Inhalt

FG München, Urteil v. 17.01.2024 – 4 K 379/21
Titel:

Unwirksame testamentarische Anordnung

Normenketten:
ErbStG § 6 Abs. 2 S. 1, § 10 Abs. 5 Nr. 3
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB § 2169, § 2170
Leitsätze:
1. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert mithin für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird (vgl. BFH-Urteil des vom 31. August 2021 II R 2/20, BFHE 273, 572, Rz 13, m.w.N.). (Rn. 25)
2. Die testamentarische Anordnung von Vermächtnissen durch den Vorerben hinsichtlich des zur Nacherbschaft gehörenden Vermögens ist unwirksam und der Abzug als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG beim Nacherben ist ausgeschlossen. (Rn. 41)
Schlagwort:
Erbschaftsteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – II R 3/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
ErbR 2024, 488
UVR 2024, 173
ErbStB 2024, 151
EFG 2024, 473
StEd 2024, 150
BeckRS 2024, 2664
FDErbR 2024, 002664
LSK 2024, 2664
ZEV 2024, 489
DStRE 2024, 1112

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Erbschaftsteuerbescheids und insbesondere, ob der Vorerbe den erbschaftsteuerlichen Erwerb seinen Nacherben durch testamentarische Anordnung von Vermächtnissen belasten kann und insbesondere ob derartige – vom Vorerben angeordnete – Vermächtnisse als Nachlassverbindlichkeiten beim Erwerb des Nacherben abzugsfähig sind.
2
Die Kläger sind die gemeinsamen Kinder des am … 2023 verstorbenen vormaligen Klägers R sowie dessen am … 2016 vorverstorbener Ehefrau E. R war der Alleinerbe seiner am … 2016 verstorbenen Ehefrau E.
3
E war (neben C) die Nacherbin nach ihrer Mutter, der am … 2015 verstorbenen M (im Folgenden: Vorerbin M). Im Wege der Nacherbschaft erwarb E einen 1/18 Anteil an der Z Grundstücksverwaltung GbR (im Folgenden: GbR) in O. Das Gesellschaftsvermögen der GbR besteht aus dem Eigentum an dem Grundstück XY in O. Die Vorerbin M wiederum war die Nacherbin ihrer (vorverstorbenen) Mutter GM. Der ebenfalls vorverstorbene GV, der Vater der Vorerbin M und Ehemann der GM hatte als Erblasser testamentarisch diese gestaffelte Nacherbschaft angeordnet.
4
Die Vorerbin M hatte für ihr eigenes (nicht der – oben dargelegten – Vorerbschaft unterfallendes) Vermögen testamentarisch diverse Erben eingesetzt; E war hierbei von der Erbfolge ausgeschlossen und E war auch von der Vorerbin M nicht als Vermächtnisnehmerin eingesetzt. Des Weiteren bestimmte die Vorerbin M testamentarisch ein Vermächtnis (u.a.) zu Gunsten der Kläger in Bezug auf die (von ihr – als Vorerbin gehaltene) GbR-Beteiligung; unter Ziffer III Nr. 2 (Vermächtnisanordnung) des Testaments vom 25. September 2012 heißt es wörtlich: „Mir ist bewusst, dass aufgrund einer vom früheren Inhaber meiner GbR-Beteiligung angeordneten Vor- und Nacherbschaft unter Umständen die nachgenannte Vermächtnisanordnung ins Leere geht. Ich möchte mit dieser Vermächtnisanordnung jedoch insbesondere klarstellen, wie nach meiner Vorstellung die Abkömmlinge des Stammes von … bedacht werden sollen.“
5
Mit „Vermächtniserfüllungsvertrag“ vom … 2017 (Urk.Nr. … des Notars Y) übertrug der Vater der Kläger – Rdie von ihm als Alleinerben seiner Ehefrau E erworbene 1/18-GbR-Beteiligung zu gleichen Anteilen auf seine vier Kinder, die Kläger in diesem Klageverfahren, die hierdurch jeweils 1/72-GbR-Anteil erwarben; unter Ziffer 1.3 (dort Seite 4) des o.g. Vertrags vom … 2017 heißt es wörtlich: „Die Beteiligten sind sich darüber einig, mit heutiger Urkunde die vorstehenden Vermächtnisse … vollständig und endgültig zu erfüllen und zwar unabhängig davon, inwieweit die vorstehenden Vermächtnisanordnungen im Einzelfall bindend sind.“
6
