Titel:
Aberkennung des Ruhegehalts aufgrund strafbaren Verhaltens gegenüber Dienstvorgesetzten und Kollegen
Normenketten:
BayDG Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 a, Art. 13, Art. 14 Abs. 2, Art. 25, Art. 55
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 47 Abs. 1 S. 2
StGB § 21, § 22, § 23, § 52, § 185, § 194 Abs. 3, § 303 Abs. 1, § 303 c, § 315 Abs. 3 Nr. 1 a, § 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3
BeamtStG § 34 S. 3 aF
Leitsätze:
1. Ein außerdienstliches Dienstvergehen liegt vor, wenn die Dienstpflichtverletzungen mit der dienstlichen Tätigkeit nicht in kausalem Zusammenhang stehen. Ergibt sich die Motivation für das dienstpflichtwidrige Handeln aus der dienstlichen Tätigkeit und der Beziehung zu den Geschädigten als Dienstvorgesetzten bzw. Kolleginnen und Kollegen, begründet dies allein ein innerdienstliches Dienstvergehen nicht. (Rn. 62 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwaltungsgerichte müssen bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. Dabei müssen die Milderungsgründe jedoch umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt. (Rn. 93) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Aberkennung des Ruhegehalts, Versuchter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung und Beleidigung, Eingeschränkte Schuld- und Steuerungsfähigkeit (verneint), Psychiatrisches Gutachten, Aberkennung, Beamte, Beamter, Dienstvergehen, Disziplinarklage, Disziplinarverfahren, Freiheitsstrafe, Gutachten, Krankheit, Beleidigung, Dauer des Disziplinarverfahrens, Disziplinarmaßnahme, mildernde Umstände, Motivlage, Ruhegehalt, Schwere des Dienstvergehens, verminderte Schuldfähigkeit, Milderungsgrund, psychische Verfassung, Geldstrafe, außerdienstliches Verhalten, Depression, affektive Störung, versuchter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Dienstvorgesetzter, Kollegen, zu Lasten von
Fundstelle:
BeckRS 2024, 25715
Tenor
I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt im Disziplinarklagewege die Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten aufgrund strafbaren Verhaltens gegenüber seinem Dienstvorgesetzten durch einen versuchten vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung, indem er ihm Speichen seines Fahrrades abzwickte, sowie beleidigender Postkarten an Kollegen.
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1. Der am … 1953 geborene Beklagte war seit 1972 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum … November 2017 in der Bayerischen Finanzverwaltung, seit dem Jahre 1980 als Beamter auf Lebenszeit, zuletzt als Steuerinspektor mit Zulage in der 2. Qualifikationsebene, tätig. Hinsichtlich seines Werdegang und der beruflichen Laufbahn wird auf die Darstellung in der Disziplinarklage und die beigezogene Personalakte Bezug genommen. Bezug genommen wird auch hinsichtlich der Beurteilungen, zuletzt in den Jahren 2015 und 2012 mit jeweils 10 Punkten und der Gewährung von Leistungsprämien, zuletzt im Jahre 2008 und 2002.
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Der Beklagte ist verheiratet und Vater dreier – erwachsener – Kinder. Im Disziplinarklageverfahren wurde ein Persönlichkeitsbild vom ... Mai 2023 eingeholt, auf das hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird.
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Der Beklagte ist mit Ausnahme der im vorliegenden Verfahren erhobenen Vorwürfe disziplinarisch und strafrechtlich bisher nicht vorbelastet. Wegen einer der vorliegend verfahrensgegenständlichen Beleidigungen wurde der Beklagte rechtskräftig mit Urteil des Amtsgerichts L … am L … vom 4. Oktober 2017 … … … … – zu einer Geldstrafe i.H.v. 70 Tagessätzen verurteilt, wegen des vorliegend verfahrensgegenständlichen Vorwurfs des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung mit rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts L. am L … vom 2. Mai 2018 – … … … … zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten.
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2. Am 18. Oktober 2016 leitete das Bayerische Landesamt für Steuern (LfSt) als zuständige Disziplinarbehörde gegen den Beklagten gemäß Art. 19 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) ein Disziplinarverfahren ein, gab dieses dem Beklagten gemäß Art. 22 BayDG bekannt und setzte das Verfahren aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen gemäß Art. 24 Abs. 3 BayDG aus. Nachdem der Beklagte wegen des Tatvorwurfs der Manipulation der Speichen am Fahrrad seines Dienstvorgesetzten im Jahre 2011 mangels zweifelsfreien Tatnachweises freigesprochen wurde, aber wegen eines solchen, zeitlich späteren Vorwurfs, nämlich im Frühjahr 2014, erneut Anklage erhoben wurde, dehnte das LfSt das Disziplinarverfahren konkludent durch Hinweis auf die diesbezügliche MiStra der Staatsanwaltschaft vom … Dezember 2017 aus. Nach Fortsetzung des Disziplinarverfahrens am 9. Oktober 2019 nach Abschluss der Strafverfahren wurde der Beklagte erneut gemäß Art. 22 BayDG belehrt und erhielt Gelegenheit zur Äußerung, woraufhin der Beklagte am 17. Dezember 2019 unter Beisein seines damals Bevollmächtigten mündlich angehört wurde. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2020 wurde dem Beklagten das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Äußerung nach Art. 32 BayDG gegeben, wovon dieser durch seine nunmehr Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 Gebrauch machte. Zudem werden aufgrund einer Verfügung vom 27. Oktober 2020, zugestellt am 30. Oktober 2020 30% des monatlichen Ruhegehalts des Beklagten gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 BayDG einbehalten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Disziplinarverfahrens wird auf die beigezogene Disziplinarakte Bezug genommen.
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3. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 15. Juni 2021 hat der Kläger durch das LfSt Disziplinarklage auf Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarklage sowie die Stellungnahme 21. Oktober 2021 Bezug genommen, vgl. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
das Ruhegehalt abzuerkennen.
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Der Beklagte beantragt,
die Disziplinarklage abzuweisen, hilfsweise auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.
