
54
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Erforderlich ist letztlich eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand einer Vielzahl von möglichen Gesichtspunkten, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950 Rn. 33, 35; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris Rn. 21; Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281/284 ff.).
55
(4) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen aus § 3 Abs. 1 AsylG folgenden Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen seiner Konversion zum Christentum.
56
Unter Würdigung des gesamten klägerischen Vortrags – insbesondere desjenigen in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren – steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgrund einer identitätsprägenden religiösen Überzeugung zum Christentum übergetreten ist und dass verfolgungsträchtige religiöse Betätigungen für ihn (auch) im Iran unverzichtbar wären, um seine religiöse Identität zu wahren, bzw. dass ein durch Verfolgungsdruck erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung bei ihm die Qualität einer Verfolgung erreichen würde.
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Für den Senat sind Anlass, Verlauf und Vollendung der behaupteten identitätsprägenden Hinwendung zum christlichen Glauben nicht nachvollziehbar geworden.
58
Als Anlass für seine Hinwendung zum christlichen Glauben benennt der Kläger seine Situation in der Haft in Zypern, eine angebliche Haftverkürzung sowie die anschließende gelungene Flucht nach Deutschland mit einem gefälschten schwedischen Pass. Das Lesen in der persischen Bibel, die ihm seine Schwester in die Haft gebracht habe, sei das einzige gewesen, was ihm geholfen habe, und die anschließende Verkürzung der Haftstrafe habe er als Wunder erlebt, er habe die Kraft gespürt und sich Jesus Christus überlassen, der ihm geholfen habe, wogegen ihm im Namen des Islam Schlechtes zugefügt worden sei; er sei sich bereits in der Haft in Zypern sicher gewesen, dass er zum Christentum übertreten wolle (VGH-Protokoll S. 5 f.).
59
Diese klägerischen Angaben lassen keinen nachvollziehbaren Anlass oder inneren Beweggrund für eine identitätsprägende Hinwendung zum Christentum erkennen. Zwar geht der Senat davon aus, dass die Schwester des Klägers ihn im Gefängnis in Zypern besucht hat, ihm eine Bibel ausgehändigt und ihn ermutigt hat, zu Jesus Christus zu beten und ihm zu vertrauen. Nicht nachvollziehbar ist aber, inwieweit allein das Lesen in der Bibel sowie anschließende Ereignisse wie die (angebliche) Haftverkürzung dem Kläger bereits während der Haft (VGH-Protokoll S. 6) die innere Sicherheit vermitteln konnten, dass er zum Christentum übertreten wolle, zumal zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob seine Flucht nach Deutschland gelingen werde, also der weitere von ihm genannte Beweggrund noch gar nicht entstanden war. Soweit er darauf verweist, dass ihm im Namen des Islam Schlechtes zugefügt und er gefoltert und verfolgt worden sei, wogegen er die Liebe und das Leben nur im Christentum und insbesondere in Jesus gefunden habe (VGH-Protokoll S. 7), ist dies schon deshalb unglaubhaft, weil der Senat – wie bereits ausgeführt – dieses Vorgeschehen für unglaubhaft hält. Auch konnte der Kläger nicht nachvollziehbar erklären, warum er seine Hinwendung zum Christentum erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und nicht schon beim Bundesamt thematisiert hat. Hierzu hat er auf Nachfrage ausgeführt, er sei danach nicht gefragt worden, sondern nach seiner offiziellen Konfession; außerdem habe er vor dem Bundesamt seine Probleme in Bezug auf die Vorkommnisse im Iran schildern sollen und er sei ja auch noch nicht getauft gewesen (VGH-Protokoll S. 6). Dies überzeugt angesichts der Schilderung, wie sehr ihn sein Glaube an Jesus Christus schon in Zypern vereinnahmt und ihm Kraft gegeben habe, nicht, zumal er ganz allgemein gefragt wurde, was er bei einer möglichen Rückkehr in den Iran befürchte, die Haft in Zypern in der Anhörung thematisiert wurde und er die Geschichte mit dem Gefängnis erwähnt und als furchtbar bezeichnet hat (BAMF-Niederschrift S. 8). Außerdem hat er ausdrücklich angesprochen, dass er im Iran zwar selbst weder Christ noch Bahai gewesen sei (BAMF-Niederschrift S. 6), aber gerade wegen der Aufdeckung seiner musikalischen Tätigkeit für diese Religionsgemeinschaften die Verurteilung zum Tod befürchtete, sodass es wenig plausibel erscheint, dass er seine nunmehrige eigene Hinwendung zum Christentum, obwohl sie ihn ganz persönlich betrifft, insbesondere deshalb nicht angesprochen haben will, weil er noch nicht getauft war; dies gilt umso mehr, da die Taufe bereits einen Monat nach der Befragung vor dem Bundesamt und damit sehr zeitnah und ohne längere Vorbereitung stattgefunden hat.