Ausgehend von der am … 2016 beim beklagten Finanzamt (im Folgenden: FA) eingegangenen Erbschaftsteuererklärung setzte das FA mit Bescheid vom 26. Januar 2017 gegenüber – der bereits am … 2016 verstorbenen – E die Steuer i.H. von 0 € fest und berücksichtigte hierbei ausschließlich den (zwischen den Beteiligten weder dem Grunde noch der Höhe nach streitigen) Pflichtteilsanspruch der E i.H. von 102.637 €. Unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erließ das FA am 20. Januar 2020 einen (an R als Gesamtrechtsnachfolger von E gerichteten) geänderten Erbschaftsteuerbescheid und setzte hierbei die Steuer auf 328.985 € fest; hierbei berücksichtigte das FA den Erwerb der E aus der Nacherbschaft und legte für das Grundvermögen Grundstück XY in O (18/Anteil) einen Wert i.H. von 2.028.945 € zugrunde.
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Gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 20. Januar 2020 legte R mit Schreiben vom 29. Januar 2020 Einspruch ein und vertrat hierbei die Rechtsansicht, dass aufgrund der „Vermächtniserfüllung“ mit Vertrag vom 18. April 2017 kein steuerpflichtiger Erwerb der E vorgelegen habe. Mit Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2021 wies das FA den Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 20. Januar 2020 als unbegründet zurück.
8
Hiergegen richtet sich die am 22. Februar 2021 bei Gericht eingegangene Klage, zu deren Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wird. Die Vermächtnisanordnung der Vorerbin M hinsichtlich des GbR-Anteils möge zwar zivilrechtlich unwirksam gewesen sein. Jedoch seien die Grundsätze über die erbschaftsteuerliche Anerkennung des tatsächlich vollzogenen, zivilrechtlich unwirksamen Vermächtnisses auch dann anwendbar, wenn die zivilrechtliche Wirksamkeit an den fehlenden Voraussetzungen des § 2147 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) scheitere.
9
Nach Klageerhebung setzte das FA mit gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheiden, zuletzt mit Bescheid vom 10. August 2021 die Erbschaftsteuer i.H.v. 328.985 € fest; dieser Steuerfestsetzung legte das FA den (zum Bewertungsstichtag … 2015 bestandskräftig festgestellten) Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit Grundstück XY in O i.H.v. 2.028.945 € sowie den (zwischen den Beteiligten weder dem Grunde noch der Höhe nach streitigen) Pflichtteilsanspruch der ESG i.H. von 102.637 € zugrunde.
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Die Kläger beantragen,
den nach Rechtshängigkeit der Klage ergangenen Erbschaftsteuerbescheid vom 10. August 2021 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 0 € herabgesetzt wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
11
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
12
Das FA trägt zur Klageerwiderung ergänzend zur Einspruchsentscheidung im Wesentlichen sinngemäß Folgendes vor: Die Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung der zivilrechtlich unwirksamen Vermächtnisanordnung der Vorerbin M hinsichtlich der GbR-Beteiligung seien im Streitfall nicht gegeben. Maßgeblich sei allein die von Beteiligten gewählte tatsächliche – zivilrechtlich wirksame – Gestaltung.
13
Durch Beschluss vom 03. November 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Behördenakten sowie die Gerichtsakte nebst Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2024 Bezug genommen
II.
15
Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16
1.) Die Klage ist zulässig, da fristgerecht erhoben. Insbesondere sind die Kläger als Gesamtrechtsnachfolger des nach Klageerhebung verstorbenen R klagebefugt und haben – vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, der bereits R bei der Klageerhebung vertreten hat – das Klageverfahren auch weitergeführt. Mithin war das Klageverfahren auch nach dem Tod des – durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen – R nicht unterbrochen (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung).