9
Der Beklagte hat im Disziplinarklageverfahren im Wesentlichen mit Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten vom 29. September 2021 und 23. Mai 2023 Stellung genommen. Die beantragte Maßnahme sei unangemessen hoch, vielmehr seien das Persönlichkeitsbild und positive dienstliche Leistungsverhalten des Beklagten in 45 Dienstjahren zu berücksichtigen, ebenso das Motiv der gezeigten Verhaltensweisen. Insbesondere sei der Beklagte im Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen aber psychisch krank und in seiner Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen. Hierzu wurde durch Vorlage von ärztlichen Attesten von Dr. W. ausgeführt und die Einvernahme von Dr. W. , Dr. B. und Dr. K. ebenso die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
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In der mündlichen Verhandlung am 6. Juli 2023 wurden Dr. W. und Dr. B. , behandelnde Ärzte des Beklagten, als sachverständige Zeugen einvernommen. Aufgrund langfristigen Aufenthalts im Ausland unterblieb eine Einvernahme des mittlerweile im Ruhestand befindlichen Dr. K. Nach der Beweisaufnahme und einer vorläufigen Beweiswürdigung durch das Gericht beantragte die Bevollmächtigte des Beklagten die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Auf den daraufhin ergangenen Beweisbeschluss vom 16. Oktober 2023 mit Ergänzung vom 24. Januar 2024 erstatteten Dr. P. sowie Dr. M. vom Bezirksklinikum K. ein psychiatrisch fachärztliches Gutachten vom … April 2024 bzw. forensisch-psychologisches Zusatzgutachten vom … April 2024 mit Blick auf die Frage eingeschränkter Schuld- oder Steuerungsfähigkeit beim Beklagten zu den Tatzeiträumen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gutachten Bezug genommen.
11
Im Anschluss verzichteten der Kläger sowie der Beklagte auf eine weitere mündliche Verhandlung und stellten schriftsätzlich ihre Anträge. Der Kläger nahm zudem zu den erstatteten Gutachten Stellung.
12
Im Klageverfahren lagen neben der Disziplinarakte des LfSt die Personalakte des Beklagte sowie die Strafakten … … … und … … … der Staatsanwaltschaft A. vor.
Entscheidungsgründe
13
Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten gemäß Art. 13 BayDG erkannt. Der Beklagte hat in seiner noch aktiven Zeit als Finanzbeamter ein sehr schweres Dienstvergehen begangen, das die Höchstmaßnahme nach sich zieht. Dabei war die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Tatbegehung nicht erheblich eingeschränkt und stellt die psychischen Verfassung des Beklagten bei Begehung des Dienstvergehens auch im Übrigen keinen durchgreifenden Milderungsgrund dar.
14
Mängel im Disziplinarverfahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Beklagte hatte insbesondere hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Dem Beklagten liegt nach der Disziplinarklage vom 8. Juni 2021 Folgendes zur Last:
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„1.) Das Amtsgericht L. a. L. verhängte gegen den Ruhestandsbeamten wegen Beleidigungen nach §§ 185, 194 Abs. 3 StGB eine Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 80 €.
17
In dem Urteil des Amtsgerichts L. a. L. vom 04.10.2017, rechtskräftig seit dem 13.10.2017, werden folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
18
„Am …08.2016 ging beim Finanzamt S. in … S. , S. straße 12, eine Postkarte ein, welche der Angeklagte kurz zuvor, vermutlich an seiner Wohnanschrift in … L. a. L. , A. K. 54, verfasst hatte. Diese Postkarte war an eine dort beschäftigte Kollegin des Angeklagten, die Geschädigte N. W. , gerichtet.
19
Darin beschimpfte der Angeklagte die Geschädigte W. unter anderem als „Lästermaul“, um diese hierdurch in ihrer Ehre herabzuwürdigen, mit den Worten: „An das Lästermaul N. “ um seine Missachtung auszudrücken.“
20
Nach Art. 25 Abs. 1 BayDG sind die in dem rechtskräftigen Strafurteil vom 04.10.2017 getroffenen tatsächlichen Feststellungen für das behördliche Disziplinarverfahren bindend. Insoweit ist von weiteren Ermittlungen im Disziplinarverfahren nach Art. 23 Abs. 2 BayDG abzusehen.
21
2.) Mit Urteil vom 02.05.2018, Az. . … … …, rechtskräftig seit dem 10.05.2018 verhängte das Amtsgericht L. a. L. gegen den Ruhestandsbeamten wegen versuchten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung nach 315b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 und 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a, 303 Abs. 1, 303 c, 22, 23, 52 StGB eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
22
In dem Urteil des Amtsgerichts L. a. L. vom 10.05.2018 werden folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
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„Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr 2014 manipulierte der Angeklagte an dem Fahrrad des Geschädigten W. D. , welches dieser am Bahnhof in … L. a. L. abgestellt hatte, indem er insgesamt sieben nebeneinanderliegende Speichen an dem Hinterrad des Fahrrades abzwickte. Hierdurch entstand, wie vom Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, ein Sachschaden in Höhe von ca. 200 Euro.
24
Aufgrund der Manipulation und der damit einhergehenden Instabilität des Fahrrades, wäre der Geschädigte D. – wie vom Angeklagten beabsichtigt – bei der Fahrt zu Fall gekommen und hätte sich schwerwiegende Verletzungen zuziehen können, was der Angeklagte zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
25
Es war dem Zufall geschuldet, dass der Geschädigte die Manipulation vor Fahrtantritt entdeckte und das Fahrrad nicht bestieg, weshalb es zu keiner Verletzung des Geschädigten kam.“
26
Nach Art. 25 Abs. 1 BayDG sind die in dem rechtskräftigen Strafurteil vom 02.05.2018 getroffenen tatsächlichen Feststellungen für das behördliche Disziplinarverfahren bindend. Insoweit ist von weiteren Ermittlungen im Disziplinarverfahren nach Art. 23 Abs. 2 BayDG abzusehen.
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3.) Des Weiteren wird dem Ruhestandsbeamten vorgeworfen, im Zeitraum 2010 bis 2014 insgesamt acht Postkarten mit ehrverletzenden und beleidigenden Inhalten an (ehemalige) Kollegen und Vorgesetzte verfasst und versendet zu haben.
28
Ein Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes vom …01.2017 (Blatt 199 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft A. *) über 11 Postkarten hat ergeben, dass die Postkarten X2, X4 und X9 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einer Schreibmaschine des Ruhestandsbeamten und die Postkarten X1, X8 und X10 mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer Schreibmaschine des Ruhestandsbeamten gefertigt wurden.
