Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 03.09.2024 – Au 3 K 22.1915
Titel:

Berücksichtigung von Werbungskosten bei Kostenbeitrag eines Elternteils im Jugendhilferecht

Normenketten:
SGB VIII § 91 Abs. 1 Nr. 5 lit. a, § 92 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, Abs. 5, § 93, § 94
BayVwVfG Art. 37
BGB § 191, § 1609
Leitsätze:
1. Die nach § 93 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 SGB VIII vom Einkommen abzuziehende Belastung mit den Kosten für die notwendige Nutzung eines Kraftfahrzeugs für den Arbeitsweg ist nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben - und nicht unter entsprechender Anwendung von § 3 der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII - zu berechnen. (Rn. 34 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Fahrtkostenpauschale ist nur für Zeiträume zu berücksichtigen, in welchen die zur Zahlung eines Kostenbeitrags pflichtige Person tatsächlich berufstätig war, dh nicht für Zeiten des Krankengeldbezugs. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Jugendhilfe, Kostenbeitrag eines Elternteils, Berechnung von Werbungskosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben (geänderte Kammerrechtsprechung), Bestimmtheitsgrundsatz, keine Anwendung der Fahrtkostenpauschale während Krankengeldbezug, Kostenbeitrag, Elternteil, Werbungskosten, Fahrtkosten, Mietkosten, Angemessenheit, Krankengeldbezug
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26310

Tenor

 I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen zwei Leistungsbescheide (jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids), mit denen sie für den Zeitraum vom 16. Oktober 2021 bis 31. Dezember 2021 zu einem Kostenbeitrag von 206,32 EUR monatlich und für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 zu einem Kostenbeitrag von 210,00 EUR monatlich herangezogen wurde.
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Die Klägerin ist Mutter des am ... 2006 geborenen Hilfeempfängers. Der Beklagte gewährte dem Hilfeempfänger ab 23. September 2021 Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII. Die Klägerin hat außerdem zwei Töchter (geb. am ... 2004 und ... 2007), die nicht mit ihr zusammenleben.
3
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2021, zugestellt am 16. Oktober 2021, informierte der Beklagte die Klägerin über die beabsichtigte Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für die ihrem Sohn ab dem 23. September 2021 gewährte Vollzeitpflege. Mit Schreiben vom 9. März 2022 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Festsetzung eines Kostenbeitrags in Höhe von 210,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 23. September 2021 bis 31. Dezember 2021 angehört. Die Klägerin nahm hierzu mit Schreiben vom 14. März 2022 Stellung.
4
Mit Leistungsbescheid vom 18. März 2022 wurde die Klägerin für den Zeitraum vom 23. September 2021 bis 31. Dezember 2021 für die ihrem Sohn gewährte Jugendhilfe zu einem Kostenbeitrag von 210,00 EUR monatlich verpflichtet (Ziffer 1). Der Zahlungsrückstand sei bis zum 8. April 2022 zu begleichen (Ziffer 2). Die Klägerin sei als Elternteil nach § 91 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII zu den Kosten der Hilfe heranzuziehen. Das maßgebliche Einkommen betrage 22.155,85 EUR (Gesamtnettoeinkommen des Jahres 2020). Hiervon seien monatliche Belastungen mit einer Pauschale von 25 Prozent zu berücksichtigen. Die Kfz-Aufwendungen der Klägerin könnten nicht berücksichtigt werden, da ihr Arbeitsplatz zumutbar mit dem öffentlichen Personennahverkehr erreichbar sei. Die Heranziehung sei nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen, da der Klägerin der unterhaltsrechtlich notwendige Selbstbehalt verbleibe. In diesem seien Kosten für öffentlich-rechtliche Rundfunkgebühren und den Vertrag für den Fernsehanschluss bereits enthalten, sodass diesbezüglich keine zusätzliche Berücksichtigung möglich sei. Die Klägerin habe keine weiteren Unterhaltspflichten geltend gemacht. Gründe für eine besondere Härte seien nicht ersichtlich.
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Mit Schreiben vom 18. März 2022 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Festsetzung eines Kostenbeitrags in Höhe von 210,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 angehört.
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Mit weiterem Leistungsbescheid vom 7. April 2022 wurde die Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 für die ihrem Sohn gewährte Jugendhilfe zu einem Kostenbeitrag von 210,00 EUR monatlich verpflichtet (Ziffer 1). Der Kostenbeitrag aus Ziffer 1 sei jeweils zum 15. eines Monats fällig (Ziffer 2). Ein etwaiger Zahlungsrückstand sei bis zum 1. Mai 2022 zu begleichen (Ziffer 3). Das maßgebliche Einkommen (Gesamtnettoeinkommen des Jahres 2021) betrage 20.965,07 EUR; monatliche Belastungen seien mit einer Pauschale von 25 Prozent in Abzug gebracht. Die Heranziehung sei angemessen, da der unterhaltsrechtlich notwendige Selbstbehalt verbleibe.
