Titel:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung
Normenketten:
BV Art. 91 Abs. 1, Art. 118
VwGO § 156, § 161 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Beschwerdeführer kann sich nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) wegen fehlender Übersendung eines Schreibens der Gegenpartei durch das Gericht berufen, wenn er im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren nicht um dessen nachträgliche Übersendung oder um Einsichtnahme in die Gerichtsakten gebeten, sondern lediglich gerügt hat, dass ihm der Inhalt des Schreibens vorenthalten worden sei. (Rn. 36 – 37)
2. Nach der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Bayern besteht für Rechtsuchende bei belastenden Verwaltungsakten in der Regel keine Obliegenheit, sich vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Aufhebungsbegehren zunächst an die zuständige Verwaltungsbehörde zu wenden. Es ist daher offensichtlich sachwidrig und kann Willkür begründen, wenn ein Verwaltungsgericht im Rahmen der Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO) einem Kläger die Verfahrenskosten allein mit der Begründung auferlegt, die sich nach Klageerhebung selbst korrigierende Behörde habe im Sinn von § 156 VwGO keine Veranlassung zur Klage gegeben. (Rn. 51)
1. Behauptet ein Beschwerdeführer, dass das Fachgericht in einer Anhörungsrügeentscheidung erneut einen Gehörsverstoß begangen habe, so steht dagegen keine weitere Gehörsrüge, sondern lediglich die – gegen die Ausgangsentscheidung gerichtete – Verfassungsbeschwerde offen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Recht auf rechtliches Gehör vermittelt keinen Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“ (Fortführung von BeckRS 2022, 21565). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Rechtsstaat darf Rechtsuchenden im Verwaltungsprozess die Kostenerstattung grundsätzlich nicht mit der Begründung verweigern, dass ihre Klage gegen rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet gewesen sei (Anschluss an BVerfG BeckRS 2023, 4048). (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erledigungserklärung, Kostenentscheidung, Willkürverbot, fehlende Veranlassung zur Klageerhebung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 17.01.2022 – 23 K 21.4827
Fundstellen:
BayVBl 2025, 13
BeckRS 2024, 25680
DÖV 2025, 129
LSK 2024, 25680
Tenor
1. Nr. II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 Az. M 23 K 21.4827 verstößt gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV). Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht München zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.
Entscheidungsgründe
1
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 Az. M 23 K 21.4827, mit dem die Kosten eines übereinstimmend für erledigt erklärten Klageverfahrens dem Beschwerdeführer auferlegt wurden, sowie gegen einen Beschluss desselben Gerichts vom 16. Mai 2022 Az. M 23 K9 22.2454, mit dem eine dagegen erhobene Anhörungsrüge zurückgewiesen wurde.
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Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens war eine vom Beschwerdeführer am 11. September 2021 erhobene und mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 näher begründete Klage gegen eine von der Landeshauptstadt M. durch verkehrsrechtliche Anordnung vom 24. September 2020 angeordnete Radwegbenutzungspflicht in der Ludwigstraße im Bereich um den Odeonsplatz.
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Mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 erkannte die Landeshauptstadt das Klagebegehren des Beschwerdeführers „sofort“ an und teilte mit, dass sie die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung durch Anordnung vom 30. November 2021 aufgehoben habe; die vor Ort aufgestellten Verkehrszeichen zur Radwegbenutzungspflicht seien am 6. Dezember 2021 entfernt worden. Die Stadt stimme einer etwaigen Erledigungserklärung des Beschwerdeführers unter Verwahrung gegen die Kostenlast zu. Die § 156 VwGO zugrundeliegende Wertung steuere die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn der angefochtene Verwaltungsakt sofort nach Klageerhebung aufgehoben werde. Die Voraussetzungen der Wertung des § 156 VwGO seien hier erfüllt. Die Landeshauptstadt habe vor Klageerhebung keine Kenntnis vom Begehren des Beschwerdeführers gehabt, da dieser sich im Vorfeld nicht an sie gewandt habe. Er habe dazu innerhalb der für verkehrsrechtliche Anordnungen geltenden einjährigen Anfechtungsfrist ausreichend Zeit gehabt, da ihm die Anordnung laut seinem Schreiben vom 21. Oktober 2021 seit Dezember 2020 bekannt gewesen sei. Seine erst kurz vor Fristablauf erfolgte Klageerhebung sei zwar rechtlich zulässig; er müsse dann aber, wenn das Klagebegehren sofort anerkannt werde, die Kosten für den überflüssigen Prozess tragen, da er grundlos direkt Klage eingereicht habe. Er habe vernünftigerweise nicht davon ausgehen können, dass er nur durch eine Klage zu seinem Recht gelangen könne. Aus dem Verhalten der Landeshauptstadt in einem früheren, von einem anderen Kläger geführten Rechtsstreit über eine verkehrsrechtliche Anordnung für den Bereich Odeonsplatz habe er keine Rückschlüsse ziehen können. Der Beschwerdeführer sei in anderen Fällen, in denen er die Benutzungspflicht für Radwege im Stadtgebiet für rechtswidrig gehalten habe, bereits mehrfach auf die Landeshauptstadt zur außergerichtlichen Klärung zugekommen; in einigen Fällen sei daraufhin seinem Begehren entsprochen worden. Er habe also aus eigener Erfahrung davon ausgehen können, dass die Landeshauptstadt alle seine Vorbringen ernsthaft prüfe und gegebenenfalls auch ihre Ermessensentscheidung abändere.
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Das Verwaltungsgericht bat daraufhin den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 um umgehende Abgabe einer verfahrensbeendenden Erklärung; zugleich gab es ihm Gelegenheit, sich zur Kostenverteilung zu äußern. Ob dabei, wie mit Verfügung des Berichterstatters vom 9. Dezember 2021 angeordnet, auch der Schriftsatz der Landeshauptstadt M. vom 7. Dezember 2021 übermittelt wurde, lässt sich der Gerichtsakte nicht entnehmen.
