Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 02.10.2024 – W 8 S 24.31888
Titel:

offensichtlich unbegründeter Asylantrag (Türkei)

Normenketten:
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Kurdischen Volkszugehörigen droht in der Türkei keine Gruppenverfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkei, Kurde, Sofortverfahren, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Vorbringen ohne konkreten Belang für internationalen Schutz, keine Gruppenverfolgung von Kurden, allgemeine Diskriminierung und Unterdrückung, Drohungen vom Vater, keine rechtlich relevante Verfolgungsintensität, offenkundig Möglichkeiten des landesinternen Schutzes oder einer inländische Fluchtalternative, kurdische Volkszugehörigkeit, Gruppenverfolgung, innerstaatliche Fluchtalternative
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26204

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Androhung der Abschiebung in die Türkei infolge der Ablehnung seines Asylantrages durch die Antragsgegnerin als offensichtlich unbegründet.
2
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und islamischer Religionszughörigkeit. Er reiste am 24. Oktober 2023 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24. November 2023 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er habe die Türkei wegen der kulturellen Unterdrückung und Diskriminierung der Kurden sowie wegen Probleme mit seiner Familie verlassen. Die Dorfbewohner seien unter Druck gesetzt worden. Auch im Westen der Türkei habe er viel Rassismus erlebt. Sein Vater habe ihn darüber hinaus aufgefordert, in die Berge zu gehen und sich der PKK anzuschließen; andernfalls habe ihm der Vater mit der Ausstoßung aus der Familie gedroht.
3
Mit Bescheid vom 12. September 2024 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden in der Türkei vermöge dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Es komme nicht zu einer landesweiten staatlichen Gruppenverfolgung der Kurden. Soweit es faktisch zu Diskriminierungen komme, erreichten sie regelmäßig nicht den erforderlichen Schweregrad gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Für Kurden lasse sich unabhängig von besonderen individuellen Merkmalen allgemein keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer staatlichen Verfolgung feststellen. Es sei davon auszugehen, dass es interne Schutzmöglichkeiten im Westen der Türkei gebe. Auch dort könne der Antragsteller eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden. Sein Existenzminimum sei gewährleistet. Der Kläger sei ein gesunder und erwerbstätiger Mann. Er habe in der Türkei gearbeitet und so seinen Lebensunterhalt bestritten. Außerdem gebe es finanzielle staatliche Hilfen des deutschen Staates bei einer Rückkehr. Soweit er Probleme wegen seiner kurdischen Herkunft und mit seiner Familie gehabt habe, sei es ihm zumutbar, sich an die zuständigen Behörden in seinem Heimatland zu wenden. Die Voraussetzungen subsidiären Schutzes lägen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht habe, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang seien. Die vom Antragsteller vorgetragenen Umstände seinen nicht asylrelevant. Die vorgetragenen Probleme seien für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Anhaltspunkte, wonach ihm im Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schutzauslösende Verfolgungshandlungen drohen könnten. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor.
4
Am 26. September 2024 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 24.31887 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
5
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller beschränke seine Anträge nunmehr auf die Zuerkennung internationalen Schutzes. Der Antragsteller sei in der Türkei als Kurde erheblichen Repressalien ausgesetzt gewesen. Dem Antragsteller drohe konkret die Gefahr für Leib und Leben. Dies resultiere auch aus einer in der Türkei weit verbreiteten „Sippenhaft“, auch wenn in der Türkei nur ein einziges Familienmitglied in Verdacht stehe, der Opposition anzugehören. Das Bundesamt sei seiner Verpflichtung zu einer vollständigen Sachverhaltsermittlung nicht nachgekommen. Die Einstufung des Vorbringens als unglaubhaft wäre nicht geeignet, eine qualifizierte Ablehnungsentscheidung zu tragen. Bloße Zweifel am Wahrheitsgehalt seien nicht ausreichend. Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertige nicht die Annahme, dass sich die getroffene ablehnende Entscheidung ohne jeglichen Zweifel geradezu aufdränge.
6
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 30. September 2024, den Antrag abzulehnen.
7
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der des Klageverfahrens W 8 K 24.31887) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
8
Der Eilantrantrag, der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Bezug auf die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids zu verstehen ist (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO), hat keinen Erfolg.
9
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
10
Der Antrag ist gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO statthaft, soweit er sich gegen die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung wendet. Des Weiteren wurden Sofortantrag und Klage innerhalb der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht eingelegt.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet.
12
Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 99).
