Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 02.10.2024 – 101 AR 123/24 e
Titel:

Bestimmung des gemeinsamen Gerichtsstands

Normenketten:
ZPO § 36
VwGO § 40
BayVwVfG Art. 50
EGZPO § 9
Leitsätze:
1. Im Fall des § 17a Abs. 3 S. 2 GVG ist regelmäßig der Rechtsweg vor der örtlichen Zuständigkeit und vor der Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des (gemeinsamen) Gerichtsstands zu prüfen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn für die beabsichtigte Klageerweiterung ein gemeinsamer, ggf. besonderer Gerichtsstand besteht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gemeinsamer Gerichtsstand, Urkundenprozess, Garantievertrag, Klageerweiterung, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Rechtsweg, ordnungsgemäße Vertretung, Gerichtsstandsbestimmung
Vorinstanz:
LG München II vom -- – 11 O 1996/24
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 20.02.2025 – 101 AR 156/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 26032

Tenor

Der Antrag auf Bestimmung des gemeinsamen Gerichtsstands wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner zu 1) im Urkundenprozess vor dem Landgericht München II, in dessen Bezirk der Antragsgegner zu 1) seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, aus einem Garantievertrag auf Zahlung in Anspruch. Er beabsichtigt eine Klageerweiterung gegen den Antragsgegner zu 2), der seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main hat. Mit Schriftsatz vom 12. August 2024 an das Oberlandesgericht München hat der Antragsteller beantragt, gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das für einen Rechtsstreit gegen beide Antragsgegner örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.
2
Nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien gewährte der vom Freistaat Bayern durch Art. 1 des Gesetzes über einen BayernFonds und eine Bayerische Finanzagentur (BayernFonds- und Finanzagentur-Gesetz – BayFoG) vom 27. April 2020 (GVBl. S. 230) unter der Bezeichnung „BayernFonds“ errichtete Fonds, der nach Art. 3 des Gesetzes nicht rechtsfähig ist, aber unter seinem Namen im rechtsgeschäftlichen Verkehr handeln kann, dem -Unternehmen GmbH mit notariell beurkundetem Stabilisierungsvertrag vom 11. Juni 2021 ein nachrangiges Wandeldarlehen im Nominalbetrag von 15,1 Mio. €. Die Maßnahme diente der Stabilisierung des Unternehmens, das nach seiner Erklärung infolge der COVID-19-Pandemie in seinem Bestand gefährdet war. In der Anlage 3 der Bezugsurkunde vom selben Tag gaben unter anderem die Antragsgegner zu 1) und 2) eine Garantieerklärung ab. Danach verpflichteten sich diese gegenüber dem BayernFonds als Gesamtschuldner zur Zahlung von 90% des Garantiebetrags in Höhe von 33% des ausgereichten Wandeldarlehens. Am 1. November 2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
3
Der Antragsteller trägt vor, er sei infolge der Auflösung des Fonds mit Ablauf des 31. Juli 2024 in dessen Rechte und Pflichten eingetreten. Demzufolge sei er berechtigt, die Ansprüche aus den Garantieerklärungen gerichtlich zu verfolgen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft seien die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Antragsgegner aus der Garantie gegeben.
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Im Hauptsacheverfahren rügte der Antragsgegner zu 1) mit der Klageerwiderung vom 4. September 2024, dass für die Streitigkeit der Rechtsweg zu den Zivilgerichten nicht eröffnet sei. Es liege eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor. Der Stabilisierungsvertrag sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nach Art. 54 BayVwVfG; dasselbe gelte für die Garantieerklärung, die als wesentlicher Bestandteil des Stabilisierungsvertrags konzipiert worden sei. Deshalb sei der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München zu verweisen.
5
In dem vom Oberlandesgericht München an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegebenen Verfahren auf Gerichtsstandsbestimmung haben beide Antragsgegner diese Ansicht vertreten. Bei dem Stabilisierungsvertrag (Anlage AS 1) handele es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Der streitgegenständliche Garantievertrag sei dessen Bestandteil und mithin gleichfalls als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren. Deshalb sei eine Bestimmung des zuständigen Gerichts innerhalb der Zivilgerichtsbarkeit nicht statthaft.
6
Des Weiteren haben die Antragsgegner die ordnungsgemäße Vertretung des Antragstellers und die ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Antragstellervertreters bestritten. Zur Vertretung des Antragstellers sei gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Vertretungsverordnung (VertrV) das Landesamt für Finanzen als allgemeine Vertretungsbehörde berufen. Eine Vertretungsbefugnis des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat bestehe nicht und folge insbesondere nicht aus Art. 14a Abs. 1 BayFoG.
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Die Antragsgegner beantragen daher, den Antrag abzuweisen, hilfsweise, das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsweg im Verfahren vor dem Landgericht München II, Az. 11 O 1996/24, auszusetzen.
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Der Antragsteller ist der Rechtsansicht der Antragsgegner entgegengetreten. Nach seiner Ansicht ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, weil der BayernFonds bei Abschluss des Stabilisierungsvertrags privatrechtlich gehandelt habe. In diesem Vertrag seien die dem Zivilrecht zuzuordnenden Regelungen zur Durchführung der Stabilisierungsmaßnahme getroffen worden. Nur für die Frage, ob eine Stabilisierungsmaßnahme gewährt werde, stelle das BayernFonds- und Finanzagentur-Gesetz den öffentlich-rechtlichen Rahmen dar.