5
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2021 erklärte der Beschwerdeführer, die Beschilderung sei entfernt worden; die angegriffene Benutzungspflicht bestehe nicht mehr. Die Landeshauptstadt werde aufgefordert, die Klageforderung anzuerkennen oder eine Erledigungserklärung abzugeben. Es werde darauf hingewiesen, dass sich die Kosten für den Fall einer Kostenübernahmeerklärung oder des Anerkenntnisses der Forderung auf den einfachen Satz ermäßigten. Er selbst werde eine Erledigungserklärung erst nach Äußerung der Landeshauptstadt abgeben.
6
Mit Schreiben vom 10. Januar 2022 wies das Gericht den Beschwerdeführer darauf hin, dass die Landeshauptstadt einer Erledigung bereits zugestimmt habe. Falls er nicht umgehend Erledigung erkläre, müsse die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden.
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Der Beschwerdeführer erklärte daraufhin mit Schreiben vom 13. Januar 2022 die Erledigung des Rechtsstreits und beantragte, die Kosten vollständig der Landeshauptstadt aufzuerlegen.
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Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. Januar 2022 Az. M 23 K 21.4827 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein (I.) und erlegte dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens auf (II.). In der Begründung wurde hierzu ausgeführt, dies entspreche billigem Ermessen, da sich die Landeshauptstadt auf die Anwendung des § 156 VwGO berufen könne. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes sei demzufolge nicht zwingend erforderlich gewesen. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch vorgetragen, dass die Stadt dem Klagebegehren nicht außergerichtlich nachgekommen wäre; dies dürfte dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sein.
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Gegen die Kostenentscheidung erhob der Beschwerdeführer am 2. Februar 2022 eine Anhörungsrüge. Seit Abschaffung des Widerspruchsverfahrens sei es prinzipiell nicht mehr notwendig, einer Behörde die Möglichkeit zur Selbstkorrektur vor der gerichtlichen Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts einzuräumen. In den vergangenen Jahren habe sich die Landeshauptstadt bei der Bearbeitung seiner Anträge auf Aufhebung unzulässiger Benutzungspflichten wenig kooperativ gezeigt und sei diesen erst nach mehrfachem und eindringlichem Nachfragen nachgekommen. In der Klageschrift habe er sich explizit auf ein vorangegangenes Verfahren bezogen, in dem der damalige Kläger bereits angekündigt habe, man werde die angekündigte erneute Anordnung einer Benutzungspflicht nicht hinnehmen. Auch angesichts der damals vom Gericht geäußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Pflicht müsse man zu dem Schluss kommen, dass die Landeshauptstadt sich quasi sehenden Auges in den aktuellen Rechtsstreit hineinmanövriert habe. Es bleibe unklar, warum das Verwaltungsgericht in der Mitteilung vom 10. Januar 2022 den Beschwerdeführer zur unverzüglichen Abgabe einer Erledigungserklärung unter Androhung einer kostenpflichtigen Klageabweisung nahezu gedrängt, jedoch die Erledigungserklärung der Gegenseite – die dem Gericht nach eigenen Angaben bereits vorgelegen habe – nicht beigefügt habe. Deren gesamter Inhalt sei ihm damit vorenthalten worden, obwohl er im Schreiben vom 29. Dezember 2021 ausdrücklich um eine abschließende Stellungnahme gebeten habe. Das Gericht habe auch nicht auf seine Absicht hingewiesen, aufgrund der Ausführungen der Landeshauptstadt dem Beschwerdeführer die Kosten aufzuerlegen. Daher liege eine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Angesichts der nach wie vor unbekannten Erledigungserklärung der Landeshauptstadt hätte der Beschwerdeführer eine (für ihn kostengünstigere) Klagerücknahme erwogen oder vertieft zu den dortigen Behauptungen Stellung genommen; insofern sei die Gehörsverletzung entscheidungserheblich. Er habe angesichts des bisherigen Verhaltens der Landeshauptstadt nicht damit rechnen können, dass diese die streitgegenständliche Benutzungspflicht plötzlich und ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage als rechtswidrig anerkenne und aufhebe; dies sei offensichtlich erst aus Anlass der vorliegenden Anfechtungsklage geschehen.
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Die Landeshauptstadt beantragte mit Schreiben vom 7. März 2022, die Anhörungsrüge zurückzuweisen. Es sei ausgeschlossen, dass die Entscheidung des Gerichts anders ausgefallen wäre, wenn dem Beschwerdeführer die Klageerwiderung vom 7. Dezember 2021 zugestellt worden wäre. Das Gericht habe ihn mit Schreiben vom 10. Januar 2022 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Gegenseite einer Erledigung bereits zugestimmt habe. Der Beschwerdeführer habe es unterlassen, das Gericht auf eine etwaige unterbliebene Zustellung dieses Schriftsatzes hinzuweisen und um Zustellung zu bitten. Ihm sei als gerichtserfahrener Person auch ohne anwaltliche Vertretung bekannt, dass die Zustimmung zu einer Erledigungserklärung außerhalb einer mündlichen Verhandlung schriftlich abgegeben werden müsse, sodass für ihn im Vorfeld seiner Erklärung vom 13. Januar 2022 offenkundig gewesen sei, dass ihm gegebenenfalls ein Schriftsatz nicht zugestellt worden sei. Es liege auch keine Überraschungsentscheidung vor, da es auf der Hand liege, dass bei der Kostenentscheidung die Wertung des sofortigen Anerkenntnisses nach § 156 VwGO in Betracht komme. Es sei nicht einleuchtend, dass sich der Beschwerdeführer auf ein angebliches unkooperatives Verhalten der Landeshauptstadt in der Vergangenheit beziehe, obwohl ihm spätestens seit Mitte 2021 deren Bemühungen bekannt sein müssten, u.a. mit ihm einen Runden Tisch stattfinden zu lassen.