17
2.) Die Klage ist jedoch unbegründet.
18
a) Der Erbschaftsteuerbescheid vom 10. August 2021 ist rechtmäßig und die Kläger werden hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Voraussetzungen für die geltend gemachten Nachlassverbindlichkeiten liegen nicht vor.
19
b) Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Nach § 6 Abs. 1 ErbStG gilt der Vorerbe als Erbe. Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 BGB) als auch der Erwerb aufgrund Vermächtnisses im Sinne des § 2147 BGB. Die Steuer entsteht mit dem Tode des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).
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c) Zivilrechtlich erben nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser.
21
aa) Nach dem Tod des Erblassers hat der Nacherbe bereits eine gesicherte Rechtsstellung, die als Nacherbenanwartschaft bezeichnet wird (vgl. Curdt in: Kapp/Ebeling, ErbStG, 98. Lieferung, 11/2023, § 6 Rn 26).
22
bb) Die Vor- und Nacherbschaft kann auch in Form der mehrfach gestaffelten Vor- und Nacherbschaft über mehrere Generationen hinweg genutzt werden (vgl. Reich in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Auflage 2020, § 6 Rn. 10).
23
d) Der Vorerbe gilt erbschaftsteuerlich als (Voll-)Erbe des Erblassers, § 6 Abs. 1 ErbStG. Der Erwerb erfolgt durch Erbfall i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFHvom 01. Dezember 2021 II R 1/20, BFHE 275, 355, BStBl II 2022, 518). Erbschaftsteuerlich wird das Anwartschaftsrecht des Nacherben aber nicht erfasst, weil sich die wirtschaftliche Bereicherung des Nacherben erst beim Eintritt der Nacherbfolge vollzieht (vgl. § 10 Abs. 4 ErbStG). Dieses Anwartschaftsrecht des Nacherben wird erbschaftsteuerlich wie ein aufschiebend bedingter Erwerb behandelt (vgl. Curdt in: Kapp/Ebeling, a.a.O., § 6 Rn 15).
24
e) Während der Nacherbe zivilrechtlicher Rechtsnachfolger des (ursprünglichen) Erblassers ist (s.o.), gilt erbschaftsteuerrechtlich Folgendes:
25
aa) Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert mithin für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird (vgl. BFH-Urteil des vom 31. August 2021 II R 2/20, BFHE 273, 572, Rz 13, m.w.N.). Alle Besteuerungsmerkmale sind im Verhältnis zur Person des Vorerben – und nicht des Erblassers – anzuwenden, u.a. mit der Folge, dass für die Besteuerung des Nacherbfalls die Steuerklasse nach dem Verhältnis des Nacherben zum Vorerben und nicht zum Erblasser gilt (vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 6 Rz 86).
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bb) Geht beim Tod des Vorerben neben dem zur Nacherbschaft gehörenden Vermögen zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, weil der Nacherbe z.B. gleichzeitig Allein- oder Miterbe nach dem Vorerben ist, liegen zivilrechtlich zwei Erbfälle vor: Einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben. Erbschaftsteuerrechtlich handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs -RFHvom 16. Juli 1942 – III 13/42, RStBl 1942, 935 zu dem § 6 Abs. 2 ErbStG entsprechenden § 7 Abs. 2 ErbStG i.d.F. vom 07. August 1922, RGBl I 1922, 695; BFH-Urteile vom 02. Dezember 1998 II R 43/97, BFHE 187, 120, BStBl II 1999, 235, unter II.1., und vom 03. November 2010 II R 65/09, BFHE 231, 233, BStBl II 2011, 123, Rz 14; BFH-Beschluss vom 28. Februar 2007 – II B 82/06, BFH/NV 2007, 919, unter II.1.). Ein etwaiger negativer Erwerb aus der Vorerbschaft kann daher mit einem positiven Erwerb aus der Erbeinsetzung verrechnet werden und umgekehrt.
27
cc) Die Fiktion des § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ErbStG wird durch die Möglichkeit nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, die Erbschaft als vom Erblasser stammend zu behandeln, zwar modifiziert, nicht aber aufgehoben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 275, 355). Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Geht in diesem Fall auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG). Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG). Trotz der speziellen Regeln zur Berechnung der Steuer liegt ein einheitlicher Erwerb vor (vgl. BFH-Urteil BFHE 275, 355 m.w.N.).
