Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.07.2024 – 203 StRR 301/24
Titel:

Anforderung an Strafzumessung

Normenketten:
WaffG § 2 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Nr. 1
StGB § 17 Abs. 2, § 49 Abs. 1, § 184b
StPO § 353, 354 Abs. 2
Leitsätze:
1. Falls der Sachverhalt dazu Anlass bietet, muss das Urteil Ausführungen über das Unrechtsbewusstsein des Täters enthalten; dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte auf das Fehlen nicht berufen hat. (Rn. 3)
2. Dass einer ersten oder zweiten Tat weitere nachgefolgt sind, ist grundsätzlich für deren Unrechtsgehalt ohne strafzumessungsrelevante Bedeutung, es sei denn, es wäre von vornherein eine Mehrzahl von Taten geplant gewesen. (Rn. 4)
3. Die Feststellung eines abweichenden Sexualverhaltens bildet für sich genommen kein Eingangsmerkmal im Sinne von §§ 20, 21 StGB. Im Einzelfall kann jedoch die sexuelle Devianz einen Ausprägungsgrad erreichen, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung zugeordnet werden kann. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und der Taten zu beurteilen. (Rn. 5)
1. Beim Besitz eines Laserpunktprojektors ohne gleichzeitigen Besitz einer Waffe kann nicht ohne Weiters von einem Unrechtsbewusstsein des Angeklagten ausgegangen werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der Begehung mehrerer gleichförmiger Taten in Serie kann sich eine Verminderung des Schuldgehaltes der Folgetaten ergeben, wenn auf Grund des inneren Zusammenhangs auf eine herabgesetzte Hemmschwelle geschlossen werden kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Laserpunktprojektor, Unrechtsbewusstsein, Strafzumessungsrelevanz, Vortaten, Folgetaten, herabgesetzte Hemmschwelle
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 04.03.2024 – 4 NBs 703 Js 15507/20
Fundstellen:
BeckRS 2024, 26402
StV 2025, 11
LSK 2024, 26402
StV 2025, 124
FDStrafR 2024, 026402

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 04. März 2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Regensburg hat den Angeklagten am 31. Juli 2023 wegen der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte in sieben Fällen, wegen Besitzes kinderpornografischer Inhalte und vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Vorrichtung für eine Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichteten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat das Landgericht Regensburg mit Urteil vom 4. März 2024 als unbegründet verworfen. Der Angeklagte rügt mit der Revision die Verletzung von sachlichem Recht. Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt die Verwerfung der Revision nach § 354 Abs. 1a S. 1 StPO als unbegründet.
II.
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Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben.
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1. Bezüglich des Verstoßes gegen das Waffengesetz beschränken sich die Ausführungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten auf das Wissen um die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über einen Laserpunktprojektor für Schusswaffen. Mit der Frage, ob der Angeklagte von dem Verbot nach § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG i.V.m. § 2 Abs. 3 WaffG und Anlage 2 Abschnitt 1 Nummer 1.2.4.1 wusste oder ob er hätte erkennen können, Unrecht zu tun, hat sich das Gericht, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend dargelegt hat, nicht auseinandergesetzt. Das Urteil muss jedoch Ausführungen über das Unrechtsbewusstsein enthalten, falls der Sachverhalt dazu Anlass bietet, und zwar auch dann, wenn sich der Angeklagte auf das Fehlen nicht berufen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2001 – 5 StR 363/01 –, juris Rn. 15; Bülte in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 17 StGB Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 267 Rn. 7; Bartel in KK-StPO, 9. Aufl., § 267 Rn. 19; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 267 Rn. 46). Zur Erörterung hätte hier mit Blick auf die Feststellungen zum Gerät Anlass bestanden. Denn das Wissen darum, Unrecht zu tun, versteht sich beim Besitz eines Punktprojektors ohne gleichzeitigen Waffenbesitz nicht von selbst. Dass der Angeklagte Übung oder Kenntnisse im Umgang mit Waffen hatte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Daher kann der Senat nicht prüfen, ob die Voraussetzungen eines Verbotsirrtums und die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 17 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgelegen haben.
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2. Die Strafzumessung bezüglich der Vergehen nach § 184b StGB weist ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler auf. Dem Angeklagten kann nicht strafschärfend vorgeworfen werden, dass er eine Therapie absolviert und damit den Grund für sein kriminelles Verhalten angegangen habe. Sollte das Landgericht – wie es der folgende Satz auf S. 14 des Urteils nahelegt – dahin zu verstehen sein, der Angeklagte sei rückfällig geworden, obwohl er bessere Möglichkeiten zur Vermeidung erneuter Taten gehabt habe als ein bisher unbehandelter Täter, so hätte sich die Kammer mit dem festgestellten psychischen Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten auseinandersetzen müssen. Dem Angeklagten kann auch nicht generell der mehrjährige Begehungszeitraum der abgeurteilten Taten strafschärfend vorgehalten werden. Dass einer ersten oder zweiten Tat weitere nachgefolgt sind, ist regelmäßig für deren Unrechtsgehalt ohne strafzumessungsrelevante Bedeutung. Dies kann anders sein, wenn von vornherein eine Mehrzahl von Taten geplant sind und darin die nach § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigungsfähige „rechtsfeindliche Gesinnung“ des Täters zum Ausdruck kommt, wobei eine strafschärfende Berücksichtigung später liegender Taten nicht zu einer Doppelbestrafung führen darf (BGH, Beschluss vom 12. April 2016 – 2 StR 483/15 – juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 26. September 2001 – 2 StR 383/01-, juris). Werden Taten gleichförmig in Serie begangen, kann sich daraus zudem auch eine Verminderung des Schuldgehalts der Folgetaten ergeben, wenn auf Grund des inneren Zusammenhangs auf eine herabgesetzte Hemmschwelle geschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 – 4 StR 581/11 –, juris Rn. 7). Dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung auf geringere Strafen erkannt hätte, vermag der Senat nicht auszuschließen.
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3. Aufgrund der dargelegten Rechtsfehler war das Urteil im Strafausspruch gemäß § 353 StPO mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Berufungskammer zurückzuverweisen. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, sich gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen auch zur Frage zu verhalten, ob die festgestellten Störungen in Form einer sexuellen Präferenzstörung verbunden mit einer Anpassungsstörung und einer Zwangsstörung nicht zuletzt mit Blick auf die Anzahl der gesammelten Dateien ein Eingangsmerkmal nach § 20 StGB erfüllt haben und ob die Störungen zur jeweiligen Tatzeit die Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB beeinträchtigt haben. Zwar bildet die Feststellung eines abweichenden Sexualverhaltens für sich genommen kein Eingangsmerkmal im Sinne von §§ 20, 21 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – 4 StR 387/22 –, juris Rn. 10 zur Pädophilie). Jedoch können eine schwere andere seelische Störung und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit vorliegen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 395/17-, juris Rn. 10; Beschluss vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15-, juris Rn. 9 mwN). Ob die sexuelle Devianz einen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung zugeordnet werden kann, ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 1 StR 574/18 Rn. 14; Urteil vom 26. Mai 2010 – 2 StR 48/10 Rn. 10, jeweils zitiert nach juris). Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2016 – 1 StR 526/15-, juris Rn. 13 f.). Die Beurteilung der sachverständigen Zeugin, dass die aktuelle Therapie mittlerweile bereits „einiges“ verändert habe, lässt eine verlässliche Aussage zur damaligen Schuldfähigkeit nicht zu.