60
Auch die Aussagen des Klägers dazu, was die Taufe und der christliche Glaube für ihn bedeute, enthält keine von individuellen Merkmalen geprägte überzeugende Schilderung eines gelebten, die Identität prägenden Glaubens. Insoweit verweist er zunächst wiederum auf das angebliche Erweckungserlebnis in Zypern sowie die vom ihm geschilderten Erlebnisse im Iran, wenn er davon spricht, er habe Jesus in seinem Herzen gefühlt und mit den Augen gesehen, die Liebe und das Leben habe er nicht im gebürtigen Glauben des Islam erlebt, in dessen Namen ihm Schlechtes zugefügt worden sei, sondern im Christentum, in dem Gott die Sünden vergibt und man ein erneutes Leben beginnt (VGH-Protokoll S. 7). Die Hauptsäulen des Christentums seien für ihn, zu Jesus Christus zu beten und dessen Weg zu folgen sowie jedem, der diesen Weg nicht kenne, zu helfen, dass er den richtigen Weg zu ihm finde. Er habe diese Wunder erlebt und gefühlt. Wichtig sei deshalb beten, beten, beten. Dadurch entstehe Hoffnung und Geduld. Er könne sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn er nicht die Hilfe durch Jesus Christus erfahren hätte (VGH-Protokoll S. 8). Er sei ein neugeborener Mensch durch das Christentum geworden, weshalb er auf seinem aktuellen Facebook-Account auch „New Sina“ heiße (VGH-Protokoll S. 7 f.). Er habe die Gewohnheit, morgens und abends zu beten für Kranke und alle Ungläubigen, von denen er hoffe, dass diese wie er seinen Weg fänden. Dieser gesamte Vortrag bezieht sich zwar immer wieder auf Worte wie Liebe, Vergebung, Frieden, Zuversicht, Ruhe und Hilfe für sich und unschuldige Menschen. Jedoch nimmt der Kläger dabei wiederholt auf seine – wie oben ausgeführt nicht glaubhafte – Schilderung von Folterung und Verfolgung Bezug und es wird nicht deutlich, wie sich der christliche Glaube konkret auf das persönliche Leben des Klägers auswirkt und weshalb er ihn für sich als identitätsprägend erfährt. Soweit in der Berufungsbegründung vom 20. März 2023 (dort S. 38 unten) ausgeführt wird, der Glaube trage den Kläger in seinen alltäglichen Herausforderungen von Krankheit und Depressionen, erscheint dies im Hinblick darauf, dass der Kläger selbst dies in seinen Anhörungen nicht in den Mittelpunkt gestellt hat, nicht durchschlagend für die Annahme einer Identitätsprägung.
61
Auch die weiteren insbesondere äußeren Umstände lassen den Schluss auf eine identitätsprägende Hinwendung des Klägers zum christlichen Glauben nicht zu. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger seit Jahren bis zu seinem Umzug nach Düsseldorf regelmäßig die Gottesdienste der landeskirchlichen Gemeinschaft Fürth (mit Ausnahme eines kurzen Zeitraums in den ersten Monaten 2023, wo er online teilgenommen hat) in Präsenz besucht hat, außerdem Bibelstunden der landeskirchlichen Gemeinschaft Fürth (mit Ausnahme der Zeiten, als ihm aufgrund werktäglicher Arbeit der Besuch der Bibelstunden in der Regel nicht möglich war) besucht sowie vor seiner Taufe in der evangelischen Kirche S. an einem Glaubenskurs der landeskirchlichen Gemeinschaft teilgenommen hat und dass er den Prediger K. kennt und dieser wiederum den Kläger, und zwar unter anderem durch persönliche Gespräche, in denen der Kläger seinen Glauben an Jesus Christus deutlich hörbar bekannt hat (vgl. auch die vorgelegte Taufurkunde der evangelisch-lutherischen Gemeinde S. in Fürth über die Taufe am 26.11.2017 sowie die Bestätigung des landeskirchlichen Gemeinschaftsverbands Bezirk Fürth vom 30.1.2018). Außerdem geht der Senat davon aus, dass der Kläger das Amt eines Taufpaten für seine Nichte A. ausübt, er seiner Schwester M. gegenüber mehrfach seine große Freude darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass er dieses Amt ausüben darf, er der Nichte unter anderem regelmäßig aus einer Kinderbibel vorliest und er seiner Schwester M. gegenüber auch seine große Freude darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass er dies tun darf und dass er dies gerne tut.
