Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.01.2024 – M 31 S 23.32882
Titel:

Asyl, Herkunftsland P., Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Keine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung vorgebracht, Familiäre Bindungen

Normenketten:
AsylG § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff.
AsylG § 36 Abs. 1, Abs. 4 S. 1
AsylG § 36 Abs. 1, Abs. 4 S. 2
AsylG § 36 Abs. 1, Abs. 4 S. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland P., Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Keine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung vorgebracht, Familiäre Bindungen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2601

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller (verheiratete Eltern und ihre minderjährige Tochter) sind Staatsangehörige P.s. Sie reisten am 1. Juni 2022 über Spanien mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 28. Juli 2022 Asylanträge. Nach Anhörung am 8. März 2023 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 30. November 2023, den Antragstellern zugestellt am 6. Dezember 2023, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Gewährung subsidiären Schutzes (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach P. oder in einen sonstigen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Die Antragsteller haben am 13. Dezember 2023 durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 30. November 2023 erhoben. Angestrebt wird dabei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten. Das Klageverfahren wird bei Gericht unter M 31 K … geführt. Im zugleich anhängig gemachten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird sinngemäß beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids vom 30. November 2023 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin übersandte die Verfahrensakten und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
8
Die gemäß § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), der hiergegen gerichtete Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mithin statthaft. Der Antrag vom 13. Dezember 2023 wahrt zudem die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßstab ist dabei vorliegend, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Streitgegenstand im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist hier gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die nach § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung, die die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags i.S.d. § 30 AsylG voraussetzt. Die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Eilantrags hängen davon ab, ob gerade das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, ohne dass der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris; U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, aaO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Ablehnung von Asylantrag und Rechtsbehelf gleichermaßen als offensichtlich unbegründet voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris). Die gerichtliche Prüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts zu erfolgen (z.B. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris). Dabei hat das Gericht die Frage der Offensichtlichkeit eigenständig zu klären (BVerfG, aaO), wobei es jedenfalls im Eilverfahren auch genügt, wenn die Offensichtlichkeitsfeststellung des Bescheids zumindest im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft ist (vgl. z.B. Pietzsch in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 38. Edition 1.1.2023, § 36 AsylG Rn. 40.1 m.w.N.). Die Prüfung schließt das (Nicht-) Vorliegen von Abschiebungshindernissen ein (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG), wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
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Dies zugrunde gelegt, begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen rechtlichen Bedenken, da die Antragsteller offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung des internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Gestalt der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG haben. Auch daran, dass das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zutreffend verneint hat, bestehen keine rechtlichen Zweifel. Gleiches gilt hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und Befristung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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Bei den Antragstellern liegen die Voraussetzungen dafür vor, ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Davon geht das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid vom 30. November 2023 jedenfalls im Ergebnis zutreffend aus.
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1. Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.
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Die Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG und der Flüchtlingseigenschaft, §§ 3 ff. AsylG, scheitert offenkundig daran, dass sich aus dem Vorbringen der Antragsteller rechtlich wie tatsächlich keine plausiblen und nachvollziehbaren Anhaltspunkte für eine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung ergeben. Der Vortrag der Antragsteller ist vom Bundesamt zutreffend als in den wesentlichen Punkten unsubstantiiert erachtet worden. Er ist auch zur Überzeugung des Gerichts im hohen Maße unglaubhaft. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung wäre im Übrigen weder ersichtlich, welcher Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG vorliegt, noch, dass dieser von einem Akteur herrührt, von dem Verfolgung ausgehen kann (§ 3c AsylG). Damit liegt ein Fall des § 30 Abs. 1 AsylG – und zudem auch ein solcher nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG – vor.