13
Das Gericht darf sich dabei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, wenn dem Antragsteller im Falle der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine endgültige Verletzung seiner Rechte droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede stehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris m.w.N.). Insoweit fordert der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit – wenn es sie bejahen will – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine summarische Prüfung hinausgehen muss (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht muss dabei überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 m.w.N.). Des Weiteren darf die Verneinung relevanter inlandsbezogener Abschiebungshindernisse gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 AsylG keinen ernstlichen Zweifel unterliegen.
14
Bei der Prüfung bleiben von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris). Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 AsylG im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie dort nicht angegebene Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2 AsylG kann das Gericht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG unberücksichtigt lassen, wenn anderenfalls die Entscheidung verzögert würde.
15
Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht festzustellen und die Abschiebung in die Türkei anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln.
16
Das Gericht folgt hierbei den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, Stand: Januar 2024; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 7.3.2024).
17
Ergänzend wird lediglich Folgendes ausgeführt:
18
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt wurde. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Nicht von Belang ist ein Vortrag dann, wenn aus diesem auch bei Wahrunterstellung rechtlich klar kein Schutzstatus nach § 3 oder § 4 AsylG folgen kann (vgl. Auslegung im Sinne von Art. 31 Abs. 8 lit. g Asylverfahrens-RL 2013/32/EU). Eine asylrechtliche Relevanz ergibt sich dabei auch nicht, wenn offenkundig Möglichkeiten des landesinternen Schutzes oder einer inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3d und 3e AsylG) bestehen und der Antragsteller sich darauf verweisen lassen muss (vgl. VG Augsburg, U.v. 28.6.2024 – Au 6 K 24.30308 – juris Rn. 20 ff., 31 sowie VG Dresden, B.v. 16.4.2024 – 3 L 186/24.A – juris Rn.20; kritisch VG Düsseldorf, B.v. 18.7.2024 – 7 L 1825/24.A – juris Rn. 28 f.). Denn belanglos ist ein Vorbringen, wenn daraus auch bei seiner Zugrundelegung konkret kein Schutzstatus folgen kann (VG Köln, B.v. 12.8.2024 – 22 Lm1505/24.A – juris Rn 14).
19
Auch verfassungsrechtlich ist die Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit nicht zu beanstanden, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Lehre die Ablehnung des Antrag geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris Rn 20).
20
Das Vorbringen des Antragstellers ist danach für die Gewährung internationalen Schutzes offensichtlich nicht von Relevanz im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
21
Der Antragsteller konnte mit seinem individuellen Vortrag – diesen als wahr unterstellt – nicht glaubhaft machen, dass ihm in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden droht, §§ 3 ff., 4 AsylG. Er hat ein für die Prüfung des Asylantrags relevantes, individuelles Verfolgungsgeschehen oder eine entsprechende Rückkehrbefürchtung von Belang mit seinem Vorbringen nicht aufgezeigt.
22
Im Hinblick auf eine etwaige Benachteiligung des Antragstellers wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile einhellig in der – auch obergerichtlichen – Rechtsprechung anerkannt ist, dass in der Türkei keine Gruppenverfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden droht (vgl. etwa OVG Saarl, B.v. 3.9.2024 – 2 A 63/24 – juris Rn. 22 u. 27; B.v. 8.2.2024 – 2 A 210/22 – juris, Rn. 44; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 18.4.2024 – OVG 2 B 12/22 VG – juris S. 10 ff.; BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6, B.v. 26.10.2018 – 9 ZB 18.32578 – juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 28.5.2018 – 3 A 120/18.A – juris Rn. 8; OVG NRW, B.v. 29.7.2014 – 8 A 1678/13.A – juris Rn. 10; VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 18 f.).
23
Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an.
24
Zwar wird der Kampf gegen die PKK von der Regierung auch aktuell noch zur Rechtfertigung diskriminierender Maßnahmen gegen kurdische Bürgerinnen und Bürger herangezogen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 7.3.2024, S. 191). Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen jedoch wesentlich von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 7.3.2024, S. 189). Solche persönlichen Umstände wurden hier jedoch nicht geltend gemacht. Kurdische Volkszugehörige sind derzeit und in überschaubarer Zukunft keiner an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt. Es fehlt insoweit unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel angesichts der Größe der Volksgruppe jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (OVG Saarl, B.v. 3.9.2024 – 2 A 63/24 – juris Rn. 22; vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris).