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Auch der nicht unerhebliche Zeitraum, über den der Kläger bis zu seinem Wegzug nach Düsseldorf sein Engagement in der landeskirchlichen Gemeinschaft Fürth aufrechterhalten hat, erlaubt nicht mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf seine christliche Identitätsprägung. Denn nach den Schilderungen des Klägers ist es ebenso gut möglich, dass der fortgesetzte Besuch des Gottesdienstes und die sonstigen Aktivitäten des Klägers in dieser Gemeinschaft einem Bedürfnis nach sozialer Interaktion und Teilhabe in einer ihn unterstützenden Gemeinschaft entspringen und im Übrigen wesentlich mit familiären Aspekten zusammenhängen, weil seine Schwester M. in dieser landeskirchlichen Gemeinschaft verwurzelt zu sein und insgesamt eine treibende Kraft bezüglich seiner Taufe und den vom Kläger aufgenommenen kirchlichen Aktivitäten gewesen zu sein scheint, zumal sie ihm bereits im Gefängnis in Zypern eine persische Bibel überbracht und ihn ermutigt hat, zu Jesus Christus zu beten und ihm zu vertrauen. Demgegenüber scheint dem Kläger selbst, der schon seit vielen Monaten in Düsseldorf lebt, das Leben in einer festen kirchlichen Gemeinde ohne eine solche Förderung nicht von besonderer Bedeutung zu sein, da er dort noch keine feste Gemeinde gefunden hat (VGH-Protokoll S. 6). Dem Kläger ist zwar nicht abzusprechen, dass er gewisse Kenntnisse der christlichen Religion erworben und sich schließlich auch für die Ausübung des Amtes eines Taufpaten für seine Nichte A. entschieden hat. Jedoch lassen sich Kenntnisse über einen Glauben auch ohne identitätsprägende Hinwendung zu diesem erwerben und auch die Ausübung des Patenamtes erfordert über die Taufe hinaus keine Identitätsprägung. Bei der Ausübung des Taufpatenamtes ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger eine besondere Beziehung zu seiner Schwester M. und damit auch zu deren kleiner Tochter hat und er sich um diese kümmern will, auch was das Vorlesen aus einer Kinderbibel betrifft, was sicherlich auch im Sinne seiner Schwester M. geschieht. Dieses Patenamt steht jedenfalls auch im Zeichen familiärer Verbundenheit, sodass sich daraus nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine christliche Identitätsprägung des Klägers schließen lässt.
63
bb) Auch aus den Aktivitäten des Klägers in den sozialen Medien sowie den von ihm behaupteten diesbezüglichen Bedrohungen folgt keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung des Klägers bei seiner Rückkehr in den Iran.
64
(1) Zwar können nach der Auskunftslage regimekritische Äußerungen und Aktivitäten außerhalb Irans, zu denen auch Äußerungen oder Mitteilungen über religiöse Inhalte oder Vorgänge gehören können, je nach Einzelfall bei einer Rückkehr strafrechtliche Verfolgung und Repressionen nach sich ziehen. Die konkreten Repressionen hängen aber davon ab, wie das häufig willkürlich handelnde Regime die Aktivitäten und Äußerungen im Einzelfall bewertet (AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S.13 Frage 38).