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Mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 16. Mai 2022 Az. M 23 K9 22.2454 wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück. Der Beschwerdeführer stelle mit seiner Rüge, die Anwendung des § 156 VwGO sei unter keinem Umstand vertretbar, die materielle Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung in Frage. Selbst wenn er den letzten Schriftsatz der Gegenseite nicht erhalten habe, sei ein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß nicht gegeben. Seine Kostentragungspflicht sei nicht deshalb ausgesprochen worden, weil anzunehmen wäre, dass bei Anfechtungsklagen gegen Verkehrszeichen vorher die Behörde einzuschalten wäre. Das Gericht habe die entsprechende Anwendung der Norm vielmehr „unter Gesichtspunkten eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Inanspruchnahme gerichtlicher Befassung sowie aus Billigkeitsgesichtspunkten“ vorgenommen. Es bestehe keine Verpflichtung, in dem Kostenbeschluss sämtliche Daten der Fallbefassung aufzuführen bzw. zur Kenntnis genommene Schriftsätze exakt zu bezeichnen. Im Übrigen sei dem Gericht bekannt, dass sich die Landeshauptstadt berechtigten Aufhebungsanträgen gegen Verkehrszeichen aus dem Kreis der Bürger – wie auch hier – keinesfalls verschließe. Ohne § 156 VwGO liefe sie dann Gefahr, nach § 161 Abs. 2 VwGO mit den Kosten des Verfahrens belastet zu werden, weil die Klage begründet wäre.
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1. Mit der am 21. Juli 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 91 Abs. 1 BV (rechtliches Gehör) und Art. 118 Abs. 1 BV (Willkürverbot) durch die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts; weiter macht er eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren sowie seines Justizgewährleistungsanspruchs geltend.
13
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei zum einen durch die fehlende Weiterleitung der Klageerwiderung vom 7. Dezember 2021 und der Erledigterklärung verletzt. Die Weiterleitung sei trotz seiner im Schriftsatz vom 29. Dezember 2021 geäußerten Bitte unterblieben; er wisse daher bis heute nicht, was die Gegenseite vorgetragen habe. Soweit beantragt worden sei, ihm die Kosten aufzuerlegen, hätte er im Einzelnen ausführlich dargelegt, dass andere Hinweise vor Klageerhebung nicht zu einer rechtzeitigen Aufhebung der Benutzungspflicht geführt hätten. Die Unterstellung, es habe keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben, wäre durch die nachweisbare Tatsachenbehauptung, dass die Landeshauptstadt über die bevorstehende Einlegung des Rechtsmittels informiert gewesen sei, gegenstandslos geworden oder hätte jedenfalls zu einem für ihn günstigeren Ergebnis geführt. Durch die ablehnende Entscheidung zur Anhörungsrüge sei der Verstoß noch vertieft worden. Ein Gehörsverstoß liege ebenso im Übergehen des Vortrags des Beschwerdeführers, wonach der Klageerhebung die Vollstreckung eines Bescheidungsurteils in derselben Sache vorangegangen und dabei eine weitere Klage angedroht worden sei.
14
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei kausal für die Kostenentscheidung. Seit der Abschaffung der allgemeinen Radwegbenutzungspflicht im Jahr 1997 habe die Landeshauptstadt nur einen Teil der verkehrsrechtlichen Anordnungen aus den 1990er Jahren überprüft und aufgehoben. Anders als bei Altfällen sei dem Beschwerdeführer – auch in seiner Funktion als ehemaliger Vorstand des örtlichen ADFC-Kreisverbands – bei neueren Anordnungen nicht bekannt, dass diese auf Zuruf hin aufgehoben worden wären. Dies hätte er vorgetragen, wenn er zu der Aussage des Gerichts, dass die Landeshauptstadt sich berechtigten Aufhebungsanträgen keinesfalls verschließe, hätte Stellung nehmen können. Die betreffende Annahme des Gerichts hätte als gerichtskundige Tatsache zunächst in den Prozess eingeführt werden müssen; der darauf bezogene Vortrag des Beschwerdeführers hätte zu einer für ihn günstigeren Kostenentscheidung führen können. Unabhängig davon komme es auf die frühere Aufhebung anderer Radwegbenutzungspflichten nicht an, da die Landeshauptstadt die Klagedrohung im konkreten Fall ignoriert habe.