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Die Antragsteller schildern im Wesentlichen, der Sohn der Antragstellerin zu 1) bzw. der Stiefsohn des Antragstellers zu 2) sei im Zusammenhang mit dem Likörhandel der Familie wegen einer ausstehenden Rechnung mit den Schuldnern in Konflikt geraten. Diese hätten ihn dann verfolgt und um Schutzgeld erpresst, wobei sie ihn auch mit dem Tod bedroht haben sollen, weswegen er letztlich nach Deutschland geflüchtet sei. Auch nach seiner Ausreise sei die Schutzgelderpressung weitergegangen und die Familie zunächst von den Tätern beobachtet worden. Dann sollen diese das Likörgeschäft der Familie angegriffen, ihren Zaun beschädigt, sie mit Waffen bedroht und um Geld erpresst haben. Die Antragsteller tragen vor, sie hätten sich zunächst immer wieder gewehrt bis zu einem Tag, an dem die Antragstellerin zu 1) mit ihrer kleinen Tochter, der Antragstellerin zu 3), auf dem Weg zum Einkaufen von den Erpressern gestellt worden sei. Ein Mann habe ihre Tochter mit einer Waffe an der Stirn bedroht und Geld verlangt. Gemeinsam mit einem weiteren Mann seien sie zum Geschäft der Antragstellerin gegangen und angekündigt, von nun an jede Woche zu kommen, um Geld zu holen. Außerdem hätten sie gesagt, sie wüssten, wo ihre Tochter zur Schule gehe. Darauf haben die Antragsteller nach ihrem Vortrag begonnen, Schutzgeld zu zahlen. Später seien die Täter mit dem Motorrad gekommen und hätten Briefe vorbeigebracht und einmal Geld und danach dann immer nur Waren wie etwa Likörflaschen mitgenommen. Daraufhin hätten die Antragsteller ihr Ladengeschäft dauerhaft geschlossen und nur noch Lieferaufträge bearbeitet bzw. eine kleine Warenausgabe betrieben, da sie nicht weiter Schutzgeld haben bezahlen wollten. Dennoch seien sie weiter bedroht worden. Sie hätten dann auch im Geschäft geschlafen, seien aber trotzdem weiter bedroht worden, persönlich und mittels Zetteln, die unter der Tür durchgeschoben worden seien. An die Polizei hätten sie sich nicht gewandt, da diese bekanntermaßen so korrupt sei, dass man keine Hilfe erwarten könne. Außerdem habe die Mafia immer jemanden bei der Polizei, der Anzeigen an die Mafia weitergeben würde, so dass man dann man von der Mafia bestraft, häufig sogar umgebracht werde. Daraufhin haben die Antragsteller P. am … Mai 2022 verlassen und seien über Spanien nach Deutschland eingereist.
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Zutreffend und für das Gericht ohne Weiteres nachvollziehbar geht das Bundesamt davon aus, dass sich der Vortrag der Antragsteller als knapp, vage und oberflächlich – und somit in wesentlichen Punkten als nicht als ausreichend substantiiert – und darüber hinaus als widersprüchlich und damit insgesamt unglaubhaft erweist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu zunächst auf die entsprechenden Feststellungen im streitbefangenen Bescheid (dort S. 4 ff.) Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Zusammenfassend ergibt sich sonach, dass der Vorfall als letztlich fluchtauslösendes Ereignis von den Antragstellern gänzlich detailarm, oberflächlich und widersprüchlich geschildert wird. Sowohl hinsichtlich des Anlasses der geschilderten Verfolgung – laut Antragstellerin zu 1) eine Schutzgelderpressung gegenüber ihrem Sohn, während der Antragsteller zu 2) einen Streit mit Schuldnern aus Auslöser sieht – als auch der zeitlichen Einordnung der Vorfälle erweisen sich die Angaben der Antragsteller zu 1) und zu 2) als vage und zudem widersprüchlich. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung können Betroffene indes zu solchen Vorgängen, die für ihre Biografie von besonderer Bedeutung sind lebensnahe und detaillierte Angaben, die auch für Dritte, wie hier das Gericht nachvollziehbar sind, geben. Daran fehlt es, wie ausgeführt, in ganz erheblichem Maße.
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Insgesamt gelangt folglich auch das Gericht nach Aktenlage zu der Überzeugung, dass die Antragsteller ihre Heimat nicht aus Gründen einer asylerheblichen Verfolgung, sondern aus offensichtlich anderen, möglicherweise wirtschaftlichen Erwägungen verlassen hat.