65
Der iranische Staat überwacht oppositionelle Gruppierungen und Einzelpersonen auch im Ausland und bedient sich dabei nachrichtendienstlicher Mittel einschließlich solcher der Cyberspionage. Hauptinstrument des iranischen Regimes, um Dissidentinnen und Dissidenten im Ausland zu überwachen, ist das Ministerium für Nachrichtendienst und Sicherheit (MOIS), das direkt dem Präsidenten und dem „Obersten Führer der Islamischen Revolution“ untersteht. Dieses hat nach Schätzungen etwa 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen sich Teile in erster Linie auf die Opposition im Exil konzentrieren (SFH, Iran: Überwachung der Diaspora, 24.11.2023, S. 4). Der Kampf gegen die Opposition im Ausland ist eine der Hauptaufgaben der iranischen Nachrichtendienste und hat hohe Priorität. Die iranischen Behörden sehen die iranische Diaspora als Bedrohung an; diese hat auch eine wichtige Rolle bei der Protestbewegung 2022 gespielt und kann die Lage im Iran von außen beeinflussen und den Druck von außen auf Iran erhöhen (SFH, Iran: Überwachung der Diaspora, 24.11.2023, S. 5).
66
Die Aktivitäten des Ministeriums für Nachrichtendienst und Sicherheit (MOIS) haben dabei seit etwa 2021 zugenommen (SFH, Iran: Überwachung der Diaspora, 24.11.2023, S. 9 f.) und wurden infolge der Unruhen nach dem Tod von Jîna Mahsa Amini im September 2022 verstärkt (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 4 – 8; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 174). Iran hat fortschrittliche Überwachungstechnologie aus anderen Staaten, unter anderem China und Russland, erworben und nutzt diese. Es gibt jedoch keine konkreten Nachweise dafür, dass die Behörden eine automatisierte Massenüberwachung der sozialen Medien durchführen könnten, insbesondere vor dem Hintergrund der dafür erforderlichen enormen Ressourcen (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 174). Jedoch können die iranischen Behörden, wenn sie ein bestimmtes Thema besonders interessiert, dieses konkret verfolgen (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 4-8). Dabei ist auch das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer ausschlaggebend dafür, welche sozialen Medien überwacht werden; Medien, die häufiger und eher für politische Äußerungen genutzt werden, werden stärker überwacht als weniger stark genutzte Medien oder Medien, die eher für Unterhaltungsthemen genutzt werden (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 8). Cyber-Attacken finden dabei eher bei Personen mit hohem Profil statt, Überwachung aber auch bei Personen mit niedrigem Profil (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 10 f.). Dabei können für die Einstufung die Anzahl der Follower, aber auch der Umstand, ob eine Person Themen setzt, die einen Trend oder eine Debatte auslösen könnten, oder ob sie mit bestimmten Gruppen in Verbindung steht, entscheidend sein (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 11 – 13). Weniger entscheidend ist dabei die Häufigkeit von Kritik, wichtiger ist der „Einfluss“ einer Person (SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 13; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 174). Personen, die stark in den Iran hineinwirken, insbesondere durch starke Vernetzung und Wahrnehmung im Iran, sind gefährdeter (SFH, Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr, 26.11. 2023, S. 14; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 174). Amnesty International (im Folgenden: AI) hat in der Vergangenheit wiederholt Berichte von Betroffenen erhalten, die nach öffentlichen Äußerungen online bedroht und diffamiert wurden (AI, Stellungnahme an das OVG SH vom 20.4.2023, S.4).
67
Was religiöse Äußerungen betrifft, gehört zu den Umständen, die die Gefahr erhöhen, als möglicher Regimekritiker bewertet zu werden, nicht bereits die vereinzelt gebliebene Mitteilung des Kircheneintritts in sozialen Medien. Im Fokus der Überwachung können Online- und Social-Media-Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Medien stehen, die das politische oder religiöse Gefüge anfeinden und in Frage stellen. Das betrifft insbesondere diejenigen mit einer hohen Reichweite und Vernetzung (etwa auch aufgrund ihrer Profession, Kontakte, Bekanntheit) sowie entsprechend anzunehmendem Einfluss auf die Öffentlichkeit, darunter auch Iranerinnen und Iraner im Ausland (BAMF, Netzaktivitäten – Netzüberwachung, Juli 2023, S. 6). Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber sie kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das durchaus zu Problemen führen, wenn es sich um eine eigene Analyse der Religionen und nicht bloß um das Hineinkopieren von Phrasen handelt (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation, 26.1.2024, S. 92 f.; SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 25). Dass eine einzelne Quelle angibt, es seien Personen wegen eines zufälligen Beitrags in Gefahr geraten oder iranische Behörden könnten auch einen Fall „erfinden“, um eine Person strafrechtlich zu belangen (vgl. SFH, Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023, S. 14), rechtfertigt noch nicht den Schluss, die vereinzelte Mitteilung der Konversion in sozialen Medien mache eine Verfolgung beachtlich wahrscheinlich (vgl. SFH, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 23.11.2023, S. 26 ff. zu weiteren widersprüchlichen Risikoeinschätzungen).