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Hiergegen ließ die Klägerin durch Schriftsätze ihres Bevollmächtigten vom 13. April 2022 und 11. Mai 2022 Widerspruch einlegen. Auf die Begründung wird verwiesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2022 hob die Regierung von ... den Bescheid vom 18. März 2022 insoweit auf, als die Klägerin vor dem 16. Oktober 2021 zu einem Kostenbeitrag herangezogen wurde und der Kostenbeitrag im Zeitraum vom 16. Oktober 2021 bis zum 31. Dezember 2021 den Betrag von 206,32 EUR monatlich übersteige. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 1). Hinsichtlich des Kostenbeitrags für das Jahr 2021 (Bescheid vom 18. März 2022) führte die Regierung von ... aus, eine Aufklärung der Klägerin über den Kostenbeitrag sei erst mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 erfolgt, sodass diese erst ab Zustellung des Schreibens am 16. Oktober 2021 zur Zahlung verpflichtet werden könne. Die von der Klägerin nachgewiesenen Belastungen würden den Pauschalbetrag nicht übersteigen. Unter Werbungskosten würden in analoger Anwendung von § 82 SGB XII i.V.m. § 3 der DVO eine Pauschale für Arbeitsmittel sowie jährliche Fahrtkosten in Höhe von 2.496 EUR (= max. 40 km x 5,20 EUR x 12) fallen. Die Fahrtkosten der Klägerin seien nur bis zur gesetzlich vorgegebenen Höchstgrenze nach § 3 der DVO zu § 82 SGB XII anzuerkennen; es seien aber aufgrund der Höhe der Fahrtkosten zusätzlich die Jahresbeiträge zur Kfz-Versicherung und Kfz-Steuer abzusetzen. Die Autokreditrate sei als besondere Belastung anzusehen, da der Pkw zur Erreichung der Arbeitsstätte als erforderlich angesehen werden müsse. Die Wohnungsmiete sei bereits in die Kostenbeiträge aus der KostenbeitragsV eingearbeitet und daher nicht gesondert zu berücksichtigen. Nebenkosten, Stromzahlungen und sonstige Kosten der allgemeinen Lebensführung seien nicht absatzfähig. Hinsichtlich der Kosten für den Handyvertrag ihrer Tochter sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin zu zusätzlichen Unterhaltsleistungen verpflichtet gewesen sei, weil ihre Tochter ihren Bedarf nicht über ihre Ausbildungsvergütung habe decken können. Bei den Kosten für den Handyvertrag ihres Sohnes handele es sich um eine freiwillige Unterhaltsleistung. Für ihre weitere Tochter habe die Klägerin keine Unterhaltszahlungen nachgewiesen. Damit verbleibe es bei Einkommensgruppe 4. Der monatliche Kostenbeitrag sei aber nach der unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung auf 206,32 EUR zu begrenzen. Das Jahresnettoeinkommen der Klägerin sei nach Nr. 10.2.2 SüdL 2021 um die notwendigen Kosten für die berufsbedingte Nutzung des Kfz von 480,00 EUR monatlich zu bereinigen, was einem Einkommen von 1.366,32 EUR entspreche. Anschaffungskosten für den Pkw seien nach Nr. 10.2.2 Satz 2 SüdL mit den abgezogenen Fahrtkosten bereits erfasst. Mangels Nachweises weiterer Unterhaltsverpflichtungen könne das Einkommen in vollem Umfang zur Deckung des Bedarfs des Sohnes der Klägerin angerechnet werden. Der Kostenbeitrag in Höhe von 206,32 EUR ergebe sich aus der Differenz zwischen einzusetzendem Einkommen und notwendigen Selbstbehalt. Über die Prüfung der Angemessenheit im Sinne des § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII werde sichergestellt, dass der Klägerin das sozialhilferechtliche Existenzminimum verbleibe; eine sozialhilferechtliche Vergleichsberechnung sei daneben nicht notwendig. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 (Bescheid vom 7. April 2022) sei die Höhe des Kostenbeitrags trotz des insgesamt niedrigeren Gesamteinkommens nicht zu beanstanden. Zum Jahresnettoeinkommen zähle auch das im Zeitraum vom 10. Juni bis 10. Dezember 2021 bezogene Krankengeld sowie die Einkommenssteuererstattung. Den Pauschalabzug übersteigende Belastungen seien erneut nicht nachgewiesen, zumal von erheblich niedrigeren Fahrtkosten auszugehen sei. Verpflichtende Unterhaltszahlungen seien ebenfalls nicht nachgewiesen. Das monatliche Gesamteinkommen sei um berufsbedingte Fahrtkosten zu bereinigen, die sich für Zeiten der Erwerbstätigkeit der Klägerin im Jahr 2021 anteilig auf 241,33 EUR belaufen würden. Dies ergebe ein den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt übersteigendes monatliches Einkommen von 1.505,76 EUR.
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Am 30. September 2022 ließ die Klägerin Klage erheben und beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 18. März 2022 und den Bescheid vom 7. April 2022 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2022 aufzuheben.
