Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.02.2024 – 206 StRR 49/24
Titel:

Nur eingeschränkte strafschärfende Berücksichtigung der Eigenschaft als harte Droge beim Besitz derselben nur zum Eigenkonsum 

Normenkette:
BtMG § 29a Abs. 2
Leitsatz:
Dem Umstand, dass es sich bei Kokain um eine harte Droge handelt, darf im Rahmen der Abwägung, ob ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG vorliegt, jedenfalls nur geringeres Gewicht beigemessen werden, wenn das Betäubungsmittel ausschließlich dem Eigenkonsum diente. Berücksichtigt werden kann jedoch der Grad der Gefahr der Weitergabe an Dritte; hierzu bedarf es Feststellungen zu den Umständen der Aufbewahrung und einer etwaigen Zugriffsmöglichkeit für Dritte. (Rn. 14) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
minder schwerer Fall, Strafzumessung, Kokain, harte Droge, Eigenkonsum, Gefahr der Weitergabe, Zugriffsmöglich für Dritte
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Urteil vom 10.10.2023 – 4 NBs 302 Js 101043/23
AG Augsburg, Urteil vom 04.07.2023 – 05 Ls 302 Js 101043/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2619

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2023 aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Augsburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 4. Juli 2023 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt; mit am 19. September 2023 eingegangenen Schriftsatz hat der Verteidiger erklärt, das Rechtsmittel werde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht Augsburg hat mit Urteil vom 10. Oktober 2022 die Berufung verworfen.
3
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, die mit der allgemeinen Sachrüge begründet wird.
II.
4
Die Revision des Angeklagten hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg, § 329 Abs. 2 StPO, da sich gegen den Rechtsfolgenausspruch der Entscheidung durchgreifende Rechtsbedenken erheben.
5
1. Das Landgericht hat zunächst zu Recht eine eigene Entscheidung nur noch über den Rechtsfolgenausspruch getroffen. Der Schuldspruch des Amtsgerichts war bereits rechtskräftig und die ihn tragenden Feststellungen für das Berufungsgericht bindend geworden.
6
Die Rechtsmittelbeschränkung, in der eine Teilrücknahme des zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels liegt, war formell wirksam. Sie ist im Schriftsatz vom 10. Oktober 2022 ausdrücklich namens und im Auftrag des Angeklagten erklärt worden, womit das Vorliegen der gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderlichen besonderen Ermächtigung anwaltlich zugesichert war (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 302 Rn. 28, 29). Darauf, ob dem Schweigen des Angeklagten in der Hauptverhandlung auf die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Beschränkung sei erklärt worden (Protokoll S. 2), ein zustimmender Erklärungswert beizumessen ist (ablehnend BayObLG, Beschluss vom 4. Oktober 2021, 206 StRR 69/21, juris Rn. 14 m.w.N.), kommt es nicht mehr an.
7
Die Beschränkung war auch im Übrigen wirksam; das Amtsgericht hat ausreichende tatsächliche Feststellungen, die eine taugliche Grundlage für die Strafzumessung darstellen, getroffen. Auf die insoweit zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 19. Januar 2024 wird Bezug genommen.
8
2. Der Strafausspruch hält hingegen sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Die Berufungskammer hat im Rahmen der Prüfung, ob die Tat als minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG einzuordnen sein könnte, die konkrete Betäubungsmittelmenge nicht fehlerfrei gewürdigt.
10
a) Für die Frage, ob eine Straftat nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als minderschwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG einzuordnen ist, in dem die Anwendung des Normalstrafrahmens nicht mehr angemessen erscheint, kommt es auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit an. Zu prüfen ist, ob dieses vom Durchschnitt erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommender Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung eines Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Es ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, die alle Umstände einbezieht, die für die Wertung von Tat und Täterpersönlichkeit relevant sind, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorangehen oder ihr nachfolgen (BGH, Beschluss vom 10. März 2022, 1 StR 35/22, juris Rn. 5; st. Rspr.). Bei dieser anzustellenden Gesamtabwägung ist es regelmäßig von Bedeutung, ob der Grenzwert der nicht geringen Menge an Betäubungsmitteln um ein Vielfaches oder aber nicht sehr erheblich überschritten ist. Je geringer die Überschreitung ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falls (vgl. BGH a.a.O.).
11