68
(2) Ob eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit vorliegt, ist demnach jeweils nach den konkret-individuellen Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ausgehend davon genügen nach Überzeugung des Senats die vom Kläger geschilderten Netzaktivitäten bzw. die deswegen (angeblich) erfahrenen Bedrohungen nicht, um diesbezüglich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr auszugehen.
69
Ausgangspunkt ist dabei zunächst der Umstand, dass der Kläger im Iran nicht als Kritiker des Islam bzw. als Kritiker des iranischen Staates wegen der im Iran stattfindenden Verfolgung der Religionen bzw. der fehlenden Meinungs- und Religionsfreiheit aufgefallen ist, da – wie bereits oben ausgeführt – nicht glaubhaft ist, dass die von ihm geschilderten Geschehnisse passiert sind, insbesondere nicht, dass er den behaupteten Blogeintrag zusammen mit seinem Bild veröffentlicht hat. Die behaupteten Internetaktivitäten des Klägers in Deutschland bezüglich seiner bereits am 26. November 2017 erfolgten Taufe sind schon nicht belegt. Im Schriftsatz vom 13. Januar 2022 (Bl. 68 ff. der VG-Akte) wird erstmals behauptet, der Kläger hätte seinen Glauben in sozialen Medien mitgeteilt (dort S. 2), ohne genauer auszuführen, wann und mit welchem Inhalt das geschehen sein soll. Im weiteren Verlauf wurde dies vom Kläger näher dahingehend konkretisiert, er verbreite seinen Glauben auf Facebook und YouTube (VG-Protokoll S. 7) bzw. missioniere über Facebook seit 2020 für das Christentum (VGH-Protokoll S. 7). Mit konkretem Inhalt wurde dabei im Schriftsatz vom 13. Januar 2022 (dort S. 4 f.) ein Post vom 21. Juni 2021 benannt, in dem er Islam und Christentum bzw. Koran und Bibel verglichen und die Unterschiede herausgestrichen habe (vgl. die dortige Anlage K 3). Dass dieser Post tatsächlich mit dem genannten Inhalt von ihm auf Facebook veröffentlicht worden ist, wurde weder belegt noch sonst unter Beweis gestellt. In erster Linie hat der Kläger vielmehr auf bereits am 8. und 9. März 2021 infolge der vormaligen Internetaktivitäten auf dem Handy erhaltene Drohungen (u.a. ein Video aus dem Iran) verwiesen (Schriftsatz vom 13.1.2022 S. 2 f., Anlagenkonvolut K1; VG-Protokoll S. 7), wegen derer er zusammen mit seiner Schwester M. mehrfach, u.a. im Januar 2021, bei der Polizei gewesen sei; insgesamt sollen es jedenfalls mehr als drei Bedrohungen gewesen sein (VG-Protokoll S. 7), wobei nur zwei davon im Schriftsatz vom 13. Januar 2022 mit Inhalt dargestellt wurden. Zwar geht der Senat davon aus, dass der Kläger u.a. wegen dieser Drohungen vom 8. und 9. März 2021 mit seiner Schwester M. die Polizei aufgesucht hat (vgl. auch die an seine Schwester adressierte Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 10.7.2021 über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens, Bl. 76 der VG-Akte), allerdings belegt dies weder, dass er diese Drohungen tatsächlich aus dem Iran erhalten hat, noch, dass die Personen, die ihm diese geschickt haben, tatsächlich dem iranischen Regime angehören bzw. die Macht haben, die Drohungen umzusetzen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger nicht identitätsprägend zum Christentum übergetreten ist und daher auch seine Missionierung für diese Religion nicht glaubhaft ist (s. oben), konnte der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger tatsächlich die von ihm behaupteten Internetaktivitäten mit der Folge von ernstzunehmenden Bedrohungen getätigt hat. Auffällig ist dabei, dass von weiteren Drohungen oder sonstigen Vorkommnissen nach dem März 2021 bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr berichtet worden ist. Soweit der Kläger auf seinen aktuellen Facebook-Account verwiesen hat, auf dem er „New Sina“ heißt und auf dem mehrere Kreuze, u.a. mit Jesus Christus, zu sehen sind, ist dessen Reichweite mit zwei Followern stark begrenzt, sodass auch nicht davon auszugehen ist, dass der iranische Staat deshalb auf den Kläger aufmerksam geworden sein könnte, selbst wenn er tatsächlich über diesen Account Posts verschickt haben sollte.