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Zur Begründung wird in Bezug auf den Kostenbeitrag für das Kalenderjahr 2021 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerspruchsbescheid sei insoweit nicht hinreichend bestimmt als ihm nicht zu entnehmen sei, welcher Teilbetrag für den Monat Oktober 2021 geschuldet sei. Zudem sei der Fristbeginn mit 16. Oktober 2021 rechtswidrig, da der Tag der Zustellung des Aufklärungsschreibens nach § 187 Abs. 1 BGB nicht mitzurechnen sei. Die Klägerin sei nicht zur Zahlung eines Kostenbeitrags verpflichtet, da sie im unterhaltsrechtlichen Sinne nicht leistungsfähig sei. Hinsichtlich der Berechnung der Fahrtkosten mit einem Mindestbetrag von 480,00 EUR sei nicht berücksichtigt worden, dass die Pauschale die in den Jahren 2020/2021 massiv gestiegenen Spritpreise nicht widerspiegele. Zudem sei der Kreditvertrag für die Anschaffung des Pkw entsprechend Nr. 10.4 der Leitlinien zu berücksichtigten, da die Klägerin beruflich auf den Pkw angewiesen sei und diesen überwiegend beruflich nutze. Der notwendige Selbstbehalt sei im Fall der Klägerin anzuheben, da deren tatsächlichen Wohnkosten höher als der im Selbstbehalt hierfür angesetzte Betrag seien. In Bezug auf den Kostenbeitrag für das Kalenderjahr 2022 sei zu berücksichtigen, dass die Kosten für den Kreditvertrag unabhängig davon anfallen würden, ob die Klägerin aufgrund von Krankheit nicht habe zur Arbeit fahren müssen. Der Beklagte habe die Fahrtkosten auf Basis der unterhaltsrechtlichen Leitlinien für das Jahr 2020/2021 berechnet; maßgeblich seien jedoch die Leitlinien für das jeweilige Kalenderjahr, in welchem die Unterhaltspflicht geltend gemacht werde, da eine Sondervorschrift wie § 93 Abs. 4 SGB VIII fehle. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringe. Die Werbungskosten und Fahrtkosten seien nicht nach der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII, sondern nach unterhaltsrechtlichen Bewertungen zu berechnen. Ungeachtet dessen seien die in der Anlage zur Kostenbeitragsverordnung enthaltenen Werte veraltet und deshalb nicht anzuwenden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zum Kostenbeitrag für das Kalenderjahr 2021 wird ausgeführt, der Bescheid vom 18. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids sei hinreichend bestimmt. Ein monatlich festgesetzter Kostenbeitrag beziehe sich regelmäßig auf einen vollen Monat. Mit Schreiben vom 8. September 2022 sei der Klägerin eine detaillierte Rückstandsberechnung mit anteiligem Kostenbeitrag für Oktober 2021 übersandt worden. Die Berechnung erfolge in Anlehnung an Nr. 28.06 Abs. 2 der Sozialhilferichtlinien mit Dreißigstel. Mit dem Zugang der Mitteilung nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII werde keine Frist im Sinne von §§ 187 ff. BGB in Gang gesetzt. Die Energiepreiserhöhung treffe alle Unterhaltspflichtigen; es sei nicht vorgetragen, warum im Fall der Klägerin die Ausübung des Ermessens zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. Die Schuldverpflichtungen für die Anschaffung des Pkw sei nicht anzurechnen; dass ein Pkw überwiegend für Fahrten zur Arbeit benutzt werde, sei bei allen in Vollzeit berufstätigen Unterhaltspflichtigen, die auf ein Auto zum Erreichen der Arbeitsstätte angewiesen seien, der Fall. Eine Erhöhung des Selbstbehalts wegen tatsächlicher Mietkosten sei nicht vorzunehmen, da die Klägerin nicht dargelegt habe, dass die Anmietung ihrer Wohnung im Sinne der Nr. 21.5.2 SüdL nach den Umständen nicht vermeidbar war. Im Übrigen übersteige die Größe der Wohnung die angemessene Wohnfläche für einen Ein-Personen-Haushalt bei Weitem. Zum Kostenbeitrag für das Kalenderjahr 2022 wird ausgeführt, dass bei einer reinen privatrechtlichen Unterhaltsberechnung das Einkommen in 2022 zugrunde gelegt würde. Im Rahmen der Kostenbeitragsrechnung sei dies allerdings das Einkommen das Jahres 2021, sodass es aufgrund der Änderung der Leitlinien ab 2022 gerechter sei, auch die unterhaltsrechtliche Einkommensbereinigung nach den SüdL 2021 zu berechnen. Selbst unter Berücksichtigung der SüdL 2022 führe die Kostenbeitragsrechnung für den Zeitraum 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin habe in den Jahren 2020 bis 2022 keine tatsächlichen Unterhaltszahlungen nachgewiesen. Allein die Übernahme der Handyverträge sei nicht ausreichend. Die Berechnung der Werbungskosten nach der Verordnung zu § 82 SGB XII sei die allgemein übliche Berechnungsmethode bei den Jugendämtern. Die unterhaltsrechtliche Vergleichsberechnung stelle die Absicherung der Klägerin dar. Die Anlage der Kostenbeitragsverordnung sei durch die Verwaltung anzuwenden; eine Normverwerfungskompetenz der Verwaltung bestehe nicht.
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Mit Beschluss vom 31. Juli 2024 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung in seinen Kanzleiräumen aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Bescheide des Beklagten vom 18. März 2022 und vom 7. April 2022, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2022, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag zu den Kosten für die ihrem Sohn gewährte Jugendhilfe ist §§ 91 Abs. 1 Nr. 5 lit. a, 92 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung.
19
Nach § 91 Abs. 1 Nr. 5 lit. a SGB VIII werden bei der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) Kostenbeiträge erhoben. Nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII (in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung) sind Elternteile zu den Kosten der in § 91 Abs. 1 SGB VIII genannten Leistungen heranzuziehen. Nach § 92 Abs. 2 SGB VIII erfolgt die Heranziehung durch Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird; Elternteile sind getrennt heranzuziehen.
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Der Anwendungsbereich der §§ 91, 92 SGB VIII ist eröffnet. Dem Sohn der Klägerin wurde ab dem 23. September 2021 von dem Beklagten Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII gewährt. Zu den Kosten war die Klägerin als Elternteil durch Leistungsbescheid heranzuziehen.
21
2. Die Klägerin wurde zu Recht mit Leistungsbescheiden vom 18. März 2022 und 7. April 2022 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2022) ab dem 16. Oktober 2021 bis 31. Dezember 2021 sowie ab dem 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 zur Zahlung eines Kostenbeitrags verpflichtet.
22
Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung) kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde (sog. „informierter Kostenbeitrag“). Die entsprechende Information ist materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für den Kostenbeitrag, da das Recht zu seiner Erhebung an die Mitteilung an den Beitragspflichtigen anknüpft (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 17.7.2018 – 12 C 15.2631 – juris Rn. 6 m.w.N.).