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Eine strafrechtliche Verurteilung erfolgte in diesen Fällen letztlich nicht, weil das Verfassen der Postkarten zu lange zurücklag. Disziplinarrechtlich sind jedoch auch diese Taten relevant (Einheit des Dienstvergehens).
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Die Postkarten X1, X2 und X4 wurden an F. M. , einen ehemaligen Kollegen des Ruhestandsbeamten beim Finanzamt L. am L. gesendet, die Karten X8, X9 und X10 an den damaligen Amtsleiter des Ruhestandsbeamten, Herrn W. D.
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Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Postkarten:
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In der Postkarte X1 (DA BI. 13, Rückseite) eingegangen am …09.2013 bei seiner Privatadresse, wird Herr M. im Adressfeld als „faulster aktiver Beamter“ bezeichnet. Der Text lautet wie folgt:
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„11. Gebot Du darfst auch als Pensionist keine Steuererklärungen machen. Das ist dir bewusst. Nachdem Deine Lieblingssachbearbeiterin nun in K. ist, ists nicht so leicht für Dich. Wenn Du noch den Mumm haben solltest diese Karte öffentlich vorzuzeigen wie damals mit Beamer an die Wand, wird bei der nächsten Karte der vollständige Name drauf stehen wo Du die Erklärungen abgibst. Die Kollegin hat sich auf den Erklärungen Notizen bei der Abgabe gemacht. Nicht gut für Dich.“
Übrigens bei der F. ist wieder grillen angesagt, Da musst Du wieder zulangen. So wie früher stets im Amt, Es kostet ja nix. Hier sind die M. s immer zu haben. Geniesse Deine unverdiente Pension. Das „Z“ hast Du dir ja voll erschlichen. Na ja, Du weisst es ja selbst am Besten. "
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Die Postkarte X2 (DA BI. 14) eingegangen bei der Privatadresse von Herrn M. mit Poststempel vom …06.2014 lautet wie folgt:
Am …06.14 oder ...7.14 ist wieder grillen beim Finanzamt L. Aber nicht beide Tage. Auch für Pensionisten. Da kostet Essen und Trinken nichts; Da kann Herr M. wieder zulangen. Wie früher halt wenns umsonst war. Habe gehört nachdem Sie jetzt in Pension sind und Kollegen nicht mehr schikanieren können, haben Sie Ihre Aktivitäten auf Ihre Sch. Mitbewohner ausgedehnt. Eigentlich kurios, wenn man so einen dreckigen Charakter hat, dass dies ein Leben lang so ist. Eine Frage noch: (Rest geschwärzt)" 37
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Die Postkarte X4 (DA BI. 1 1 Rückseite, 12) mit Poststempel vom …07.2010, eingegangen ebenfalls an der privaten Adresse lautet wie folgt:
Rente ist doch was schönes. Vor allem wenn es keiner Umstellung bedarf, da man ja sein ganzes Arbeitsleben schon fast nichts getan hat. Und die ganze Arbeit den Kollegen überlassen hat. Mann kann sich ein ganzes Leben lang von Kollegen mitziehen lassen. Dass muss man auch können. Hauptsache man ist an „wichtiger“ Sache vorne. Grillen, Feste planen, Betriebsausflug, gescheit daherreden. Personalrat große dumme Reden schwingen und Kollegen in die Pfanne hauen. Wie ich vernommen habe sind Sie in S. so beliebt wie im Amt bei einigen! Na ja wen wundert dies! Wir sehen uns zur Weihnachtsfeier, hier Essen und trinken umsonst. Da heißt es zugreifen bei H. M. “ 39
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Die Postkarte X3 (DA BI. 12 Rückseite, 13) wurde laut Gutachten zwar nicht mit einer der untersuchten Schreibmaschinen gefertigt, da der Ruhestandsbeamte aber einräumt, für die Beleidigung des Herrn M. verantwortlich zu sein, ist ihm auch das Verfassen der folgenden Postkarte, eingegangen bei der Privatadresse des Herrn M. , mit Poststempel vom …04.2010 anzulasten:
Als Absender ist „Deine Kollegen die Du jahrelang verarscht hast, Du Faulpelz“ eingetragen. Der Text lautet wie folgt:
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„Na Du alter Geizkragen.“
Selber verabschieden brauchts ja nicht. Man könnte darauf angesprochen werden noch etwas zu zahlen, sog. Ausstand. Das Amt weint Dir keine Träne nach. Einer der „beliebtesten“ Kollegen geht Gott sei Dank. Entschuldige das ich Du zu Dir sage, aber zu meinem eigenen Arsch sage ich auch nicht sie.
Du sollst so lange leben, wie Deine Amtsarbeiten erfolgreich waren. Ich weiss nun, dass auch die faulsten Beamten in Ruhestand gehen können.
Ein paar Zuckerl gibt's noch für Dich, lass Dich überraschen!"
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Postkarten an W. an D.
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In der Postkarte X8 (DA BI. 10), eingegangen beim Finanzamt L. am L. mit Poststempel vom …09.2014, ist als Absender „Ein Steuerbürger (jedoch nicht schwul)“ genannt.