70
cc) Es ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger bereits wegen seines mehrjährigen Auslandsaufenthalts bzw. seiner Asylantragstellung in Deutschland und wegen der bei ihm bei einer Rückkehr in den Iran gegebenenfalls durchgeführten Befragungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht.
71
(1) Nach der Auskunftslage löst allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt und sich länger dort aufgehalten hat, bei der Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA, Lagebericht 2022, S. 25; AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 3 f. Fragen 6 – 12; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 167 ff.; DFAT, Country Information Report Iran, 24.7.2023, S. 39 f.). Das Auswärtige Amt hat bislang keine Anhaltpunkte dafür, dass der iranische Staat die Stellung eines Asylantrags im westlichen Ausland (insbesondere Deutschland) als Ausdruck regimekritischer Gesinnung ansieht (AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 4 Frage 11; vgl. zum Ganzen auch OVG NW, U.v. 3.6.2024 – 6 A 3287/21.A – juris Rn. 137 ff.; NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 79 ff.; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 63 ff.).
72
Dem Auswärtigen Amt sind einzelne Fälle bekannt, bei denen aus dem Ausland einreisende iranische Staatsangehörige bei Einreise durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt befragt oder sogar verhaftet wurden. Es werden weder bei Einreise in den Iran generell noch nach längerem Auslandsaufenthalt flächendeckende Befragungen zur politischen Überzeugung durchgeführt, wenn es auch Einzelfälle gibt, in denen mit einer solchen Befragung gerechnet werden muss (AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 2 Fragen 1 – 4).
73
Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden – oder ihm möglicherweise nützen – können. Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben. Eine weitere Quelle geht davon aus, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 167 ff.; ähnlich, SFH, Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr, 26.11. 2023, S. 8 ff.).
74
Hinsichtlich einer illegalen Ausreise ist zwar davon auszugehen, dass diese gegebenenfalls nachteilige Folgen bei der Wiedereinreise haben kann. Es ist den vorliegenden Erkenntnismitteln jedoch nicht zu entnehmen, dass insofern eine beachtliche Gefahr einer Verfolgung bzw. eine schutzrelevante Gefahr droht. In der Praxis muss nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes in Fällen, in denen Iran illegal verlassen wurde, bei Rückkehr mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird regelmäßig der Reisepass einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 4 f. Frage 13).
75
Befragungen bei der Rückkehr in den Iran nach einem längeren Auslandsaufenthalt, die nach Einschätzung der Schweizer Flüchtlingshilfe mit erhöhter Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden (vgl. SFH, Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr, 26.11.2023, S. 6), stellen für sich genommen ohne das Hinzutreten besonderer Umstände keine relevanten, einen Schutzstatus begründenden Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG dar. Es gibt keine Erkenntnisse, dass derartige Befragungen regelmäßig von Handlungen mit Verfolgungsintensität begleitet werden (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 25). Insbesondere sind bisher keine Fälle bekannt, in denen Zurückgeführte im Rahmen der Befragung bei Rückkehr psychisch oder physisch gefoltert worden sind (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 25; BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 168).
76
(2) Dies zugrunde gelegt hat der Kläger nach Überzeugung des Senats nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfall eine Verfolgung zu befürchten.