23
Die Klägerin wurde mit Schreiben des Beklagten vom 14. Oktober 2021 über ihre – im Hinblick auf die ihrem Sohn ab 23. September 2021 gewährte Vollzeitpflege bestehende – Kostenbeitragspflicht informiert und über die Folgen für ihre Unterhaltspflicht aufgeklärt. Dieses Schreiben wurde der Klägerin am 16. Oktober 2021 mit Postzustellungsurkunde zugestellt (vgl. Bl. 17 der Behördenakte). Eine erneute Aufklärung für den ab 1. Januar 2022 erhobenen Kostenbeitrag war nicht erforderlich, da dem Sohn der Klägerin weiterhin Vollzeitpflege gewährt wurde (anders bei einem Wechsel der Art der Jugendhilfeleistung vgl. BayVGH, B. v. 28.5.2014 – 12 ZB 14.154 – juris Rn. 12).
24
Damit konnte ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Informationsschreibens am 16. Oktober 2021 ein Kostenbeitrag von der Klägerin erhoben werden. Aus dem Wortlaut von § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII („ab dem Zeitpunkt“) ergibt sich bereits, dass die Zustellung des Informationsschreibens keine Frist im Sinne von §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Lauf setzt. Vielmehr ist die Information materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung, löst also die Kostenbeitragspflicht erst aus.
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3. Der Bescheid vom 18. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2022 ist inhaltlich hinreichend bestimmt.
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Nach Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot bedeutet zum einen, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.2005 – 4 C 18/03 – juris Rn. 53).
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Gemessen hieran begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der für Oktober 2021 anteilig anfallende Kostenbeitrag im Widerspruchsbescheid selbst nicht konkret beziffert wurde. Denn aus der Formulierung „im Zeitraum vom 16.10.2021 bis zum 31.12.2021 [ein] [Kostenbeitrag] von 206,32 EUR monatlich“ (Ziffer 1. des Widerspruchsbescheids) war für die Klägerin hinreichend erkennbar, dass für Oktober 2021 nicht der volle monatliche Kostenbeitrag, sondern ein anteilig zu berechnender Teilbetrag gefordert wird. Die Berechnung eines Monats mit 30 Tagen ist eine – nicht nur im Sozialhilferecht – gängige Rechtspraxis (vgl. u.a. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II; § 64a Abs. 2 Satz 2 SGB XII; Nr. 28.06 Abs. 2 Satz 1 Sozialhilferichtlinien Bayern; § 191 BGB). Dass die Klägerin gegebenenfalls eine einfache Rechnung durchführen muss, um diesen Teilbetrag zu bestimmen, macht den Bescheid nicht zu unbestimmt (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG § 37 Rn. 30); vielmehr ist ausreichend, dass der für Oktober 2021 anfallende Kostenbeitrag aus dem Widerspruchsbescheid bestimmbar ist. Im Übrigen übersandte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 8. September 2022, demnach nur wenige Tage nach Erlass des Widerspruchsbescheids, eine konkrete Rückstandsberechnung mit konkret beziffertem Teilbetrag für Oktober 2021.
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4. Die Widerspruchsbehörde hat den Kostenbeitrag der Klägerin für den Zeitraum vom 16. Oktober 2021 bis 31. Dezember 2021 zu Recht in Höhe von 206,32 EUR festgesetzt.
29
Die Höhe des Kostenbeitrages bemisst sich nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach sind kostenbeitragspflichtige Elternteile aus ihrem jeweiligen Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Berechnung des Einkommens erfolgt nach § 93 SGB VIII. Sodann bemisst sich der Umfang der Heranziehung nach § 94 Abs. 5 SGB VIII entsprechend der Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung – KostenbeitragsV), hier in der Fassung vom 5. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4040) (siehe unter a) und b)). Der Kostenbeitrag ist schließlich auf seine Angemessenheit hin zu überprüfen (§ 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) (siehe unter c)); weiter darf die Heranziehung nicht zu einer besonderen Härte im Sinne des § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII führen (siehe unter d)).
30
a) Zwischen den Beteiligten besteht zunächst Einigkeit darüber, dass als Nettoeinkommen, das sich aus dem Bruttoeinkommen (§ 93 Abs. 1 SGB VIII) nach Abzug von auf das Einkommen gezahlten Steuern, Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung einschließlich Beiträgen zur Arbeitsförderung und angemessenen Vorsorgeaufwendungen errechnet (§ 93 Abs. 2 SGB VIII), ein Gesamtbetrag von 22.155,87 EUR anzusetzen ist.
31
b) Hinsichtlich der vom Nettoeinkommen nach § 93 Abs. 3 SGB VIII abzuziehenden Belastungen ist der Einwand der Klagepartei, Werbungskosten im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII seien nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu berechnen, zwar berechtigt (hierzu sogleich unter (aa)). Dennoch führt auch eine Neuberechnung nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu keinem anderen Ergebnis (siehe unter (bb)). Weitere Unterhaltspflichten waren nicht zu berücksichtigen (siehe unter cc)).
32
Nach § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sind vom Nettoeinkommen Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person abzuziehen; in Betracht kommen insbesondere Beiträge zu Versicherungen, mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben und Schuldverpflichtungen (§ 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII). Der Abzug erfolgt entweder pauschaliert in Höhe von 25 Prozent des Nettoeinkommens oder in tatsächlicher Höhe. Sind die Belastungen höher als der vorgenannte pauschale Abzug, so können sie abgezogen werden, wenn sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen (§ 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII). Die kostenbeitragspflichtige Person muss die Belastungen nachweisen (§ 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII).