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Der Text lautet wie folgt:
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„Sind wir doch froh, dass nicht der Adolf an die Macht gekommen ist. (denn solche gibt es wirklich) Der hätte die Schwuletten einen Kopf kürzer gemacht. Nicht auszudenken bei Ihnen, und dann noch einen Kopf kürzer! Sie wären immer plan mit der Tischkante gewesen. Aber dafür guckt seitlich die Wampe hervor. Wünsche der unbeliebten Witzfigur noch einen, wie immer, ruhigen „Arbeitstag“.“
Das Schwule oft Darmprobleme haben, ist mir erst jetzt bewusst geworden. Ruhiger sein in Zukunft. So wie in der Arbeit.“
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Die Postkarte X9 (DA BI. 1 1) eingegangen beim Finanzamt L. am L. mit Posteingangsstempel des Finanzamts vom …09.2014 (Frühleerung) lautet wie folgt:
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„Jetzt weiss ich doch, dass es einen Herrgott gibt, den der hat wirklich dafür gesorgt, dass sich so ein Arschloch wie Sie nicht vermehrt hat. Dafür sei dem Herrn im Himmel Dank. Auch ich weiß nun, dass ich die Endstufe niemehr erreichen werde. Ihr Ende sollte bald kommen, mein vorerst letzter Wunsch. Krebst sich nun in Ihrem Darm schon was zusammen?? Liebe Grüße Ihr treuer Mitarbeiter, Dank Ihnen auf der Strecke geblieben.“
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Die Postkarte X 10 (DA BI. 10 Rückseite), eingegangen beim Finanzamt L. am L. , laut Poststempel aus dem Monat September 2014, lautet wie folgt:
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Es gibt doch einen Herrgott, der hat wenigstens dafür gesorgt, das sich so etwas wie Sie nicht vermehren kann. Die Pseudo Heirat damals hätte es gar nicht gebraucht, denn jetzt dürfen eingetragene Lebenspartnerschaften heiraten. Gesellschaftlich ist es jedoch heute noch besser wenn ein Mann mit einer Frau verheiratet ist. Ich würde sagen: stehen Sie doch zu Ihrer Schwulheit. Klar, dass Sie Wut auf Familien und vielleicht noch sogar solche mit Kindern haben.“
Warum fahren Sie nicht mehr mit dem Rad zur Arbeit? Wissen Sie eigentlich wie unbeliebt Sie im Amt sind. Jeden graut schon, wenn Sie zum gratulieren an den Geburtstagen auftauchen. Merken Sie das denn nicht.
Wünsche Ihnen noch einen schönen „Arbeits“ tag.“
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Der Ruhestandsbeamte hat mit Schreiben vom …02.2017 an die Staatsanwaltschaft A. eingeräumt, diese Postkarten geschrieben zu haben. Im handschriftlichen Schreiben des Ruhestandsbeamten, datiert vom …012021, räumt er die Beleidigungen von Herrn M. , Herrn D. , Herrn P. und Frau W. auch im Disziplinarverfahren ein.
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Die Postkarte an Herrn W. P. wurde laut Gutachten nicht mit einer der untersuchten Schreibmaschinen gefertigt, da der Ruhestandsbeamte aber einräumt, auch für die Beleidigung des Herrn P. verantwortlich zu sein, ist ihm auch das Verfassen der folgenden Postkarte anzulasten.
51
Die Postkarte X5 (DA BI. 16 mit Rückseite) an Herrn P. , dessen Sohn Selbstmord begangen hat, ging mit Poststempel aus dem Januar 2010 an dessen Privatadresse ein und lautet wie folgt:
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„Na Du Arsch wieder zurück Zu schwach um eigene Kinder zu erziehen, aber ein Sachgebiet leiten wollen. Bei so einem Vater wars die Erlösung bei Deinem Sohn. Vielleicht sind Sie der nächste?? Schön wärs.“
Am baldigen Lebensende als Versager und Faulpelz dastehen wäre nicht meins.“
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(Auszug aus der Disziplinarklage)
54
Der dem Beklagten zur Last gelegte Sachverhalt steht – mit Ausnahme der Postkarte X5 – fest.
55
a) Soweit sich der Sachverhalt aus den tatbestandlichen Feststellungen in den Urteilen des Amtsgerichts L. a. L. vom 4. Oktober 2017 und 2. Mai 2018 ergibt, besteht gemäß Art. 55 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayDG Bindungswirkung. Auch bestehen keine Anhaltspunkte für offenkundig unrichtige Feststellungen.
56
b) Hinsichtlich der Postkarten hat der Beklagte seine Urheberschaft bereits am 15. Februar 2017 gegenüber der Staatsanwaltschaft und mit seinem handschriftlichen Schreiben vom 15. Januar 2021 im Disziplinarverfahren eingeräumt.
57
Unklar blieb, ob sich das Geständnis auch auf die Postkarte X5 bezog. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte diese auf Nachfrage gerade nicht eingestanden hat. Gegenüber dem Gutachter gab der Beklagte hierzu vielmehr an, diese Postkarte nicht geschrieben zu haben, sein damaliges Eingeständnis sei auf Empfehlung seiner Bevollmächtigten erfolgt. Wenngleich viel dafürspricht, auch diese Postkarte dem Beklagen zuzurechnen, kann dies – in dubio pro reo – zugunsten des Beklagten letztlich außer Betracht bleiben. Die Urheberschaft der Postkarte X5 fällt für die Bewertung und Bemessung des Dienstvergehens nicht ins Gewicht.
58
c) Der Beklagte handelte jeweils schuldhaft. Auch insoweit entfalten die Feststellungen in den Urteilen Bindungswirkung. Im Übrigen ergibt sich aus dem eingeholten Psychiatrischen Gutachten – im Gegensatz zur Einschätzung des sachverständigen Zeugen Dr. W. in der mündlichen Verhandlung –, dass die Eingangsmerkmale des § 20 StGB zum Tatzeitraum jeweils nicht vorlagen.
59
Dabei handelte der Beklagte jeweils vorsätzlich. Er ging planvoll und zielgerichtet vor, um andere Personen zu schädigen.
60
Der Beklagte hat durch den ihm vorstehend zur Last gelegten Sachverhalt ein einheitliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) während seiner Zeit als aktiver Beamter begangen, das auch noch disziplinarisch verwertet werden kann (Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 a) BayDG).
61
a) Ob der von der Disziplinarbehörde vorgenommene Einstufung des Dienstvergehens als innerdienstlich zu folgen ist, ist fraglich.
62
Nach der Rechtsprechung des BVerwG und des BayVGH ist die vorzunehmende Abgrenzung von innerdienstlichem zu außerdienstlichem Verhalten nicht nur anhand einer formellen Dienstbezogenheit (zeitlicher/örtlicher Zusammenhang), sondern in erster Linie danach vorzunehmen, wie sich das Fehlverhalten des Beamten auf seinen Amtsbereich ausgewirkt hat (materielle Dienstbezogenheit; BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 2 B 5.18 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 17.1.2024 – 16a D 23.1397 – beck-online Rn. 19). Abzustellen ist darauf, ob ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem vom Beamten ausgefüllten Amt besteht; stellt sich das Verhalten bei materieller Betrachtung als das eines Privatmannes dar, ist es als außerdienstliches zu würdigen (BVerwG, U.v. 20.2.2001 – 1 D 55.99 – juris Rn. 57; BayVGH, a.a.O:). Der dienstliche Bereich ist allgemein von demjenigen Lebenskreis eines Beamten abzugrenzen, in dem er von Dienstpflichten frei ist, mag er auch nicht von jeglichen beamtenrechtlichen Verpflichtungen frei sein (BayVGH, a.a.O.; zu einem Postbeamten: BVerwG, U.v. 24.11.1992 – 1 D 52.91 – juris Rn. 12 m.w.N.).