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Im Übrigen handelte es sich – unabhängig vom Vorstehenden – bei der von den Antragstellern vorgebrachten Bedrohungen durch eine Bande – selbst im Falle einer Wahrunterstellung – um kriminelles Unrecht, das keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG erkennen lässt und damit keine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe belegen kann. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Verfolgung durch einen gemäß § 3c AsylG relevanten Akteur zu befürchten wäre. Es besteht zur Überzeugung des Gerichts auf Grundlage der aktuellen Auskunftslage in P. keine Situation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG, wonach Parteien oder Organisationen den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen. Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen des Landes als prekär und schwierig zu bezeichnen ist (BAMF, Länderreport P., 2021, S. 5 f.), erreicht diese aber nicht ein solches Niveau, dass davon auszugehen wäre, dass der peruanische Staat seine hoheitlichen, insbesondere exekutiven Eingriffsmöglichkeiten in einem so wesentlichen Umfang und Ausmaß verloren hätte, dass von einem flüchtlingsrechtlich maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen wäre. Die pauschale sinngemäße Behauptung, von der Polizei in P. sei keine Hilfe zu erwarten sei, begründet auch nicht die nach § 3c Nr. 3 AsylG erforderliche Annahme, die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure seien erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor Verfolgung durch kriminelle Banden zu bieten. Anderes ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Erkenntnismitteln, denen zufolge Drogenhandel, organisierte Kriminalität sowie Korruption auf allen politischen Ebenen einschließlich der Polizei in P. zwar erheblich verbreitet und die Polizei dringend strukturell reformierungsbedürftig ist (vgl. z.B. Human Rights Watch, Deadly Decline, 26.4.2023, S. 13 f. und passim; VG München, U.v. 19.5.2022 – M 31 K 20.30911 – juris Rn. 28), aber jedenfalls nicht berichtet wird, dass Sicherheitsbehörden generell nichts willens oder unfähig seien, einen zumindest (gerade noch) ausreichenden Schutz der Bürger vor kriminellen Übergriffen zu garantieren. Vielmehr wird seit einigen Jahren in öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren auch gegen Korruption auf höchster politischer Ebene vorgegangen. Auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität wurde in den letzten Jahren verstärkt, u.a. auf Grundlage eines neuen Gesetzes vom 1. Juli 2014 („Ley contra el Crimen Organizado – Ley N° 30077“, vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests, P.: Criminality, including frequency, reporting of, and government response, 2012-February 2015, S. 4 und 6). Aus den aktuellen Briefing-Notes des Bundesamtes (vgl. P. – Zusammenfassung Januar bis Juni 2023 vom 30.6.2023) ergibt sich nichts anderes.
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Nach alledem liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes offensichtlich nicht vor. Bei einer Gesamtschau des Vortrags erweist sich dieser als erheblich unglaubhaft. Es drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Antragsteller zur angeblichen Bedrohung durch Kriminelle im Wesentlichen nicht ein von ihnen selbst erlebtes, sondern ein in weiten Teilen fingiertes Geschehen schildern. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung ihres Vortrags wäre im Übrigen ebenfalls nicht von einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung der Antragsteller in P. auszugehen. Eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung in P. durch staatliche oder insbesondere nichtstaatliche Akteure ist somit zur Überzeugung des Gerichts für die Antragsteller offenkundig nicht zu befürchten.
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2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in P. und der individuellen Umstände der Antragsteller aus.
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Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht ansatzweise vor. Die Antragsteller zu 1) und zu 2) sind 50 bzw. 43 Jahre alt und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufenthG ist nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht in der Lage sein werden, das Existenzminimum für sich und die Antragstellerin zu 3) zu sichern, sind nicht ersichtlich. Die Antragstellerin zu 1) hat eine technische Ausbildung zur Anlagenführerin sowie Weiterbildungen abgeschlossen und war in ihrer Heimat bereits in diesem Beruf tätig, zuletzt führte sie einen Likörhandel. Der Antragsteller zu 2) hat eine Maurerausbildung abschlossen und war in seiner Heimat in diesem Beruf tätig. Es ist nichts dafür erkennbar, dass beide Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht in der Lage wären, zumindest „von ihrer Hände Arbeit“ im Falle ihrer Rückkehr den Lebensunterhalt zu bestreiten. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen gerade kein Abschiebungsverbot.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Bei den in P. vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt offenkundig nicht vor.
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Mit Blick auf § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufentG wird im Übrigen ergänzend nach § 77 Abs. 3 AsylG auf die entsprechenden Ausführungen unter 4. des streitbefangenen Bescheids Bezug genommen.
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3. Schließlich begegnen auch die Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbotes keinen ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit. Insbesondere stehen der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG nach dem im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen Prüfungsmaßstab und -umfang des § 36 Abs. 4 Satz 2 und 3 AsylG keine Kindeswohlbelange bzw. familiären Bindungen im Sinne von Art. 5 der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) entgegen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 15.02.2023 – Rs. C-484/22 – Rn. 24f) grundsätzlich bereits im Rahmen des Erlasses eine Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind.