15
b) Die angegriffenen Beschlüsse verstießen wegen einer nicht mehr nachvollziehbaren Anwendung des § 161 Abs. 2 VwGO auch gegen das in Art. 118 Abs. 1 BV verankerte Willkürverbot. Der Beschwerdeführer habe sich nicht vor der Klageerhebung an die Landeshauptstadt wenden müssen. Diese habe bereits aus dem früheren Verfahren durch die Aussage des damaligen Klägers gewusst, dass „man sich wiedersehen“ werde, falls erneut eine Benutzungspflicht angeordnet werde. Die ignorierte Klageandrohung stelle den Inbegriff einer Veranlassung zur Klageerhebung dar. Auch unabhängig davon werde gegen das Willkürverbot verstoßen. Der Beschwerdeführer sei mit seiner Klagebegründung dem Vorbringen der Landeshauptstadt in dem früheren Klageverfahren entgegengetreten. Er habe insofern keinen Anlass gehabt anzunehmen, dass die Verwaltung bei nochmaligem Antichambrieren und Vortrag derselben Punkte wie im ersten Verfahren zu einer anderen Entscheidung käme. Der vom Gericht zu einer raschen Erledigungserklärung gedrängte Beschwerdeführer habe auch nicht damit rechnen müssen, nach der impliziten Drohung mit einer Kostenauferlegung für den Fall, dass nicht für erledigt erklärt werde, nach der Abgabe einer solchen Erklärung mit den vollen Gerichtskosten belastet zu werden. Er hätte dann die ökonomisch sinnvollere Klagerücknahme erwogen, bei der zwei Drittel der Gerichtskosten entfallen wären. Allein die Irreführung durch das Gericht sei willkürlich und rechtsstaatlich bedenklich. In anderen Fällen habe dieselbe Kammer erheblich kürzere Fristen zur Klageerhebung akzeptiert, um die Kostenlast abzuwenden. Die Entscheidung, in diesem Fall dem Beschwerdeführer trotz einer Dauer von über drei Monaten bis zur Umsetzung die Kosten aufzuerlegen, erscheine vor diesem Hintergrund willkürlich. Insoweit sei auf einen unlängst ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen (BVerfG vom 8.2.2023 – 1 BvR 311/22).
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2. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss vom 16. Mai 2022 richtet; im Übrigen sei sie jedenfalls unbegründet.
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Eine Gehörsverletzung liege nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob den Beschwerdeführer der Schriftsatz der Landeshauptstadt vom 7. Dezember 2021 erreicht habe. Er habe jedenfalls nicht alle ihm zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Obwohl er durch das gerichtliche Schreiben vom 10. Januar 2022 sowie durch das Schreiben der Landeshauptstadt vom 7. März 2022 über das Vorhandensein einer Klageerwiderung in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er es unterlassen, um die Übermittlung zu bitten oder Akteneinsicht zu nehmen. Überdies habe er im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zur Anwendbarkeit des § 156 VwGO zu äußern; seine dazu vorgebrachten Einwände habe das Verwaltungsgericht durch die ergänzenden Ausführungen im Anhörungsrügebeschluss berücksichtigt, wodurch der vermeintliche Gehörsverstoß geheilt sei. Ein solcher Verstoß ergebe sich auch nicht aus dem Vortrag des Beschwerdeführers, der Beschluss vom 16. Mai 2022 sei erstmalig auf Tatsachen gestützt worden, zu denen er nicht habe Stellung nehmen können. Dass sich die Entscheidung vom 16. Mai 2022 auf den Beschluss vom 17. Januar 2022 kausal ausgewirkt haben könnte, sei bereits zeitlich ausgeschlossen und im Übrigen weder dargelegt noch erkennbar.
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Die angegriffene Kostenentscheidung verstoße auch nicht gegen das Willkürverbot. Das Verwaltungsgericht gehe in den Entscheidungsgründen auf eine Anwendung des § 156 VwGO ein und führe im Beschluss vom 16. Mai 2022 ergänzend aus, dass es eine entsprechende Anwendung der Norm unter den Gesichtspunkten des Rechtsschutzbedürfnisses sowie aus Billigkeitsgesichtspunkten vorgenommen habe. Im Rahmen einer Kostenentscheidung stelle die Heranziehung des Veranlasserprinzips eine taugliche und damit willkürfreie Billigkeitserwägung dar, mit der möglichen Konsequenz, dass einem Kläger die Kosten auferlegt werden könnten, selbst wenn er in der Hauptsache obsiegt hätte. Ein Willkürverstoß ergebe sich auch nicht aus dem Vortrag des Beschwerdeführers, dass die Landeshauptstadt durch ihre verkehrsrechtliche Anordnung genügend Anlass zur Klage gegeben habe und dass er selbst keinen Anlass gehabt habe, sich außergerichtlich mit seinem Aufhebungsbegehren an sie zu wenden. Die Anwendung des Veranlasserprinzips im Rahmen des § 161 Abs. 2 VwGO sei als Teil der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts Sache der zuständigen Fachgerichte und der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich entzogen.
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3. Die Landeshauptstadt M. hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
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Soweit der Beschwerdeführer einen Gehörsverstoß nach Art. 91 Abs. 1 BV rüge, weil ihm ein Schriftsatz der Landeshauptstadt nicht übermittelt worden sei, liege darin keine Grundrechtsverletzung. Der Beschwerdeführer habe, nachdem er vom Gericht über die Erledigungserklärung der Landeshauptstadt informiert worden sei, nicht um (erneute) Zusendung des betreffenden Schriftsatzes gebeten, obwohl ihm der fehlende Zugang hätte auffallen können. Ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis, dass die Landeshauptstadt beantragt habe, die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, sei nicht erforderlich gewesen. Gerade im Fall einer Erledigung seien Ausführungen der Beteiligten zur Kostentragung erwartbar, da hier die Kostenentscheidung im Gesetz nicht zwingend vorgezeichnet, sondern nach billigem Ermessen zu treffen sei. Es spreche auch kein Umstand dafür, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag des Beschwerdeführers zur Kostentragung übergangen und damit einen Gehörsverstoß begangen hätte.
21
Das Verwaltungsgericht habe auch nicht durch eine fehlerhafte Anwendung des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegen das Willkürverbot verstoßen. Die Kostenentscheidung sei einfachrechtlich vertretbar gewesen; die Berücksichtigung des § 156 VwGO sei dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Soweit der Beschwerdeführer den Willkürvorwurf damit begründe, dass das Verwaltungsgericht in anderen Fällen den dortigen Klägern keine Kostentragung auferlegt habe, sei schon nicht dargelegt, inwieweit er die dortigen Sachverhalte mit dem vorliegenden für vergleichbar halte.