63
Das Schreiben der Postkarten sowie das Manipulieren des Fahrrades wäre jeder Person auch außerhalb des Finanzamtes möglich gewesen. Es steht mit der dienstlichen Tätigkeit nicht in kausalem Zusammenhang, wenngleich sich die Motivation des Beklagten für sein dienstpflichtwidriges Handeln aus der dienstlichen Tätigkeit und der Beziehung zu den Geschädigten als Dienstvorgesetzten bzw. Kolleginnen und Kollegen ergibt. Mangels funktionalem Zusammenhang dürfte das Verhalten als außerdienstlich einzustufen sein.
64
Jedenfalls entfaltet das Verhalten des Beklagten aber auch bei einer Einstufung als außerdienstlich disziplinarische Relevanz insoweit, als der nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG erforderliche Bezug zwischen Pflichtenverstoß und Amt im statusrechlichen Sinn bereits durch die Strafandrohung von bis zu zwei Jahren (std. Rspr.; vgl. BVerwG, B.v. 18.6.2014 – 2 B 55/13 – juris Rn. 11), aber auch dadurch gegeben ist, dass das Verhalten des Beklagten gezielt gegen Kollegen und seinen damaligen Dienstvorgesetzten gerichtet war.
65
b) Durch den versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung durch das Abzwicken der Speichen am Fahrrad seines damaligen Dienstvorgesetzten handelte der Beklagte ebenso wie durch die beleidigenden Postkarten seiner Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. §§ 315b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 und 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a, 303 Abs. 1, 303c, 22, 23 StGB bzw. §§ 185, 194 Abs. 1, 194 Abs. 3 StGB zuwider. Soweit die Beleidigungen durch Verjährung nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden konnten, lässt dies die disziplinarische Relevanz vor dem Hintergrund der Einheit des Dienstvergehens nicht entfallen.
66
c) Zudem verhielt er sich der Beklagte ansehens- und vertrauensschädigend nach § 34 Satz 3 BeamtStG a.F.. Auf die Ausführungen in der Disziplinarklage wird insoweit Bezug genommen.
67
Das (einheitliche) Dienstvergehen nach Art. 47 Abs. 1 BeamtStG wiegt derart schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayDG, dass ein endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in den Beklagten eingetreten ist.
68
Wäre der Beklagte noch im Dienst, wäre er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Folglich ist ihm als Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt i.S.v. Art. 13 BayDG abzuerkennen, Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG. Unter Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, seinem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten des Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG wäre bei einem aktiven Beamten die Höchstmaßnahme auszusprechen.
69
Der Maßnahmebemessung liegen dabei die in Art. 14 BayDG genannten und in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2021 – 16a D 19.989 – beck-online Rn. 83 f.) bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 13 BDG (U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris; U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 61; U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.1992 – juris Rn. 34) entwickelten Kriterien zugrunde.
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1. Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist die Schwere des Dienstvergehens, wobei von der schwersten Dienstpflichtverletzung, somit dem versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, auszugehen ist, weitere Dienstpflichtverletzungen aber erschwerende Wirkung entfalten können. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach den Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
71
a) Angesichts des Strafrahmens, der nach std. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei außerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen durch die gesetzgeberische Wertung zum Unwert des Verhaltens einen Orientierungsrahmen entfaltet (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50/13 – juris Rn. 15 ff.), ist mit einer Strafandrohung von bis zu 7 Jahren und 6 Monaten, so das Amtsgericht L. am L. im Urteil vom 2. Mai 2018 aufgrund Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB durch das Versuchsstadium, ein Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BVerwG, a.a.O., Rn. 12).
72
b) Dem konkreten Strafausspruch kommt keine indizielle Wirkung zu, er zeigt aber bei 9 Monaten Freiheitsstrafe die strafrechtliche Schwere im konkreten Einzelfall, insbesondere dass das Durchzwicken der Speichen eines Fahrrades insbesondere keine Art Kinderspielerei oder Bubenstreich war (vgl. die Ausführungen im Psychiatrischen Gutachten S. 33, dass die Schilderung der Taten durch den Beklagten auf Dr. W. wie „Kinderspielereien“ oder „ein Bubenstreich gewirkt“ hätten). Im Urteil des Amtsgerichts L. am L. wird strafverschärfend herausgestellt, dass der Beklagte zwei Straftatbestände verwirklicht hat und durch seine Vorgehensweise mit einer beträchtlichen abstrakten Gefährdung des Geschädigten verbunden war; sowohl der Beklagte als auch der Geschädigte könnten hierbei von Glück reden, dass die Tat des Beklagten im Versuchsstadium stecken geblieben ist und der Geschädigte hierdurch keine Verletzungen erlitten hat, welche bei einem Sturz vom Fahrrad ganz erheblich hätten ausfallen können. Aus Sicht des Disziplinargerichts ist hingegen aber auch herauszustellen, dass die abstrakte Gefährdung im vorliegenden konkreten Einzelfall durch das fahruntaugliche Fahrrad um Einiges niedriger als eine Manipulation z. B. an einem Auto zu sehen ist.
73
Im Rahmen der gebotenen Betrachtung der Einzelfallumstände ist zudem das Versuchsstadium zu berücksichtigten und dass der Beklagte nicht eine Verletzung seines Dienstvorgesetzten beabsichtigt hatte.
74
Schwer wiegt jedoch die kriminelle Energie, dass der Beklagte die Tat gerade einem anderen Kollegen „in die Schuhe schieben“ wollte. Im disziplinarischen Kontext ist auch zu beachten, dass sie gerade gegen den Dienstvorgesetzten gerichtet war.
75
c) Die beleidigenden Postkarten sind erschwerend zu berücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend, von der Höchstmaßnahme bei der Bemessung auszugehen.
76
2. Durchgreifende mildernde Gesichtspunkte, die demgegenüber zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen würden, liegen nicht vor.