77
Wie bereits ausgeführt, ist nicht anzunehmen, dass der Kläger seitens iranischer Sicherheitsbehörden als Regimegegner identifiziert worden ist und an ihm ein Verfolgungsinteresse besteht. Auch aus dem Umstand, dass der Kläger nach seinen Angaben illegal mit einem gefälschten Pass ausgereist ist, folgt keine (drohende) Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Zwar ist in diesen Fällen bei einer Rückkehr mit einer Befragung und einer auf Grundlage von Art. 34 und 35 des Iranischen Passgesetzes erfolgenden Bestrafung der illegal ausgereisten Person zu rechnen, die durch eine Geld- oder Haftstrafe erfolgen kann. Wird die ausgereiste Person nicht weiter von den Behörden gesucht, wird die bloße Tatsache der illegalen Ausreise allerdings in der Regel lediglich mit einer Geldstrafe geahndet (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 169). Es liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, dass die iranischen Behörden eine illegale Ausreise für sich genommen als einen regimekritischen Akt betrachten und entsprechend – etwa durch eine unverhältnismäßige Bestrafung nach Art. 34 und 35 des Iranischen Passgesetzes (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) im Sinne eines sogenannten Politmalus – sanktionieren (vgl. AA, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 5 Frage 14).
78
Ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht nicht. Nach dem Vorstehenden sind keine Gründe für die Annahme gegeben, dem Kläger könnte ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG drohen (vgl. auch die diesbezügliche Begründung im Bescheid vom 22.2.2018 unter 3., der der Senat folgt und auf die er gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug nimmt).
79
Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht.
80
1. Insoweit verweist der Senat vorweg insbesondere zu § 60 Abs. 5 AufenthG auf die Begründung im Bescheid vom 22. Februar 2018 unter 4., der der Senat folgt und auf die er gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug nimmt. Die dort geschilderten humanitären Verhältnisse im Iran entsprechen weitgehend den auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor den Senat vorherrschenden Verhältnissen (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 24). Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation aufgrund der Sanktionen und des Währungsverfalls weiter verschlechtert hat, ist die Grundversorgung nach wie vor gesichert (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 156 f.) und der Kläger, der schon länger in Deutschland arbeitet, ist trotz möglicher psychischer Erkrankungen arbeitsfähig.
81
2. Ein mögliches Abschiebungsverbot insbesondere gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könnten vorliegend nur die vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen begründen, nämlich die in zwei (neueren) fachärztlichen Attesten vom 27. Mai 2024 und 7. Juni 2024 von zwei verschiedenen Neurologen bescheinigte posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 G) sowie die schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2 G).
82
a) Was die schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome nach F32.2 G betrifft, kann offenbleiben, ob die vorgelegten Bescheinigungen (zusammen mit dem bereits im Verfahren erster Instanz vorgelegten Entlassungsbericht des Bezirksklinikums Mittelfranken vom 17.7.2018) den gesetzlichen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entsprechen. Denn psychische Erkrankungen können – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat (UA S. 19/20) – im Iran ausreichend behandelt werden und der Zugang zu diesen Behandlungsmöglichkeiten ist für den Kläger, der zudem seine wirtschaftliche Situation im Iran als durchschnittlich, fast gut bezeichnet hat (BAMF-Niederschrift S. 4), auch gegeben. Zwar entspricht die medizinische Versorgung im Iran nicht den (west-)europäischen Standards (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 24), doch ist zumindest in Teheran (und in größeren Städten) die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 164; BAMF, Länderkurzinformation Iran, Gesundheitssystem und medizinische Versorgung, Stand: 10/2023, S. 1 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. November 2008 darauf hingewiesen, dass bereits im Jahr 2008 die Versorgung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen im Iran möglich war (UA S. 20). Dabei haben alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende, Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen sowie weitere Angebote, wobei primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind (vgl. BFA, Iran, Länderinformation der Staatendokumentation vom 26.1.2024, S. 165). Iran produziert einen Großteil der im Land benötigten Medikamente selbst; auch der Import von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung ist in der Regel möglich, führt jedoch oftmals zu Preissteigerungen (vgl. AA, Lagebericht 2022, S. 25; BAMF, Länderkurzinformation Iran, Gesundheitssystem und medizinische Versorgung, Stand: 10/2023, S. 2). Nachdem der Kläger, wie er selbst ausgeführt hat, durchaus gutsituiert im Iran gewesen ist und er auch noch engere Verwandtschaft dort hat, die ihn unterstützen kann, ist nicht ersichtlich, dass seine psychische Erkrankung im Iran nicht ausreichend behandelt werden könnte.