33
aa) Nach § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII zählen zu den abzuziehenden Belastungen auch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (sog. Werbungskosten). Als solche kommen vorliegend die Kosten der Klägerin für die Nutzung eines Pkws für den Arbeitsweg in Betracht.
34
Zwischen den Beteiligten ist nach Durchführung des Widerspruchverfahrens unstreitig, dass die Klägerin zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf die Nutzung eines Pkws angewiesen ist. Die Widerspruchsbehörde hat unter entsprechender Anwendung von § 3 der Durchführungsverordnung zu § 82 des Sozialgesetzbuches – Zwölftes Buch (DV zu § 82 SGB XII) einen monatlichen Pauschbetrag in Höhe von 5,20 EUR für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, jedoch für nicht mehr als 40 Kilometer, angesetzt. Diese Berechnungsweise entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. VG Augsburg U.v. 25.1.2011 – Au 3 K 10.1006 – juris, bestätigt durch BayVGH, B. v. 25.10.2012 – 12 ZB 11.501 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 13.5.2014 – 12 ZB 14.827 – juris – Rn. 10).
35
Allerdings ist nach neuer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die nach § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII vom Einkommen abzuziehende Belastung mit den Kosten für die (notwendige) Nutzung eines Kraftfahrzeugs für den Arbeitsweg nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu berechnen (vgl. BVerwG, U. v. 18.1.2024 – 5 C 13/22 – juris, Ls. 2). Hierfür spricht der Sinn und Zweck des Kostenbeitrags, der bei vollstationären Angeboten an die Stelle von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen tritt (vgl. BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 11 f.). Systematisch ergibt sich die Notwendigkeit, einen Abgleich mit dem Unterhaltsrecht vorzunehmen, vor allem aus § 92 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, wonach ein Kostenbeitrag nur erhoben werden kann, soweit Unterhaltsansprüche vorrangig oder gleichrangig Berechtigter nicht geschmälert werden. Außerdem ergeben sich auch aus § 94 Abs. 2 SGB VIII und § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII Wechselwirkungen zwischen Kostenbeitrags- und Unterhaltsrecht (vgl. BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 13). Letztlich spricht auch die Verwaltungspraktikabilität für eine Berechnung nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben, da auf diese Weise eine unnötige Mehrarbeit bei einer zur Wahrung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts etwaig erforderlich werdenden unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung vermieden wird (vgl. BVerwG, a.a.O. – juris Rn. 18).
36
Die Kammer schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung an.
37
bb) Eine Neuberechnung der Werbungskosten der Klägerin nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben führt jedoch im Ergebnis zu keiner Einordnung in eine andere Einkommensgruppe nach der KostenbeitragsV.
38
Für eine Fahrtkostenberechnung nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben sind jeweils die unterhaltsrechtlichen Leitlinien desjenigen Oberlandesgerichts heranzuziehen, das auch für eine klageweise Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zuständig wäre (vgl. BVerwG, U. v. 18.1.2024 – 5 C 13/22 – juris Rn. 15). Dies sind vorliegend die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (SüdL) (vgl. hierzu § 232 Abs. 1 Nr. 2 Familienverfahrensgesetz).
39
Nach Ziffer 10.2.2 SüdL 2021 kann für die notwendigen Kosten der berufsbedingten Nutzung eines Kraftfahrzeugs ein Betrag von derzeit 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer angesetzt werden. Damit sind i.d.R. Anschaffungskosten miterfasst. Bei langen Fahrtstrecken (ab ca. 30 km einfach) kann nach unten abgewichen werden (für die Mehrkilometer in der Regel 0,20 EUR).
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Demnach errechnen sich die Fahrtkosten der Klägerin, orientiert an der von dem Beklagten im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung durchgeführten Berechnung, wie folgt:
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30 km * 2 * 225 Tage * 0,30 EUR = 4.050 EUR
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19 km * 2 * 225 Tage * 0,20 EUR = 1.710 EUR
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insg. 5.760 EUR
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Ein gesonderter Abzug einer Pauschale für Arbeitsmittel kommt – anders als bei der Berechnung nach sozialhilferechtlichen Maßstäben – nach der SüdL 2021 nicht in Betracht. Da die Kosten für Fahrten zum Arbeitsplatz den in Ziffer 10.2.1 genannten Pauschbetrag (5 Prozent des Nettoeinkommens = 1.107,79 EUR) übersteigen und darüber hinaus keine berufsbedingten Aufwendungen konkret nachgewiesen sind, können neben den Fahrtkosten keine weiteren berufsbedingten Aufwendungen mehr abgesetzt werden.“
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Die weiteren Kosten im Zusammenhang mit der Nutzung des Pkws (Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer und Autokreditrate) sind bei einer Berechnung der Werbungskosten nach der SüdL ebenfalls nicht mehr gesondert zu berücksichtigen. Denn mit der Wegstreckenpauschale sind sämtliche Fahrzeugkosten abgegolten, insbesondere auch etwaige Finanzierungs-, Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten. Dies kommt bereits in Ziffer 10.2.2 SüdL zum Ausdruck und wurde auch in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung mehrfach bestätigt (vgl. BVerwG, U. v. 18.1.2024 – 5 C 13/22 – juris Rn. 22; BGH, B.v. 13.6.2012 − XII ZB 658/11, NJW-RR 2012, 1089, 1091; B.v. 19.3.2014 – XII ZB 367/12, NJW 2014, 1531, 1533; U.v. 1.3.2006 – XII ZR 157/03, NJW 2006, 2182, 2183).