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Im Rahmen des Prüfungsumfangs im asylrechtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG ist die Amtsermittlungspflicht dergestalt eingeschränkt, dass das Gericht seiner Entscheidung ausschließlich das Beteiligtenvorbringen und gerichtsbekannte sowie offenkundige Tatsachen zugrunde legen darf. Damit unterliegt der Asylbewerber gerade im vorläufigen Rechtsschutzverfahren einer erhöhten Mitwirkungspflicht. Hiernach hat das Gericht seine Entscheidung in aller Regel nach Aktenlage ohne weitere Maßnahmen der Sachaufklärung zu treffen (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 39. Edition 1.1.2023, § 36 AsylG Rn. 30ff. m.w.N.).
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Weder aus dem Vortrag der Antragsteller im Verwaltungsverfahren bzw. im gerichtlichen Verfahren betreffend die in Deutschland lebende volljährige Tochter der Antragstellerin zu 1) noch aus der Bundesamtsakte ergeben sich Umstände, die der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung entgegenstehen.
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Das Bundesamt hat hierzu auf Seite 3 des streitbefangenen Bescheids ausgeführt, dass die Antragsteller im Rahmen der persönlichen Anhörung lediglich vorgetragen haben, als Familie nach Deutschland gekommen zu sein. Ergänzend dazu hat das Bundesamt eigene Erkenntnisse angeführt, wonach zwei Söhne der Antragstellerin zu 1) in Deutschland leben, deren Asylanträge jeweils bereits vollumfänglich und unanfechtbar abgelehnt wurden. Ferner wurde angegeben, dass das Asylverfahren einer weiteren Tochter der Antragstellerin zu 1), geboren am ... 2005, noch nicht abgeschlossen wurde und dass der minderjährige Sohn des Antragstellers zu 2), geboren am ... 2008, am 6. November 2023 in das Bundesgebiet eingereist ist und nach Erkenntnissen des Bundesamtes kein fester Aufenthaltstitel in Deutschland vorliegt. Diese Umstände hat das Bundesamt unter 5. dahingehend gewürdigt, dass die Antragsteller zu möglichen Kindeswohlbelangen bzw. familiären Bindungen in Deutschland weder Relevantes vorgetragen haben noch sonst im Entscheidungszeitpunkt derartige Belange aus dem Akteninhalt ersichtlich sind.
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Dieses Ergebnis ist nicht zu beanstanden. Bezüglich der Tochter, die am 25. Mai 2023 die Volljährigkeit erreichte und daher aus dem gemeinsamen streitgegenständlichen Asylverfahren ausgegliedert wurde, sind keine besonderen Umstände glaubhaft gemacht worden, die im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen eine überwiegende Schutzbedürftigkeit familiärer Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern begründen, was beispielsweise dann der Fall sein kann, wenn ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglied angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 20.11.2023 – 13 ME 195/23 – Rn. 7f. m.w.N.; VG Münster, B.v. 8.12.2023 – 3 L 958/23 – Rn. 21).
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Zum minderjährigen Sohn des Antragstellers zu 2) wurde seitens der Antragsteller weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen. Da nach Aktenlage die Antragstellerin zu 1) nicht die Mutter des Jungen ist und dieser auch nicht im Familienverbund, sondern erst im November 2023 (also fast anderthalb Jahre nach den Antragstellern) nach Deutschland eingereist ist, geschah dies möglicherweise in Begleitung seiner leiblichen Mutter oder eines sonstigen Familienmitglieds. Für das Gericht ist daher nicht erkennbar, ob mit den Antragstellern eine schutzwürdige familiäre Bindung besteht bzw. Kindeswohlbelange berührt sind. Auch der Aufenthaltsstatus des minderjährigen Sohnes ist nicht bekannt.
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Gemäß dem beschränkten Prüfungsumfang im vorläufigen Rechtsschutz nach § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG, wonach das Gericht seine Entscheidung auf Grundlage dieser verfügbaren Erkenntnisse ohne weitere Maßnahmen der Sachaufklärung zu treffen hat, sind folglich keine Umstände ersichtlich, die eine Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung begründen.
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Jedenfalls war eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch auf Grund der Präklusionsvorschrift des § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG nicht geboten, da diese die Entscheidung im vorliegenden Fall verzögern würde. Dies gilt umso mehr als mit Blick auf die in § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG normierten Entscheidungsfrist von einer Woche dem Beschleunigungsgrundsatz bei Verfahren nach § 36 AsylG besondere Bedeutung zukommt.
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Sonach war der Antrag mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzulehnen; nach § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).