25
Etwas anderes ergibt sich des Weiteren auch nicht aus den Angaben des Antragstellers zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bisher einer Verfolgungshandlung im Sinn von § 3a AsylG ausgesetzt war bzw. bei einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Soweit er vorbringt, er sei Diskriminierungen und Unterdrückungen in seinem Heimatdorf ausgesetzt gewesen und habe auch im Westen der Türkei Rassismus erlebt, ist dieser Vortrag nur vage und pauschal. Konkrete individuelle Repressionen mit flüchtlingsschutzrelevanter Intensität ihm gegenüber hat der Antragsteller überhaupt nicht geltend gemacht. Der Antragsteller ist vor seiner Ausreise insoweit unbehelligt geblieben, genauso wie seine noch in der Türkei lebenden Familienmitglieder. Dies spricht auch gegen eine irgendwie geartete „Sippenhaft“.
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Eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinn von § 3 AsylG bzw. das Drohen einer ernsthaften Gefahr im Sinn von § 4 AsylG ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller geschilderten Androhung seines Vaters, ihn aus der Familie auszustoßen, wenn er nicht in die Berge gehe und mit der PKK kämpfe; sein Vater habe auch nach dem Tod des Onkels weiterhin Druck ausgeübt. Eine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal nach § 3b Abs. 1 AsylG ist nicht ersichtlich. Genauso wenig ist, ausgehend vom Vorbringen des Antragstellers, erkennbar, dass die Drohungen bzw. der Druck durch den Vater eine rechtlich relevante Intensität erreicht hätten. Konkrete Einlassungen hierzu lässt der Antragsteller auch insoweit vermissen, zumal er nach seinen eigenen Angaben über viele Jahre seitens seines Vaters unbehelligt geblieben ist, auch noch nach Erlangung seiner Volljährigkeit.
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Die Gewährung internationalen Schutzes scheitert im Hinblick auf die Drohungen des Vaters zudem schon daran, dass der Antragsteller auf interne Schutzalternativen in der Türkei gemäß § 3e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG zu verweisen ist. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich etwaigen Bedrohungen zu entziehen, indem er sich an einem anderen Ort als seinem Heimatort innerhalb der Türkei niederlässt. Der Kläger hat selbst angegeben, dass er schon sein Zuhause verlassen gehabt und seine Familie ein Jahr lang nicht gesehen habe. Unabhängig davon ist er gehalten, bei Bedrohungen vorrangig die Möglichkeiten landesinternen Schutzes durch den türkischen Staat in Anspruch zu nehmen (§ 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3d AsylG).
28
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an eine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz bei Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative möglich sein wird. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich – wie schon in der Vergangenheit – eine Arbeit zu suchen, um sich jedenfalls das Existenzminimum – gegebenenfalls mit Unterstützung seiner Familie sowie sozialen Hilfen und Rückkehr- und Integrationshilfen – zu sichern.
29
Des Weiteren bestehen im Rahmen des Sofortverfahrens auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellung in Nr. 4 des angefochtenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Auch insofern wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Dies betrifft zunächst ein mögliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Das Gericht hat insbesondere keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an seine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Der Antragsteller ist erwerbsfähig. Er ist mit den Verhältnissen seines Heimatlandes vertraut, der Landessprache mächtig, hat die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und danach eine Kantine in einer Schule besessen sowie im Bereich der Physiotherapie und auf einem Bauernhof gearbeitet. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie sei vor der Ausreise gut gewesen. Gesundheitliche Einschränkungen, die einer Erwerbsfähigkeit in der Türkei dauerhaft entgegenstehen könnten, sind vom Antragsteller nicht aufgezeigt worden. Um etwaige Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken, kann der Antragsteller im Übrigen gegebenenfalls auf familiäre Unterstützung sowie soziale Hilfen sowie im Übrigen auf Rückkehr- und Integrationshilfen zurückgreifen.
31
Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Türkei, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In der Türkei sind die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, Stand: Januar 2024, S. 21 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 7.3.2024, S. 252 ff., 261 ff.). Der Antragsteller ist entsprechend der obigen Ausführungen erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen. Letztlich ist dem Antragsteller eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar.
32
Hinweise auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
33
Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht an der Rechtmäßigkeit der auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG gestützten Abschiebungsandrohung. Insbesondere ist die vom Antragsteller vorgetragene familiäre Bindung zu den sich in Deutschland aufhaltenden Tante und Cousin nicht mehr dem engen Bereich der Kernfamilie aus Eltern und minderjährigen Kindern zuzurechnen. Seine Abschiebung ist deshalb nicht unverhältnismäßig.
34
Bedenken bestehen schließlich auch nicht im Hinblick auf die Ausreisefrist von einer Woche, die das Bundesamt in Nr. 5 des angefochtenen Bescheids entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 36 Abs. 1 AsylG gesetzt hat. Die Antragsgegnerin hat eine Ersatzregelung für den Fall getroffen, dass innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wird.
35
Nach alldem hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.