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Ebenfalls nicht zu berücksichtigten sind, wie vom Beklagten zu Recht angenommen, Miet- und Mietnebenkosten sowie sonstige Kosten der allgemeinen Lebensführung (u.a. Rundfunkvertrag, Fernsehvertrag) (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.4.2009 – Au 3 K 08.498 – juris Rn. 57; U.v. 8.7.2014 – Au 3 K 13.1597 – juris Rn. 34).
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Als weitere Belastungen sind demnach lediglich die von dem Beklagten berücksichtigten Kosten für Haftpflicht-, Hausrat- und Rechtsschutzversicherung in Höhe von 444,46 EUR in Abzug zu bringen (§ 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 SGB VIII).
48
Insgesamt ergibt sich damit eine Summe von nachgewiesenen Belastungen in Höhe von 6.204,46 EUR (= 5760 EUR + 444,46 EUR). Diese übersteigt den Pauschalabzug in Höhe von 25 Prozent des Nettoeinkommens (= 5.538,97 EUR) und ist daher vom Nettoeinkommen abzuziehen. Als bereinigtes Einkommen der Klägerin ergibt sich damit der Betrag von 15.951,40 EUR (= 22.155,87 EUR – 6.204,46 EUR). Dies entspricht einem monatlichen Durchschnittseinkommen in Höhe von 1.329,28 EUR.
49
Danach verbleibt es auch bei einer Berechnung der Werbungskosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben bei der Einkommensgruppe 4 – maßgebliches Einkommen von 1.301,00 bis 1.450,99 EUR –, Beitragsstufe 1 (vollstationär erste Person), und damit einem Kostenbeitrag von (zunächst) 210,00 EUR monatlich (§ 1 Abs. 1 i.V.m. der Anlage zu § 1 KostenbeitragsV a.F.).
50
Dem Einwand der Klagepartei, die Werte der Kostenbeitragsverordnung seien veraltet und deshalb nicht anzuwenden, ist entgegenzuhalten, dass allein die Behauptung veralteter Werte ohne weitere Substantiierung noch nicht ausreicht, um hinreichende Gründe für die Unvereinbarkeit der Kostenbeitragsverordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2013 mit höherrangigem Recht zu liefern. Eine solche ist nicht ersichtlich.
51
cc) Weitere Unterhaltspflichten der Klägerin waren nicht zu berücksichtigen, sodass keine Reduzierung des Kostenbeitrags vorzunehmen war.
52
§ 94 Abs. 2 SGB VIII bestimmt, dass die Anzahl der Personen, die gegenüber dem Kostenbeitragspflichtigen (neben dem Leistungsempfänger) mindestens gleichrangig zum Unterhalt berechtigt sind, angemessen zu berücksichtigen sind. Dem trägt § 4 Abs. 1 Nr. 1 KostenbeitragsV a.F. Rechnung. Danach ist dem Kostenbeitragspflichtigen bei einer Zuordnung des maßgeblichen Einkommens zu einer der Einkommensgruppen 2 bis 6, wie hier, eine um zwei Stufen niedrigere Einkommensgruppe je Unterhaltspflicht zuzuordnen, wenn der Kostenbeitragspflichtige nachweist, dass er seinen Unterhaltspflichten gegenüber anderen Personen, die nach § 1609 BGB mindestens im gleichen Range unterhaltsberechtigt sind wie der Leistungsempfänger, regelmäßig nachkommt.
53
Die Klägerin hat neben ihrem in Vollzeitpflege untergebrachten Sohn zwei Töchter, die grundsätzlich nach § 1609 Nr. 1 BGB gleichrangig unterhaltsberechtigt sind (bzw. waren). Allerdings hat die anwaltlich vertretene Klägerin keinerlei Nachweise darüber vorgelegt, dass sie ihren (Bar-)Unterhaltspflichten gegenüber ihren Töchtern tatsächlich regelmäßig nachkommt.
54
Soweit die Klägerin einen Handyvertrag für ihre älteste Tochter (geb. 13. Mai 2004) vorlegt, ist schon fraglich, ob dieser überhaupt als Erfüllung von Unterhaltspflichten oder als freiwillige Leistung („Geschenk“) zu werten ist. Die Klägerin hat aber jedenfalls nicht nachgewiesen, dass insoweit eine Unterhaltspflicht gegenüber ihrer Tochter bestand. Denn diese erhielt im maßgeblichen Kostenbeitragszeitraum eine Ausbildungsvergütung, die grundsätzlich auf den unterhaltsrechtlichen Bedarf anzurechnen ist (vgl. Selg in: BeckOGK, Stand: 1.2.2024, BGB, § 1602 Rn. 21). Ab dem Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit war die älteste Tochter der Klägerin zudem nur nachrangig unterhaltsberechtigt (vgl. § 1609 Nr. 4 BGB).
55
Der Handyvertrag für ihren Sohn bleibt schon deshalb außer Betracht, weil während der Vollzeitpflege keine Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber ihrem Sohn bestand; der Kostenbeitrag trat an die Stelle des Unterhalts (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Hierüber wurde die Klägerin mit Schreiben des Beklagten vom 14. Oktober 2021 aufgeklärt.
56
Regelmäßige Unterhaltszahlung für ihre jüngste Tochter (geb. 30. September 2017) hat die Klägerin ebenfalls nicht nachgewiesen. Vielmehr beantwortete die Klägerin in den Ermittlungsbögen für die Kostenbeitragsfestsetzung die Frage, ob sie Unterhalt für ihre Kinder zahle, selbst mit „nein“ (vgl. B. 7, 65 d. Behördenakte).