22
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht in vollem Umfang zulässig.
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1. Hinsichtlich der Zurückweisung der Anhörungsrüge durch das Verwaltungsgericht ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil die eine Nachholung des rechtlichen Gehörs ablehnende Entscheidung (§ 152 a Abs. 4 Satz 3 VwGO) keine eigenständige Beschwer schafft, sondern allenfalls eine durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung des rechtlichen Gehörs fortbestehen lässt, indem die „Selbstkorrektur“ durch die Fachgerichte unterbleibt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 2.10.2013 VerfGHE 66, 179/186; vom 4.10.2018 BayVBl. 2019, 769 Rn. 14; vom 25.1.2021 – Vf. 4-VI-20 – juris Rn. 14; vom 25.5.2021 – Vf. 38-VI-20 – juris Rn. 18). Dies gilt auch dann, wenn ein Zurückweisungsbeschluss ergänzende Ausführungen tatsächlicher oder rechtlicher Art enthält (vgl. VerfGH vom 17.5.2022 – Vf. 63-VI-19 – juris Rn. 26 und 34).
24
2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren und seines Justizgewährleistungsanspruchs behauptet, legt er nicht ansatzweise dar, inwiefern die angegriffene Kostenentscheidung dagegen verstoßen haben soll. Es bedarf daher weiterhin keiner Entscheidung, ob sich aus der Bayerischen Verfassung überhaupt ein Recht auf ein faires Verfahren als verfassungsbeschwerdefähiger Grundrechtsanspruch ergibt (vgl. VerfGH vom 15.9.2023 – Vf. 20-VI-21 – juris Rn. 47 m.w.N.) und ob eine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung des Anspruchs auf Justizgewährung gestützt werden kann (vgl. VerfGH vom 10.12.2019 – Vf. 20-VI-19 – juris Rn. 20 m.w.N.).
25
3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. Sie scheitert insbesondere nicht an einer unzureichenden Substanziierung der behaupteten Verstöße gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 91 Abs. 1 BV) und gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV).
26
a) Eine Verfassungsbeschwerde ist nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 VfGHG nur zulässig, wenn das verfassungsmäßige Recht, dessen Verletzung der Beschwerdeführer geltend macht, innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist von zwei Monaten bezeichnet wird. Dazu muss erkennbar sein, inwiefern durch eine Maßnahme oder Entscheidung ein solches Recht verletzt ist. In dieser Hinsicht ist die Darstellung des wesentlichen zugrundeliegenden Sachverhalts, die genaue Bezeichnung der beanstandeten Handlung und des durch die Handlung verletzten verfassungsmäßigen Rechts erforderlich. Die bloße Behauptung, eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 14.9.2009 BayVBl. 2010, 250/251; vom 2.5.2017 – Vf. 64-VI-15 – juris Rn. 19).
27
Rügt der Beschwerdeführer – wie hier – mit der Verfassungsbeschwerde auch eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und hat er diesbezüglich im Ausgangsverfahren eine Anhörungsrügeentscheidung herbeigeführt, muss er sich nicht nur mit der fachgerichtlichen Ausgangsentscheidung, sondern ebenso mit den Gründen der Entscheidung über die Anhörungsrüge auseinandersetzen. Das gebieten Sinn und Zweck des Gebots der Rechtswegerschöpfung (VerfGH vom 8.11.2019 – Vf. 77-VI-18 – juris Rn. 13; BVerfG vom 21.11.2008 – 1 BvR 2399/06 – juris Rn. 14). Andernfalls ist eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht ausreichend dargelegt und die auf eine Gehörsverletzung gestützte Verfassungsbeschwerde unzulässig (VerfGH vom 20.9.2022 – Vf. 1-VI-22 – juris Rn. 37). Behauptet ein Beschwerdeführer wie hier, dass das Gericht in der Anhörungsrügeentscheidung erneut einen Gehörsverstoß begangen habe, so steht dagegen keine weitere Gehörsrüge, sondern lediglich die – gegen die Ausgangsentscheidung gerichtete – Verfassungsbeschwerde offen (VerfGH vom 19.10.2010 VerfGHE 63, 182/186 f. m.w.N.; BVerfG vom 26.4.2011 – 2 BvR 597/11 – juris Rn. 5; Heinrichsmeier, NVwZ 2010, 228/232; Jooß, NJW 2016, 1210).
28
b) Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde.
29
Zur Begründung des von ihm geltend gemachten Gehörsverstoßes legt der Beschwerdeführer dar, dass die unterbliebene Weiterleitung der Klageerwiderung vom 7. Dezember 2021 und der mit ihr verbundenen Erledigterklärung der Landeshauptstadt, die ersichtlich Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts zur Kostentragung hatten, ihn – auch noch im Anhörungsrügeverfahren – daran gehindert habe, sich mit der Argumentation der Gegenseite im Einzelnen auseinanderzusetzen. Er macht darüber hinaus geltend, dass sein Vortrag, wonach in einem früheren Klageverfahren für den Fall einer erneuten Radwegbenutzungsanordnung eine weitere Klage angedroht worden sei, in der Kostenentscheidung vom 17. Januar 2022 und auch im Beschluss über die Anhörungsrüge vom 16. Mai 2022 außer Acht gelassen worden sei. Diese Ausführungen lassen eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zumindest möglich erscheinen.
30
In der Verfassungsbeschwerde wird zudem näher erläutert, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, gegen das Willkürverbot verstoße, weil sie auf einem unter den gegebenen Umständen nicht mehr vertretbaren Verständnis des Begriffs des „billigen Ermessens“ in § 161 Abs. 2 VwGO beruhe.
