Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 23.02.2024 – 206 StRR 55/24
Titel:

Zu berücksichtigende Umstände bei der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB 

Normenkette:
StGB § 56 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich auch zu berücksichtigen, wenn der Angeklagte nach Begehung der gegenständlichen Tat erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt hat, weil das aufgrund des Strafeindrucks zu einer positiven Prognose führen könnte. Eine positive Sozialprognose kann aber auch in diesem Fall u. a. dann verneint werden, wenn der Angeklagte nach der (erstmaligen) Haftverbüßung eine weitere Straftat begangen hat, weil es dann fernliegt, dass die Strafvollstreckung den Angeklagten so beeindruckt haben könnte, dass allein deshalb die Prognose nunmehr günstig ist. (Rn. 7) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Ein erörterungsbedürftiger Umstand im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB ist es auch, wenn nach der erstinstanzlichen Verurteilung im gegenständlichen Verfahren eine weitere Verurteilung erfolgt ist, in deren Rahmen die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Es bedarf dann der Darlegung, aus welchen Gründen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in diesem Urteil zur Bewährung ausgesetzt war und aus welchen dort unberücksichtigten oder aus Sicht der Berufungskammer unzutreffend gewürdigten Gesichtspunkten diese zur Überzeugung gelangen konnte, dass beim Angeklagten nicht von einer günstigen Sozialprognose ausgegangen werden kann. (Rn. 8) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Strafaussetzung zur Bewährung, Prognoseentscheidung, Sozialprognose, Kriminalprognose, Strafeindruck, weitere Verurteilung, günstige Prognose
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Urteil vom 25.10.2023 – 2 NBs 202 Js 139811/21
AG Augsburg, Urteil vom 10.01.2023 – 03 Ds 202 Js 139811/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2659

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 25. Oktober 2023 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

1
Die zulässige Revision führt hinsichtlich der versagten Strafaussetzung zur Bewährung zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 S. 1 StPO), während sie im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruches und der Strafzumessung im Übrigen) offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
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1. Der Schuldspruch weist ebenso wie die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 29. Januar 2024 zutreffend und nicht ergänzungsbedürftig ausführt. Die hiergegen im Schriftsatz der Revision vom 19. Februar 2024 erhobenen Einwendungen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.
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2. Der Rechtsfolgenausspruch kann jedoch wegen eines durchgreifenden Begründungsmangels insoweit keinen Bestand haben, als die Berufungskammer eine Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung versagt hat.
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a) Wie die Strafzumessung im Allgemeinen, ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. etwa Urteil vom 26.04.2017, 2 StR 47/17, zitiert nach juris, sowie Fischer, StGB, 70. Aufl., § 56 Rdn. 25 m. w. N.). Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig hält, hat es die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen oder nicht, ist vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (vgl. Fischer aaO § 56 Rdn. 11 m. w. N.).
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b) Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt allerdings dann vor, wenn sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder aber die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.
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Gründe für die Versagung oder Bewilligung der Strafaussetzung sind nach den allgemeinen Grundsätzen, die für die Urteilsbegründung gelten, jedenfalls dann zu erörtern, wenn besondere Umstände die Gewährung einer Strafaussetzung besonders nahelegen (BGH, Urteil vom 29.04.1954, 3 StR 898/53, BGHSt 6, 167, juris Rdn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 267 Rdn. 23). Auch insoweit gilt zwar, dass es weder erforderlich noch möglich ist, alle in Betracht kommenden Strafzumessungsgründe im Urteil erschöpfend anzugeben (BGH, Urteil vom 31.07.2014, 4 StR 216/14, juris Rdn. 4). Ein Rechtsfehler liegt aber dann vor, wenn die für die Abwägung bestimmenden wesentlichen Gründe nicht in ausreichendem Maße mitgeteilt werden (BGH aaO). Weist der Fall Besonderheiten auf, die für die Frage der Strafaussetzung von Bedeutung sein können, so ist eine eingehende Darlegung aller in Betracht zu ziehenden Umstände erforderlich (BGH, Urteil vom 09.02.1983, 3 StR 493/82, juris Rdn. 3).
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c) Noch zutreffend hat das Landgericht im Rahmen der Prognoseentscheidung berücksichtigt, dass der Angeklagte nach Begehung der hiesigen Tat erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt hat (UA S. 28), was aufgrund des Strafeindrucks zu einer positiven Prognose führen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2012, 1 StR 100/12, zitiert nach juris und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.03.2005, 1 Ss 203/04, zitiert nach juris). In nicht zu beanstandender Weise hat die Kammer eine positive Sozialprognose aber deshalb verneint, weil der Angeklagte nach der (erstmaligen) Haftverbüßung eine weitere Straftat begangen hat (UA S. 30), so dass es fernliegt, dass der Strafeindruck den Angeklagten so beeindruckt haben könnte, dass allein deshalb die Prognose nunmehr günstig ist.
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d) Ein erörterungsbedürftiger Umstand lag jedoch auch darin, dass nach der erstinstanzlichen Verurteilung im hiesigen Verfahren eine weitere Verurteilung erfolgt ist und dass die Vollstreckung dieser durch Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 14. März 2023 verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (UA S. 7/8). Um dem Revisionsgericht die vollständige Überprüfung der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung zu ermöglichen, hätte es deshalb der Darlegung bedurft, aus welchen Gründen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in diesem Urteil zur Bewährung ausgesetzt war und aus welchen vom Amtsgericht Heidelberg unberücksichtigten oder aus Sicht der Berufungskammer unzutreffend gewürdigten Gesichtspunkten diese zur Überzeugung gelangen konnte, dass beim Angeklagten nicht von einer günstigen Sozialprognose ausgegangen werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25.02.2021, 206 StRR 42/21, n. v.). Dies hat die Kammer ersichtlich nicht bedacht (vgl. UA S. 30).
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d) Der Senat kann jedenfalls nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieses Umstandes zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Frage der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung gelangt wäre, zumal auch der im Rahmen einer Bewährungsauflage verfügten unmittelbar bevorstehenden stationären Alkoholtherapie (UA S. 4 und 29) angesichts der der hiesigen Verurteilung zugrundeliegenden Taten erhebliche Bedeutung zukommt. Deshalb beruht das Urteil auch auf dem Rechtsverstoß.
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e) Da der Erörterungsmangel lediglich die Frage der Strafaussetzung betrifft und keine innere Abhängigkeit von den beanstandungsfrei gebliebenen Strafzumessungserwägungen besteht, hebt der Senat gemäß § 353 Abs. 1 StPO das Urteil nur im Umfang der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 353 Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen auf, und verweist die Sache insoweit gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurück.
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Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer wird außerdem die Voraussetzungen des § 55 StGB hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts Heidelberg vom 14. März 2023 zu prüfen haben. Sollten diese vorliegen, steht einer Gesamtstrafenbildung auch die durch den gegenständlichen Beschluss eingetretene Teilrechtskraft bezüglich der Gesamtstrafe nicht entgegen (vgl. Fischer aaO § 55 Rdn. 20 m. w. N.).