57
c) Zur Prüfung der Angemessenheit der Kostenbeitragshöhe im Sinne von § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist eine unterhaltsrechtliche Vergleichsberechnung durchzuführen (vgl. BVerwG, U. v. 19.8.2010 – 5 C 10/09 – juris, Ls.). Eine sozialhilferechtliche Vergleichsberechnung ist nicht zusätzlich vorgesehen.
58
Die Widerspruchsbehörde kam hier in nicht zu beanstandender Weise zum Ergebnis, dass der Kostenbeitrag von 210,00 EUR monatlich im Hinblick auf den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt der Klägerin auf 206,32 EUR monatlich anzupassen ist. Die von der Klagepartei diesbezüglich geltend gemachten Einwände führen nicht zum Erfolg der Klage.
59
aa) Zunächst begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte zur Berechnung der Fahrtkosten der Klägerin die sich aus Ziffer 10.2.2 SüdL 2021 ergebende Reduzierung der Wegstreckenpauschale für lange Fahrtstrecken angewandt hat.
60
Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb ausgerechnet im Fall der Klägerin eine Abweichung von den einheitlich angewandten und in der Rechtsprechung gebilligten Pauschalen für lange Fahrtstrecken (vgl. BVerwG, U. v. 18.1.2024 – 5 C 13/22 – juris Rn. 19; BGH, U. v. 1.3.2006 – XII ZR 157/03, NJW 2006, 2182, 2183) angezeigt wäre. Sofern hier die gestiegenen Spritpreise angeführt werden, ist dies weder ein Umstand, der nur die Klägerin betrifft, noch führt dies dazu, dass der Beklagte, statt eine Anpassung der jährlich aktualisierten SüdL abzuwarten, eigenhändig im Wege seiner Ermessenausübung reagieren müsste. Zudem wird in der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung bei besonders hohen Fahrtkosten (etwa über ein Drittel vom Nettoeinkommen) geprüft, ob nicht ein Umzug in eine näher gelegene Wohnung oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes zumutbar ist (vgl. etwa BGH, U.v. 21.1.1998 – XII ZR 117-96, NJW-RR 1998, 721, 722). Im Falle der Klägerin führt die Länge der Fahrtstrecke von 49 km nicht dazu, dass die Anwendung der reduzierten Pauschale unbillig erscheint, zumal dies weniger als die Hälfte der gesamten (einfachen) Wegstrecke betrifft. Außerdem hat die anwaltlich vertretene Klägerin nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass ihr ein Verkürzen der Wegstrecke zu ihrem Arbeitsplatz oder ein Wechsel desselbigen nicht zumutbar wären.
61
bb) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass der Beklagte von einer Erhöhung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts der Klägerin abgesehen hat.
62
Nach Ziffer 21.2 SüdL 2021 beträgt [der notwendige Selbstbehalt] beim Erwerbstätigen 1.160,00 EUR. Hierin sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 430,00 EUR enthalten. Wird konkret eine erhebliche und nach den Umständen nicht vermeidbare Überschreitung der in den einzelnen Selbstbehalten enthaltenen angeführten Wohnkosten dargelegt, erhöht sich nach Ziffer 21.5.2 SüdL 2021 der Selbstbehalt.
63
Vorliegend fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Anmietung einer 76,09 qm großen Zwei-Zimmer-Wohnung durch die alleinstehende Klägerin mit einer Warmmiete von 631,41 EUR nach den Umständen nicht vermeidbar war (vgl. BayVGH, B. v. 29. April 2013 – 12 C 13.686 – juris Rn. 9). Die Klägerin hat insbesondere nicht substantiiert vorgetragen, dass sie sich überhaupt um günstigeren Wohnraum bemüht hat (vgl. OVG München, B.v. 3.5.2023 – 2 UF 1057/22 e – juris Rn. 24); insoweit ist auch anzumerken, dass die Wohnung der Klägerin (76,09 qm) den nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen als angemessenen erachteten Wohnbedarf von 50 qm/Ein-Personen-Haushalt deutlich übersteigt (vgl. Ziff. 2.3. Handlungsempfehlungen zu den angemessenen Bedarfen für Unterkunft und Heizung Landkreis Teltow-Fläming). Außerdem bestehen auch keine Anhaltspunkte dahingehend, dass eine für eine Person angemessene Wohnung nicht für einen angesetzten Satz von 430,00 EUR zu erlangen ist. Dass die Klägerin im Hinblick auf Umgangskontakte mit ihren Kindern eine größere Wohnung vorhalten müsste, ist schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin selbst angab, bis auf eine Besuchswoche durch ihre älteste Tochter keinen Kontakt zu ihren Kindern gehabt zu haben. Eine Erhöhung des notwendigen Selbstbehalts scheidet daher aus.
64
d) Eine besondere Härte im Einzelfall durch die Zahlung des Kostenbeitrags im Sinne von § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII hat die Klägerin weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch ist diese sonst ersichtlich. Der Kostenbeitrag von 206,32 EUR erreicht auch nicht annähernd die von dem Beklagten erbrachten tatsächlichen Aufwendungen, sodass auch ein Fall des § 94 Abs. 1 Satz 2 SBG VIII nicht vorliegt. Eine weitere angemessene Reduzierung des Kostenbeitrags nach § 94 Abs. 4 SGB VIII kann ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden. Es ist in keiner Weise dargetan oder sonst ersichtlich, dass sich die Kinder der Klägerin – wenn überhaupt – nicht nur im Rahmen von Umgangskontakten bei ihr aufgehalten haben.