77
a) Der Beklagte war nicht in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich einschränkt, vielmehr war er sich der Pflichtwidrigkeit seines Handelns bewusst.
78
Liegt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne des § 21 StGB vor, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. In diesem Fall kommt die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr, sondern nur im Ausnahmefall in Betracht (BayVGH, U.v. 6.4.2022 – 16a D 20.975 – beck-online Rn. 33 m.w.N.).
79
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (stRspr, vgl. BayVGH a.a.O. m.w.N.).
80
Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich“ war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben (BayVGH a.a.O. m.w.N.). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (BayVGH a.a.O. m.w.N.). Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer die in Streit stehende Verfehlung wiegt (BayVGH a.a.O. m.w.N.). Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (BayVGH a.a.O. m.w.N.).
81
Unter Anwendung dieses Maßstabs ist vorliegend nicht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten bei Begehung seiner Dienstpflichtverletzungen auszugehen.
82
(1) Den Urteilen des Amtsgerichts L. a. L. lässt sich keine Bejahung eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB entnehmen. Wegen des Fehlens von Ausführungen zur Schuldunfähigkeit des Täters ist wegen des vorgegebenen Prüfprogramms für das Strafgericht folglich davon auszugehen, dass das Strafgericht das Vorliegen der Eingangsmerkmale des § 20 StGB verneint hat (BVerwG, U.v. 20.4.2023 – 2 A 18.21 – beck-online Rn 37 ff.; BVerwG, B.v. 24.6.2023 – 2 B 25.22 – beck-online Rn. 12).
83
Hierbei handelt es sich nach der zitierten Rechtsprechung des BVerwG um eine tatsächliche Feststellung, die an der Bindungswirkung nach Art. 55 i.V.m. Art. 25 BayDG teilnimmt, mit der Folge, dass dem Disziplinargericht eine eigene Beweisaufnahme mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Anhörung eines sachverständigen Zeugen nicht gestattet sei (BVerwG, U.v. 20.4.2023 – 2 A 18.21 – beck-online Rn 41; BVerwG, B.v. 24.6.2023 – 2 B 25.22 – beck-online Rn. 12).
84
Nachdem sich in beiden Urteilen aber in der Strafzumessung die „nicht ganz unerheblichen psychischen Probleme schon zum Tatzeitpunkt“ wiederfinden und im im Disziplinarklageverfahren vorgelegten Attest vom … Juli 2021 ausdrücklich eine „mangelnde Steuerungsfähigkeit (insbesondere in den Jahren 2010-2014) attestiert wird, sah sich das Gericht zur hinreichenden Einzelfallwürdigung zunächst zur Einvernahme der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und dann aufgrund deren konkreten, divergierender Aussagen zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens auf Beweisantrag der Bevollmächtigten des Beklagten veranlasst.
85
Ist die Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich“ war, zwar eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben, muss indes als Vorfrage geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat (BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 – beck-online Rn. 15). Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen (BVerwG, a.a.O. m.w.N.). Hierzu bedarf es in der Regel besonderer ärztlicher Sachkunde (BVerwG, a.a.O. Rn. 16). Für die in Rede stehenden medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters (BVerwG, a.a.O. m.w.N.). Hinsichtlich eines (ggf. zusätzlich) einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet.
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(2) Die Bevollmächtigte des Beklagten hat schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB und einer krankhaft stark eingeschränkten Steuerungsfähigkeit ausgeführt und insoweit auf die Feststellung der „mangelnde[n] Steuerungsfähigkeit (insbesondere in den Jahren 2010-2014)“ von Dr. W. im Attest vom … Juli 2021 verwiesen. Dr. W. führt darin aus, „in Zeiten von emotionalem Stress fehlte dem Patienten häufig ein normales Unrechtsbewusstsein für seine Handlungen und seine Steuerungsfähigkeit war teilweise extrem eingeschränkt“. In der mündlichen Verhandlung hat der sachverständige Zeuge angegeben, aus seiner Sicht könne beim Beklagten durchaus zum damaligen Zeitpunkt das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung sowie auch einer Intelligenzminderung und damit mehrerer der Eingangsmerkmale des § 20 StGB angenommen werden. Hinsichtlich der Einzelheiten seiner Zeugenaussage wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
87
Der sachverständige Zeuge Dr. B. gab demgegenüber an, eine genaue Diagnostik sei ihm damals nicht möglich gewesen. Aus den wenigen Erkenntnissen, die er aus den Gesprächen mit dem Beklagten habe schließen können, sei es ihm nicht möglich, sich in Bezug auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB festzulegen. Tendenziell sei sein Eindruck gewesen, eher eine Erkrankung im schweren Störungsbereich und nicht etwa nur im Bereich einer Anpassungsstörung zu verorten.
88
Das insoweit eingeholte Psychiatrisch fachärztliche Gutachten vom … April 2024 mit dem Forensisch-Psychologischen Zusatzgutachten vom … April 2024 kommt zu dem Ergebnis, dass zu den Zeitpunkten keine schweren Erkrankungen auf psychiatrischen Fachgebiet im Sinne der §§ 20 und 21 StGB vorlagen. Zu den genannten Zeitpunkten habe kein Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit und damit einhergehender Schuldunfähigkeit vorgelegen. Der Beklagte habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zeitweise unter einer affektiven Störung im Sinne einer leichten bis mittelgradig depressiven Störung (ICD-10 F 32.0 / F.32.1) im Zusammenspiel mit einer Persönlichkeitsakzentuierung Cluster C Kontext (ängstlich vermeidende Akzentuierung, dependente Akzentuierung und zwanghafte Akzentuierung), die jedoch nie die Schwelle der forensischen Relevanz überschritt, gelitten. Eine schwere depressive Symptomatik haben sich erst im November 2016 nach Aufdeckung der verfahrensgegenständlichen Taten dargestellt und sei in der Dokumentation von Dr. K. nachzuvollziehen. Eine Störung aus dem Bereich der Autismusspektrumstörungen oder eine Intelligenzminderung sei nicht zu diagnostizieren. Somit habe keine krankhafte seelische Störung, keine tief greifende Bewusstseinsstörung, keine Intelligenzminderung und keine andere seelische Störung im Sinne der §§ 20,21 StGB vorgelegen. Der Beklagte sei zu den Tatzeitpunkten in der Lage gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zwar hätten gewisse defizitäre Muster der Kommunikation und Interaktion vorgelegen, die jedoch zu keinem Zeitpunkt so erheblich gewesen sein, dass der Beklagte nicht in der Lage gewesen wäre sein Handeln zu steuern. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gutachten Bezug genommen, die sich das Gericht gemäß der gebotenen Prüfung der Feststellungen und Schlussfolgerungen im Rahmen tatrichterlicher Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 2.5.2024 – 2 B 37.23 – beck-online Rn. 24 m.w.N.) zu eigen macht.