28
f) Nach § 10 Abs. 5 ErbStG sind von dem Erwerb, soweit sich nicht aus den Absätzen 6 bis 9 etwas anderes ergibt, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig (1). die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind und (2.) Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen und geltend gemachten Pflichtteilen und Erbersatzansprüchen sowie (3.) Kosten der Bestattung etc.
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aa) Schuldübernahmen, die der Erwerber nach dem Erbfall aus freien Stücken, das heißt ohne entsprechende Anordnung durch den Erblasser trifft, haben jedoch ihren Grund nicht in dem Erbfall und dem daraus resultierenden Erwerb und können deshalb nicht vom Erblasser „herrühren“ i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG (BFH-Urteil vom 26. Juli 2023 II R 4/21, juris).
30
bb) Neben dem Vorerben kann auch der Nacherbe den Pauschbetrag für Erbfallkosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG in Anspruch nehmen (BFH-Urteil vom 1. Februar 2023 II R 3/20, BFHE 279, 222, BStBl II 2023, 717).
31
cc) Wird eine Verfügung von Todes wegen ausgeführt, obwohl sie unwirksam ist, und beruht die Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des erblasserischen Willens, den Begünstigter und Belasteter anerkennen, ist gemäß § 41 Abs. 1 AO das wirtschaftliche Ergebnis dieses Vollzugs auch dann erbschaftsteuerrechtlich zu beachten, wenn die Verfügung nicht in vollem Umfang befolgt wird (BFH-Urteil vom 22. September 2010 II R 46/09, BFH/NV 2011, 261, Rz 8, m.w.N). Ein formunwirksames Vermächtnis ist danach erbschaftsteuerrechtlich (insbesondere nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG) zu erfassen, wenn feststeht, dass der Beschwerte die Rechtshandlungen, die sich als Erfüllung dieses Vermächtnisses darstellen, mit dem Willen vorgenommen hat, dem (formunwirksam) geäußerten letzten Willen des Erblassers zu entsprechen (BFH-Urteil vom 28. März 2007 II R 25/05, BFHE 215, 557, BStBl II 2007, 461, Rz 9, m.w.N.).
32
g) Bei Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat das FA zu Recht im Erbschaftsteuerbescheid vom 10. August 2021 die Steuer i.H. von 328.985 € festgesetzt und den von den Klägern als Nachlassverbindlichkeit geltend gemachten Abzug der (von der Vorerbin M angeordneten) Vermächtnisse verwehrt.
33
aa) Das FA ist zunächst zu Recht von einem erbschaftsteuerrechtlichen Erwerb der E als Nacherbin der Vorerbin M ausgegangen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 2 ErbStG).
34
(1) Soweit vom vormaligen Kläger R im Einspruchsverfahren die Ausschlagung bzw. die Anfechtung der Annahme der Nacherbschaft geltend gemacht worden ist, vermag das erkennende Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und nach Aktenlage keinerlei rechtliche Anhaltspunkte für diese Rechtsaufassung auszumachen.
35
(2) So ergibt sich bereits zur Überzeugung des erkennenden Gerichts aus dem Erbschein des AG N vom … 2017 und der damit einhergehenden gesetzlichen Richtigkeitsvermutung (vgl. § 2365 BGB), dass E die Nacherbin der Vorerbin M geworden ist.
36
(3) Eine (rechtlich wirksame) Ausschlagung der Nacherbschaft der E ist nach Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht erfolgt. Zwar kann der Nacherbe die Erbschaft grundsätzlich nach § 2142 Abs. 1 BGB ausschlagen, sobald der Erbfall eingetreten ist. Gleichwohl ist aber eine Ausschlagung im Streitfall nicht mehr möglich gewesen, da die Nacherbschaft – nach Aktenlage und dem Vortrag der Beteiligten – von E bzw. R (als Rechtsnachfolger der E) angenommen worden ist (vgl. § 1943 BGB); die Annahme der Nacherbschaft zeigt sich zur Überzeugung des Gerichts nicht zuletzt in dem sog. Vermächtniserfüllungsvertrag vom … 2017.