31
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie begründet. Die im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 unter Nr. II. getroffene Kostenentscheidung verletzt den Beschwerdeführer zwar nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV), aber in seinem Recht aus Art. 118 Abs. 1 BV in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
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1. Der Verfassungsgerichtshof kann Gerichtsentscheidungen, die wie hier auf Bundesrecht beruhen, nur innerhalb enger Grenzen überprüfen. Gegenüber der Anwendung von materiellem Bundesrecht, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung gemessen werden kann, beschränkt sich diese Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV). In verfahrensrechtlicher Hinsicht prüft der Verfassungsgerichtshof auch Entscheidungen, die auf Bundesrecht beruhen und in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, daraufhin nach, ob ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das – wie der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) oder das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) – mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.6.2013 VerfGHE 66, 94/97; vom 4.1.2023 BayVBl. 2023, 192 Rn. 28, jeweils m.w.N.).
33
2. Das Verwaltungsgericht hat das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) nicht verletzt.
34
a) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt er dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt er den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (VerfGH vom 20.4.2021 BayVBl. 2021, 516 Rn. 32; vom 8.7.2021 BayVBl. 2021, 658 Rn. 27, jeweils m.w.N). Hat das Gericht die Ausführungen eines Beteiligten entgegengenommen, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie bei der Entscheidung erwogen worden sind. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls klar und deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (VerfGH BayVBl. 2021, 658 Rn. 27; vom 27.12.2022 – Vf. 32-VI-22 – juris Rn. 27, jeweils m.w.N.). Hingegen ergibt sich aus Art. 91 Abs. 1 BV kein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“. Die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör kann auch nicht damit begründet werden, die vom Gericht vertretene Auffassung sei unrichtig (VerfGH vom 24.8.2022 – Vf. 9-VI-21 – juris Rn. 61 m.w.N.).
35
b) Hieran gemessen liegt kein entscheidungsrelevanter Gehörsverstoß vor.
36
aa) Zwar ist nach den Gesamtumständen anzunehmen, dass das Schreiben der Landeshauptstadt vom 7. Dezember 2021, das neben der Klageerwiderung auch bereits Ausführungen zur Kostentragung enthielt, dem Beschwerdeführer entgegen der richterlichen Verfügung vom 9. Dezember 2021 nicht übermittelt wurde. Dieses Versäumnis hatte aber nicht zur Folge, dass er gehindert gewesen wäre, sich zu den für die Kostenentscheidung relevanten Aspekten zu äußern.
37
Dem Beschwerdeführer war aus dem Gerichtsschreiben vom 10. Januar 2022 bekannt, dass die Beklagtenseite bereits einer Verfahrenserledigung zugestimmt hatte. Dem Schreiben der Landeshauptstadt vom 7. März 2022 konnte er entnehmen, dass die Gegenseite über die Erledigungserklärung hinaus auch inhaltlich zu seinem Klagebegehren in Form einer Klageerwiderung Stellung genommen hatte. Dass die betreffenden Ausführungen für die nach billigem Ermessen zu treffende gerichtliche Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO von Bedeutung (gewesen) sein konnten, lag auf der Hand. Zwar hätte für das Verwaltungsgericht Anlass bestanden, den Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 nunmehr an den Beschwerdeführer zu übersenden. Gleichwohl hat der Beschwerdeführer bis zum Abschluss des Anhörungsrügeverfahrens nicht um eine nachträgliche Übersendung des Schreibens vom 7. Dezember 2021 gebeten, sondern lediglich gerügt, dass ihm dessen gesamter Inhalt vorenthalten worden sei. Seine fehlende Kenntnis des gegnerischen Sachvortrags muss er sich unter diesen Umständen zurechnen lassen. Der Beschwerdeführer hätte sich an das Verwaltungsgericht wenden und um Übermittlung des noch nicht zugegangenen Schriftstücks bitten oder um Einsichtnahme in die Gerichtsakten ersuchen können (vgl. VerfGH vom 21.11.2002 – Vf. 16-VI-02 – juris Rn. 30 f.). Da er von keiner dieser naheliegenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, kann von einer Verletzung seines Rechts auf Gehör keine Rede sein (vgl. VerfGH vom 5.12.2006 VerfGHE 59, 232/237 m.w.N.).
38
bb) Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die unterbliebene Zusendung des Schreibens vom 7. Dezember 2021 den Beschwerdeführer an der rechtzeitigen Geltendmachung zusätzlicher entscheidungsrelevanter Gesichtspunkte gehindert hätte.
39
Bereits in der Klageschrift vom 21. Oktober 2021 hatte sich der Beschwerdeführer mehrfach auf das im Jahr 2020 abgeschlossene frühere Klageverfahren und die dort getroffenen Feststellungen berufen. Im Rahmen seiner Anhörungsrüge vom 2. Februar 2022 legte er ausführlich dar, dass eine Anwendung des § 156 VwGO unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht komme; die Landeshauptstadt habe angesichts der Äußerungen des früheren Klägers von Anfang an mit einer erneuten Klage rechnen müssen, falls sie wiederum eine Radwegbenutzungspflicht anordne. Welche weiteren Aspekte der Beschwerdeführer zu der aus gerichtlicher Sicht maßgeblichen Frage der Veranlassung zur Klageerhebung noch hätte anführen können, wenn ihm das Schreiben der Landeshauptstadt vom 7. Dezember 2021 bekannt gewesen wäre, geht aus seiner Verfassungsbeschwerde nicht hervor.
40
cc) Es sind auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sein tatsächliches und rechtliches Vorbringen vom Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen worden wäre.