II.
9
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung ist als unzulässig zurückzuweisen.
10
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig, weil die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken haben und daher das gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Zivilgericht der Bundesgerichtshof wäre. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist.
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2. Der Zulässigkeit des Antrags auf Gerichtsstandsbestimmung steht entgegen, dass der Antragsgegner zu 1) im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht München II die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten gerügt hat.
12
Wenn eine Partei die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs rügt, hat das angerufene Gericht vorab darüber zu entscheiden, § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG. In einem solchen Fall ist regelmäßig der Rechtsweg vor der örtlichen Zuständigkeit und vor der Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des (gemeinsamen) Gerichtsstands zu prüfen (BAG, Beschluss vom 17. März 1997, 5 AS 3/97, juris Rn. 17 ff.; Beschluss vom 17. Juli 1995, 5 AS 30/95, juris Rn. 10 ff.). Denn die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts kann sich immer nur auf einen bestimmten Rechtsweg beziehen. Würde zuerst das örtlich zuständige Landgericht bestimmt und sodann durch dieses der Rechtsstreit in einen anderen Rechtsweg – vorliegend die Verwaltungsgerichtsbarkeit – verwiesen, bedürfte es danach gegebenenfalls der Bestimmung des in diesem Rechtsweg örtlich zuständigen (Verwaltungs-)Gerichts. Ein solche Abfolge erscheint weder sinnvoll noch vereinbar mit dem Zweck des § 17a GVG, die Entscheidung über die Rechtswegzuständigkeit zu beschleunigen (BAG, Beschluss vom 17. März 1997, 5 AS 3/97, juris Rn. 17 ff.; Beschluss vom 17. Juli 1995, 5 AS 30/95, juris Rn. 10 ff.; zum Gesetzeszweck vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens [Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung – 4. VwGOÄndG -] in BT-Drs. 11/7030 S. 37 [re. Sp.]; zu einer Sonderkonstellation vgl. BayObLG, Beschluss vom 22. Februar 2023, 102 AR 73/22, juris Rn. 36 f.).
13
Nach den dargestellten Grundsätzen ist der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung in der vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht zulässig. Eine Entscheidung des Streitgerichts nach § 17a GVG, an die der Senat gebunden wäre, liegt nicht vor. Es besteht auch kein Anlass, vor einer Entscheidung über den auf § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestützten Antrag die Entscheidung des Streitgerichts über den Rechtsweg abzuwarten. Bereits im Zeitpunkt der Antragstellung war dem Antragsteller die Tatsache bekannt, dass im Hauptsacheverfahren die Rechtswegrüge erhoben und hierüber noch nicht entschieden war. Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung ist daher zurückzuweisen, ohne dass es auf die Frage der Vertretungsverhältnisse und der Wirksamkeit der Prozessvollmacht ankäme. Den Antragsgegnern entsteht dadurch, dass über den Antrag ohne Klärung dieser Punkte entschieden wird, kein Rechtsnachteil. Sofern der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt wird, kann der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung selbst dann ein weiteres Mal gestellt werden, wenn der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten sein sollte. Zudem ist Vertretungsfragen und ebenso Vollmachtsrügen im Bestimmungsverfahren nicht nachzugehen. Selbst wenn die Zulässigkeitsrügen begründet wären, besteht grundsätzlich das Bedürfnis, ein Gericht zu bestimmen, das im Rahmen des Rechtsstreits über sie befindet. Deshalb ist die Frage, ob der Kläger und zugleich Antragsteller (§ 37 Abs. 1 ZPO) im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung ordnungsgemäß vertreten ist, im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung nicht zu prüfen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. Dezember 2019, 1 AR 110/19, juris Rn. 12; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 37 Rn. 1).
III.
14
Nur ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
15
Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn für die beabsichtigte Klageerweiterung ein gemeinsamer, gegebenenfalls besonderer Gerichtsstand besteht. Der Antragsteller hat zwar auf die aktuell unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsstände der Antragsgegner hingewiesen und in diesem Zusammenhang angegeben, dass der Antragsgegner zu 2) nach Frankfurt am Main verzogen sei; er hat jedoch zu möglichen besonderen Gerichtsständen nichts ausgeführt. Sofern im Zeitpunkt der Eingehung der Garantieverpflichtung beide Antragsgegner in demselben Gerichtsbezirk wohnhaft waren, dürfte ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB in Betracht kommen (vgl. BayObLG, Beschl v. 18. Juli 2019, 1 AR 54/19, juris Rn. 17; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.14 Stichwort „Bürgschaft und Garantie“ m. w. N.). Bei einer Erweiterung der Klage auf zusätzliche Beklagte kann eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich nicht erfolgen, wenn der Kläger bei Klageerhebung Kenntnis von der Existenz möglicher weiterer Schuldner hatte, aber von der Möglichkeit, gemäß § 35 ZPO ein für alle späteren Beklagten zuständiges Gericht bei Klageerhebung zu wählen, keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 19 ff.; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20, juris Rn. 15 ff.; Toussaint in BeckOK ZPO, 53. Ed. Stand 1. Juli 2024, § 36 Rn. 19).
IV.
16
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 4 ff.)