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(4) Schließlich sieht das erkennende Gericht auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung der Annahme der Nacherbschaft (mit der Rechtsfolge des § 1957 BGB: Ausschlagung) im Streitfall gegeben sind. Die geltend gemachte Anfechtung scheitert nach Überzeugung des erkennenden Gerichts aus mehreren Gründen: Der von R angeführte Irrtum „über das Vorhandensein der Vermächtnisansprüche“ unterfällt jedenfalls schon nicht § 1949 BGB, da ein Irrtum über den Berufungsgrund – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im o.g. Schreiben des R an das Nachlassgericht – offensichtlich nicht gegeben ist. Letztlich liegt bei dem geltend gemachten Irrtum „über das Vorhandensein der Vermächtnisansprüche“ nach Überzeugung des Gerichts allenfalls ein unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum vor (vgl. Otte in Staudinger, Bearbeitungsstand 2017, BGB, § 1954 Rn. 5 m.w.N.), worauf auch das AG N im Schreiben vom 26. Februar 2021 den vormaligen Kläger R hingewiesen hat. Ferner war auch nach Überzeugung des erkennenden Gerichts die Anfechtungsfrist des § 1954 BGB abgelaufen, worauf auch das AG N im o.g. Schreiben vom 26. Februar 2021 den vormaligen Kläger RS hingewiesen hat. Überdies hat der Klägervertreter (auch nach dem gerichtlichen Hinweis vom 11. Dezember 2023) keine weiteren Unterlagen vorgelegt, die die o.g. Behauptung bzw. Rechtsansicht der Anfechtung stützen könnten. Auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 18. Dezember 2023 samt den beigefügten Unterlagen wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen nochmals verwiesen.
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bb) Die Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs ist – mit Ausnahme der streitgegenständlichen Frage, ob die von der Vorerbin M (hinsichtlich des GbR-Anteils) angeordneten Vermächtnisse Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 ErbStG sind – zwischen den Beteiligten nicht streitig. Mithin ist zwischen den Beteiligten damit auch nicht streitig, dass E einerseits den GbR-Anteil im Wert von 2.028.945 € als auch den Pflichtteilsanspruch i.H. von 102.637 € erworben hat, so dass der Gesamterwerb 2.113.582 € beträgt.
39
cc) Die Voraussetzungen für den Abzug der von der Vorerbin M angeordneten streitgegenständlichen Vermächtnisse als Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 ErbStG liegen im Streitfall nicht vor.
40
(1) Der Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG scheidet schon deshalb aus, da sowohl das (die Vermächtnisanordnungen enthaltende) Testament der Vorerbin M aus dem Jahr 2012 als auch der sog. „Vermächtniserfüllungsvertrag“ aus dem Jahr 2017 ganz offensichtlich keine Erblasserschulden des Erblassers GV – dessen (Nach) Erbin E geworden ist (s.o.) – begründet haben können. Im Todeszeitpunkt des GV hat die streitgegenständliche Verbindlichkeit weder rechtlich bestanden hat noch ist der Erblasser wirtschaftlich belastet worden (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 2007 II R 30/05, BFHE 217, 190, BStBl II 2007, 651 m.w.N.). Der Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG scheidet des Weiteren offensichtlich ebenfalls aus.
41
(2) Schließlich ist im Streitfall auch der – einzig in Betracht kommende – Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG aus den nachfolgenden Gründen nicht erfüllt:
- Der Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG stellt (auch unter Berücksichtigung der Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG) darauf ab, dass der Erblasser, den Vor- und Nacherbe zivilrechtlich beerben, etwaige Vermächtnisse angeordnet hat. Mithin hätte im Streitfall einzig der Erblasser GV, den jeweils die Vorerbin M als auch die Nacherbin E nacheinander beerbt haben, zu Lebzeiten Vermächtnisse anordnen können, was er jedoch unstreitig nicht getan hat. Mithin liegt keine Nachlassverbindlichkeit i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vor.