65
5. Gegen die Höhe des für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 festgesetzten Kostenbeitrags von 210,00 EUR monatlich bestehen, insbesondere unter Berücksichtigung der von der Klägerin geltend gemachten Belastungen sowie des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts, ebenfalls keine rechtlichen Bedenken.
66
a) Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte das der Klägerin ausbezahlte Krankengeld sowie die Einkommenssteuerrückerstattung als Einkommen im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII berücksichtigt hat (vgl. hierzu ausführlich VG Aachen, U. v. 12.10.2010 – 2 K 2335/08 – juris Rn. 30 ff.).
67
b) Eine Neuberechnung der Werbungskosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben führt auch hier zu keinem geringeren Kostenbeitrag.
68
aa) Der Klagepartei ist dahingehend zuzustimmen, dass zur Bestimmung des Kostenbeitrags für das Jahr 2022 auch die SüdL 2022 anzuwenden ist. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung, den Kostenbeitragspflichtigen nicht schlechter zu stellen als im Unterhaltsrecht, hält die Kammer eine Anwendung der SüdL in ihrer für den jeweiligen Kostenbeitragszeitraum gültigen Fassung für angezeigt (vgl. VG Augsburg, U.v. 8.6.2014 – Au 3 K 13.1597 – juris Rn. 49; U.v. 8.7.2014 – Au 3 K 14.482 – juris Rn. 27).
69
bb) Demnach errechnen sich die Fahrtkosten der Klägerin nach der SüdL 2022, orientiert an der von dem Beklagten im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung durchgeführten Berechnung, wie folgt:
70
30 km * 2 * 225 Tage * 0,42 EUR = 5.670 EUR
71
19 km * 2 * 225 Tage * 0,28 EUR = 2.394 EUR
72
insg. 8.064 EUR
73
Da die Klägerin im Jahr 2021 aber nur sechs volle Monate gearbeitet hat (davon neun Tage im Juni sowie 21 Tage im Dezember, was rechnerisch vereinfacht als voller Monat gerechnet wird) und sich die restliche Zeit im Krankengeldbezug befand, sind die Fahrtkostenpauschalen nur für Zeiten der tatsächlichen Berufstätigkeit in Ansatz zu bringen (vgl. hierzu sogleich unter 5. c)). Es ist daher nur die Hälfte der oben berechneten jährlichen Fahrtkosten von 8.064,00 EUR, demnach 4.032,00 EUR, anzusetzen. Weitere Belastungen waren nicht zu berücksichtigen; insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.“
74
Zusammen mit den von dem Beklagten berücksichtigten Versicherungsbeiträgen in Höhe von 449,56 EUR beläuft sich die Summe der nachgewiesenen Belastungen daher insgesamt auf 4.481,56 EUR. Dies übersteigt den Pauschalabzug in Höhe von 25 Prozent des Nettoeinkommens (= 5.241,27 EUR) nicht.
75
Damit verbleibt es bei einem bereinigten monatlichen Nettoeinkommen von 1.310,32 EUR, was der Einkommensgruppe 4 und damit einem Kostenbeitrag von 210,00 EUR monatlich entspricht (§ 1 Abs. 1 i.V.m. der Anlage zu § 1 KostenbeitragsV a.F.).
76
Weitere Unterhaltspflichten der Klägerin waren nicht zu berücksichtigen; insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
77
c) Der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt der Klägerin ist hinreichend berücksichtigt.
78
Insofern ist zunächst auf die vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren nachgereichte unterhaltsrechtliche Vergleichsberechnung zu verweisen, wonach der Klägerin auch bei Berücksichtigung von nach der SüdL 2022 berechneten Fahrtkosten der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt verbleibt (vgl. Bl. 54 ff. d. Gerichtsakte).
79
Im Übrigen hat der Beklagte die Fahrtkostenpauschale zu Recht nur für die Zeiträume angewandt, in welchen die Klägerin tatsächlich berufstätig war, und Zeiten des sechsmonatigen Krankengeldbezugs nicht berücksichtigt.
80
Denn einkommensmindernd zu berücksichtigen sind nur beruflich veranlasste Kosten der Pkw-Nutzung (in diesem Sinne auch NdsOVG, B. v. 9.3.2011 – 4 PA 275/10 – juris Rn. 4; VG Augsburg, U.v. 26.5.2009 – Au 3 K 08.65 – juris Rn. 53; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 135). Im Falle einer Quotenbildung wären die beruflich veranlassten, tatsächlich gefahrenen Kilometer konkret nachzuweisen und die Anschaffungs- und Betriebskosten entsprechend dem Verhältnis der beruflichen Nutzung anteilig zu berücksichtigen (vgl. Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 135). Dann ist aber nur konsequent, wenn bei der – alternativ zur vereinfachten Berechnung möglichen – Abrechnung nach Fahrtkostenpauschalen Zeiten, in denen mangels Berufstätigkeit keine beruflich veranlassten Fahrten durchgeführt werden mussten (etwa Krankheitstage), nicht berücksichtigt werden. Nicht zuletzt hätte die anwaltlich vertretene Klägerin auch substantiiert die im Jahr des Krankengeldbezugs gefahrenen Kilometer und den davon beruflich veranlassten Anteil darlegen können, sodass der Beklagte eine konkrete Quotenberechnung hätte durchführen können. Dann wäre aber wohl auch genauer zu prüfen gewesen, ob die Anschaffung des Pkws und die diesbezügliche Kreditaufnahme aus (privaten) Gründen jenseits einer etwaigen beruflich veranlassten Nutzung angemessen war (vgl. BVerwG, U.v. 18.1.2024 – 5 C 13/22 – juris Rn. 23).
81
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Kostenentscheidung war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.