89
(3) Damit fehlt es zur Überzeugung des Gerichts bereits am Vorliegen eines Eingangsmerkmals nach §§ 20, 21 StGB.
90
Zwar steht das gutachterliche Ergebnis nicht in Übereinstimmung mit der diagnostischen Einschätzung von Dr. W. Dem psychiatrischen Fachgutachten ist jedoch nach der freien Beweiswürdigung ein höherer Beweiswert zuzumessen.
91
Dr. W. mag den Beklagten zwar länger kennen, ist mit ihm aber im Rahmen des behandelnden Arzt-Patienten-Verhältnis verbunden. Im Gutachten wird festgehalten, dass Dr. W. gegenüber dem Gutachter telefonisch zum Ausdruck gebracht habe, die mögliche zu erwartende disziplinarische Strafen mit Aberkennung der Pension für völlig unangemessen im Verhältnis zu seinen Taten zu halten; es sei Existenz vernichtend; das passe aus seiner Sicht nicht zusammen. Der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit ist von Dr. W. ausführlich in der mündlichen Verhandlung als Praxis auf dem Bereich klassischer Homöopathie beschrieben worden. Insbesondere handelt es sich gerade um keine psychiatrische Fachpraxis. Demgegenüber ist der psychiatrischen Fachbegutachtung i.V.m. dem eingeholten forensisch-psychologischen Zusatzgutachter ein höherer Beweiswert zuzumessen.
92
b) Aus der diagnostizierten psychischen Erkrankung zu den Tatzeitpunkten folgt auch im Übrigen keine Milderung durchgreifenden Ausmaßes.
93
Auch unterhalb der Schwelle einer verminderten Schuldfähigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB kann eine krankhafte Beeinträchtigung ggf. mildernd zu berücksichtigen sein (vgl. BVerwG, U.v. 20.4.2023 – 2 A 18.21 – beck-online Rn. 45 f.; BVerwG, U.v. 2.3.2023 – 2 A 19.21 – UA Rn. 65 m.w.N.; OVG Münster, U.v. 29.9.2021 – 3d A 148/20.O – beck-online Rn. 85 m.w.N.) und bedarf es insoweit einer Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls. So dürfen entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines „anerkannten“ Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen – im Zusammenwirken mit anderen Umständen – zu erfüllen (BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 2 B 35.13 – beck-online Ls.1 sowie Rn. 21). Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, die Verwaltungsgerichte müssten bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten („klassischen“) Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden. Sie dürfen nicht in einer nicht nachvollziehbaren Weise „abgetan“ werden. Dabei müssen die Milderungsgründe jedoch umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 2 WD 10.18 – beck-online Rn. 44 m.w.N. BVerwG, B.v. 21.12.2021 – 2 B 50.21 – beck-online Rn. 12).
94
Insoweit verkennt das Gericht die diagnostizierte affektive Störung i.S.e. leichten bis mittelgradig depressiven Störung (ICD-10 F 32.0 / F.32.1) im Zusammenspiel mit einer Persönlichkeitsakzentuierung im Cluster C Kontext, wie sie im Fachgutachten näher dargelegt wird, nicht.
95
Angesichts der enormen Schwere des Dienstvergehens einerseits und insbesondere des fehlenden Zusammenhangs zur depressiven Episode entfaltet die damalige psychische Verfassung des Beklagten aber keine derart mildernde Wirkung, dass von der Höchstmaßnahme abzusehen wäre.
96
Dem Beklagten liegt gerade ein zielgerichtetes, planvolles Agieren zu Last. Ausdrücklich verweist der Gutachter hierauf und stellt heraus, dass keine Augenblickstat mit abruptem und impulshaften Tatablauf vorlag. Es sei vielmehr zu einem planmäßigen Vorgehen in den Taten gekommen. Die Fähigkeit zu Warten habe insofern bestanden, dass ein geeigneter Zeitpunkt für die Tatbegehung habe abgewartet werden können. Bei den Taten habe es sich in der Regel um komplexe Handlungsabläufe, oft in Etappen (Vorbereitung von Material, Schutz vor Entdeckung, Schreiben mit Schreibmaschine, Fahren zum geeigneten Aufgabeort der Postkarten), mit erheblichem Aufwand zur Vorsorge gegen Entdeckung (Einsatz von Handschuhen, Schreiben auf Schreibmaschine, Aufsuchen eines anderen Postbezirks zum Einwerfen der Postsendungen, genaue Planung und Überlegung, wie zum Beispiel durch die Wahl des Einwurfsortes oder die Wahl des Handelns wie der Verdacht auf andere Personen gelenkt werden könnte usw.) gehandelt. Auch sei klar zu erkennen, dass die Möglichkeit anderen Verhaltens unter zumindest vergleichbaren Umständen, zum Beispiel bei Ärger innerhalb der Familie oder im sonstigen sozialen Umfeld gegeben gewesen sei. Die affektive Störung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum sei offenbar nicht so ausgeprägt gewesen, dass der Beklagte nicht mit der Lage gewesen wäre, seiner Diensttätigkeit nachzugehen. Wenn auch eine depressive Symptomatik im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zeitweise vorgelegen habe, so sei der Ausprägungsgrad dieser und der daraus folgenden Funktionseinschränkungen begrenzt gewesen. Dem Gutachter zufolge war sich der Beklagte ausweislich seiner eigenen Aussagen bei der Begutachtung, seiner eigenen Aussagen gegenüber seinen Behandlern nach Entdeckung der Taten – insbesondere gegenüber Dr. K. – und ausweislich seiner umfassenden Bemühungen zum Schutz vor Entdeckung seiner Taten im Vorfeld, während und nach der Begehung der Taten zu jedem Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Zeitraums das Unrecht seiner Taten bewusst. Zudem legt der Gutachter darüber hinaus dar, dass es sich gerade um kein typisches Verhalten als Ausfluss einer depressiven Episode handelt. Grundsätzlich sei festzustellen, dass Patienten mit depressiven Erkrankungen im Rahmen der landläufigen Kriminalität praktisch kaum in Erscheinung treten würden. Dies hänge mit den Besonderheiten der Symptomatik zusammen, die durch Gehemmtheit, Skrupelhaftigkeit und Selbstentwertungstendenzen vor dem Straffälligwerden schütze. Auch außerhalb depressiver Phasen seien depressiv strukturierte Menschen wegen ihrer besonderen Wesensart seltener straffällig, da Genauigkeit, Korrektheit, soziale Erwünschtheit, stabile mitmenschliche Beziehungen, Leistung und Rechtschaffenheit ihr Wertesystem bestimmten. Bei dem Beklagten hätten keine Hinweise auf das Vorliegen wahrhafter Symptombilder im Rahmen einer schweren depressiven Episode festgestellt werden können. Auch keine Desintegration der Persönlichkeit mit einer massiven Störung der rationalen Hemmungs- bzw. Steuerungsmechanismen gegenüber störungsspezifischen Erlebnisqualitäten und -impulsen im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Taten hätte festgestellt werden können.