- Im Übrigen konnte die Vorerbin M schon deshalb keine zivilrechtlich wirksame Vermächtnisanordnung (i.S. des § 1939 BGB) hinsichtlich des GbR-Anteils treffen, da sie als Vorerbin der Nacherbin E überhaupt nicht befähigt war, über das in der Vorerbschaft gebundene Vermögen von Todes wegen rechtswirksam zu verfügen (vgl. Grunsky in Münchener Kommentar, 6. Auflage 2013, § 2100 Rn. 22; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Auflage 2021, § 6 Rn. 14; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, 65. EL 2023, § 6 Rn. 65.1; Urteil des LG München II vom 05. Juli 1994 3 O 3650/93, juris). So hat auch bereits der Notar Y, der den sog. Vermächtniserfüllungsvertrag am … 2017 beurkundet hatte, in einer (in der Erbschaftsteuerakte befindlichen) schriftlichen Stellungnahme am 5. Juli 2016 (dort auf Seite 2) festgestellt: „Aufgrund dieser Nacherbfolgereglung (…) sind alle eigenen Anordnungen von Frau M in eigenen Testamenten über den GbR-Anteil rechtlich nicht verbindlich.“ Weiter führt der Notar aus, dass eine „rechtliche Verpflichtung“ der E zur Weitergabe des GbR-Anteils an die von der Vorerbin benannten Vermächtnisnehmer „nicht besteht“.
- Einzig der Erblasser GV, den jeweils die Vorerbin M als auch die Nacherbin E beerbt haben, hätte seinerzeit Vermächtnisse anordnen können, was er jedoch nicht getan hat (s.o.). Die zivilrechtliche Anerkennung einer – wie im Streitfall erfolgten – Vermächtnisanordnung des Vorerben zu Lasten des Nacherben würde das Anwartschaftsrecht des Nacherben in wirtschaftlicher Hinsicht völlig entwerten und widerspricht daher der im BGB geregelten Systematik der Vor- und Nacherbschaft. Der vom Klägervertreter vertretenen – gegensätzlichen – Rechtsansicht vermag das Gericht daher nicht zu folgen. Hierbei spielt es auch keine Rolle, dass die Vorerbin M auch nicht befreit i.S. des § 2136 BGB gewesen war. Ebenso wenig kann mit der vom Klägervertreter angeführten Argumentation eines Verschaffungsvermächtnisses (§§ 2169, 2170 BGB) die zivilrechtliche Wirksamkeit der von der Vorerbin M angeordneten streitgegenständlichen Vermächtnisse argumentativ begründet werden, da – worauf der Klägervertreter im Schriftsatz vom 23. August 2023, dort auf Seite zwei, selbst hingewiesen hat – E von der Vorerbin M weder als Erbin noch als Vermächtnisnehmerin eingesetzt worden war (vgl. auch Urteil des LG München II vom 05. Juli 1994 3 O 3650/93, juris). Schließlich hat der Klägervertreter selbst im Schriftsatz vom 23. August 2023 (dort auf Seite zwei) vorgetragen, dass die „zivilrechtliche Wirksamkeit der Vermächtnisanordnung scheitert“ und hat diese Rechtsansicht auch in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung).
- Das Gericht vermag auch nicht der vom Klägervertreter vertretenen Rechtsansicht zu folgen, dass im Streitfall die vom BFH aufgestellten Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung zivilrechtlich unwirksam angeordneter Vermächtnisse anzuwenden sind. Die vom BFH aufgestellten Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung zivilrechtlich unwirksam angeordneter Vermächtnisse könnten im Streitfall allenfalls dann Anwendung finden, wenn der Erblasser GV, den jeweils die Vorerbin M als auch die Nacherbin E nacheinander beerbt haben, zu Lebzeiten unwirksame Vermächtnisse angeordnet hätte. Im Streitfall waren die streitgegenständlichen Vermächtnisanordnungen jedoch nicht formunwirksam, sondern waren allein schon deshalb unwirksam und gingen ins Leere, da die Vorerbin M hinsichtlich des Sondervermögens der Vorerbschaft gerade keine zivilrechtlich wirksamen letztwilligen Verfügungen treffen konnte (s.o.). Die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Vermächtnisanordnung war der Vorerbin M bei der Errichtung des notariellen Testaments am 25. September 2012 im Übrigen durchaus bewusst. Unter Ziffer III Nr. 2 (Vermächtnisanordnung) des o.g. Testaments heißt es wörtlich: „Mir ist bewusst, dass aufgrund einer vom früheren Inhaber meiner GbR-Beteiligung angeordneten Vor- und Nacherbschaft unter Umständen die nachgenannte Vermächtnisanordnung ins Leere geht. Ich möchte mit dieser Vermächtnisanordnung jedoch insbesondere klarstellen, wie nach meiner Vorstellung die Abkömmlinge des Stammes von bedacht werden sollen.“ (Anmerkung des Gerichts: Der Passus „nach meiner Vorstellung“ ist in der notariellen Urkunde unterstrichen.).