83
b) Was die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung nach F43.1 G betrifft, erfüllen die vorgelegten Atteste nicht die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und war deshalb mangels hinreichender Substantiierung dem schriftsätzlich gestellten Beweisantrag des Klägers nicht nachzugehen.
84
Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachliche medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
85
Den neu vorgelegten Attesten ist – ebenso wenig wie den bereits früher vorgelegten Bescheinigungen des den Kläger schon lange behandelnden Arztes – schon nicht zu entnehmen, auf welchen tatsächlichen Umständen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfolgt ist. In dem neurologischen Attest vom 7. Juni 2024 findet sich hierzu überhaupt keine Aussage. In der ärztlichen Bescheinigung vom 27. Mai 2024 finden sich nur allgemeine Aussagen dahingehend, dass die damaligen Untersuchungsbefunde sowie die anamnestischen Schilderungen das Vorliegen einer solchen Erkrankung (sowie – jetzt neu – auch einer schweren depressiven Störung) aufzeigten, wobei die Einschätzungen auf dem immer wieder erhobenen psychopathologischen Befund, fremdanamnestischen Angaben und Testbögen (BDI, BAI) beruhten. Es fehlt aber bereits jede Angabe dazu, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände diese posttraumatische Belastungsstörung entstanden sein soll.
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c) Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2022 – C-69/21 – (ECLI:ECLI:EU:C:2022:913), wonach bei einer Abschiebung auch die RL 2008/115 i.V.m. Art. 1, 4, 19 Abs. 2 der Grundrechtecharta zu beachten ist, ändert sich nichts an der vorstehenden Bewertung, dass die vorgelegten Atteste keinen hinreichend substantiierten Beleg oder gar einen Nachweis über das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) darstellen. Denn selbst wenn, wie der Kläger meint, aus den diesbezüglichen Urteilsgründen gefolgert werden müsste, dass § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen seien, dass die Anforderungen an ärztliche Atteste jedenfalls nicht hoch sein dürften, ergäben sich die genannten Mindestanforderungen für die Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS aus der Pflicht des Asylbewerbers, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 31 Rn. 15 m.w.N.). Denn zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS (sowie eines entsprechenden Beweisantrags) gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen – so liegt der Fall hier –, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 a.a.O.). Dies sind keine „hohen“ Anforderungen im Sinn des klägerischen Verständnisses der besagten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, sondern aus der Unschärfe des Krankheitsbildes der PTBS resultierende Mindestanforderungen, die in erster Linie in einer deskriptiven Abbildung des Krankheits- und Therapieverlaufs bestehen.
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Wie bereits oben dargestellt, erfüllen die vorgelegten Atteste diese Mindestanforderungen nicht, insbesondere fehlt es schon daran, dass sich aus den Attesten nicht ergibt, aufgrund welchen Traumas die PTBS entstanden sein soll, die zudem erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen worden ist und noch nicht einmal im Entlassungsbericht des Bezirksklinikums Mittelfranken vom 17. Juli 2018 erwähnt wird. Demnach musste der Senat der Beweisanregung, die in dem schriftsätzlich gestellten Beweisantrag zu sehen ist, mangels Substantiierung des Vorliegens einer PTBS nicht nachgehen.
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Die erlassene Abschiebungsandrohung unter Fristsetzung von 30 Tagen ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 AsylG liegen vor (s. oben), zumal der Kläger keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
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Gegen die Entscheidung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) mit der Abschiebungsandrohung zu verbinden (§ 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) und es auf 30 Monate zu befristen, bestehen keine Bedenken, zumal keine Ermessensfehler hinsichtlich der Länge der Frist (§ 11 Abs. 3 AufenthG) ersichtlich sind. Es sind insbesondere durch den Kläger keine Aspekte vorgetragen worden, die zu seinen Gunsten zu einer kürzeren Befristung als 30 Monate oder gar Absehen von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führen müssten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Eine Zulassung der Revision gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG ist ebenfalls nicht veranlasst.