41
Im Anhörungsrügebeschluss vom 16. Mai 2022 hat das Gericht eingeräumt, dass der Beschwerdeführer den Schriftsatz der Gegenseite wohl nicht erhalten habe; zugleich hat es sich gegen ein mögliches (Fehl-)Verständnis seiner Kostenentscheidung verwahrt, wonach bei Anfechtungsklagen gegen Verkehrszeichen stets vorher die Behörde einzuschalten sei. Diese Ausführungen lassen erkennen, dass das Verwaltungsgericht die vom Beschwerdeführer mit der Anhörungsrüge erhobenen Einwände bei seiner nochmaligen Entscheidung in Erwägung gezogen hat, auch wenn der pauschale Hinweis auf den Gesichtspunkt eines (fehlenden) „Rechtsschutzbedürfnisses für die Inanspruchnahme gerichtlicher Befassung“ und auf Billigkeitsgesichtspunkte keinen über den Gesetzeswortlaut der §§ 156, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO hinausgehenden Begründungsansatz bietet. Dass das Gericht nicht ausdrücklich auf den Einwand des Beschwerdeführers eingegangen ist, ein anderer Kläger habe bereits in einem früheren Verfahren eine entsprechende Klage angekündigt, lässt für sich genommen noch nicht den Schluss zu, dieses Vorbringen sei bei der Kostenentscheidung von vornherein außer Betracht geblieben.
42
dd) In der erstmals im Anhörungsrügebeschluss vom 16. Mai 2022 getroffenen Aussage, dem Gericht sei bekannt, dass sich die Landeshauptstadt berechtigten Aufhebungsanträgen gegen Verkehrszeichen aus dem Kreis der Bürger – wie auch hier – keinesfalls verschließe, liegt allerdings die Behauptung einer gerichtskundigen Tatsache, zu der den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör hätte gewährt werden müssen (vgl. VerfGH vom 13.3.1996 – Vf. 78-VI-94 – BeckRS 1996, 13966 Rn. 48; BVerfG vom 17.9.2020 NJW 2021, 50 Rn. 15 m.w.N.). Der Beschwerdeführer hat insoweit auch nachvollziehbar dargelegt, welche konkreten Einwände er dagegen im Fall einer Äußerungsmöglichkeit erhoben hätte. Gleichwohl kann darin kein entscheidungsrelevanter Gehörsverstoß gesehen werden, da es sich bei der betreffenden Aussage, wie die einleitende Wendung „im Übrigen“ verdeutlicht, nur um ein ergänzendes und nicht um ein entscheidungstragendes Begründungselement handelte (vgl. SächsVerfGH vom 18.1.2007 – Vf. 81-IV-06 – juris Rn. 20).
43
3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. Januar 2022 verletzt aber das im Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 BV) enthaltene Willkürverbot.
44
a) Willkür im Sinn des Art. 118 Abs. 1 BV kann bei einer gerichtlichen Entscheidung nur dann festgestellt werden, wenn diese bei Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist. Eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet allein noch keinen Verstoß gegen das Willkürverbot als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die angegriffene Entscheidung darf unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar, sie muss schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, eindeutig unangemessen sein. Dies ist anhand objektiver Kriterien festzustellen; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es hierbei nicht an (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 14.12.2016 BayVBl. 2017, 392 Rn. 30; vom 4.10.2018 BayVBl. 2019, 769 Rn. 26; vom 29.8.2023 – Vf. 59-VI-22 – juris Rn. 22, jeweils m.w.N.).
45
b) Nach diesem Maßstab hält die angegriffene Kostenentscheidung der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Sie kann weder mit der Begründung der Beschlüsse vom 17. Januar und 16. Mai 2022 noch unter einem anderen Gesichtspunkt aufrechterhalten werden.
46
aa) Bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache hat das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch Beschluss nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Nach allgemeiner Auffassung sind in der Regel die Verfahrenskosten entsprechend dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO demjenigen aufzuerlegen, der ohne die Erledigung voraussichtlich unterlegen wäre (BVerfG vom 25.12.2016 NJW 2017, 947 Rn. 13; BVerwG vom 6.4.1989 BVerwGE 81, 356/363; vom 24.3.1998 DVBl. 1998, 731; Clausing in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 161 VwGO Rn. 23; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 75; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 16). Die Behörde ist demgemäß regelmäßig mit den Verfahrenskosten zu belasten, wenn sie – wie hier – den angefochtenen Verwaltungsakt bei gleich gebliebener Sach- und Rechtslage in der Erkenntnis aufgehoben hat, dass er rechtswidrig war (VerfGH vom 18.9.2001 VerfGHE 54, 95/102).
47
Es gibt allerdings keinen allgemeinen Grundsatz, dass der klaglos stellenden Behörde stets die Verfahrenskosten vollumfänglich aufzuerlegen wären. So kann bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch der Rechtsgedanke des § 156 VwGO – fehlende Veranlassung zur Klageerhebung – herangezogen werden, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts unter den gegebenen Umständen als überflüssig erweist und der Klageanspruch sofort anerkannt wird (vgl. VerfGH 54, 95/102; BVerwG vom 29.5.1991 – 1 WB 65.91 – juris Rn. 6; SaarlOVG vom 31.5.2000 – 9 R 19/98 – juris Rn. 17; Clausing, a.a.O., Rn. 25; Neumann/Schaks, a.a.O., Rn. 96; Kreher in BeckOK VwGO, § 161 Rn. 15; vgl. auch VerfGH vom 25.2.1982 VerfGHE 35, 26/29). Im Sinn des § 156 VwGO besteht „Veranlassung zur Erhebung der Klage“, wenn Tatsachen vorliegen, die in dem Kläger vernünftigerweise die Überzeugung oder Vermutung hervorrufen können, er werde ohne eine Klage nicht zu seinem Recht gelangen (BVerwG vom 17.8.2017 NVwZ 2018, 909 Rn. 47; vgl. zur Parallelnorm des § 93 ZPO BGH vom 22.10.2015 NJW 2016, 572 Rn. 19 m.w.N.).