- Mithin spielt es im Streitfall – entgegen der Rechtsansicht des Klägervertreters (vgl. dessen Schriftsatz vom 23. August 2023, dort Seite 2) – auch keine Rolle, ob dem (mit notarieller Urkunde am 25. September 2012) errichteten Testament der Vorerbin M „äußert schwer erkennbare Gestaltungsfehler“ tatsächlich zugrunde gelegen haben. Allein aufgrund der Tatsache, dass das Testament am 25. September 2012 vor einem Notar errichtet worden ist und in Absatz III Ziffer 2 ein entsprechender Passus („Vermächtnisanordnung“) enthalten war (s.o.), vermag das erkennende Gericht schon nicht nachzuvollziehen, dass überhaupt ein „Gestaltungsfehler“ vorgelegen hat; vielmehr handelt es sich um eine bewusste Entscheidung der Vorerbin EG, die trotz notarieller – in der Urkunde vom 25. September 2012 dokumentierter – Belehrung ihre eigene „Vorstellung“ hinsichtlich der Vermächtnisanordnung betreffend den GbR-Anteil durchsetzen wollte. Sollte gleichwohl ein (wie auch immer gearteter) Beratungsfehler im Rahmen der o.g. Testamentserrichtung vorgelegen haben, ist jedoch dieser Umstand für die Frage der steuerlichen Anerkennung der zivilrechtlich unwirksamen Vermächtnisanordnungen unerheblich.
- Allein die letztwilligen Verfügungen des Erblassers (hier: GV) in einem Testament und nicht hiervon abweichende Anordnungen in einem Testament der Vorerbin M oder Vereinbarungen in einer nach dem Tode des Erblassers errichteten notariellen Urkunde (hier: „Vermächtniserfüllungsvertrag“ aus dem Jahr 2017) sind sowohl bei der Frage der Abzugsfähigkeit des Vermächtnisses als Nachlassverbindlichkeit als auch bei der damit korrespondierenden Besteuerung des Erwerbes eines Vermächtnisnehmers zugrunde zu legen. Weder die Vorerbin M noch sonstige am Nachlass beteiligte oder schuldrechtlich berechtigte Personen waren befugt, den Kreis der steuerpflichtigen Personen oder den Umfang der steuerpflichtigen Bereicherung durch freie Vereinbarung nach dem Erbfall eigenmächtig neu zu bestimmen (vgl. Urteil des FG München vom 6. September 2017 4 K 1916/16, juris)
- Mithin liegen im Streitfall zur Überzeugung des Gerichts keine Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen vor, die den Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG erfüllen. Das Gericht verweist des Weiteren zur Vermeidung von Wiederholungen auf die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2021 und macht sich die diesbezüglichen Ausführungen zu Eigen.
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dd) Sonstige auf eine Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Erbschaftsteuerbescheids hindeutende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen worden noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Festsetzung der Erbschaftsteuer erfolgte – abgesehen von der streitigen Frage der Abzugsfähigkeit der von der Vorerbin M angeordneten Vermächtnisse – erklärungsgemäß, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf den streitgegenständlichen Erbschaftsteuerbescheid sowie die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2021 verwiesen wird.
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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4.) Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 FGO zugelassen, da die entschiedene Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.