97
Aus der gutachterlich beschriebenen Ausprägung der diagnostizierten psychischen Erkrankung des Beklagten zu den Tatzeitpunkten ergibt sich für das Gericht daher kein derartiger Zusammenhang zwischen der Erkrankung und Tatentschluss sowie -begehung, dass die Erkrankung eine durchgreifende Milderung nach sich ziehen könnte. Der Aussage von Dr. W. in der mündlichen Verhandlung, die Handlungen des Beklagten könnten aus der krankhaften Störung abgeleitet werden, vermag das Gericht nach den gutachterlichen Ausführungen gerade nicht zu folgen.
98
c) Zudem geht es vorliegend nicht um rechtlich oder tatsächlich schwierige Pflichtentatbestände (vgl. insoweit auch BayVGH a.a.O.). Die Dienstpflichtwidrigkeit des strafbaren Verhaltens des Beklagten ist vorliegend sehr leicht einsehbar. Zutreffend hat die Disziplinarbehörde insoweit ausgeführt, es handle sich um eine Verletzung leicht einsehbarer Pflichten von grundlegender Bedeutung, die für jedermann selbstverständlich und daher ohne Schwierigkeiten einzuprägen sei; insbesondere bei Missachtung des Gebots, Straftaten zu unterlassen, sei diese Voraussetzung ohne weiteres erfüllt.
99
d) Zutreffend hat die Disziplinarbehörde ein persönlichkeitsfremdes Handeln aus einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation heraus verneint. Die dem Beklagten zur Last gelegten Taten sind Ausdruck unkollegialen Verhaltens und fehlender Konkfliktfähigkeit des Beklagten und nach den gutachterlichen Ergebnissen nicht i.S.d. disziplinarrechtlichen Rechtsprechung als persönlichkeitsfremd einzustufen (vgl. oben).
100
e) Soweit die Bevollmächtigte des Beklagten auf die Motivlage des Beklagten verweist und seine Schwierigkeit, innere Konflikte aufzuzeigen und adäquat zu lösen, verfängt dies vorliegend ebensowenig mildernd. Vielmehr handelte der Beklagte bei der Manipulation des Fahrrades seines Dienstvorgesetzten gerade aus dem Motiv heraus, einem Kollegen etwas „anhängen“ zu wollen und nahm dabei die körperliche Schädigung seines Dienstvorgesetzten in Kauf bzw. wollte durch die Postkarten gerade gezielt Kolleginnen und Kollegen im Kollegenkreis bloßstellen und beleidigen. Das Gericht vermag insoweit kein Motiv zu erkennen, dass mildernd berücksichtigt werden könnte. Vielmehr hat der Beklagte durch das Verfassen der Postkarten über den längeren Zeitraum dazu beigetragen, den Betriebsfrieden erheblich zu stören.
101
f) Das bisherige dienstliche Wirken des Beklagten vermag – auch unter Berücksichtigung des eingeholten Persönlichkeitsbilds – die Schwere des Dienstvergehens nicht zu mindern. Selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen wäre eine langjährig pflichtgemäße Dienstausübung für sich genommen regelmäßig aber nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09. 3029 – juris Rn. 96).
102
g) Soweit die Beklagte disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelastet war, stellt dies an sich eine Selbstverständlichkeit und ein sozial zu erwartendes Verhalten dar und kann sich damit nicht entlastend zu ihren Gunsten auswirken (BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 16a D 18.1038 – juris Rn. 46).
103
h) Den späteren Entschuldigungen gegenüber den Geschädigten wie auch der – späten – Reue des Beklagten kommt kein durchgreifender mildernder Charakter zu.
104
i) Letztlich ist auch die Dauer des Disziplinarverfahrens nicht geeignet, sich durchgreifend mildernd auszuwirken. Der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer zu langen Verfahrensdauer ist nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, wenn die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9). Bei mittlerweile im Ruhestand befindlichen Beamten gilt dies entsprechend für die Aberkennung des Ruhegehalts. Eine Fortführung der Alimentierung ist nicht hinnehmbar, wenn ein Beamter einen vollständigen Vertrauensverlust wegen Dienstpflichtverletzungen zu einer aktiven Zeit erlitten hat. Ein solcher wird durch zeitliches Fortschreiten nicht wiederhergestellt.
105
Die Aberkennung des Ruhegehalts als Höchstmaßnahme ist insoweit auch verhältnismäßig.
106
Es ist der Allgemeinheit gegenüber nicht vertretbar, dass der Dienstherr dem Beklagten weiterhin Ruhegehalt zahlt, nachdem er derart schwerwiegend gegen seine Dienstpflichten verstieß und sich strafbar machte. Dies gilt auch angesichts der schweren Folge der Aberkennung des Ruhegehalts.
107
Aufgrund des vollständigen Vertrauensverlusts der Allgemeinheit und des Dienstherrn in den Beklagten ist die Aberkennung des Ruhegehalts geeignet, erforderlich und auch angemessen, um auf das sehr schwere Dienstvergehen zu reagieren.
108
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.