48
bb) Zwar dürfen an die Begründung der Kostenentscheidung bei übereinstimmender Erledigungserklärung der Hauptsache keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Hier hat das Verwaltungsgericht aber das ihm durch § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingeräumte Ermessen in nicht mehr nachvollziehbarer Weise gehandhabt, indem es seine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 156 VwGO auf die Feststellung gestützt hat, die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes sei nicht zwingend erforderlich gewesen.
49
Mit der dafür im Beschluss vom 17. Januar 2022 angeführten Begründung, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen, dass die Landeshauptstadt dem Klagebegehren nicht außergerichtlich nachgekommen wäre, geht das Gericht zu Lasten des Beschwerdeführers von einer (nicht widerlegten) tatsächlichen Vermutung aus, dass die Allgemeinverfügung vom 24. September 2020 schon auf sein formloses Verlangen hin aufgehoben worden wäre. Worauf sich diese Annahme gründet, lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen. Das vorangegangene Schreiben der Landeshauptstadt vom 7. Dezember 2021 bietet dafür jedenfalls keine Grundlage, da dort lediglich ausgeführt wird, bei früheren Bemühungen um eine außergerichtliche Klärung sei dem Begehren des Beschwerdeführers „in einigen Fällen“ entsprochen worden.
50
Die Anwendung des § 156 VwGO lässt sich auch nicht mit dem pauschalen Verweis auf den Gesichtspunkt des (fehlenden) Rechtsschutzbedürfnisses im Anhörungsrügebeschluss vom 16. Mai 2022 rechtfertigen. Mit der dazu getroffenen Aussage, es sei bekannt, dass sich die Landeshauptstadt „berechtigten Aufhebungsanträgen“ gegen Verkehrszeichen „keinesfalls verschließe“, geht das Verwaltungsgericht über die im Beschluss vom 17. Januar 2022 angenommene widerlegbare Vermutung noch hinaus und konstatiert als gerichtskundige Tatsache ein feststehendes Reaktionsmuster der damaligen Beklagten, das auf außergerichtlichem Weg zum sicheren Erfolg geführt hätte. Für diese Annahme findet sich aber in dem Beschluss keine Begründung. Das Gericht legt insbesondere nicht dar, dass es aufgrund eigener Erkenntnisse dem Parteivortrag der Landeshauptstadt folge, wonach diese das Vorbringen des Beschwerdeführers stets ernsthaft prüfe und ihre Ermessensentscheidung „gegebenenfalls“ abändere.
51
Sollte das Verwaltungsgericht bereits in der bloßen Chance des Beschwerdeführers, die Landeshauptstadt vor Erhebung der Klage von seinen Einwänden zu überzeugen und zur Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht zu bewegen, einen Grund für die entsprechende Anwendung des § 156 VwGO gesehen haben, wäre diese Rechtsauffassung offensichtlich sachwidrig. Nach der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Bayern dürfen Rechtsuchende in der Regel gegen belastende Verwaltungsakte Anfechtungsklage erheben, ohne der Behörde vorher Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Es besteht keine Obliegenheit, vor Ergreifen eines förmlichen Rechtsbehelfs zunächst bei der Erlassbehörde formlos Einwendungen zu erheben mit dem Risiko, dass bis zu einer Entscheidung die Klagefrist abläuft (vgl. VG Oldenburg vom 18.6.2010 NVwZ-RR 2010, 867). Die Anwendbarkeit des § 156 VwGO kann demgemäß nicht mit der vom Verwaltungsgericht angeführten generellen Erwägung begründet werden, dass die Beklagtenseite sonst Gefahr liefe, nach § 161 Abs. 2 VwGO mit den Kosten des Verfahrens belastet zu werden, weil die Klage begründet wäre. Der Rechtsstaat darf Rechtsuchenden im Verwaltungsprozess die Kostenerstattung grundsätzlich nicht mit der Begründung verweigern, dass ihre Klage gegen rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet gewesen sei (BVerfG vom 8.2.2023 DVBl. 2023, 805 Rn. 19).
52
Im vorliegenden Fall lagen auch keine besonderen Umstände vor, aufgrund derer die Klageerhebung als mutwillig oder missbräuchlich hätte angesehen werden können. Der Beschwerdeführer weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Landeshauptstadt die Radwegbenutzungspflicht ungeachtet der dagegen wenige Monate zuvor in einem anderen Klageverfahren vorgebrachten prinzipiellen Einwände neu geregelt hatte. Er musste danach vernünftigerweise davon ausgehen, dass er eine Aufhebung der betreffenden Anordnung nur auf dem Klageweg würde erreichen können. Dass er die einjährige Klagefrist (§ 58 Abs. 2 VwGO), die mit der erstmaligen Kenntnisnahme von dem Verkehrszeichen begann (BVerwG vom 23.9.2010 BVerwGE 138, 21 Rn. 15), nicht dazu genutzt hat, sich im Kontakt mit der Landeshauptstadt um eine außergerichtliche Lösung zu bemühen, durfte ihm daher im Rahmen der Kostenentscheidung nicht entgegengehalten werden.
53
c) Mit der Aufhebung der Nr. II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 17. Januar 2022 wird der Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge vom 16. Mai 2022 Az. M 23 K9 22.2454 gegenstandslos (vgl. VerfGH vom 14.7.2014 VerfGHE 67, 175 Rn. 26; vom 5.3.2020 – Vf. 65-VI-18 – juris Rn. 32). Eine gesonderte Aufhebung ist nicht geboten.
54
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten (Art. 27 Abs. 4 Satz 1 VfGHG).