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Nach den bindend gewordenen Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte 11,54 Gramm Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 90,7 Prozent CHC in Besitz; die CHC-Menge betrug folglich 10,46 Gramm. Außerdem bewahrte er 7,91 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 8 Prozent THC auf; die THC-Menge wurde dabei weder vom Amtsgericht noch ergänzend vom Landgericht berechnet; es handelt sich um 0,63 Gramm. Die nicht geringe Menge i.S.d. § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG beträgt bei Kokain 5 Gramm Kokainhydrochlorid (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, § 29a Rn. 84 m.N.), bei Marihuana beträgt sie 7,5 Gramm THC (Patzak a.a.O. Rn. 63 m.N.)
12
Soweit die Urteilsgründe ausführen, dass es sich bei der vom Angeklagten aufbewahrten Menge um das Doppelte der nicht geringen Menge (UA S. 5) handle, ist dies damit rechnerisch (leicht abgerundet) zutreffend (nicht hingegen handelt es sich entgegen UA S. 5 um eine „Überschreitung um das Doppelte“). Das Landgericht hat aber im Rahmen seiner Abwägung nicht bedacht, dass es sich bei dieser Relation um eine lediglich geringfügige Überschreitung der im Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bezeichneten nicht geringen Menge handelt. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass es sich bei dem 1,88-fachen der nicht geringen Menge lediglich um eine geringfügige Überschreitung handelt (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2020, 1 StR 350/20, NStZ-RR 2021, 49, 50), ebenso bei einer eine Menge von 25,63 Gramm THC und gleichzeitig 14,88 Gramm Amphetaminbase (bei einem Grenzwert von 7,5 Gramm THC und 10 Gramm für Amphetaminbase, also insgesamt das rund 4,5-fache; BGH Beschluss vom 10. März 2022, 1 StR 35/22 2020, juris); ferner wurde die Annahme eines minderschweren Falls nicht beanstandet bei einer Menge des 7,5-fachen (BGH, Urteil vom 15. März 2017, 2 StR 294/16, NJW 2017, 2776 Rn. 11 f.) und selbst des mehr als 11-fachen des Grenzwerts (BGH, Beschluss vom 10. April 1990, 4 StR 148/90, juris Rn. 12).
13
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, hätte es die lediglich geringfügige Überschreitung des Grenzwerts durch die gegenständliche Betäubungsmittelmenge in den Blick genommen, zur Anwendung des geminderten Strafrahmens des § 29a Abs. 2 BtMG gelangt wäre und innerhalb dieses Strafrahmens auf eine mildere Strafe erkannt hätte, denn die weiteren vom Landgericht angeführten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände können die Ablehnung eines minder schweren Falls nicht hinreichend begründen.
14
Das Gericht hat eine Reihe von zugunsten des Angeklagten sprechenden Umständen, wie z.B. ein frühzeitiges Geständnis, angeführt (UA S. 5). Bei der zu seinen Lasten angeführten Vorverurteilung handelt es sich um eine nicht einschlägige und zudem geringfügige Straftat. Bedenken begegnet es zudem, dass das Landgericht dem Umstand, dass es sich bei Kokain um eine harte Droge handelt, im Rahmen der Abwägung erhebliches Gewicht beigemessen hat (UA S. 5). Überwiegend wird vertreten, dass dann, wenn ein Betäubungsmittel dem bloßen Eigenkonsum dient, es nicht zum Nachteil des lediglich sich selbst gefährdenden Angeklagten gewertet darf, dass es sich um eine harte Droge handelt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, vor § 29 Rn. 202 m.w.N.); zumindest aber darf die Gefährlichkeit der Droge in solchen Fällen nur geringer gewichtet werden (BGH, Beschluss vom 15. März 2023, 2 StR 348/22, juris Rn. 16; Beschluss vom 3. August 2000, 4 StR 287/00, juris Rn. 5). Zur Frage, ob das Rauschgift dem eigenen Konsum diente, erweisen sich die Feststellungen als lückenhaft; es ist dazu nichts ausgeführt. Der Senat kann daher auch nicht beurteilen, ob die Gefährlichkeit von Kokain mit dem vom Landgericht angenommenen Gewicht berücksichtigt werden konnte. Zwar ist ergänzend zu bedenken, dass der Gesetzgeber den bloßen Besitz an einem Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in den Tatbestand des § 29a BtMG aufgenommen hat, um der von dem Besitz ausgehenden höheren Gefahr der Weitergabe an Dritte Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 1996, 3 StR 631/95, NStZ 1996, 604); eine solche Gefahr mag bei einer harten Droge höher zu bewerten sein als bei einer weichen. Eine rein abstrakte Möglichkeit der Weitergabe genügt in diesem Zusammenhang aber nicht (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, a.a.O., § 29a Rn. 130.). Feststellungen hierzu, etwa zu den Umständen der Aufbewahrung und einer etwaigen Zugriffsmöglichkeit für Dritte, hat das Landgericht ebenfalls nicht getroffen.
II.
15
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil – im Rechtsfolgenausspruch – aufzuheben, § 353 Abs. 1 StPO.
16
Die der Strafbemessung zugrunde liegenden Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, denn sie sind fehlerfrei getroffen und lediglich unzureichend gewertet worden.
17
Der Senat weist darauf hin, dass das neue Tatgericht, an das die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zurückverwiesen wird, ergänzende, den bisherigen Feststellungen nicht widersprechende Feststellungen wird treffen können. Das gilt auch im Hinblick auf diejenigen innerprozessual bindenden Tatsachen, die dem rechtskräftigen Schuldspruch zugrunde liegen.